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Sechstes Kapitel

Die West-Diddlesexgesellschaft und der Eindruck, den der Diamant dort hervorbrachte.

 

Nun, damit war die Zauberkraft der Nadel immer noch nicht erschöpft! Sehr bald nach Frau Broughs großer Gesellschaft rief unser Direktor mich in sein Kabinett in West Diddlesex, und, nachdem er meine Eintragungen geprüft und eine Weile von Geschäften gesprochen hatte, sagte er: »Das ist eine sehr schöne Diamantnadel, Herr Titmarsh,« (er sprach in sehr ernster, gönnerhafter Weise), »und ich ließ Sie eigentlich rufen, weil ich mit Ihnen über diesen Gegenstand sprechen wollte. Ich sehe es nicht ungern, daß die jungen Leute unseres Geschäfts gut und hübsch gekleidet sind; aber ich weiß, daß ihre Gehälter nicht hinreichen können, um ihnen den Kauf von Schmucksachen, wie diese, zu erlauben, und es bekümmert mich, Sie mit einem solchen Wertgegenstand zu sehen. Sie haben die Nadel doch bezahlt, Herr Titmarsh – ich nehme das als sicher an; denn vor allen Dingen, mein lieber – lieber junger Freund, hüten Sie sich vor dem Schuldenmachen.«

Ich konnte nicht begreifen, warum Brough mir diese Predigt übers Schuldenmachen hielt und wieso er den Glauben heuchelte, ich hätte mir die Diamantnadel gekauft, obgleich mir durch Abednego bekannt war, daß er sich schon nach allen Nebenumständen erkundigt hätte. »Aber ich verstehe nicht, Herr Brough,« meinte ich, »Herr Abednego sagte mir doch, er hätte Ihnen gesagt, ich hätte ihm gesagt –«

»Ach ja – hm, hm, nun erinnre ich mich, Herr Titmarsh – ja, ich erinnre mich – ja; aber Sie können sich wohl denken, daß ich auch noch andere wichtige Dinge im Kopfe habe.«

»O natürlich, Herr Brough,« sagte ich.

»So vergißt man, wenn einer der Kommis etwas von einer Busennadel sagt, die einer der anderen Herren geschenkt bekommt. Sie bekamen die Nadel also geschenkt, nicht wahr?«

»Meine Tante, Frau Hoggarty von Schloß Hoggarty schenkte sie mir, Herr Brough,« sagte ich mit etwas erhobener Stimme, denn ich war ein wenig stolz auf Schloß Hoggarty.

»Sie muß wohl sehr reich sein, wenn sie solche Geschenke machen kann, Titmarsh?«

»O ja,« entgegnete ich, »sie lebt in recht guten Verhältnissen. Vierhundert Pfund jährliches Witwengeld, ein Gut in Slopperton, drei Häuser in Squashtail und dreitausendzweihundert Pfund bar beim Bankier, wie ich zufällig weiß, – das ist alles.«

Ich wußte das nämlich zufällig so genau, weil während meiner Anwesenheit in Sommersetshire der irische Agent meiner Tante, Herr Mac Manns, ihr schrieb, daß ein Darlehn, das sie auf der Besitzung des Lord Brallaghan stehen gehabt, zurückgezahlt worden sei und daß er das Geld dem Bankier Coutts übergeben habe. In Irland herrschten damals sehr zerrüttete Zustände, und meine Tante hatte den weisen Entschluß gefaßt, ihr Geld aus dem Lande zu ziehen und sich nach einer guten, sicheren Anlage in England umzusehen. Da sie aber in Irland immer sechs Prozent Zinsen bekommen hatte, so wollte sie sich auch in England nicht mit weniger begnügen und hatte mir, als Geschäftsmann, aufgetragen, bei meiner Rückkehr nach London mich zu erkundigen, wo sie ihr Geld zu ebendiesem Zinsfuße anlegen könne.

»Und wie kommt es, daß Sie über Frau Hoggartys Vermögensverhältnisse so genau Bescheid wissen?« sagte Brough, worauf ich ihm sagte, wie das gekommen sei.

