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Neuntes Kapitel.
Bimalas Erzählung

XV

Eine Zeitlang grübelte ich vergeblich hin und her, wie ich das Geld bekommen sollte, bis neulich plötzlich vor meiner aufs höchste erregten Phantasie der Weg als deutliches Bild dastand.

Jedes Jahr, um die Zeit des Festes der Göttin Kali, macht mein Gatte meiner Schwägerin ein Ehrengeschenk von 6000 Rupien, und immer wird es auf ihr Konto bei der Bank in Kalkutta niedergelegt. In diesem Jahr erhielt sie diese Ehrengabe wie gewöhnlich, aber das Geld ist noch nicht auf die Bank gebracht und wird solange in einem eisernen Geldschrank aufbewahrt, in einer Ecke des kleinen Ankleidezimmers neben unserm Schlafzimmer.

Jedes Jahr bringt mein Gatte das Geld selbst auf die Bank. Diesmal hat er noch keine Gelegenheit gehabt, in die Stadt zu fahren. Mußte ich nicht darin die Hand der Vorsehung erkennen? Das Geld ist hier zurückgehalten, weil das Vaterland es braucht, – wer hätte da die Macht, es ihm zu nehmen und es auf die Bank zu bringen? Und wie könnte ich mich weigern, es fortzunehmen? Die Göttin der Zerstörung hält mir ihren Blutbecher hin und ruft: »Gib mir zu trinken, ich bin durstig.« Ich will ihr mein eignes Herzblut geben mit jenen 5000 Rupien. Große Mutter! Der, der das Geld verliert, wird den Verlust kaum fühlen, aber mich wirst du ganz zugrunde richten!

Wie manchesmal habe ich früher meine Schwägerin innerlich eine Diebin genannt, weil sie meinem arglosen Gatten Geld abschmeichelte. Nach dem Tode ihres Gatten brachte sie oft Sachen, die uns gehörten, für sich auf die Seite. Ich pflegte meinen Gatten darauf aufmerksam zu machen, aber er sagte nichts. Oft wurde ich böse und sagte: »Wenn du Lust hast zu schenken, so schenke meinetwegen, soviel du willst, aber warum läßt du dich bestehlen?« Die Vorsehung muß damals über meine Klagen gelächelt haben, denn heute bin ich es, die das, was meiner Schwägerin gehört, aus meines Gatten Geldschrank stiehlt.

Mein Gatte hat die Gewohnheit, die Schlüssel in seiner Tasche zu lassen, wenn er sich vor dem Schlafengehen im Ankleidezimmer auszieht und sein Zeug dort läßt. Ich suchte mir den Schlüssel zum Geldschrank heraus und öffnete ihn. Es war mir, als ob das leise Geräusch die ganze Welt aufwecken müßte! Meine Hände und Füße wurden plötzlich eiskalt, und ich zitterte am ganzen Leibe.

In dem Geldschrank ist eine Schieblade. Als ich sie öffnete, fand ich das Geld, nicht in Banknoten, sondern in eingewickelten Goldrollen. Ich hatte keine Zeit, mir das, was ich brauchte, abzuzählen. Es waren zwanzig Rollen. Ich nahm sie alle und knotete sie in eine Ecke meines Sari.

Welch ein Gewicht war das! Es war, als ob die Last des Diebstahls mich zu Boden zöge und mein Herz in den Staub drückte. Vielleicht hätten Banknoten es mir weniger als Diebstahl erscheinen lassen, aber dies war alles Gold.

Nachdem ich mich wie ein Dieb zurückgeschlichen hatte, erschien mir mein Zimmer nicht mehr wie mein eignes. All die kostbaren Rechte, die ich daran hatte, verschwanden vor meinem Diebstahl. Ich begann leise für mich hin zu murmeln, als ob ich Zaubersprüche murmelte: »Bande Mataram, Bande Mataram, mein Land, mein goldnes Land, all dies Gold ist für dich, für niemanden sonst!«

Aber in der Nacht ist der Geist schwach. Ich ging mit geschlossenen Augen durch das Schlafzimmer zurück, in dem mein Gatte schlief, und trat hinaus auf die offene Terrasse davor; dort warf ich mich ausgestreckt auf den Boden, den Zipfel meines Sari mit dem Golde gegen die Brust gepreßt. Ich fühlte jede einzelne Goldrolle und es war, als ob jede meinem Herzen einen schmerzhaften Stoß gab.

Die Nacht stand schweigend da mit erhobenem Zeigefinger. Ich konnte mein Haus nicht als etwas von meinem Vaterlande Getrenntes empfinden: ich hatte mein Haus beraubt, also hatte ich auch mein Vaterland beraubt. Durch diese Sünde hatte mein Haus aufgehört mein zu sein, auch mein Land war mir dadurch entfremdet. Wäre ich gestorben, indem ich für mein Land betteln ging, selbst ohne Erfolg, so wäre das ein den Göttern willkommenes Opfer gewesen. Aber Diebstahl ist niemals Gottesdienst, – wie kann ich denn dies Gold opfern? Ach, wehe mir! Ich bin selbst dem Verderben geweiht, muß ich nun auch mein Vaterland durch meine sündige Berührung beflecken?

Der Weg, das Geld zurückzubringen, ist mir abgeschnitten. Ich habe nicht die Kraft, in das Zimmer zurückzugehen, noch einmal den Schlüssel zu nehmen, noch einmal den Geldschrank zu öffnen, – ich würde auf der Schwelle vor meines Gatten Tür ohnmächtig zusammenbrechen. Der einzige Weg, der mir bleibt, ist der Weg geradeaus weiter. Doch ich habe auch nicht die Kraft, mich bedachtsam hinzusetzen und die Geldstücke zu zählen. Mögen sie in ihrer Hülle bleiben, ich kann jetzt nicht rechnen.

