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Zweites Kapitel

Der Diamant kommt nach London und bringt sowohl in der City wie im Westend wunderbare Wirkungen hervor.

 

Die in dieser Geschichte erzählten Begebenheiten trugen sich vor einer Reihe von Jahren zu, als, wie der Leser sich erinnern wird, in der Londoner City die Sucht herrschte, Gesellschaften aller Arten zu gründen, wodurch viele Leute sich ein schönes Vermögen erwarben.

Ich war zu jener Zeit, die Wahrheit zu gestehen, der dreizehnte von vierundzwanzig Kommis, die die ungeheuern Geschäfte der Independent West Diddlesex Feuer- und Lebensversicherungsgesellschaft in ihrem prachtvollen Sandsteinpalast in Cornhill besorgten. Meine Mutter hatte vierhundert Pfund auf Leibrenten bei der Gesellschaft angelegt, die ihr nicht weniger als sechsunddreißig Pfund jährlich zahlte, während ihr keine andere Londoner Gesellschaft mehr als vierundzwanzig hatte gewähren wollen. Vorsitzender des Direktoriums war der große Herr Brough vom Hause Brough & Hoff in Crutchedfriars, das in türkischen Waren handelte. Es war eine neue Firma, aber ihr kolossaler Umsatz in Feigen und Schwämmen und besonders in Zantekorinthen übertraf den jedes anderen Hauses in der City.

Brough war auch ein großer Mann unter den Nonconformisten, und man sah seinen Namen mit Beiträgen von Hunderten von Pfunden an der Spitze jeder wohltätigen Stiftung, die von diesen frommen Leuten gefördert wurde. In seinem Kontor zu Crutchedfriars arbeiteten neun Kommis; er hätte keinen genommen ohne ein Zeugnis vom Lehrer und Pfarrer seines Heimatortes, das für seine Moral und seine religiösen Grundsätze bürgte, und so gesucht waren die Stellen in seinem Geschäft, daß er von jedem dieser jungen Männer, die er täglich zehn Stunden als seine Sklaven arbeiten ließ, ein Lehrgeld von vier- oder fünfhundert Pfund erhob; zum Lohn dafür weihte er sie dann in alle Geheimnisse des Handels mit dem Orient ein. Ein ebenso großer Mann war er an der Börse, und die Kommis der Maklerhäuser (wir speisten gewöhnlich zusammen im »Hahn und Wollsack«, einem anständigen Gasthause, wo man für ein prächtiges Stück Rindfleisch, Brot, Gemüse, Käse, eine halbe Pinte Porter und einen Penny für den Kellner mit eingerechnet, einen Schilling zahlte) pflegten uns oft von den ungeheuren Spekulationen zu erzählen, die Brough in spanischen, griechischen und amerikanischen Papieren machte. Hoff hatte mit allem nichts zu tun, sondern blieb auf dem Kontor und widmete sich ausschließlich den Geschäften des Hauses. Er war ein noch junger, sehr ruhiger und fleißiger Mann, der zu der Religionsgemeinschaft der Quäker gehörte, mit einer Einlage von dreißigtausend Pfund als Kompagnon in Broughs Geschäft eingetreten war, und dabei, so meinte man, einen sehr guten Kauf getan hatte. Im tiefsten Vertrauen erzählte man sich, daß das Haus durchschnittlich einen Jahresgewinn von mindestens siebentausend Pfund mache, wovon Brough die Hälfte, Hoff zwei Sechstel bekam, während das letzte Sechstel in die Tasche des alten Tudlow fließen sollte, der vor dem Eintreten des neuen Teilhabers Broughs Erster Buchhalter gewesen war. Tudlow ging immer sehr schäbig umher, und wir hielten ihn für einen alten Geizhals. Einer unserer jungen Leute, Bob Swinney mit Namen, behauptete aber, Tudlows Anteil sei ein bloßes Märchen und Brough schlucke alles allein; aber Bob wußte immer die Hälfte mehr, als wahr war; er trug gewöhnlich einen grünen Reitfrack und hatte freien Eintritt im Covent-Garden-Theater. In der »Bude« (so nannten wir unser Kontor, obwohl es nichts weniger als eine »Bude«, sondern eins der schönsten Geschäftslokale in Cornhill war), sprach er immer von Vertris und Fräulein Tree und sang:

»Der Fink, der Fink,
»Der lust'ge, lust'ge Fink!«

eines von Charles Kembles berühmten Liedern aus Maid Marian, einem damals sehr populären Stücke, das aus einem berühmten Geschichtenbuch von einem gewissen Peacock herrührte, der eine Stelle bei der Ostindischen Compagnie hatte, und zwar eine verdammt einträgliche Stelle!