»Gütiger Himmel, Herr Titmarsh! Wie konnten Sie, ein Kommis der West-Diddlesex-Versicherungsgesellschaft, wenn eine achtbare Dame Sie bei der Anlegung ihrer Kapitalien um Rat fragte, nicht gleich daran denken, ihr die Gesellschaft zu empfehlen, der zu dienen Sie die Ehre haben? Meinen Sie, daß Sie, da Sie doch wußten, daß eine Provision von fünf Prozent für Sie selber dabei abfällt, Frau Hoggarty nicht hätten drängen müssen, unsere Klientin zu werden?«

»Herr Brough,« sagte ich, »ich bin ein ehrlicher Mensch, ich werde doch nicht an meinen eigenen Verwandten eine Provision verdienen wollen!«

»Ehrlich sind Sie, mein Junge, das weiß ich – geben Sie mir Ihre Hand! Ich bin auch rechtschaffen – bei unserer Gesellschaft sind nur rechtschaffene Leute –, aber wir müssen außerdem auch klug sein. Wir haben fünf Millionen Kapital in unseren Büchern, wie Sie wissen – bona fide fünf eingezahlte Millionen, die mit bona fide-Goldstücken eingezahlt sind, Herr Titmarsh, da ist nichts Unredliches dabei. Aber warum sollten wir nicht zwanzig Millionen haben – hundert Millionen? Warum sollte unsere nicht die größte kommerzielle Gesellschaft der Welt werden? – Und sie soll es werden, Herr – sie soll es, so wahr mein Name John Brough ist, wofür der Himmel meine ehrlichen Bestrebungen segnet! Aber glauben Sie, daß wir es dahin bringen, wenn nicht ein jeder von uns sein möglichstes tut, um den Erfolg des Unternehmens zu fördern? Nie, Herr, – niemals; und ich meinesteils sage das jedem. Ich suche meinen Ruhm in meiner Tätigkeit! Ich betrete kein Haus, wo ich nicht einen Prospekt der West-Diddlesex zurücklasse. Ich lasse bei keinem einzigen Handwerker arbeiten, der nicht Anteile in irgend welchem Betrage bei uns hat. Meine Domestiken, Herr Titmarsh, – sogar meine Domestiken und Reitknechte stehen in irgendeiner Beziehung zu uns. Und die erste Frage, die ich jedem vorlege, der bei mir eine Stellung sucht, ist: ›Sind Sie bei der West-Diddlesex-Gesellschaft versichert oder Aktionär derselben?‹ die zweite erst: ›Haben Sie ein gutes Zeugnis?‹ Und wenn die erste Frage verneint wird, so sage ich dem Betreffenden: ›Dann werden Sie erst Aktionär, ehe Sie eine Stellung in meinem Hause anstreben.‹ Haben Sie nicht bemerkt, daß ich, – ich, John Brough, dessen Unterschrift für Millionen gut ist, meinen Vierspänner hier vorm Kontor halten ließ, um vier Pfund fünfzehn Schillinge an Herrn Roundhand einzuzahlen als Betrag einer halben Aktie, die mein Portier genommen hatte? Bemerkten Sie wohl, daß ich von den fünf Pfund fünf Schillinge abzog?«

»Jawohl, Herr Brough,« entgegnete ich, »es war an jenem Tage, wo Sie achthundertdreiundsiebzig Pfund, zehn Schilling und sechs Pence entnahmen – am Donnerstag vor acht Tagen.«