Der Winterhimmel war ganz klar. Die Sterne leuchteten hell. Wenn ich, so dachte ich bei mir, als ich da draußen lag, alle diese Sterne, einen nach dem andern, wie goldene Münzen für mein Vaterland stehlen müßte, – diese Sterne, die die Dunkelheit so sorgfältig in ihrem Busen aufbewahrt, – dann würde der Himmel auf ewig seines Augenlichtes beraubt und die Nacht auf ewig verwaist sein, und mein Diebstahl würde die ganze Welt berauben. Aber war nicht auch eben das, was ich getan hatte, ein Raub an der ganzen Welt, – nicht nur ein Raub von Geld, sondern auch von Vertrauen und Redlichkeit?

Ich brachte die Nacht auf der Terrasse liegend zu. Als endlich der Morgen kam und ich sicher war, daß mein Gatte aufgestanden und nicht mehr in seinem Zimmer war, da endlich wagte ich, den Schal über den Kopf gezogen, wieder in mein Schlafzimmer zurückzugehen.

Meine Schwägerin war dabei, ihre Pflanzen zu begießen. Als sie mich von ihrer Veranda aus vorübergehen sah, rief sie: »Hast du die Neuigkeit gehört, Tschota Rani?«

Ich hielt an, vor Schrecken gelähmt. Es war mir, als ob die Goldrollen unter dem Schal hoch anschwöllen. Ich fürchtete, sie würden zerplatzen und als klirrender Regen auf den Boden niederprasseln und so vor allen Dienstboten die Diebin entlarven, die sich um alles brachte, indem sie ihren eignen Reichtum stahl.

»Deine Räuberbande,« fuhr sie fort, »hat ein anonymes Schreiben geschickt, in dem sie droht, das Schatzamt zu plündern.«

Ich blieb still wie ein Dieb.

»Ich habe gerade Bruder Nikhil den Rat gegeben, sich um deinen Schutz zu bemühen«, fuhr sie spottend fort. »Ruf deine Schergen zurück, Räuberkönigin! Wir wollen deinem Bande Mataram Opfer bringen, wenn du uns nur rettest. Ist das eine Welt heute! Aber verschont um Gottes willen wenigstens unser Haus mit räuberischen Überfällen!«

Ich eilte, ohne zu antworten, in mein Zimmer. Ich hatte meinen Fuß auf Triebsand gesetzt und konnte ihn nun nicht zurückziehen. Wenn ich mich mühte, herauszukommen, würde ich nur noch tiefer versinken.

Wenn nur die Zeit kommen wollte, wo ich Sandip das Geld einhändigen könnte! Ich konnte es nicht länger ertragen, sein Gewicht zermalmte mich.

Es war noch früh, als ich Bescheid erhielt, daß Sandip mich erwartete. Heute dachte ich nicht daran, mich zu schmücken. So wie ich war, in meinen Schal gehüllt, eilte ich nach den äußeren Gemächern.

Als ich das Wohnzimmer betrat, fand ich Sandip und Amulja da beisammen. Es war, als ob meine ganze Würde, meine ganze Ehre von Kopf zu Fuß sausend durch meinen Körper fuhr und im Boden verschwand. Ich sollte jetzt vor den Augen dieses Knaben die äußerste Schande einer Frau bloßlegen! War es möglich, daß die beiden sich hier getroffen hatten, um über meine Tat zu sprechen? War denn kein Fetzen eines Schleiers geblieben, meine Schmach zu verhüllen?

Wir Frauen werden die Männer nie verstehen. Wenn sie sich einen Weg zu ihrem Ziel bahnen wollen, so macht es ihnen nichts, das Herz der Welt in Stücke zu brechen, um ihre Straße damit zu pflastern, damit ihr Siegeswagen leichter dahinrollt. Wenn sie von ihrem Schaffensdrang berauscht sind, zerstören sie mit Lust das, was der Schöpfer schuf. Diese Schande, die mir das Herz bricht, würdigen sie nicht einmal eines Blickes. Sie haben kein Gefühl für das Leben um sie her; ihr ganzes Verlangen geht auf ihr Ziel. Was bin ich ihnen anders als eine Wiesenblume auf dem Wege eines seine Ufer überflutenden Stromes?

Und welchen Nutzen wird meine Selbstvernichtung Sandip bringen? Nur 5000 Rupien? War ich denn nicht noch etwas mehr wert als 5000 Rupien? Ja, freilich! Hatte ich das nicht von Sandip selbst gelernt, und konnte ich nicht im Licht dieser Erkenntnis meine ganze übrige Welt verachten? Ich war die Spenderin von Licht, von Leben, von Schakti-Kraft, von Unsterblichkeit – in diesem Glauben, in dieser Freude hatte ich alle meine Schranken durchbrochen und war hinausgeeilt. Hätte irgend jemand mir nun diesen Glauben bestätigt, mein Tod wäre Leben für mich gewesen. Ich hätte nichts verloren, obgleich ich alles von mir geworfen hatte.

Soll ich jetzt glauben, daß dies alles Lüge war? Mußte die Lobeshymne, die sie mir so begeistert sangen, mich aus meinem Himmel herabrufen, nicht damit ich die Erde zum Himmel machte, sondern daß ich den Himmel selbst in den Staub herabzöge?

 

XVI

»Das Geld, Königin?« fragte Sandip, mich gespannt ansehend.

Auch Amulja sah mich erwartungsvoll an. Der liebe Junge! Wenn er auch nicht mein leiblicher Bruder ist, so liebe ich ihn doch wie einen jüngern Bruder. Mit seinem ehrlichen Gesicht, seinem hellen Blick, mit seiner ganzen unschuldigen Jugend sah er mich an. Und ich, eine Frau – vom Geschlecht seiner Mutter – wie konnte ich ihm Gift reichen, nur weil er danach verlangte?