Als Brough erfuhr, daß Master Swinney schlecht von ihm sprach und daß er Zutritt hinter den Theaterkulissen hatte, kam er eines Tages ins Kontor herunter, wo wir alle vierundzwanzig versammelt waren, und hielt eine der schönsten Reden, die ich jemals in meinem Leben hörte. Er sagte, schlechte Nachrede kümmere ihn wenig, denn Verleumdung sei das Los jedes Mannes, der in der Oeffentlichkeit stehe, strenge, eigene Grundsätze habe und streng nach denselben handle; wohl aber kümmere ihn der Charakter jedes einzelnen, der zur Independent West Diddlesex-Gesellschaft gehöre. Von ihnen hinge die Wohlfahrt von Tausenden ab; Millionen an Geld gingen täglich durch ihre Hände; die City – das ganze Land sähe auf sie als Muster von Ordnung und Rechtschaffenheit. Und wenn er unter diesen jungen Leuten, die er als seine Kinder betrachte – die er liebe wie sein eigenes Fleisch und Blut – jemand finden müsse, der den Weg der Ordnung und der Rechtlichkeit verlasse, der kein gutes Beispiel übe (Brough hatte diese pathetische Redeweise so an sich) – wenn er finde, daß seine Kinder von den heilsamen Regeln der Moral, Religion und des Anstandes abwichen – wenn er, gleichviel ob bei hoch oder niedrig – bei dem Ersten Buchhalter, der sechshundert Pfund Gehalt jährlich beziehe, oder beim Hausmeister, der die Treppen kehre – die geringste Neigung zu einem ausschweifenden Leben entdecke, so werde er den Sünder ausstoßen – ja, und wenn es sein eigener Sohn wäre, so würde er ihn ausstoßen!

Bei diesen Worten brach Herr Brough in Tränen aus, und wir, die wir nicht wußten, was noch kommen würde, sahen einander alle mit kreideweißen Gesichtern an, nur Swinney nicht, der zwölfter Kommis war und sich den Anschein gab, als ob er sich was pfeife. Nachdem Herr Brough seine Tränen getrocknet und sich gefaßt hatte, drehte er sich um, und, oh, wie mein Herz klopfte! sah mir starr ins Gesicht! Wie fühlte ich mich aber erleichtert, als er mit dröhnender Stimme rief:

»Herr Robert Swinney!«

»Was steht zu Diensten, Herr Prinzipal?« entgegnete Swinney so kühl, daß einige der Kollegen zu lachen anfingen.

»Herr Swinney!« donnerte Brough mit womöglich noch lauterer Stimme als zuvor, »als Sie in dies Kontor eintraten, – in diese Familie, denn das ist es, wie ich mit Stolz sagen kann, – fanden Sie dreiundzwanzig so ordentliche und pflichtgetreue junge Leute vor, wie nur je zusammengearbeitet haben – wie nur je mit den Reichtümern unserer mächtigen Hauptstadt und unseres ruhmreichen Landes betraut wurden. Sie fanden Mäßigkeit, Ordnung und Anstand, kein vulgäres Lied wurde in diesen Räumen gesungen, die der Arbeit geweiht sind; keine Lästerung wurde gegen die Leiter der Anstalt geschleudert – aber darüber will ich schweigen; ich darf mir gestatten, darüber hinwegzugehen, Herr! – keine weltlichen Gespräche oder albernen Späße störten die Aufmerksamkeit dieser jungen Leute oder entweihten den friedvollen Schauplatz ihrer Arbeit. Sie fanden hier Christen und anständige Leute vor, Herr!«

»Ich bezahlte für meine Stelle, wie alle übrigen, Herr Prinzipal,« sagte Swinney. »Hat mein Alter nicht Aktien –«