»Und warum brachte ich die fünf Schilling in Abzug, mein werter Herr? Weil es meine Provision war – John Broughs Provision von fünf Prozent, die er ehrlich verdient hatte und offen annahm. War dabei etwas zu verbergen? Nein. Tat ich es um der fünf Schillinge willen? Nein,« sagte Brough und legte dabei die Hand aufs Herz, »ich tat es aus Prinzip – aus dem Grundsatz, der alle meine Handlungen leitet, wie ich mit einem Blick zum Himmel hinauf getrost behaupten kann. Ich wünsche, daß all meine jungen Leute mein Beispiel sehen und befolgen – ich wünsche es – ich bete zu Gott, daß es geschehen möge. Denken Sie an mein Beispiel, Herr Titmarsh. Mein Portier hat eine kranke Frau und neun kleine Kinder; er ist selber ein kranker Mann, und sein Lebensfaden ist schwach; er hat Geld erspart in meinem Dienste, – sechzig Pfund und noch etwas mehr – das ist alles, was seine Kinder einmal zu erwarten haben – alles; und wenn sie das nicht hätten, würden sie auch, im Falle seines Todes, als obdachlose Bettler auf der Straße liegen. Und was habe ich für diese Familie getan, Herr Titmarsh? Ich habe das Geld diesem Robert Gates aus den Händen genommen und es so angelegt, daß es seiner Familie nach seinem Tode dereinst zum Segen wird. Jeder Heller steckt in unseren Aktien; Robert Gates, mein Hausmeister, besitzt drei Aktien der West-Diddlesexgesellschaft, und in dieser Eigenschaft ist es Ihr und mein Brotherr. Glauben Sie, ich werde Gates betrügen?«

»Aber Herr Brough,« sagte ich.

»Diesen armen, hilflosen Mann und diese zarten unschuldigen Kinder zu betrügen! – das können Sie nicht denken, Herr Titmarsh; ich würde ein Abschaum der Menschheit sein, wenn ich das täte! Aber was nützt all meine Energie und Ausdauer? Was nützt es, daß ich das Geld meiner Freunde, meiner Familie, mein eigenes – meine Hoffnungen, Wünsche, meine heißesten, all meinen Ehrgeiz auf dies Unternehmen richte? Ihr jungen Leute tut ja nicht dasselbe. Ihr, die ich mit Liebe und Vertrauen wie meine Kinder behandle, erwidert mir das nicht! Wenn ich mich abmühe, bleibt ihr müßig, wenn ich kämpfe, seht ihr zu. Sagen Sie es doch gerade heraus, – Sie zweifeln an mir! O gütiger Himmel, ist das der Lohn für all meine Sorge und Liebe für euch?«

Hier war Herr Brough so gerührt, daß er tatsächlich in Tränen ausbrach, und ich bekenne, ich sah nun die Versäumnis, deren ich mich schuldig gemacht hatte, im rechten Lichte.

»Herr Brough,« sagte ich, »es tut mir sehr – sehr leid, es war aber nur Zartgefühl, gewiß nichts anderes, was mich veranlaßte, mit meiner Tante nicht von der West-Diddlesex zu sprechen.«

»Zartgefühl, mein lieber, lieber Junge – wie kann Ihr Zartgefühl Sie hindern, Ihrer Tante zu Ihrem Glück zuzureden? Sagen Sie, es war Gleichgültigkeit oder Undankbarkeit oder meinetwegen Torheit – aber sagen Sie nicht Zartgefühl – nein, nein, nicht Zartgefühl. Seien Sie ehrlich, mein Junge, und nennen Sie die Dinge bei ihrem richtigen Namen – tun Sie das stets!«

»Es war also Torheit und Undankbarkeit, Herr Brough,« sagte ich, »ich sehe es jetzt ein, und ich werde meiner Tante mit nächster Post schreiben.«

»Sie sollten das lieber nicht tun,« sagte Herr Brough bitter, »die Staatspapiere stehen auf neunzig, und Frau Hoggarty kann drei Prozent für ihr Geld bekommen.«

»Ich werde schreiben, Herr Brough – auf Ehrenwort, ich werde schreiben.«

»Nun, da Sie einmal Ihr Ehrenwort gegeben haben, so werden Sie es auch halten müssen; denn brechen Sie niemals Ihr Wort – niemals, um keinen Preis, Titmarsh! Schicken Sie mir den Brief, wenn Sie ihn geschrieben haben, und ich werde ihn frankieren – auf mein Ehrenwort, das will ich,« sagte Herr Brough lachend und streckte mir dabei seine Hand entgegen.