»Das Geld, Königin!« Sandips freche Forderung klang mir in den Ohren. In meinem Gefühl von Scham und Zorn hätte ich ihm das Geld an den Kopf werfen mögen. Ich konnte kaum den Knoten meines Sari auflösen, so zitterten meine Finger. Endlich fielen die Geldrollen auf den Tisch.

Sandips Gesicht wurde finster–... Er mußte glauben, es seien Silberrollen–... Welche Verachtung war in seinem Blick! Welcher Ekel vor meiner Unfähigkeit! Es war fast, als hätte er mich schlagen mögen! Er muß geglaubt haben, ich sei gekommen, um mit ihm zu unterhandeln, ihm als Abschlagssumme für seine Forderung von 5000 Rupien ein paar hundert zu bieten. Einen Augenblick glaubte ich, er würde die Geldrollen ergreifen und aus dem Fenster werfen und mir erklären, er sei kein Bettler, sondern ein König, der seinen Tribut fordert.

»Ist das alles?« fragte Amulja mit einer Stimme, so voll überquellenden Mitleids, daß ich hätte laut aufschluchzen mögen. Ich preßte mein Herz gewaltsam zusammen und nickte nur stumm mit dem Kopf.

Sandip war sprachlos. Er rührte weder die Rollen an, noch äußerte er einen Laut.

Meine Demütigung schnitt dem Knaben ins Herz. Mit erheuchelter Begeisterung rief er plötzlich aus: »Das ist eine ganze Menge. Damit haben wir reichlich genug. Sie haben uns gerettet.« Und dabei riß er eine der Rollen auf.

Die Goldstücke blitzten hervor. Und im selben Augenblick schwand auch die dunkle Hülle von Sandips Gesicht. Er strahlte vor Entzücken. Unfähig, den plötzlichen Umschlag seines Gefühls zu verbergen, sprang er auf und eilte auf mich zu. Was er wollte, weiß ich nicht. Ich warf einen hastigen Blick auf Amulja – die Farbe war aus seinem Antlitz gewichen, als hätte er einen Peitschenhieb bekommen. Dann stieß ich mit aller Kraft Sandip zurück. Als er rückwärts taumelte, stieß er mit dem Kopf gegen die Ecke des Marmortisches und fiel zu Boden. Dort lag er eine Weile regungslos. Von der Anstrengung erschöpft, sank ich auf meinen Stuhl zurück.

Amuljas Gesicht leuchtete freudig auf. Er wandte sich nicht einmal nach Sandip um, sondern kam geradeswegs zu mir, berührte ehrfurchtsvoll meine Füße und blieb dann vor mir auf dem Boden sitzen. Ach, mein kleiner Bruder, mein Kind! Diese deine Ehrfurchtsbezeugung ist die letzte Berührung des Himmels, die mir in meiner leer gewordenen Welt noch zuteil wird! Ich konnte mich nicht länger halten, und meine Tränen flossen heftig. Ich bedeckte die Augen mit dem Ende meines Sari, den ich mit beiden Händen gegen das Gesicht preßte, und schluchzte und schluchzte. Und immer, wenn meine Füße seine zarte Berührung spürten, wodurch er mich zu trösten suchte, brachen meine Tränen von neuem hervor.

Als ich mich nach einer Weile gefaßt hatte und aufblickte, sah ich Sandip wieder am Tisch stehen und die Goldstücke in sein Taschentuch knoten, als ob nichts geschehen wäre. Amulja erhob sich von seinem Platz zu meinen Füßen; seine nassen Augen leuchteten.

Sandip sah mich ganz gelassen an und bemerkte: »Es sind sechstausend.«

»Wozu brauchen wir soviel, Sandip Babu?« rief Amulja. »Dreitausendfünfhundert ist alles, was wir für unsre Arbeit nötig haben.«

»Wir brauchen nicht nur Geld zu diesem einen Zweck«, erwiderte Sandip. »Wir werden alles brauchen, was wir bekommen können.«

»Das mag sein«, sagte Amulja. »Aber für die Zukunft übernehme ich es, Ihnen alles zu schaffen, was Sie brauchen. Von diesem geben Sie, bitte, die übrigen zweitausendfünfhundert der Maharani zurück, Sandip Babu!«

Sandip sah mich fragend an.

»Nein, nein«, rief ich aus. »Ich rühre dies Geld nie wieder an. Machen Sie damit, was Sie wollen!«

Sandip sah Amulja an. »Kann der Mann je geben, wie die Frau geben kann?« sagte er.

»Sie sind Göttinnen!« stimmte Amulja begeistert zu.

»Wir Männer können höchstens das geben, was wir durch unsre Kraft erringen«, fuhr Sandip fort. »Aber die Frauen geben sich selbst. Aus ihrem eignen Leib gebären sie, mit ihrem eignen Leib nähren sie. Solche Gaben sind die einzig wahren Gaben.« Dann wandte er sich zu mir. »Königin,« sagte er, »wenn das, was Sie uns gegeben haben, nur Geld wäre, so hätte ich es nicht angerührt. Aber Sie haben uns das gegeben, was Ihnen mehr bedeutet als das Leben selbst.«

Es müssen zwei verschiedene Wesen im Menschen sein. Das eine in mir sieht ein, daß Sandip versucht, mich zu täuschen; das andre will sich gern täuschen lassen. Sandip hat Kraft, aber keine sittliche Stärke. Dieselbe Gewalt, mit der er das Leben aufrüttelt, zerschmettert es auch wieder. Seine Pfeile verfehlen nie ihr Ziel, wie die der Götter, aber sie sind giftig wie die der bösen Geister.

