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Drittes Kapitel

Der Besitzer des Diamanten fährt in einer prächtigen Kutsche spazieren und hat auch sonst noch Glück.

 

Ich saß auf dem Rücksitz des Wagens, neben einer sehr hübschen jungen Dame, etwa vom Alter meiner lieben Mary – also siebenzehn und dreiviertel, und uns gegenüber saß die alte Gräfin mit ihrer anderen Enkeltochter – die ebenfalls sehr schön, aber zehn Jahre älter war. Ich erinnere mich noch, daß ich an jenem Tage meinen blauen Frack mit Messingknöpfen, Nankingbeinkleider, eine weiße, blaugemusterte Weste und einen jener Seidenhüte von Dando trug, die im Jahre 22 eben Mode geworden und viel glänzender waren, als der beste Biberhut.

»Wer war denn jenes abscheuliche Ungeheuer,« so äußerte sich Ihre Ladyschaft, – »jener schreckliche, ordinäre Bursche mit den Eisen an den Stiefeln, dem großen Munde und der unechten Golduhrkette, der uns so anstarrte, als wir in den Wagen stiegen?«

Wie sie wissen konnte, daß Gus' Kette unecht war, begreife ich nicht; aber es war wirklich so, wir hatten sie vorige Woche für fünfundzwanzig Schillinge und sechs Pence bei Herrn Phail am St. Paulskirchhofe gekauft. Aber ich hatte keine Lust, von meinem Freunde so sprechen zu hören, und so nahm ich mich seiner an. –

»Madame«, sagte ich, »der Name dieses jungen Gentlemen ist Augustus Hoskins. Wir wohnen zusammen, und es gibt auf der ganzen Welt keinen besseren oder gutherzigeren Menschen als ihn.«

»Sie haben ganz recht, Ihre Freunde zu verteidigen, mein Herr,« sagte die zweite Dame, deren Name anscheinend Lady Jane war, denn sie wurde von ihrer Großmama so genannt.

»Gewiß, das tut er, Lady Jane, und ich habe das an jungen Leuten gern. Hoskins heißt er also, nicht wahr? Ich kenne alle Hoskins in England, meine Liebe. Da sind die Lincolnshire Hoskins, die Shropshire Hoskins; man sagt, daß Bell, des Admirals Tochter, sich in einen schwarzen Bedienten oder Bootsmann oder so etwas Aehnliches verliebt hatte; aber die Welt weiß immer irgend etwas. Da ist dann noch der alte Doktor Hoskins in Bath, der den armen guten Drum bei der Gelbsucht behandelte. Und der arme, liebe, alte General Fred Hoskins, der an der Gicht leidet, ich erinnere mich seiner noch aus dem Jahre 84, wo er dünn war wie ein Zaunpfahl und beweglich wie ein Hampelmann und in mich verliebt – ach wie war der in mich verliebt!«

»Du scheinst damals eine ganze Schar von Anbetern gehabt zu haben, Großmama,« sagte Lady Jane.

»Hunderte, meine Liebe, – Hunderttausende. Ich war in Bath die Königin der Gesellschaft und eine Schönheit ersten Ranges dazu; das werden Sie kaum glauben, nicht wahr, Hand aufs Herz und ohne Schmeichelei, Herr wie heißen Sie doch?«

»In der Tat, Madame, das hätte ich nie geglaubt,« antwortete ich, denn die alte Dame war so häßlich wie nur möglich. Bei diesen Worten brachen die beiden jungen Damen in ein lautes Gelächter aus, und ich sah, daß selbst die beiden Lakaien mit den großen Backenbärten, die hinten auf dem Wagen standen, das Gesicht verzogen.