Ich nahm sie, und er drückte die meine sehr freundlich, – »Sie können sich auch gleich hierher setzen,« sagte er, meine Hand festhaltend; »da ist Papier genug.«

Und so setzte ich mich denn nieder, schnitt mir eine schöne Feder und fing an zu schreiben: »Independent West-Diddlesexgesellschaft, Juni 1822« und »Meine liebe Tante,« in wunderschönster Schrift. Dann hielt ich ein Weilchen inne und bedachte, was ich nun sagen sollte, denn Briefschreiben ist mir immer schwer geworden. Das Datum und »Mein lieber Soundso« schreibt man schnell hin – aber was nachher kommt, ist schwer; und ich nahm meine Feder in den Mund, lehnte mich in den Stuhl zurück und begann darüber nachzudenken.

»Pah!« sagte Brough, »wollen Sie den ganzen Tag an dem Brief schreiben, mein guter Junge? Hören Sie mir zu, ich will ihn Ihnen in einem Augenblick diktieren.« Und er begann: – »Meine liebe Tante, – Ich bin sehr erfreut, Ihnen mitteilen zu können, daß ich mir seit meiner Rückkehr aus Sommersetshire die Zufriedenheit des geschäftsführenden Direktors unserer Gesellschaft in dem Maße erworben habe, daß ich zum dritten Kommis ernannt –«

»Herr Brough!« sagte ich.

»Schreiben Sie, was ich diktiere. Herr Roundhand verläßt nach dem gestrigen Beschlusse des Direktoriums das Kontor und erhält Titel und Stellung eines Sekretärs der Gesellschaft. Herr Highmore bekommt seinen Platz, dann kommt Herr Abednego, und mich ernennen sie zum dritten Kommis – also schreiben Sie weiter: zum dritten Kommis ernannt hat mit einem Gehalt von einhundertfünfzig Pfund jährlich. Diese Nachricht, das weiß ich, wird meiner guten Mutter und Ihnen, die Sie mir zeitlebens eine zweite Mutter waren, Freude machen.

Als ich das letztemal zu Hause war, befragten Sie mich, wie ich mich erinnere, nach der besten Art, eine Summe Geldes anzulegen, die sich zurzeit, ohne Nutzen zu bringen, in den Händen des Bankiers befände. Ich habe mich seitdem bemüht, alle möglichen Erkundigungen einzuziehen, und da ich mich hier im Mittelpunkte des Geschäftsverkehrs befinde, so glaube ich Ihnen, trotz meiner Jugend, dennoch ebenso zuverlässige Auskunft geben zu können, wie mancher andere, der reiferes Alter und mehr Erfahrung für sich hat.

Ich habe oft daran gedacht. Ihnen unsere Gesellschaft zu nennen, aber eine Art Zartgefühl hielt mich davon ab. Ich wollte nicht, daß man glauben könnte, ich ließe mich auch nur durch einen Schatten von Ehrgeiz bestimmen.

Aber ich bin der festen Ueberzeugung, daß die West-Diddlesexgesellschaft die beste Sicherheit bietet, die Sie für Ihr Kapital nur immer wünschen können, wobei sie gleichzeitig die höchstmöglichen Zinsen gewährt.

Die Lage der Gesellschaft ist, wie ich aus bester Quelle weiß (unterstreichen Sie das), folgende: –

Das gezeichnete und Reserve-Kapital beträgt fünf Millionen Pfund Sterling. Das Direktorium kennen Sie. Es genügt übrigens, daß Herr John Brough, Esquire, von der Firma Brough und Hoff, Parlamentsmitglied und ein Mann, der in der Londoner City ebenso bekannt ist wie Rothschild, als geschäftsführender Direktor fungiert. Sein Privatvermögen beläuft sich, wie ich mit Sicherheit weiß, auf eine halbe Million, und die Dividende, die die Aktionäre unserer I.-W.-D.-Gesellschaft im letzten Jahre empfingen, bezifferte sich auf sechseinhalb Prozent.

(Ich wußte, daß das wirklich die bei uns gezahlte Dividende war.)

Obgleich die Aktien der Gesellschaft an der Börse ziemlich hoch stehen, hat doch jeder der vier ersten Kommis das Vorrecht, über eine gewisse Anzahl von Aktien (im Betrage von 5000 Pfund) zum Parikurse zu disponieren, und wenn Sie, meine teuerste Tante, für 2500 Pfund Aktien wünschen, so gestatten Sie mir, Ihnen nach meinem neuen Privilegium mit diesem Betrage zu dienen.