Sandips Taschentuch war nicht groß genug, um all die Goldstücke zu fassen. »Königin,« fragte er, »können Sie mir noch ein anderes geben?«

Als ich ihm meines gab, führte er es ehrfurchtsvoll an seine Stirn, und dann kniete er plötzlich vor mir nieder. »Göttin!« rief er, »ich wollte Ihnen meine Ehrfurcht bezeugen, als ich mich Ihnen nahte, aber Sie stießen mich zurück und warfen mich in den Staub. Sei es denn, ich nehme Ihre Zurückweisung als ein Diadem, womit ich meine Stirn schmücke.« Und damit wies er auf die Stelle, wo er sich im Fallen verletzt hatte.

Hatte ich ihn denn falsch verstanden? War es möglich, daß seine ausgestreckten Hände wirklich meine Füße berühren wollten? Aber es war sicher, daß selbst Amulja auch die Leidenschaft gesehen hatte, die aus seinen Augen, aus seinem Antlitz glühte. Doch Sandip ist solch ein Meister in der Kunst, seinen Lobgesang in Musik zu setzen, daß meine Vernunft schweigt; ich verliere die Kraft, die Wahrheit zu sehen; mein Blick ist umnebelt wie der des Opiumessers. Und so gab er mir schließlich den Schlag, den ich ihm erteilt hatte, viel empfindlicher zurück, denn die Wunde an seiner Stirn machte mein Herz bluten. Als Sandip sich wieder erhob, war es mir, als hätte mein Diebstahl eine Würde bekommen und als lächelte das Gold, das auf dem Tisch glänzte, alle Furcht vor Schande, alle Gewissensbisse hinweg.

Wie ich war auch Amulja wiedergewonnen. Seine Liebe zu Sandip, die einen Augenblick einen Stoß erlitten hatte, flammte von neuem auf. Und der Altar seiner Seele füllte sich aufs neue mit Opfergaben für Sandip und mich. Sein kindlicher Glaube leuchtete wie das reine Licht des Morgensterns aus seinen Augen.

Und nun lohte auch die Flamme meiner Sünde wieder hell auf. Als Amulja mir ins Antlitz sah, erhob er die gefalteten Hände zum Gruß und rief: »Bande Mataram!« Ich kann nicht erwarten, daß mich immer solche Verehrung umgibt, und doch ist sie das einzige Mittel, meine Selbstachtung am Leben zu erhalten.

Ich kann mein Schlafzimmer nicht mehr betreten. Es ist mir, als ob die Bettstelle abwehrend eine Hand gegen mich ausstreckte, als ob der eiserne Geldschrank mich stirnrunzelnd anblickte. Ich möchte diesem beständigen Vorwurf, der mich quält, entrinnen. Ich möchte immer wieder zu Sandip laufen, um ihn mein Lob singen zu hören. Es ist ja nur dieser eine kleine Altar da, der aus den alles überspülenden Fluten meiner Schande hervorragt, daher möchte ich mich Tag und Nacht an ihn klammern; denn, wohin ich sonst treten will, ist ringsum Leere.

Lob, Lob, ich brauche unaufhörliches Lob. Ich kann nicht leben, wenn mein Becher einen einzigen Augenblick leer bleibt. Daher brauche ich heute von allem auf der Welt Sandip, als den einzigen Wert meines Lebens.

 

XVII

Es ist mir jetzt unmöglich, mich zu meinem Gatten zu setzen, wenn er zu seinen Mahlzeiten hereinkommt. Und doch empfinde ich es als eine solche Schande, ihn allein zu lassen, daß ich das auch nicht fertig bringe. Daher setze ich mich so hin, daß wir einander nicht ins Gesicht sehen können. So saß ich neulich, als die Bara Rani hereinkam und sich zu uns setzte.

»Es ist alles ganz schön und gut, Bruder, wenn du über diese Drohbriefe lachst«, sagte sie. »Aber mich beunruhigen sie doch sehr. Hast du das Geld, das du mir gabst, auf die Bank nach Kalkutta geschickt?«

»Nein, ich habe noch keine Zeit gehabt, es zu besorgen«, erwiderte mein Gatte.

»Du bist so sorglos, lieber Bruder, du solltest lieber vorsichtig sein–...«

»Aber es ist im Ankleidezimmer da drinnen, in dem eisernen Geldschrank«, sagte mein Gatte mit einem beruhigenden Lächeln.

»Wenn sie aber da hineinkommen? Man kann nie wissen!«

»Wenn sie bis dahin kommen, so können sie ebenso gut dich auch forttragen!«

»Hab' keine Angst, an meiner armen Person vergreift sich niemand. Der wahre Anziehungspunkt ist in deinem Zimmer! Aber Scherz beiseite, du solltest es nicht wagen, Geld so im Zimmer aufzubewahren.«

»In ein paar Tagen werden die Regierungseinkünfte nach Kalkutta gebracht. Dann schicke ich das Geld unter demselben Schutz zur Bank.«

»Gut. Aber vergiß es nur nicht ganz, du bist so zerstreut.«

»Selbst wenn das Geld verloren ginge, solange es in meinem Zimmer ist, würde der Verlust doch nicht dich treffen, Schwester Rani.«

»Nun machst du mich aber böse, Bruder, wenn du so redest. Als ob ich mich nur beunruhigte, weil das Geld mir gehört! Wenn du dein Geld verlierst, glaubst du, daß mir das gleichgültig ist? Wenn das Schicksal mir auch alles genommen hat, so hat es mich doch nicht gefühllos gemacht für den Wert des treuesten Bruders, den es seit Lakschmans Bruder von Rama, dem Helden des Ramajana, dessen Treue gegen seinen Bruder und dessen Gattin Sita sprichwörtlich geworden ist. Zeiten her gegeben hat.