»Schweigen Sie, Herr! Allerdings hat Ihr würdiger Vater Aktien genommen bei dieser Anstalt, die ihm eines Tages ungeheuren Profit abwerfen werden. Er nahm allerdings Aktien, Herr, sonst würden Sie nicht hier sein. Es ist mein Stolz, sagen zu können, daß jeder meiner jungen Freunde, die ich hier um mich versammelt habe, einen Vater, einen Bruder, einen lieben Verwandten oder Freund besitzt, der in derselben Weise an unserm glorreichen Unternehmen Anteil hat, und daß nicht einer unter ihnen ist, der nicht ein Interesse daran hätte, gegen reichliche Provision neue Mitglieder für unsre Gesellschaft zu werben. Aber ich, Herr, bin deren Haupt! Sie werden wissen, daß Ihr Kontrakt von mir unterzeichnet ist, und ebenso löse ich, John Brough, ihn hiermit auf. Verlassen Sie uns, Herr! – entfernen Sie sich – verlassen Sie eine Familie, die Sie nicht länger in ihrem Schoße dulden kann, Herr Swinney, ich habe geweint – ich habe gebetet, ehe ich zu diesem Entschlusse kam; ich bin mit mir zu Rate gegangen, Herr, und ich bin nun entschlossen. Entfernen Sie sich aus unsrer Mitte!«

»Aber nicht ohne mein Gehalt für drei Monate, Herr Brough.«

»Es wird an Ihren Vater bezahlt werden, Herr!«

»Ach, lassen Sie meinen Vater doch aus dem Spiel! Ich will Ihnen was sagen, Brough, ich bin mündig; und wenn Sie mir mein Gehalt nicht auszahlen, lasse ich Sie einstecken, – hol' mich dieser und jener, ich tu's! Ich lasse Sie einsperren, Brough, oder ich will nicht Bob Swinney heißen!«

»Stellen Sie eine Anweisung auf das Vierteljahresgehalt dieses verstockten, jungen Mannes aus, Roundhand!«

»Einundzwanzig Pfund, fünf Schillinge, Roundhand, und stempelfrei!« rief der übermütige Swinney. »Hier ist eine Empfangsbescheinigung, Herr. Den Weg über meinen Bankier braucht die Anweisung nicht erst zu machen. Wenn aber einer oder der andere von den jungen Herren hier Lust hat, heute abend um acht Uhr ein Glas Punsch zu trinken, so ist Bob Swinney sein Mann. Alles auf meine Rechnung! Und sollte vielleicht Herr Brough selbst mir die Ehre antun wollen und zu einem Schlückchen kommen? Bitte nur zu kommen, Sie schlagen es mir doch hoffentlich nicht ab?«

Dieser Unverschämtheit vermochten wir nicht zu widerstehen und brachen alle in ein tolles Gelächter aus.

»Verlassen Sie das Zimmer!« schrie Brough, dessen Gesicht dunkelblau geworden war; und Bob nahm seinen weißen Hut von der Wand, setzte seinen »Bibi«, wie er ihn nannte, keck auf die Seite und schlenderte davon. Nachdem er gegangen war, hielt Herr Brough uns eine zweite Rede, die wir uns alle zu Herzen zu nehmen beschlossen; dann trat er an Roundhands Pult, legte den Arm um dessen Schultern und schaute in das Kassabuch.

»Wieviel ist heute eingezahlt worden, Roundhand?« fragte er in sehr gütigem Ton.

»Die Witwe brachte ihr Geld, Herr Brough: neunhundertundvier Pfund, zehn Schilling, sechs Pence. Kapitän Sparr hat seine Aktien ganz eingezahlt, fünfzig Aktien und zwei Einzahlungen, macht dreimal fünfzig. Er brummte, er hätte nicht mehr.«

»Er brummt immer!«

»Er sagt, er besäße keinen Schilling mehr, um sich selber mal einen guten Tag zu machen, bis unsere Dividende gezahlt würde.«

»Sonst nichts?«

Herr Roundhand ging das Buch durch und rechnet im ganzen neunzehnhundert Pfund zusammen. Wir machten jetzt vorzügliche Geschäfte, während wir in der Anfangszeit, als ich in das Kontor eingetreten war, oft den ganzen Tag müßig waren, die Zeit mit Lachen, Witzen und Zeitungslesen totschlugen und nur an unseren Pulten saßen, wenn ein Kunde hereintrat. Brough pflegte damals nicht auf unser Lachen und Singen zu achten und ging sehr vertraulich mit Bob Swinney um; aber das war ganz in der ersten Zeit, ehe das Geschäft den großen Aufschwung nahm.