»Auf mein Wort, Sie waren sehr offenherzig, Herr – wie ist doch Ihr Name? – außerordentlich offenherzig, wirklich; aber ich liebe Offenherzigkeit an jungen Leuten. Ich war aber wirklich eine Schönheit. Fragen Sie nur einmal den Onkel Ihres Freundes, den General! Er ist einer von den Lincolnshire Hoskins – ich erkannte ihn gleich an der großen Familienähnlichkeit. Ist er der älteste Sohn? Eine schöne Besitzung, wenn auch über und über verschuldet, denn der alte Sir George war ein Teufelskerl – ein Freund von Hanbury Williams und Lyttleton und all dem abscheulichen, widerwärtigen Volk! Wieviel wird Ihr Freund im Vermögen haben, Herr Soundso, wenn der Admiral einmal stirbt?«

»Das kann ich wirklich nicht sagen, Madame, der Admiral ist auch nicht der Vater meines Freundes.«

»Nicht sein Vater? – ich sage Ihnen, er ist es doch, und ich irre mich nie. Wer sollte denn sonst sein Vater sein?«

»Madame, sein Vater ist Lederhändler in Skinnerstreet, Snowhill – ein sehr achtbares Haus, Madame. Aber Gus ist nur der dritte Sohn, und hat also nicht viel von dem Vermögen zu erwarten.«

Die beiden jungen Damen lächelten. Die alte Dame sagte: »Waas?«

»Sie gefallen mir,« sagte Lady Jane, »weil Sie sich Ihrer Freunde nicht schämen, welche Stellung sie auch im Leben einnehmen mögen. Können wir nicht das Vergnügen haben, Sie irgendwo abzusetzen, Herr Titmarsh?«

»Ich habe nichts Besonderes vor, Mylady,« entgegnete ich. »Wir haben heute Urlaub im Kontor – wenigstens gab Roundhand mir und Gus Urlaub, und es würde mir wirklich eine große Freude sein, eine Spazierfahrt mit Ihnen durch den Park zu machen, vorausgesetzt natürlich, daß es Ihnen nicht unangenehm ist.«

»Es wird uns ein unendliches Vergnügen machen,« sagte Lady Jane, wenn auch mit etwas ernster Miene.

»Ja, wahrhaftig, das wird es!« sagte Lady Fanny, in die Hände klatschend, »nicht wahr, Großmama? Und wenn wir im Park gewesen sind, können wir noch einen Spaziergang im Kensingtongarten machen, wenn Herr Titmarsh die große Güte haben will, uns zu begleiten.«

»Das werden wir wohl nicht tun, Fanny,« entgegnete Lady Jane.

»Das werden wir wohl doch tun!« rief Lady Drum. »Ich sterbe ja fast vor Neugier, alles mögliche von seinem Onkel und seinen dreizehn Tanten zu hören, aber ihr plappert ja so viel, ihr jungen Dinger, daß weder ich noch mein junger Freund hier zu Worte kommen können.«

Lady Jane zuckte die Achseln und erwiderte kein Wort. Lady Fanny, die so munter war wie ein junges Kätzchen (wenn ich so von einer Aristokratin sprechen darf), lachte, wurde rot, kicherte und schien sich über die Verstimmung ihrer Schwester köstlich zu amüsieren. Und die Gräfin fing sofort an und vertiefte sich in die Geschichte der dreizehn Fräulein Hoggarty, die noch nicht zu Ende war, als wir in den Park eintraten.

Dort im Park kamen, wie man sich denken kann, hunderte von jungen Herren zu Pferde an den Wagen und sprachen mit den Damen. Sie scherzten mit Lady Drum, die in ihrer Art als Original anerkannt zu sein schien, verbeugten sich vor Lady Jane und machten, besonders die jungen, der Lady Fanny Komplimente.

Aber obgleich sie sich verbeugte und errötete, wie es sich für eine junge Dame schickt, schien sie doch an ganz etwas anderes zu denken; denn sie steckte oft den Kopf aus dem Wagenfenster und schaute sich so eifrig unter den Reitern um, als ob sie jemand zu sehen erwarte. Aha! Mylady Fanny! Ich wußte gleich, was es heißt, wenn eine junge hübsche Dame wie sie zerstreut ist, sich umsieht und die an sie gerichteten Fragen nur halb beantwortet. Haltet Sam Titmarsh nicht für so dumm – er weiß so gut wie irgendeiner Bescheid! Als ich sie immer auffälliger diese Manöver machen sah, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, Lady Jane einen Wink zu geben, der so viel bedeuten sollte, als: ich wüßte schon, was los wäre. »Ich glaube, die junge Dame sucht jemand,« sagte ich. Jetzt war die Reihe, verlegen auszusehen, an Fanny, das kann ich versichern, und sie wurde scharlachrot; aber nach einer Minute blickte das gutmütige kleine Ding die Schwester schelmisch an, und beide junge Damen hielten sich die Taschentücher vor und fingen an zu lachen – zu lachen, als hätte ich den besten Witz der Welt gemacht.