»Nun, Tschota Rani, bist du zu Stein geworden? Du hast noch kein Wort gesagt. Weißt du, Bruder, unsre Tschota Rani glaubt, ich wolle dir nur schmeicheln. Wenn es darauf ankäme, würde ich es schon tun, aber ich weiß, daß es bei meinem lieben alten Bruder nicht nötig ist.«

So plauderte die Bara Rani weiter und vergaß dabei nicht, ihren Bruder auf diesen oder jenen Leckerbissen unter den Gerichten, die serviert wurden, aufmerksam zu machen. Mein Kopf war die ganze Zeit in einem Wirbel. Die Krisis nahte schnell. Das Geld mußte irgendwie wieder an seinen Platz gebracht werden. Und während ich mein Hirn zermarterte, was geschehen könne und wie es geschehen könne, wurde mir das unaufhörliche Schwatzen meiner Schwägerin immer unerträglicher.

Und was alles noch schlimmer machte, war, daß nichts dem scharfen Blick meiner Schwägerin entgehen konnte. Immer wieder sah sie mich prüfend von der Seite an. Was sie auf meinem Gesicht lesen konnte, weiß ich nicht, aber es war mir, als ob alles nur zu deutlich darauf geschrieben stände.

Dann tat ich etwas ganz Tollkühnes. Ich zwang mich zu einem leichten, belustigten Lachen und sagte: »Ich sehe schon, daß der ganze Verdacht der Bara Rani auf mich geht – ihre Furcht vor Dieben und Räubern ist nur Verstellung.«

Die Bara Rani lächelte boshaft. »Du hast recht, Schwester. Der Diebstahl einer Frau ist der verhängnisvollste von allen Diebstählen. Aber wie kannst du meiner Wachsamkeit entgehen? Bin ich ein Mann, daß du mich täuschen könntest?«

»Wenn du mich so fürchtest,« entgegnete ich, »so laß mich dir alles, was ich besitze, als Sicherheitspfand zur Aufbewahrung geben. Wenn du dann etwas durch mich verlierst, so kannst du dich schadlos halten.«

»Nun höre einmal die kleine Einfalt«, wandte sie sich lachend an meinen Gatten. »Weiß sie denn nicht, daß es Verluste gibt, die sich nicht ersetzen lassen, weder in dieser Welt noch in einer andern?«

Mein Gatte mischte sich nicht in unser Wortgeplänkel. Als er fertig war, ging er nach den äußern Gemächern, denn jetzt hält er seine Mittagsruhe nicht mehr in unserm Zimmer.

Alle meine wertvolleren Juwelen waren auf dem Schatzamt in der Obhut des Schatzmeisters. Doch auch das, was ich bei mir hatte, mußte noch dreißig- bis vierzigtausend Rupien wert sein. Ich nahm meinen Schmuckkasten und brachte ihn der Bara Rani. »Ich lasse diese Juwelen bei dir, Schwester«, sagte ich, ihr den geöffneten Kasten hinhaltend. »Dann brauchst du dir keine Sorge zu machen.«

Die Bara Rani machte eine Bewegung, als wollte sie sagen, daß ich sie zur Verzweiflung brächte. »Ich weiß gar nicht, was ich von dir denken soll, Tschota Rani«, sagte sie. »Glaubst du denn im Ernst, ich habe schlaflose Nächte aus Angst, daß du mich beraubst?«

»Was wäre Schlimmes dabei, wenn du mir mißtrautest? Kann denn irgend jemand sagen, daß er irgend jemand in dieser Welt kenne?«

»Du willst mich beschämen, indem du mir Vertrauen schenkst? Nein, nein! Ich habe schon genug mit meinen eignen Schmucksachen zu hüten, ohne auch noch die deinen zu bewachen. Komm, sei vernünftig und nimm sie weg, es schnüffeln soviel Dienstboten herum.«

Ich ging aus dem Zimmer meiner Schwägerin geradeswegs nach dem Wohnzimmer draußen und ließ Amulja rufen. Mit ihm kam auch Sandip. Ich war in großer Hast und sagte zu Sandip: »Entschuldigen Sie, aber ich muß ein paar Worte mit Amulja reden. Möchten Sie–...«

Sandip lächelte verärgert. »Also ich gehöre nicht dazu, wenn Sie mit Amulja sprechen? Wenn Sie sich vorgenommen haben, ihn mir abspenstig zu machen, so muß ich mich wohl ohne weiteres darein ergeben, da ich dann doch keine Macht habe, ihn zurückzuhalten.«

Ich antwortete nicht, sondern wartete schweigend, daß er ginge.

»Gut denn«, fuhr Sandip fort. »Haben Sie Ihr tête-à-tête mit Amulja! Aber danach müssen Sie mir auch eins gewähren, sonst würde es eine Zurücksetzung für mich bedeuten. Ich kann alles ertragen, nur keine Zurücksetzung. Ich muß immer den Löwenanteil haben. Deswegen bin ich ja fortwährend mit der Vorsehung im Streit. Auch von ihr kann ich mir keine Zurücksetzung gefallen lassen.«

Mit einem vernichtenden Blick auf Amulja verließ Sandip das Zimmer.

»Amulja, mein lieber, guter kleiner Bruder, du mußt etwas für mich tun«, sagte ich.

»Was Sie mir auch auferlegen, Schwester, dafür werde ich mein Leben einsetzen.«

Ich zog den Schmuckkasten aus den Falten meines Schals hervor und stellte ihn vor ihn hin. »Verkaufe oder verpfände dies,« sagte ich, »und verschaffe mir 6000 Rupien, so schnell du nur kannst!«

»Nein, nein, Schwester Rani«, sagte Amulja, aufs tiefste betroffen. »Behalten Sie diese Juwelen! Ich werde Ihnen auch so 6000 verschaffen.«

»O, sei nicht töricht«, rief ich ungeduldig. »Es ist keine Zeit für irgendwelche Phantastereien. Nimm diesen Kasten, fahre mit dem Nachtzuge nach Kalkutta und bringe mir das Geld bestimmt bis übermorgen!«

Amulja nahm ein Diamanthalsband aus dem Kasten, hielt es hoch gegen das Licht und legte es finster brütend wieder zurück.