»Neunzehnhundert Pfund und tausend davon in Aktien. Bravo, Roundhand – bravo, meine Herren! Denken Sie immer daran, daß jede Aktie, die durch Ihre Vermittlung untergebracht wird. Ihnen bare fünf Prozent einträgt! Veranlassen Sie Ihre Freunde dazu – seien Sie fleißig an Ihren Pulten – seien Sie ordentlich und solid – und ich hoffe, daß auch keiner von Ihnen die Kirche versäumt. Wer rückt an Herrn Swinneys Stelle?«

»Herr Samuel Titmarsh.«

»Herr Titmarsh, ich gratuliere Ihnen. Geben Sie mir die Hand, Herr Titmarsh; Sie sind jetzt zwölfter Kommis bei unserer Gesellschaft, und Ihr Gehalt steigt infolgedessen um fünf Pfund jährlich. Wie geht es Ihrer würdigen Mutter, Herr Titmarsh – Ihrer lieben, vortrefflichen Mutter? Doch hoffentlich wohl und munter? Und möge es der Gesellschaft, das ist mein heißes Gebet, noch recht – recht lange vergönnt sein, ihr ihre Rente zu zahlen! Sollte sie mehr Geld anzulegen haben, so denken Sie daran, daß wir ihr jetzt eine noch höhere Rente bewilligen könnten als früher, denn sie ist inzwischen ein Jahr älter geworden; und Sie, mein lieber Junge, würden fünf Prozent Provision erhalten. Warum sollten wir Ihnen die nicht ebensogut zahlen wie einem anderen? Junge Leute bleiben immer junge Leute, und eine Zehnpfundnote tut keinem weh! Sind Sie nicht derselben Meinung, Herr Abednego?«

»O gewiß!« sagte Abednego, der dritte Kommis, der gegen Swinney den Angeber gemacht hatte; und dann fing er an zu lachen, wie wir alle zu tun pflegten, wenn Herr Brough so etwas wie einen Witz machte; nicht, daß es wirkliche Witze gewesen wären, wir pflegten ihm nur am Gesicht anzusehen, daß es Witze sein sollten.

»Und, nebenbei, Roundhand,« sagte er, »ein Wort mit Ihnen übers Geschäft. Meine Frau wünscht zu wissen, warum, zum Henker, Sie niemals nach Fulham kommen.«

»Allzugütig!« sagte Herr Roundhand, sehr geschmeichelt.

»Bestimmen Sie einen Tag, mein guter Mann. Sagen wir Sonnabend, und bringen Sie Ihre Nachtmütze mit.«

»Sie sind wirklich sehr gütig. Ich würde mich außerordentlich freuen, aber –«

»Kein Aber – kein Aber, mein Lieber! Hören Sie! Der Schatzkanzler erweist mir die Ehre, bei uns zu speisen, und ich möchte Sie mit ihm bekannt machen; denn, die Wahrheit zu gestehen, habe ich Sie Sr. Lordschaft als den besten Buchhalter in den drei Königreichen gerühmt.«

Roundhand konnte eine derartige Einladung nicht abschlagen, obgleich er uns erzählt hatte, daß er und seine Frau sich vorgenommen hätten, den Sonnabend und Sonntag in Putney zu verbringen, und wir wußten, was für ein Leben der arme Bursche führte, und welche Gardinenpredigt ihn erwartete, wenn seine Frau hörte, was er vorhatte. Sie haßte Frau Brough grimmig, das war Tatsache, sie haßte sie, weil Frau Brough sich Wagen und Pferde hielt und behauptete, sie wisse nicht, wo Pentonville liege, und könne deshalb Frau Roundhand nicht besuchen, obgleich ihr Kutscher sicherlich den Weg dorthin gefunden haben würde.