» Il est charmant, votre monsieur,« sagte Lady Jane zu ihrer Großmama. Und ich verbeugte mich darauf und sagte: » Madame, vous me faîtes beaucoup d'honneur,« denn ich verstand Französisch und war erfreut, daß die guten Damen ein solches Wohlgefallen an mir fanden. »Ich bin ein armes bescheidenes Menschenkind, Madame, das mit der großen Welt keinen Verkehr hat, und fühle tief, wie gütig Sie sind, Madame, daß Sie mir so freundlich entgegenkommen und mich in Ihrem schönen Wagen spazieren fahren.«

In diesem Augenblick kam ein Herr mit bleichem Gesicht und dunklem Kinnbart auf schwarzem Pferde an den Wegen geritten, und an einem leisen Zusammenzucken Lady Fannys und an ihrem urplötzlichen Wegsehen merkte ich, daß der gewisse Jemand endlich erschienen war.

»Lady Drum,« sagte er, »Ihr allergehorsamster Diener! Ich bin soeben mit einem Herrn geritten, der sich im Jahre – aber Jahreszahlen tun nichts zur Sache – aus Liebe zu der schönen Gräfin Drum beinahe totgeschossen hätte.«

»Das war wohl Killblazes?« sagte die Dame, »er ist ein lieber alter Mensch, und ich bin sofort bereit, mit ihm davonzulaufen. Oder war es der prächtige alte Bischof? Er besitzt noch eine Locke von mir – ich gab sie ihm, als er noch Kaplan bei meinem Papa war, und, lassen sie mich's gestehen, es würde schwer halten, jetzt noch eine an derselben Stelle zu finden.«

»Verzeihen Sie, Mylady!« sagte ich, »das ist doch nicht Ihr Ernst?«

»Aber gewiß, mein voller Ernst, mein lieber Herr,« erwiderte sie, »denn, unter uns gesagt, mein Kopf ist so kahl wie eine Kanonenkugel – fragen Sie nur Fanny, ob's nicht so ist. Das arme Ding hatte – sie war damals noch ein Kind – einen schönen Schrecken, als sie mich einmal plötzlich in meinem Ankleidezimmer ohne Perücke überraschte!«

»Ich hoffe, Lady Fanny hat sich von der Erschütterung erholt,« sagte der Jemand, indem er zuerst sie ansah und dann mich, als ob er Lust hätte, mich aufzufressen. Und, sollte man's glauben? Lady Fanny wußte nichts darauf zu erwidern, als: »So ziemlich, Mylord, denke ich;« und das stotterte sie so verwirrt und errötend hervor, wie wir in der Schule unseren Virgil hersagten – wenn wir die Verse nicht gelernt hatten.

Mylord fuhr fort, mich sehr wütend anzusehen, murmelte etwas wie: er hätte gehofft, in Lady Drums Wagen einen Sitz zu finden, da er des Reitens müde sei, worauf Lady Fanny ebenfalls etwas von einem »Freunde Großmamas« murmelte.

»Du solltest sagen, einer deiner Freunde, Fanny,« sagte Lady Jane; »ich bin überzeugt, wir wären nicht in den Park gekommen, wenn Fanny nicht darauf bestanden hätte, Herrn Titmarsh hierher zu bringen. Erlauben Sie mir, den Earl von Tiptoff mit Herrn Titmarsh bekannt zu machen.« Aber anstatt seinen Hut abzunehmen, wie ich den meinen, brummte Seine Lordschaft nur, daß er ein anderes Mal auf das Vergnügen hoffe, und galoppierte wieder auf seinem Rappen davon. Ich habe niemals begriffen, womit in aller Welt ich ihn beleidigt haben könnte.