»Ich weiß,« sagte ich zu ihm, »daß du niemals den richtigen Preis für diese Diamanten bekommen wirst, daher gebe ich dir Schmucksachen im Werte von ungefähr 30 000. Es macht nichts, wenn sie alle draufgehen, aber ich muß unbedingt die sechstausend haben.«

»Wissen Sie, Schwester Rani,« sagte Amulja, »daß ich mit Sandip Babu einen Streit hatte wegen der 6000 Rupien, die er von Ihnen angenommen hat? Ich kann Ihnen nicht sagen, wie beschämend mir die Sache war. Aber Sandip Babu behauptete, wir müßten selbst unser Schamgefühl dem Vaterlande opfern. Das mag wohl sein. Aber hiermit ist es doch anders. Ich fürchte mich nicht, für das Vaterland zu sterben, für das Vaterland zu töten, – soviel Schakti-Kraft ist mir verliehen. Aber ich kann die Scham nicht überwinden, daß ich von Ihnen Geld genommen habe. Darin ist Sandip mir voraus. Er hat keine Reue und Gewissensbisse. Er sagt, wir müssen uns von der Idee freimachen, daß das Geld demjenigen gehöre, in dessen Kasten es zufällig ist, – wenn wir das nicht können, wo bleibt da die Zauberkraft des Bande Mataram?«

Amulja geriet, während er so sprach, immer mehr in Begeisterung. Er wird immer warm, wenn ich ihm zuhöre. »Die Gita lehrt uns,« fuhr er fort, »daß niemand die Seele töten kann. Töten ist ein bloßes Wort. So ist es auch mit dem Rauben von Geld. Wem gehört das Geld? Niemand hat es erschaffen. Niemand kann es mit sich fortnehmen, wenn er aus diesem Leben scheidet, denn es ist kein Teil seiner Seele. Heute gehört es mir, morgen meinem Sohn, am nächsten Tage seinem Gläubiger. Da nun tatsächlich das Geld niemandem gehört, warum sollte unsre Patrioten ein Tadel treffen, wenn sie, anstatt es einem unwürdigen Sohne des Vaterlandes zu lassen, selbst davon Gebrauch machen?«

Wenn ich Sandips Worte aus dem Munde dieses Knaben höre, zittere ich am ganzen Leibe. Mögen Schlangenbändiger mit Schlangen spielen; wenn ihnen ein Leid geschieht, so müssen sie darauf gefaßt sein. Aber diese Knaben sind so unschuldig. Die ganze Welt sollte segnend ihre Arme über sie breiten, um sie zu schützen. Sie spielen mit einer Schlange, deren Natur sie nicht kennen, und wenn wir sehen, wie sie lächelnd und vertrauensvoll ihre Hände ihren Giftzähnen nähern, so wird es uns klar, wie furchtbar gefährlich die Schlange ist. Sandip hat ganz recht, wenn er argwöhnt, daß ich, wenn ich selbst auch von seiner Hand den Tod nehmen würde, ihm doch diesen Knaben entreißen und ihn retten werde.

»So wollen also die Patrioten das Geld für ihren eignen Gebrauch haben?« fragte ich lächelnd.

»Gewiß wollen sie das!« sagte Amulja stolz. »Sind sie nicht unsre Könige? Armut würde ihrer königlichen Macht Abbruch tun. Wissen Sie, daß wir durchaus darauf halten, daß Sandip Babu erster Klasse reist? Er geht königlichen Ehren nie aus dem Wege, aber er nimmt sie nicht um seinetwillen an, sondern um unser aller Ehre willen. Die größte Waffe derer, die die Welt beherrschen, sagt Sandip Babu, ist der Zauber ihres äußern Prunkes. Das Gelübde der Armut würde nicht nur Kasteiung, es würde Selbstmord für sie bedeuten.«

In diesem Augenblick trat Sandip geräuschlos ein. Ich warf hastig meinen Schal über den Schmuckkasten.

»Ist das tête-à-tête noch nicht beendet?« fragte er in spöttischem Ton.

»Ja, wir sind ganz fertig«, sagte Amulja entschuldigend. »Es war nichts Besonderes.«

»Nein, Amulja,« sagte ich, »wir sind noch nicht ganz fertig.«

»Dann muß Sandip wohl noch einmal abtreten?« sagte Sandip.

»Bitte.«

»Und was sein Wiederauftreten anbelangt–...«

»Heute nicht. Ich habe keine Zeit.«

»Ach so!« sagte Sandip mit blitzenden Augen. »Keine Zeit zu vergeuden! Nur für tête-à-têtes.«

Eifersucht! Wenn das starke Geschlecht Schwäche zeigt, so kann das schwächere es sich nicht versagen, die Siegestrommel zu schlagen. Daher wiederholte ich fest: »Ich habe wirklich keine Zeit.«

Sandip ging mit finsterm Gesicht hinaus. Amulja war ganz verstört. »Schwester Rani,« sagte er in bittendem Ton, »Sandip Babu ist böse.«

»Er hat weder Ursache noch Recht, böse zu sein«, sagte ich heftig. »Laß mich dich vor einer Sache warnen. Du darfst Sandip Babu nichts von dem Verkauf meiner Schmucksachen sagen, – bei deinem Leben nicht!«

»Nein, ich werde es nicht tun.«

»Dann warte lieber nicht mehr! Du mußt noch heute mit dem Abendzug fahren.«

Amulja und ich verließen zusammen das Zimmer. Als wir hinaustraten auf die Veranda, stand Sandip da. Ich merkte, daß er Amulja auflauerte. Um ihn zu hindern, mußte ich ihn mit Beschlag belegen.