Lassen Sie mir über diesen Punkt umgehend Antwort zukommen, denn man hat mir bereits eine Offerte für den ganzen Betrag meiner Aktien zum Tageskurse gemacht.«

»Aber das ist nicht der Fall, Herr Brough,« sagte ich.

»Doch, Herr Titmarsh. Ich nehme die Aktien, aber ich brauche Sie vor allem. Ich brauche Sie, weil ich so viele achtbare Leute in der Gesellschaft haben möchte, wie ich nur immer finden kann. Ich brauche Sie, weil ich Sie gern habe, und ich will Ihnen auch nicht verhehlen, daß ich auch meine eigenen Zwecke und Absichten verfolge, denn ich bin ein ehrlicher Mann, ich sage offen, was ich meine; und ich werde Ihnen auch sagen, wozu ich Sie brauche. Ich besitze nach den Statuten der Gesellschaft nur eine gewisse Anzahl von Stimmen, aber wenn Ihre Tante Aktien nähme, würde ich erwarten – ich gestehe es gern zu – daß sie mich mit ihrem Votum unterstützt. Verstehen Sie mich jetzt? Meine Absicht ist, der Gesellschaft alles in allem zu sein, und habe ich dies Ziel erst erreicht, so will ich sie zum glorreichsten Unternehmen machen, das die City von London je gesehen hat.«

Ich unterzeichnete also den Brief und ließ ihn zum Frankieren in Herrn Broughs Händen.

Am nächsten Tage nahm ich meinen Platz am Pult des dritten Kommis ein; Herr Brough führte mich dorthin und hielt eine Anrede an die jungen Leute, die gar nicht davon erbaut waren und etwas von ihren eigenen Diensten, die sie doch geleistet hätten, in den Bart brummten, obwohl wir uns in dieser Beziehung ziemlich gleich standen; die Gesellschaft war erst drei Jahre alt, und der älteste Kommis befand sich kaum sechs Monate länger in seinem Amte als ich. »Sehen Sie sich vor,« sagte der neidische Mac Whirter zu mir. »Haben Sie oder einer Ihrer Verwandten vielleicht Geld, das fürs Geschäft gewonnen werden soll?«

Ich hielt es nicht für nötig, ihm zu antworten, nahm aber eine Prise aus seiner Dose und war stets freundlich zu ihm, und auch er, ich muß die Wahrheit eingestehen, war immer sehr höflich gegen mich. Gus Hoskin aber, der fing an, mich für ein Wesen höherer Art zu halten, und ich muß sagen, daß auch die übrigen jungen Leute sich sehr nett bei der Sache benahmen; denn sie sagten, wenn sie doch einmal übersprungen werden sollten, duldeten sie dies am liebsten noch von mir, denn ich hätte keinem je etwas zuleide getan, aber so manchem von ihnen kleine Gefälligkeiten erwiesen.

»Ich weiß,« sagte Abednego, »wie Sie zu der Stellung kamen. Ich habe sie Ihnen verschafft. Ich sagte Brough, Sie seien ein Vetter von Preston, dem Lordschatzmeister, er hätte Ihnen Wildbret geschenkt usw., und sicherlich glaubte er, Sie könnten ihm in diesen Kreisen viel nützen.«

Ich meinte, in dem, was Abednego sagte, läge viel Wahrscheinlichkeit, weil unser »Alter«, wie wir ihn nannten, oft von meinem Vetter zu mir sprach und mich aufforderte, unser Geschäft im Westend zu fördern, soviel ich könne, möglichst vornehme Leute zur Versicherung bei unserer Gesellschaft zu veranlassen usw. Vergeblich sagte ich ihm, bei Herrn Preston hätte ich gar keinen Einfluß.

»Pah! pah!« sagte Herr Brough, »erzählen Sie mir das nicht. Man schickt Ihnen nicht umsonst Hirschkeulen;« und ich glaube fest, daß er mich für einen sehr vorsichtigen, klugen Burschen hielt, weil ich nicht mit meiner vornehmen Familie prahlte, sondern die Verwandtschaft mit ihr geheimhielt. Gus, mit dem ich zusammen wohnte, hätte ihm ja die Wahrheit meiner Aussage bestätigen können, aber Gus blieb dabei, daß ich mit dem gesamten Adel im vertrautesten Verkehr stände und renommierte mit diesen Verhältnissen zehnmal mehr als ich selber.