Aber es schien meine Bestimmung zu sein, an diesem Tage alle Männer vor den Kopf zu stoßen, denn wer kam gleich darauf an unseren Wagen? Der sehr ehrenwerte Edmund Preston, einer der Staatssekretäre Sr. Majestät (wie ich sehr gut aus dem Almanach in unserem Kontor wußte) und Ehegemahl von Lady Jane.

Der sehr ehrenwerte Edmund Preston ritt einen grauen Hengst und war ein dicker Mann mit blassem Gesicht, das aussah, als ob er nie an die frische Luft käme. »Wer zum Teufel ist das?« fragte er seine Frau, abwechselnd sie und mich mit grämlichen Blicken messend.

»Oh, es ist ein Freund der Großmama und Jane,« entgegnete Lady Fanny schnell, indem sie die Schwester schalkhaft und kühn ansah, die ihrerseits ziemlich erschrocken zu sein schien und Fanny flehend anblickte, aber nicht wagte, eine Silbe zu erwidern. »Ja, gewiß,« fuhr Lady Fanny fort, »Herr Titmarsh ist ein Kusin mütterlicherseits von Großmama, von seiten der Hoggartys. Haben Sie die Hoggartys nicht kennen gelernt, Edmund, als Sie mit Lord Bagwig in Irland waren? Erlauben Sie, daß ich Sie mit Großmamas Vetter bekannt mache, Herr Titmarsh; Herr Titmarsh – mein Schwager, Herr Edmund Preston.«

Lady Jane hatte ihre Schwester während der ganzen Zeit so stark wie möglich auf den Fuß getreten, aber das boshafte kleine Ding stellte sich, als merke sie nichts davon, und ich, der ich von der Verwandtschaft niemals ein Wort gehört hatte, geriet in die äußerste Verlegenheit. Aber ich kannte die Gräfin Drum eben lange nicht so gut, wie die scheue, kleine Hexe von Enkelin sie kannte; denn die alte Dame, die kurz vorher den armen Gus Hoskins zu ihrem Vetter gemacht hatte, war, wie es schien, von der Manie besessen, mit aller Welt verwandt zu sein, und sagte:

»Ja, wir sind verwandt und gar nicht allzu weitläufig. Mick Hoggartys Großmutter war Millicent Brady, und sie und meine Tante Towzer waren bekanntlich Verwandte, denn Decimus Brady von Ballybrady heiratete einen rechten Vetter von Tante Towzers Mutter, Bell Swift – keiner aus der Verwandtschaft des Dechanten, meine Liebe, denn der stammte aus keiner besonderen Familie – ist das nicht so klar wie möglich?«

»Oh, vollkommen, Großmama,« sagte Lady Jane lachend, während der sehr Ehrenwerte mit verdrießlicher Miene immer noch nebenher ritt.

»Und Sie haben die Hoggartys doch gewiß auch gekannt, Edmund? – die dreizehn rothaarigen Mädels – die neun Grazien und noch vier darüber, wie der arme Clanboy sie zu nennen pflegte. Der arme Clan! – ein Vetter von Ihnen und mir, Herr Titmarsh – war damals auch sterblich in mich verliebt. Erinnern Sie sich nicht an alles, Edmund? – Nein? – Sie erinnern sich nicht an Beddy und Minny und Thedy und Winny und Mysie und Grizzie und Polly und Dolly, und wie sie alle hießen?«

»Zum T– mit diesen Fräuleins Hoggarty, Madame,« rief der sehr ehrenwerte Herr, und das sagte er mit solcher Energie, daß sein Grauschimmel einen plötzlichen Satz machte, der den Reiter beinahe kopfüber in den Sand geworfen hätte. Lady Jane schrie laut auf; Lady Fanny lachte, und die alte Lady Drum sah so aus, als ob sie sich keinen Pfifferling daraus mache, und sagte: »Es geschieht Ihnen schon recht, warum fluchen Sie, – Sie häßlicher Mensch Sie!«

»Wollen Sie nicht lieber in den Wagen kommen, Edmund – Herr Preston?« rief Lady Jane ängstlich aus.