»Und – ach so, ja, Roundhand!« fuhr unser Alter fort, »stellen Sie doch eine Anweisung auf siebenhundert Pfund aus, ja? Nun, warum sehen Sie mich denn so verwundert an, Mensch, ich laufe Ihnen doch nicht davon! So ist's recht – siebenhundert – und neunzig, sagen wir, weil Sie gerade mal dabei sind! Das Direktorium hat am Sonnabend Sitzung, und ich werde über die Summe Rechnung legen, ehe ich Sie mit zu meiner Frau hinausnehme. Darum machen Sie sich nur keine Sorge. Wir holen übrigens den Kanzler in Whitehall ab.«

Dabei faltete Herr Brough seinen Scheck, schüttelte Herrn Roundhand sehr vertraulich die Hand und stieg dann in seinen Vierspänner (er fuhr immer vierspännig, selbst in der City, wo es so schwierig ist), der vor der Tür auf ihn wartete.

Bob Swinney behauptete, er hielte sich zwei von den Pferden auf Kosten der Gesellschaft – aber von dem, was Bob sagte, durfte man immer nur die Hälfte glauben, er war nun mal solch ein Spaßvogel. Ich weiß nicht, wie es kam, daß wir, ich und mein Kollege Hoskins, (der elfte Kommis), der mit mir zusammen in Salisbury Square, Fleetstreet, wohnte, wo wir zwei hübsche Zimmer innehatten, unser Flötenduett an diesem Abend ziemlich langweilig fanden und, da es sehr schönes Wetter war, einen Spaziergang nach Westend unternahmen. Als wir dem Coventgardentheater gegenüber angekommen waren, fanden wir uns dicht bei dem Wirtshause »Zur Erdkugel«, und erinnerten uns an Bob Swinneys gastfreie Einladung. Wir dachten nicht daran, daß er sie ernst gemeint haben könne, aber wir dachten, wir könnten doch gern einmal hineinsehen; jedenfalls konnte uns das nichts schaden. Da fanden wir denn tatsächlich in dem uns bezeichneten Hinterzimmer, Bob am oberen Ende eines Tisches, in dicke Wolken von Zigarrendampf eingehüllt, bei ihm achtzehn von unseren jungen Leuten, die alle durcheinander schwatzten und dabei mit den Gläsern auf dem Tische klapperten.

Welcher Lärm erhob sich, als wir eintraten! »Hurra!« sagt Bob, »da sind noch zwei! Noch zwei Stühle, Mary, noch zwei Gläser, zweimal heißes Wasser und Gin für zwei! Wer, um Himmels willen, hätte gedacht, daß Tit kommen würde?«

»Nun«, sagte ich, »wir kommen auch nur ganz zufällig.«

Wieder erhob sich stürmisches Gebrüll bei diesen Worten, es hatte nämlich jeder von den Achtzehn erklärt, daß er nur zufällig gekommen sei! Aber wie dem auch sei, der Zufall verhalf uns zu einer sehr lustigen Nacht; und der gastfreie Swinney bezahlte die Rechnung auf Heller und Pfennig.

»Meine Herren!« sagte er beim Bezahlen der Rechnung, »ich trinke auf die Gesundheit von John Brough, Hochwohlgeboren, und danke ihm für das Geschenk von 21 Pfund 5 Schilling, das er mir heute Morgen machte. Was sage ich von 21 Pfund 5 Schilling? Ich hätte ihm sicher das und ein Monatsgehalt als Buße bar herauszahlen müssen, zum Henker, wenn ich morgen früh die Bude verlassen hätte, wie ich's mir vorgenommen. Ich habe nämlich eine andere Stelle – einen Platz ersten Ranges, sage ich euch. Fünf Guineen die Woche, sechs Reisen jährlich, mit eignem Pferd und Wagen, Geschäfte in Westengland in Oel und Spermazeti. Lassen Sie uns auf den Untergang des Leuchtgases trinken und auf die Gesundheit der Herren Gann & Co., Themsestraße, City!«

 

Ich bin in meinem Bericht über die West Diddlesex-Versicherungsgesellschaft und Herrn Brough, den geschäftsführenden Direktor, so sehr ins einzelne gegangen (selbstverständlich jedoch ohne die Gesellschaft oder ihr Oberhaupt bei ihren wahren Namen zu nennen) weil mein Schicksal und das meiner Diamantnadel, wie sich bald zeigen wird, mit beiden in geheimnisvollen Zusammenhang trat.