Die Kollegen nannten mich nur noch den »Westender«.

Sieh, dachte ich, was ich doch dadurch erreicht habe, daß Tante Hoggarty mir eine Diamantnadel schenkte! Was für ein Glück, daß sie mir kein Geld zum Präsent machte, wie ich erhofft hatte! Hätte ich nicht die Nadel gehabt, oder hätte ich sie wenigstens nicht zu Polonius getragen, so hätte Lady Drum mich niemals gesehen; Herr Brough hätte mich niemals beachtet, wenn Lady Drum es nicht getan hätte; und ich wäre nie dritter Kommis der West-Diddlesexgesellschaft geworden.

Ich war über dies alles sehr vergnügt, noch am Abend meiner Ernennung schrieb ich an meine liebe Mary Smith und zeigte ihr an, daß ein »gewisses Ereignis«, nach dem einer von uns sich schon auf das lebhafteste gesehnt hätte, vielleicht früher eintreten könnte, als wir erwarteten. Und warum denn auch nicht? Fräulein Smith hatte ein Vermögen, das ihr jährlich 70 Pfund an Zinsen brachte, mein Einkommen 150 Pfund, und wir hatten immer beschlossen, zu heiraten, wenn wir 300 Pfund jährlich hätten. Ach! dachte ich, könnte ich doch jetzt nach Sommersetshire, ich würde kühn an des alten Smiths Tür klopfen (er war ihr Großvater und Marineoffizier auf Halbsold), ich könnte meine geliebte Mary in ihrem Hause sehen und brauchte sie weder, hinter Heuschobern herumschleichend, zu erwarten, noch um Mitternacht Steinchen an ihr Fenster zu werfen.

Von meiner Tante erhielt ich nach wenigen Tagen eine sehr freundliche Antwort auf meinen Brief. Sie war, wie sie mitteilte, noch zu keinem festen Entschluß gekommen, auf welche Weise sie ihre dreitausend Pfund anlegen wolle, versprach aber, mein Angebot in Erwägung zu ziehen, und bat mich, meine Aktien noch für kurze Zeit für sie aufzuheben, bis sie sich entschieden hätte.

Und was tat darauf Herr Brough? Ich erfuhr erst im Jahre 1830, als er und die West-Diddlesex bereits ins Nichts versunken waren, wie er zu Werk gegangen war.

»Wie heißen die Anwälte in Slopperton?« fragte er mich scheinbar ganz beiläufig.

»Herr Ruck,« entgegnete ich, »ist der Toryadvokat und die Herren Hodge und Smithers die Liberalen. Ich kannte letztere nämlich sehr gut, denn ehe Mary Smith in unseren Ort kam, war ich für Fräulein Hodge und ihre langen, goldblonden Locken sehr eingenommen gewesen; aber dann kam Mary und hatte sie bald »ausgestochen«, wie man zu sagen pflegt.

»Und zu welcher politischen Partei gehören Sie?«

»Natürlich bin ich liberal, Herr Brough.« Ich war beinahe beschämt darüber, denn Herr Brough war durch und durch Tory. »Aber Hodge und Smithers sind eine sehr respektable Firma; ich überbrachte von ihr ein Paket an Hickson, Dixon, Paxon und Jackson, die Anwälte unserer Gesellschaft, die ihre Londoner Korrespondenten sind.«

Herr Brough sagte nur: »So, so!« und redete nicht weiter über den Gegenstand, sondern fing an, meine Diamantnadel laut zu bewundern.

»Titmarsh, mein lieber Junge,« sagte er dann, »ich weiß eine junge Dame in Fulham, die, das versichere ich Ihnen, angesehen zu werden verdient, und die von ihrem Vater so viel über Sie gehört hat (denn ich verberge Ihnen gar nicht, mein Junge, daß ich Sie gern mag), daß sie sehr begierig ist, Ihre Bekanntschaft zu machen. Hätten Sie wohl Lust, uns auf eine Woche zu besuchen, so könnte Abednego derweil Ihren Posten versehen.«

»Sie sind allzu gütig, Herr Brough,« entgegnete ich.