»Ach, ich kann ja aussteigen, Madame,« sagte ich.

»Pah, pah, lassen Sie sich nicht stören,« sagte Lady Drum, »der Wagen gehört mir, und wenn Herr Preston in dieser abscheulichen ordinären Weise in Gegenwart einer Dame meines Alters zu fluchen beliebt – ich wiederhole es, in dieser abscheulichen, ordinären Weise flucht – so sehe ich nicht ein, warum meine Freunde sich seinetwegen stören lassen sollten. Er mag sich auf den Bock setzen, wenn er Lust hat, oder hereinkommen und auf dem Quersitz reiten.« Es war auffallend klar, daß Lady Drum ihren Enkelschwiegersohn von ganzem Herzen haßte, und ich habe später noch oftmals in vornehmen Familien beobachtet, daß diese Art von Abneigung nicht eben ungewöhnlich ist.

Herr Preston, einer von den Unterstaatssekretären Sr. Majestät, saß, um die Wahrheit zu sagen, allerdings recht ängstlich auf seinem Pferde und war froh, das sich bäumende und ausschlagende Tier verlassen zu können. Sein blasses Gesicht war noch bleicher als vorher, und seine Hände und Beine zitterten, als er von dem Grauschimmel abstieg und seinem Diener die Zügel zuwarf. Mir mißfiel der Mann – der Herr, meine ich – vom ersten Augenblick an, wo er zu uns kam und seine hübsche sanfte Frau so barsch anredete; ich hielt ihn von vornherein für einen Feigling; und der Vorfall mit dem Pferde bewies, daß ich recht hatte. Gütiger Himmel! Ein Kind hätte es reiten können, und diesem Manne fiel das Herz in die Hosen, als es ein einziges Mal ausschlug.

»Oh, schnell! kommen Sie heran, Edmund!« rief Lady Fanny lachend, und der Wagentritt wurde heruntergelassen. Preston warf mir beim Einsteigen einen drohenden Blick zu und machte Miene, sich in Lady Fannys Ecke zu setzen (ich hütete mich wohl, mich aus der meinigen zu erheben), als der kleine Schelm ausrief: »O nein! auf keinen Fall, Herr Preston. Mach' den Schlag zu, Thomas. Ach, was für ein Spaß, der Welt einen Staatssekretär zu zeigen, der auf dem Quersitze reitet!«

Der Staatssekretär schien aber zu diesem Spaße ziemlich wenig aufgelegt zu sein!

»Nehmen Sie meinen Platz, Edmund, und achten Sie nicht auf Fannys Torheit,« sagte Lady Jane schüchtern.

»O nein,! – ich bitte, Madame, bleiben Sie! Ich sitze bequem, sehr bequem, und hoffe, daß auch dieser Herr bequem sitzt.«

»Vollkommen, das versichere ich Ihnen,« sagte ich. »Ich wollte mich eigentlich erbieten, Ihr Pferd nach Hause zu reiten, denn Sie scheinen etwas ängstlich zu sein; aber ich befand mich hier wirklich viel zu gut, um mich losreißen zu können.«

Welch vergnügtes Schmunzeln die alte Lady Drum sehen ließ, als ich diese Worte sagte! Wie ihre kleinen Aeuglein funkelten und ihr kleiner pfiffiger Mund zuckte! Ich hatte das Wort um keinen Preis unterdrücken können, denn mein Blut war nun auch in Wallung geraten.

»Es wird uns immer freuen, wenn Sie uns Ihre Gesellschaft schenken wollen, Vetter Titmarsh,« sagte sie und präsentierte mir dabei ihre goldene Schnupftabaksdose, aus der ich eine Prise nahm, die ich mit der Miene eines Lords zur Nase führte.

»Da Sie diesen Herrn eingeladen haben, in Ihrem Wagen mit Ihnen spazieren zu fahren, Lady Jane Preston, so wäre es wohl auch angemessen, ihn zum Mittagessen einzuladen?« sagte Herr Preston, ganz blau vor Wut.