»Was ist es, was Sie mir sagen wollten, Sandip Babu?« fragte ich.

»Ich habe nichts Besonderes zu sagen – ich wollte nur etwas plaudern. Und da Sie keine Zeit haben–...«

»Einen kleinen Augenblick habe ich noch für Sie.«

Inzwischen war Amulja fortgegangen. Als wir eintraten, fragte Sandip:

»Was war das für ein Kasten, den Amulja mitnahm?«

Der Kasten war also seinen Augen nicht entgangen.

Ich blieb fest. »Wenn ich es Ihnen hätte sagen können, so hätte ich ihn ihm in Ihrer Gegenwart übergeben.«

»Sie denken also, Amulja wird es mir nicht sagen?«

»Nein, das wird er nicht tun.«

Sandip konnte seinen Zorn nicht länger verbergen. »Sie glauben, Sie werden die Oberhand über mich gewinnen?« fuhr er auf. »Das wird nie geschehen. Dieser Amulja würde glücklich sterben, wenn ich mich herabließe, ihn mit meinen Füßen zu zertreten. Solange ich lebe, werde ich es nicht dulden, daß Sie ihn sich zu Füßen zwingen.«

O, über die Schwachen! Endlich ist es Sandip klar geworden, daß er schwach ist mir gegenüber. Daher dieser plötzliche Zornesausbruch. Er hat eingesehen, daß er gegen die Macht, die mir gegeben ist, mit seiner bloßen Kraft nichts ausrichtet. Mit einem Blick kann ich seine stärksten Befestigungen zertrümmern. Nun muß er schlechterdings seine Zuflucht zum Poltern nehmen. Ich antwortete nur mit einem verächtlichen Lächeln. Endlich bin ich über ihn hinausgewachsen. Ich darf diese überlegene Stellung nicht verlieren, darf nicht wieder tiefer hinabsteigen. In all meiner Erniedrigung muß mir dieser kleine Rest von Würde bleiben!

»Ich weiß,« sagte Sandip nach einer Pause, »daß es Ihr Schmuckkasten war.«

»Sie können raten, was Sie wollen,« sagte ich, »von mir werden Sie nichts erfahren.«

»So vertrauen Sie also Amulja mehr als mir? Wissen Sie denn nicht, daß der Junge der Schatten meines Schattens, das Echo meines Echos ist? Daß er nichts ist, wenn ich nicht an seiner Seite bin?«

»Wo er nicht Ihr Echo ist, ist er er selbst, Amulja. Und dieser Amulja ist es, dem ich mehr traue als Ihrem Echo!«

»Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie durch ein Versprechen gebunden sind, all Ihren Schmuck für den Dienst der Göttin zu opfern. Dies Opfer ist tatsächlich schon dargebracht.«

»Der Schmuck, den die Götter mir lassen, soll den Göttern geopfert werden. Aber wie kann ich den den Göttern opfern, der mir gestohlen ist?«

»Nun hören Sie, es nützt Ihnen nichts, daß Sie versuchen, mir auf diese Weise zu entkommen. Jetzt bedarf es rücksichtsloser Arbeit. Wenn diese Arbeit getan ist, können Sie nach Herzenslust Ihre weiblichen Listen üben, und ich will Ihnen bei dieser Kurzweil helfen.«

Von dem Augenblick an, wo ich meinem Gatten das Geld gestohlen und es Sandip gegeben hatte, war die Musik zwischen uns verstummt. Dadurch, daß ich mich weggeworfen hatte, hatte ich nicht nur all meinen eignen Wert zerstört, sondern auch Sandips Macht hatte ihren vollen Spielraum eingebüßt. Man kann seine Schützenkunst nicht an einem Gegenstand üben, der in greifbarer Nähe ist. Und so hat Sandip sein heroisches Aussehen verloren. Seine Rede hat einen Ton von kleinlicher Streitsucht bekommen.

Sandip richtete seine glänzenden Augen voll auf mein Gesicht, bis sie wie der durstige Mittagshimmel glühten. Ein paarmal machte er eine Bewegung, als ob er aufspringen und sich auf mich stürzen wollte. Ein Schwindel ergriff mich, meine Pulse stockten, es sauste mir in den Ohren, ich fühlte, wenn ich jetzt dablieb, würde ich verloren sein. Meine ganze Kraft zusammenraffend, riß ich mich vom Stuhl auf und eilte zur Tür.

Aus Sandips trockner Kehle kam ein erstickter Ruf: »Wohin wollen Sie fliehen, Königin?« Im nächsten Augenblick sprang er mit einem Satz auf, um mich festzuhalten. Jedoch beim Laut von Schritten draußen vor der Tür wich er schnell zurück und sank in seinen Stuhl. Ich stand vor dem Bücherregal still und starrte die Titel an.

Als mein Gatte eintrat, rief Sandip aus: »Sag einmal, Nikhil, hast du nicht Browning da unter deinen Büchern? Ich erzählte unsrer Bienenkönigin eben von unserm Universitätsklub. Weißt du noch, wie wir über die Übersetzung jener Verse von Browning stritten? Erinnerst du dich nicht mehr daran?

Warum blickte sie mich an,
Wenn ich sie nicht lieben sollte?
Gibt es nicht genug der Männer,
– Denn so nennen sie sich auch wohl –
Die schon morgen kaum noch wissen,
Wenn sie ihre ganze Seele
Heute ihnen offenbarte!
Doch daß ich aus anderm Stoffe,
Wußte sie, als ihre Augen
Über jene Schar hingleitend
Plötzlich an mir haften blieben Die erste Strophe aus dem Gedicht Christina (Dramatic Lyrics)..