Man muß wissen, daß ich unter den jungen Leuten der West Diddlesex fast eine Respektsperson war, weil ich aus einer besseren Familie stammte als die meisten von ihnen, weil ich eine höhere Schulbildung genossen hatte und besonders, weil ich in Frau Hoggarty eine reiche Tante besaß, mit der ich, wie ich zugestehen muß, nicht wenig zu prahlen pflegte. Es schadet, wie ich aus Erfahrung weiß, gar nichts, sich in der Welt in einiges Ansehen zu setzen, und wenn man sich nicht selbst in das gehörige Licht stellt, so kann man sicher sein, daß auch kein anderer Bekannter sich die Mühe nimmt, die Welt auf unsere Verdienste aufmerksam zu machen.

So ließ ich denn auch, nachdem ich von meiner Urlaubsreise in mein Kontor zurückgekehrt war und meinen Platz vor dem alten Geschäftsbuch an dem trüben Fenster, das nach Birchin Lane hinausgeht, wieder eingenommen hatte, meine Kollegen bald wissen, daß Frau Hoggarty mir zwar nicht die große Geldsumme, die ich erwartete, geschenkt – ich hatte nämlich einem ganzen Dutzend von ihnen, wenn das erhoffte Geldschiff eintreffen sollte, eine kleine Wasserpartie versprochen –, daß sie mir aber dafür einen prachtvollen Diamanten verehrt habe, der wenigstens dreißig Guineen wert sei, und den ich nächstens mal zur Ansicht mitbringen wolle.

»Ach, zeigen Sie ihn uns!« rief Abednego, dessen Vater in Hanway Yard ein Geschäft mit imitierten Juwelen und Goldtressen betrieb, und ich versprach, daß sie das Juwel sehen sollten, sobald es gefaßt wäre. Da mein Taschengeld zu Ende ging (ich hatte das Fahrgeld nach Hause und zurück bezahlt, hatte unserm Mädchen daheim fünf Schilling Trinkgeld gegeben, zehn hatten das Mädchen und der Bediente meiner Tante erhalten, fünfundzwanzig Schilling hatte ich, wie schon erwähnt, im Whist verloren, und für fünfzehn Schilling und sechs Pence eine silberne Schere für die lieben kleinen Finger einer gewissen Jemandin bezahlt), so lud mich Roundhand, ein sehr gutmütiger Mensch, zum Essen ein und schoß mir außerdem sieben Pfund, einen Schilling und acht Pence, den Betrag eines Monatsgehaltes, vor.

In Roundhands Hause, Myddelton Square, Pentonville, bei einem Kalbsfilet mit Speck und einem Glas Porter hörte und sah ich auch, wie seine Frau ihn schlecht behandelte, wovon ich schon vorher sprach. Der arme Bursche! – wir unteren Angestellten dachten Wunder, welch ein Glück es wäre, an einem eignen Pult zu sitzen und monatlich 50 Pfund Gehalt zu haben, wie Roundhand; aber ich bin fest überzeugt, daß Hoskins und ich, wenn wir in unserm zweiten Stock am Salisbury Square unsere Flötenduette bliesen, uns um ein gut Teil glücklicher und zufriedener fühlten, als unser Vorgesetzter – und daß wir, obgleich wir sicherlich sehr schlechte Musik machten, dennoch in besserer Harmonie lebten, als er mit seiner Frau.

Eines Tages baten wir, Gus Hoskins und ich, Roundhand um die Erlaubnis, schon nachmittags drei Uhr gehen zu dürfen, weil wir ein wichtiges Geschäft im Westend hätten. Er wußte, daß es sich um den großen Hoggartydiamanten handelte, und gab uns Urlaub; und so machten wir uns denn auf den Weg. Als wir St. Martins Lane erreicht hatten, zündete sich Gus, um sich ein vornehmes Ansehen zu geben, eine Zigarre an und qualmte den ganzen Weg im Lane bis nach Coventrystreet, wo bekanntlich das Geschäft des Herrn Polonius sich befindet.