»Ich habe ihn eingeladen, in meinem Wagen mit uns spazieren zu fahren,« sagte die alte Dame, »da wir aber heute bei Ihnen speisen werden und Ihnen sicherlich daran liegt, so wird es mir viel Freude machen, dort mit Herrn Titmarsh zu essen.«

»Es tut mir leid, aber ich bin bereits versagt,« erwiderte ich.

»Oh, wie schade!« sagte der sehr ehrenwerte Edmund, noch immer seine Frau und mich anstarrend. »Wie schade, daß dieser Herr – ich vergaß seinen Namen – daß Ihr Freund, Lady Jane, schon versagt ist! Ich bin überzeugt, es würde Ihnen großes Vergnügen bereitet haben, Ihren Vetter in Whitehall zu begrüßen.«

Allerdings war Lady Drum versessen darauf, Verwandtschaften zu entdecken, aber diese Worte des sehr ehrenwerten Herrn Preston waren mir doch zuviel. »Auf, Sam,« dachte ich, »sei ein Mann und zeige, daß du das Herz auf dem rechten Flecke hast!« So sagte ich denn laut: »Nun, meine Damen, da dem sehr ehrenwerten Herrn so viel darauf anzukommen scheint, so werde ich meine Verabredung aufgeben, und es soll mir ein aufrichtiges Vergnügen sein, eine Hammelkeule mit ihm zu verspeisen. Wann essen Sie, mein Herr?«

Er würdigte mich keiner Antwort, und ich verlangte auch keine, denn natürlich hatte ich nicht die Absicht, mit dem Manne zu speisen, sondern wollte ihm nur eine Lektion im Takt geben. Denn obgleich ich nur ein armer Mensch bin und die Leute oft darüber losziehen höre, wie gemein es ist, Erbsen mit dem Messer zu essen oder dreimal Käse zu nehmen, und was dergleichen wichtige Dinge mehr sind, so meine ich doch, es gibt etwas noch viel Gemeineres als all dies, und das ist Brutalität gegen Niedrigerstehende. Ich hasse den Menschen, der sich dergleichen erlaubt, wie ich den Menschen geringem Standes verachte, der so auszusehen sucht, als ob er den höheren Ständen angehörte, und ich beschloß, Herr Preston eine Probe meiner Gesinnung zu geben.

Als der Wagen vor seiner Tür hielt, half ich den Damen vorerst so höflich als möglich heraus, trat dann in die Halle, hielt Herrn Preston an einem Knopfe seines Rockes in der Tür fest und sagte ihm vor den Damen und den beiden großen Dienern folgendes: »Mein Herr,« sagte ich, »diese liebenswürdige alte Dame nötigte mich in ihren Wagen, und wenn ich die Einladung annahm, so geschah das zu ihrem, nicht zu meinem Vergnügen. Als Sie dazu kamen und fragten, wer zum Teufel ich wäre, dachte ich bei mir wohl, Sie hätten diese Frage in etwas höflicherer Weise stellen können, aber ich hielt es nicht für meine Aufgabe, Ihnen Bescheid zu geben. Als Sie mich dann, um sich einen Spaß zu machen, zum Essen einluden, glaubte ich ebenfalls mit einem Scherz antworten zu dürfen, und so sehen Sie mich hier. Aber haben Sie keine Furcht, ich werde nicht mit Ihnen speisen, ich möchte Ihnen nur raten, sich mit solchen Scherzen andern gegenüber in acht zu nehmen – bei einigen Kollegen aus unserem Kontor z. B. – die könnten Sie möglicherweise beim Wort nehmen.«

»Ist das alles, mein Herr?« sagte Herr Preston in voller Wut, »wenn Sie fertig sind, verlassen Sie wohl dies Haus, oder sollen meine Diener Sie vielleicht hinausweisen? Werft diesen Burschen hinaus! Versteht ihr mich?« rief er, riß sich von mir los und warf in voller Wut die Tür seines Arbeitszimmers hinter sich zu.