Ich brachte die Übersetzung ins Bengalische irgendwie zustande, aber das Ergebnis war kaum ein bleibender Gewinn für die bengalische Literatur. Ich habe einmal allen Ernstes geglaubt, ich sei auf dem Wege, ein Dichter zu werden, aber die Vorsehung war gütig genug, mich vor solchem Unheil zu bewahren. Erinnerst du dich an den alten Dakschina? Wenn er nicht Salzinspektor geworden wäre, wäre er Dichter geworden. Ich weiß noch heute, wie er–... Nein, Bienenkönigin, es hat keinen Zweck, das Regal zu durchstöbern. Nikhil hat seit seiner Heirat aufgehört, Gedichte zu lesen, – vielleicht hat er seitdem kein Bedürfnis mehr nach Poesie. Aber ich glaube, ›das Fieber des Dichtens‹, wie es im Sanskrit heißt, ist im Begriff, mich wieder anzufallen.«

»Ich bin gekommen, um dich zu warnen, Sandip«, sagte mein Gatte.

»Vor solchem Fieberanfall?«

Mein Gatte beachtete diesen Versuch zu scherzen nicht.

»Seit einiger Zeit«, fuhr er fort, »sind mohammedanische Priester am Werk, die Muselmänner dieser Gegend aufzuwiegeln. Sie sind alle gegen dich aufgebracht und können dich jeden Augenblick angreifen.«

»Kommst du, um mir zur Flucht zu raten?«

»Ich komme, um dir die Mitteilung zu machen, nicht, dir meinen Rat anzubieten.«

»Wenn diese Besitzungen mir gehörten, so wären es die Priester, die diese Warnung brauchten. Wenn du, statt zu versuchen, mich einzuschüchtern, ihnen eine Probe deiner Energie gegeben hättest, das wäre deiner und meiner würdiger gewesen. Weißt du, daß deine Schwäche auch die Zemindars der Nachbarschaft ansteckt?«

»Ich habe dir meinen Rat nicht angeboten, Sandip. Ich wollte, du behieltest deinen auch für dich. Er ist außerdem ganz überflüssig. Und noch etwas anderes möchte ich dir sagen. Du und deine Anhänger haben im geheimen meine Leute bedrückt und geplagt. Das kann ich nicht länger dulden. Daher muß ich dich bitten, mein Gebiet zu verlassen.«

»Aus Furcht vor den Muselmännern, oder willst du mir noch eine andre Furcht einjagen?«

»Es gibt eine Furcht, die nur die Feigen nicht kennen. Im Namen dieser Furcht sage ich dir, Sandip, daß du fort mußt. In fünf Tagen werde ich nach Kalkutta reisen. Ich möchte, daß du mich begleitest. Du kannst natürlich in meinem Hause dort wohnen, dagegen habe ich nichts.«

»Gut, ich habe also noch fünf Tage Zeit. Inzwischen will ich Ihnen, Bienenkönigin, deren Stock ich nun verlassen muß, mein Abschiedslied summen. O, du Dichter des modernen Bengalen! Öffne mir deine Tore weit und laß mich deine Verse plündern! Eigentlich bist du der Dieb, denn es ist mein Lied, das du dir zu eigen gemacht hast, – aber mag es meinetwegen deinen Namen tragen, es gehört doch mir.« Damit stimmte er mit seiner rauhen, etwas unsichern Baßstimme ein Lied nach der Bhairavi-Weise an:

Im Lenze deines Königtums, Geliebte,
Da jagten sich Begegnen und Trennen in endlosem Spiel,
Und Blumen erblühten auf der Spur der alten, die im Schatten welkten und starben.
Im Lenze deines Königtums, Geliebte,
Da erquoll jeder Begegnung mit dir ein Dankeslied.
Doch hat nicht auch mein Abschied dir eine Gabe zu bieten?
Ein zartes Hoffnungsblümchen, das ich heimlich im Schatten deines Blumengartens hegte:
Mögen des Juliregens kühle Schauer
Süß lindern deines Junis Glut!

Seine Kühnheit kennt keine Schranken, – sie ist unverhüllt und nackt wie das Feuer. Man kommt gar nicht dazu, ihr Halt zu gebieten, ebensowenig wie man einen Donnerkeil aufhalten kann. Der Blitz flammt plötzlich auf, allen Widerstand verspottend.

Ich verließ das Zimmer. Als ich über die Veranda nach den innern Gemächern ging, stand Amulja plötzlich vor mir.

»Fürchten Sie nichts, Schwester Rani«, sagte er. »Ich reise heute abend und werde nicht erfolglos zurückkehren.«

»Amulja,« sagte ich, ihm fest in sein von jugendlichem Eifer glühendes Antlitz blickend, »ich fürchte nichts für mich, doch möge es nie dahin kommen, daß ich nichts mehr für dich zu fürchten brauche.«

Amulja wandte sich, um fortzugehen, doch bevor er mir aus den Augen war, rief ich ihn zurück und fragte: »Hast du eine Mutter, Amulja?«

»Ja.«

»Und eine Schwester?«

»Nein, ich bin das einzige Kind meiner Mutter. Mein Vater starb, als ich noch ganz klein war.«

»Dann geh zurück zu deiner Mutter, Amulja!«

»Aber, Schwester Rani, jetzt habe ich beides, Mutter und Schwester.«

»So komm heute abend, bevor du abreisest, Amulja, und iß mit mir!«

»Dazu wird keine Zeit sein. Lassen Sie mich etwas Speise für unterwegs mitnehmen, die Sie durch Ihre Berührung geweiht haben!«

»Was magst du besonders gern, Amulja?«

»Wenn ich bei meiner Mutter gewesen wäre, hätte sie mir eine Menge Pousch-Kuchen gebacken. Backen Sie mir welche mit Ihren eignen Händen, Schwester Rani!«


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