Die Tür war offen, eine Anzahl mit Damen besetzter Wagen fuhren heran und entleerten sich. Gus steckte die Hände in die Taschen – die Hosen wurden damals sehr weit getragen, mit großen Falten und unten ganz eng, so daß die Schuhe oder Blücherstiefel kaum hindurchgingen (die Vornehmen trugen Schuhe, aber wir jungen Leute in der City mit achtzig Pfund jährlich, begnügten uns mit Blücherstiefeln) – spreizte seine Hosen soweit wie möglich vom Leibe ab, blies den Rauch seiner Zigarre von sich, stampfte mit seinen Absatzeisen auf und sah, da er für einen so jungen Menschen einen sehr starken Backenbart hatte, wirklich wie etwas Rechtes aus, und jeder hielt ihn für einen Mann von Bedeutung.

Er wollte aber nicht mit in den Laden kommen, sondern sah sich die goldenen Töpfe und Kannen im Schaufenster draußen an. Ich ging hinein und nach einigem verlegenen Husten und Räuspern, denn ich war niemals zuvor in einem so vornehmen Laden gewesen, fragte ich einen der Herren nach Herrn Polonius.

»Was steht zu Diensten, mein Herr?« sagte Herr Polonius, der zufällig dicht dabeistand und drei Damen, eine sehr alte und zwei junge, bediente, die sehr aufmerksam Perlenhalsbänder betrachteten.

»Herr Polonius,« sagte ich, indem ich mein Juwel aus der Rocktasche zog, »dieses Schmuckstück ist, wie ich glaube, schon früher durch Ihre Hände gegangen; es gehörte meiner Tante, Frau Hoggarty auf Schloß Hoggarty.« Die alte Dame, die in meiner Nähe stand, drehte sich bei diesen Worten nach mir um.

»Ich habe im Jahre 1795 eine goldene Halskette und eine Repetieruhr an sie verkauft,« sagte Herr Polonius, der es sich zur Ehrenpflicht machte, nichts zu vergessen, »und einen silbernen Punschlöffel an den Kapitän. Wie geht es dem Major – Oberst – General, – Herr?«

»Der General Hoggarty,« antwortete ich, »ist, wie ich leider sagen muß,« – dabei war ich trotz diesem »leider« ganz stolz darauf, daß dieser angesehene Mann so zu mir sprach, – »nicht mehr am Leben. Meine Tante hat mir ein Geschenk mit diesem – diesem Schmuckstück gemacht, das, wie Sie sehen, das Porträt ihres Gemahls enthält, und das ich Sie bitten möchte, für mich sehr sorgfältig herauszunehmen; meine Tante wünscht den Diamanten hübsch gefaßt zu sehen.«

»Hübsch und elegant, selbstverständlich, mein Herr.«

»Hübsch und modern, die Rechnung soll ihr zugesandt werden. Es ist viel Gold an dem Juwel, das Sie natürlich in Abrechnung bringen werden.«

»Bis auf den letzten Heller,« antwortete Herr Polonius, sich verbeugend und die Brosche betrachtend. »Ein wunderschönes Stück,« fuhr er fort, »auch der Diamant ist hübsch. Sehen Sie es an, Mylady. Es ist irische Arbeit und trägt die Jahreszahl 1795; es wird Sie vielleicht an Euer Ladyschaft früheste Jugendzeit erinnern.«

»Ach gehen Sie doch, Herr Polonius!« sagte die alte Dame, deren wieselartiges, altes Gesicht von Millionen Fältchen durchfurcht war. »Wie können Sie einer alten Frau wie mir solchen Unsinn sagen. Im Jahre 1795 war ich ja fünfzig Jahr alt und 96 war ich schon Großmutter.« Sie streckte ein paar verwelkte, zitternde Hände aus, nahm die Brosche, betrachtete sie einen Augenblick und brach dann in helles Gelächter aus. »Wahrhaftig, es ist der große Hoggartydiamant!« rief sie aus.