»Dein Mann ist ein widerwärtiges scheußliches Ungeheuer von einem Menschen!« sagte Lady Drum und ergriff dabei den Arm ihrer ältesten Enkeltochter, »ich hasse ihn. Aber kommt zu Tisch, denn das Essen wird kalt«; dabei versuchte sie Lady Jane ohne weiteres mit sich fortzuziehen. Aber diese gute Dame trat noch einmal auf mich zu; sie sah sehr bleich aus und zitterte; sie sagte: »Herr Titmarsh, ich hoffe, Sie sind uns nicht böse – oder besser, Sie vergessen, was geschehen ist,« sagte sie, »denn, glauben Sie, es macht mir sehr großen –« Was für einen sehr großen, erfuhr ich nicht, denn hier füllten die Augen des armen Geschöpfes sich mit Tränen; und Lady Drum rief aus: »Te, te! keinen Unsinn!« und zog sie am Aermel fort, die Treppe hinauf. Aber die kleine Lady Fanny trat mutig auf mich zu, streckte mir ihre kleine Hand entgegen, drückte sie recht herzhaft und sagte: »Leben Sie wohl, mein lieber Herr Titmarsh!« Und das sagte sie so freundlich, daß ich gehängt sein will, wenn ich nicht bis über die Ohren rot wurde und alles Blut in meinen Adern zu brausen anfing.

Nachdem sie sich entfernt hatte, stülpte ich meinen Hut auf und verließ die Halle, stolz wie ein Pfau und tapfer wie ein Löwe; und ich wünschte nur, daß einer von den frechen grinsenden Lakaien mir die leiseste Unverschämtheit sagen oder antun möchte, so daß ich das Vergnügen hätte haben können, ihn mit meinen besten Empfehlungen an seinen Herrn zu Boden zu schlagen. Aber keiner von ihnen tat mir einen solchen Gefallen, und so ging ich denn nach Hause und speiste mit Gus Hoskins in friedvollster Weise gekochtes Hammelfleisch mit Rüben.

Ich hielt es nicht für geraten, Gus (der, unter uns gesagt, ein wenig neugierig und etwas plauderhaft war) alle Einzelheiten der Familienszenen mitzuteilen, deren Ursache und Zeuge ich gewesen war, und so erzählte ich ihm nur, daß die alte Dame – »Es war das Wappen der Drums,« sagte Gus, »ich bin gleich hingegangen und habe im genealogischen Almanach nachgesehen«; – also – daß die alte Dame ausfindig gemacht habe, ich sei ein Vetter von ihr und mich infolgedessen zu einer Spazierfahrt nach dem Park eingeladen habe.

Am nächsten Tage gingen wir wieder wie gewöhnlich nach dem Kontor, wo, wie man sich denken kann, Hoskins selbstverständlich nicht nur alles, was geschehen war, sondern noch ein gutes Teil mehr erzählte, und obgleich ich mir einredete, daß ich mir aus der ganzen Geschichte keinen Pfifferling machte, so muß ich doch gestehen, daß es mich freute, die jungen Leute in unserem Kontor von einem Teil meiner Erlebnisse in Kenntnis gesetzt zu wissen.

Aber man denke sich am Abend bei meinem Nachhausekommen meine Ueberraschung, als ich Frau Stokes, meine Wirtin, Fräulein Selima Stokes, ihre Tochter, und Master Bob Stokes, ihren Sohn (einen trägen, kleinen Bengel, der immer auf den Stufen der St. Brideskirche und in Salisbury Square mit Murmeln spielte) schon meiner harrend fand und alle drei mit besonderer Eilfertigkeit die zwei Treppen zu unserm Zimmer vor uns hinaufstürmten. Und oben, auf dem Tische, zwischen unsern zwei Flöten, neben denen auf der einen Seite mein Album, auf der andern Seite Gus' Don Juan und sein genealogischer Almanach lagen, fand ich folgendes:

1. einen Korb mit großen, roten Pfirsichen, die aussahen, wie die Wangen meiner lieben Mary Smith;

2. einen ebensolchen Korb mit großbeerigen, glänzenden, saftigen Trauben;