»Gut, Sie kommen also, und ich hoffe, mein Claret gefällt Ihnen. Aber hören Sie, mein lieber junger Freund, Sie sind nicht hübsch genug – nicht elegant gekleidet. Verstehen Sie mich?«

»Ich habe meinen blauen Frack mit blanken Knöpfen zu Hause, Herr Brough.«

»Wie! Das Ding, wo Ihnen die Taille zwischen den Schultern sitzt, das Sie bei Frau Broughs Gesellschaft trugen?« (Der Frack hatte, da er vor zwei Jahren und auf dem Lande gearbeitet war, wirklich eine etwas kurze Taille.) »Nein – nein, das geht nicht. Schaffen Sie sich ein paar neue Anzüge an, – zwei neue Anzüge.«

»Herr Brough!« sagte ich, »um die Wahrheit zu gestehen, bin ich dies Quartal schon sehr knapp mit dem Gelde und kann mir für längere Zeit keinen Anzug kaufen.«

»Pah, pah! lassen Sie sich das nicht anfechten! Hier ist eine Zehnpfundnote. Aber nein, da fällt mir ein. Sie können lieber zu meinem Schneider gehen. Ich werde Sie dort hinfahren, und um die Rechnung brauchen Sie sich nicht zu kümmern, mein guter Junge!« Und tatsächlich fuhr er mich sogleich in seiner großen, vierspännigen Kutsche zu Herrn von Stiltz, Clifford Street, der mir Maß nahm und mir zwei der feinsten Anzüge zusandte, die man nur sehen konnte, einen Frack und einen Ueberrock, eine Weste aus Sammet und eine andere aus Seide und drei Paar Beinkleider von vorzüglichstem Schnitt. Brough sagte mir, ich solle mir nun noch einige Paar Stiefel und Schuhe sowie seidene Strümpfe für die Abendgesellschaften kaufen, so daß ich mich, als die Zeit herankam, wo ich nach Fulham gehen sollte, so schön ausnahm, wie ein junger Lord, und Gus meinte, ich sähe, bei Jingo, wie ein regelrechter Stutzer ersten Ranges aus.

In der Zwischenzeit war an Hodge und Smith der folgende Brief gesandt worden:

 

Ram Alley, Cornhill, London,
Juli 1822.

»Geehrte Herren!

(Der Anfang bezieht sich auf Privatprozesse Dixon c/a Haggarstony, Snodgras c/a Rubidge und Dixon c/a. Haggarstony, Snodgras c/a. Rubdige und einen andern, ich bin daher nicht berechtigt, ihn zu veröffentlichen.)

»Gleichzeitig gestatteten wir uns, Ihnen noch einige Prospekte der Independent West-Diddlesex Feuer- und Lebensversicherungsgesellschaft zu übersenden, deren Sachwalter in London zu sein wir die Ehre haben. Wir schrieben Ihnen darüber schon im vergangenen Jahre und fragten an, ob Sie die Agentur für Slopperton und Sommerset übernehmen wollten, wir haben seitdem immer gewartet, daß Sie Geschäfte in Aktien oder Versicherungen machen würden.

Das Kapital der Gesellschaft beträgt, wie Sie wissen, fünf Millionen Pfund Sterling, und wir sind in der Lage, unseren Agenten, die zugleich Anwälte sind, mehr als die gewöhnliche Provision anzubieten. Wir werden für Anteile bis zum Betrage von 1000 Pfund Sterling 6 Prozent, für solche von höherem Betrage mit Vergnügen 6½ Prozent bewilligen und diese Provision sofort nach der Einzahlung berichtigen.

Ich verbleibe, geehrter Herr, für mich und meine Teilhaber

Ihr ergebenster
Samuel Jackson.«

 

Dieser Brief kam, wie schon gesagt, erst nach einiger Zeit in meine Hände. Ich wußte im Jahre 1822 noch nichts davon, als ich in meinen neuen Kleidern auf acht Tage nach der Rookery, zu Fulham, der Besitzung Herrn John Broughs, Esquire, fuhr.


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