Guter Gott! welcher Talisman war denn da in meine Hände geraten?

»Seht, Mädchen,« fuhr die alte Dame fort, »das ist das berühmteste Juwel in ganz Irland. Der Mann mit dem roten Gesicht in der Mitte ist der arme Mick Hoggarty, einer meiner Vettern, der sich im Jahre 84, als ich gerade Euren armen lieben Großpapa verloren hatte, sterblich in mich verliebte. Diese dreizehn Strähnen von rotem Haar stellen seine dreizehn berühmten Schwestern dar, – Biddy, Minny, Thedy, Widdy (Abkürzung von Williamina), Freddy, Izzy, Tizzy, Mysie, Grizzy, Polly, Dolly, Nell, und Bell – alle verheiratet, alle häßlich und alle rotköpfig. Und von welcher von diesen Schwestern sind Sie denn der Sohn, mein junger Herr? – Allerdings muß ich, um Ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, gestehen, daß Sie keine Familienähnlichkeit besitzen.«

Zwei hübsche junge Damen wandten mir vier hübsche schwarze Augen zu und warteten auf eine Antwort, die sie auch bekommen haben würden, wenn die alte Dame nicht angefangen hätte, hundert Geschichten hervorzusprudeln von den oben erwähnten dreizehn Damen, von all ihren Anbetern, all ihren Enttäuschungen und allen Duellen Mick Hoggartys. Sie war eine wahre chronique scandaleuse der letzten fünfzig Jahre. Zuletzt wurde sie von einem heftigen Hustenanfall unterbrochen, nach dessen Beendigung Herr Polonius mich sehr respektvoll fragte, wohin er die Nadel senden, und ob das Haar aufbewahrt werden solle.

»Nein,« sagte ich, »auf das Haar kommt es nicht an.«

»Und die Nadel, mein Herr?«

Ich hatte mich einen Augenblick geschämt, meine Adresse zu sagen. Aber, zum Geier! dachte ich, warum denn eigentlich?

›Der König kann den Ritterschlag verleihn,
Kann Dich zum Grafen, Dich zum Herzog machen,
Zum Ehrenmanne machen kann er nicht –
O glaub's, dazu kann seine Macht nicht reichen.‹

Warum sollen diese Damen nicht erfahren, wo ich wohne?

»Herr Polonius,« sagte ich, »haben Sie die Güte, das Päckchen, wenn es fertig ist, an Herrn Titmarsh, Nr. 3 Bell Lane, Salisbury Square, nahe der St. Brideskirche, Fleet Street zu senden. Die Klingel zur zweiten Etage.«

»Was, mein Herr?« sagte Herr Polonius.

»Was?« rief die alte Dame.

»Herr Was? Mais, ma chère, c'est impayable. Kommen Sie, junger Herr Was – mein Wagen wartet! Geben Sie mir Ihren Arm, Herr Was, steigen Sie ein und erzählen Sie mir von Ihren dreizehn Tanten.«

Sie faßte mich unterm Arm und humpelte so schnell als möglich aus dem Laden. Die jungen Damen folgten ihr lachend.

»Na, machen Sie, daß Sie hereinkommen,« sagte sie, ihre spitzige Nase aus dem Wagenschlag steckend.

»Ich kann nicht, Madame,« sagte ich, »ich bin mit einem Freunde zusammen.«

»Ach was, schicken Sie ihn zum Kuckuck und steigen Sie ein,« und noch ehe ich ein Wort zu sagen vermochte, schob mich ein großer gepuderter Kerl in gelben Plüschhosen in den Wagen und warf die Tür zu.

Als die Kutsche abfuhr, hatte ich gerade noch eine Sekunde Zeit, mich nach Hoskins umzusehen, und ich werde sein Gesicht nie vergessen. Da stand Gus, mit offenem Munde, die Augen weit aufgerissen, in der Hand die brennende Zigarre, und wunderte sich aus Leibeskräften über die seltsamsten Dinge, die eben mit mir vorgegangen waren.

Wer ist denn dieser Titmarsh, sagte er sich offenbar, hol' ihn dieser und jener! Auf dem Kutschenschlag ist ja eine Grafenkrone!


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