3. ein ungeheueres Stück rohes Fleisch, das ich für Hammelfleisch hielt, das aber, wie mich Frau Stokes belehrte, die auserlesenste Hirschkeule war, die sie je gesehen;

und drei Karten, auf denen zu lesen war:

 

Verwitwete Gräfin Drum

Lady Fanny Rakes

Herr Preston – Lady Jane Preston

Graf von Tiptof

 

»Was fürn Wagen!« sagte Frau Stokes, »was fürn Wagen – ganz mit Kronen! was für Livreen – zwei großmächtige Bediente mit roten Backenbärten und gelben Plüschkniehosen; und drin im Wagen eine sehr alte Dame mit weißem Hut und eine junge mit einem großen italienischen Strohhut mit blauen Bändern und ein großer, langer, blasser Herr mit einem Bärtchen am Kinn.

›Bitte, Madame, wohnt Herr Titmarsh hier?‹ sagte die junge Dame mit ihrer hellen Stimme.

›Jawohl, Mylady,‹ erwiderte ich, ›aber er ist im Kontor – der West-Diddlesex-Feuer- und Lebensversicherungsgesellschaft, Cornhill.‹

›Charles, geben Sie die Sachen aus dem Wagen,‹ sagte der Herr ganz feierlich.

›Jawohl, Mylord,‹ erwiderte Charles und überreichte mir die Hirschkeule, die in ein Zeitungsblatt eingeschlagen war und auf dem Porzellanteller lag, den Sie da sehen, und auch noch die beiden Körbe Obst.

›Haben Sie die Güte, Madame,‹ sagte Mylord, ›diese Sachen in Herrn Titmarshs Zimmer zu bringen mit unserer und Lady Jane Prestons Empfehlung und Bitte, dies von uns anzunehmen;‹ und damit gab er mir die Karten, die auf Ihrem Tische liegen, und diesen Brief, der mit Seiner Lordschaft eigenem Wappen gesiegelt ist.‹«

Und dabei überreichte mir Frau Stokes einen Brief, den meine Frau bis auf den heutigen Tag aufbewahrt, und der wie folgt lautet: –

»Graf Tiptoff ist von Lady Jane Preston beauftragt, Herrn Titmarsh ihr herzliches Bedauern auszusprechen, daß sie gestern nicht das Vergnügen haben konnte, Herrn Titmarsh bei sich zu Tisch zu sehen. Lady Jane wird London in den nächsten Tagen verlassen und deshalb nicht imstande sein, ihre Freunde während dieser Saison in Whitehall zu empfangen. Aber Lord Tiptoff hofft, Herr Titmarsh würde die Freundlichkeit haben, einige Erzeugnisse des Gartens und Parkes von Lady Jane anzunehmen und damit vielleicht einige der Freunde zu bewirten, die einen so warmen Verteidiger an ihm fanden.«

Dabei lag ein kleines Billett, das diese Worte enthielt: »Lady Drum ist Freitag, den 17. Juni, zu Hause.« Und dies geschah nur, weil meine Tante Hoggarty mir eine Diamantnadel geschenkt hatte!

Ich schickte das Wildbret nicht zurück, warum hätte ich das auch tun sollen? Gus wollte es sofort an Brough, unseren Direktor, und die Trauben und Pfirsiche an meine Tante in Sommersetshire schicken.

»Ih, Gott bewahre!« sagte ich, »wir wollen Bob Swinney und noch ein halbes Dutzend von unseren Kollegen einladen und uns Sonnabend einen vergnügten Abend damit machen.« Und das taten wir auch; und wenn wir auch keinen Wein hatten, so hatten wir doch Ale, soviel wir mochten, und Ginpunsch hinterher. Gus saß am unteren Tischende und ich am oberen, und wir sangen sowohl komische wie sentimentale Lieder und brachten Trinksprüche aus; und ich hielt eine Rede, die wiederzugeben gar keine Möglichkeit ist, weil ich, unter uns gesagt, am Morgen ganz und gar vergessen hatte, was sich nach einer gewissen Stunde in der Nacht ereignet hatte.


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