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Sechstes Kapitel.
Nikhils Erzählung

VIII

Ein paar Tage später brachte mein Lehrer Pantschu zu mir. Sein Zemindar hatte ihm eine Geldstrafe von hundert Rupien auferlegt und drohte, ihn von seinem Hof zu jagen. »Was hat er denn getan?« fragte ich. »Man hat ihn dabei ertappt, daß er ausländische Stoffe verkaufte«, war die Antwort. Er bat und flehte Harisch Kundu, seinen Zemindar, an, er möge ihm erlauben, seinen Vorrat, den er sich mit geliehenem Gelde gekauft habe, abzusetzen, er wolle nie wieder mit fremden Waren handeln; aber der Zemindar wollte nichts davon hören und bestand darauf, daß der ausländische Stoff auf der Stelle verbrannt werde, wenn er freigelassen werden wolle. Pantschu brach in seiner Verzweiflung trotzig los: »Das kann ich nicht, dazu habe ich nicht die Mittel! Sie sind reich, warum kaufen Sie es denn nicht auf und verbrennen es?«

Aber dies diente nur dazu, Harisch Kundu in Wut zu bringen, und er rief: »Man muß dem Kerl Manieren beibringen, man gebe ihm eine Tracht Prügel!« So bekam der arme Pantschu zu seiner Geldstrafe noch eine Prügelstrafe.

»Was wurde aus dem Stoff?«

»Der ganze Ballen wurde verbrannt.«

»Wer war sonst noch dabei?«

»Eine Menge Leute, die alle Bande Mataram schrieen. Sandip war auch da. Er nahm etwas von der Asche und rief: ›Brüder! Dies ist der erste Scheiterhaufen, den euer Dorf zur Totenfeier des ausländischen Handels errichtet. Dies ist heilige Asche. Bestreut euch damit zum Zeichen eures Swadeschi-Gelübdes.‹«

»Pantschu,« sagte ich, mich zu ihm wendend, »du mußt eine Klage einreichen.«

»Niemand wird für mich zeugen«, erwiderte er.

»Niemand wird zeugen? – Sandip! Sandip!«

Sandip kam auf meinen Ruf aus seinem Zimmer.

»Was ist los?« fragte er.

»Willst du nicht bezeugen, daß man diesem Mann seinen Stoff verbrannt hat?«

Sandip lächelte. »Natürlich werde ich in dem Fall zeugen«, sagte er. »Aber auf der Gegenseite.«

»Was verstehst du darunter,« rief ich aus, »auf dieser oder jener Seite zeugen? Willst du nicht für die Wahrheit Zeugnis ablegen?«

»Ist das, was geschieht, die einzige Wahrheit?«

»Welch andre Wahrheit kann es denn noch geben?«

»Das, was geschehen sollte! Um die Wahrheit aufbauen zu können, brauchen wir eine ganze Menge Lügen. Die, welche in dieser Welt vorwärtsgekommen sind, haben die Wahrheit geschaffen, aber sie sind ihr nicht blind gefolgt.«

»Und nun –?«

»Und nun will ich das tun, was ihr andern ›falsch Zeugnis reden‹ zu nennen beliebt und was die getan haben, die Weltreiche geschaffen, neue Gesellschaftsordnungen aufgebaut und religiöse Organisationen gegründet haben. Die, welche herrschen wollen, scheuen die Lüge nicht; die Ketten der Wahrheit sind für die, die unter ihre Herrschaft fallen werden. Hast du denn keine Geschichte gelesen? Weißt du denn nicht, daß in den ungeheuren Kesseln, in denen die großen politischen Entwicklungen brodeln, Lügen die Hauptbestandteile sind?«

»Politik wird ohne Zweifel im großen ganzen in dieser Weise gebraut, aber–...«

»Ach, ich weiß! Du willst natürlich bei solchem Brauen nicht mittun. Du willst lieber einer von denen sein, die den Mischmasch nachher mit Gewalt hinunterwürgen müssen. Sie werden Bengalen teilen und sagen, daß es zu eurem Besten ist. Sie werden der Erziehung einen Riegel vorschieben, und das nennen sie das Niveau heben. Aber ihr werdet immer als artige Jungen greinend in eurer Ecke sitzen bleiben. Wir bösen Buben jedoch müssen sehen, ob wir nicht aus der Lüge eine Festung zu unsrer Verteidigung errichten können.«

»Es hat keinen Zweck, über diese Dinge zu streiten,« mischte sich mein Lehrer ein. »Wie können die, die die Wahrheit nicht in sich fühlen, einsehen, daß das höchste Ziel des Menschen ist, sie aus ihrer Verborgenheit ans Licht zu bringen, statt beständig materielle Werte anzuhäufen?«

Sandip lachte. »Vortrefflich!« sagte er. »Eine Rede, ganz wie sie sich für einen Schulmeister gehört. Diese Weisheit kenne ich aus Büchern, aber in der wirklichen Welt habe ich gesehen, daß die Hauptbeschäftigung der Menschen die Anhäufung von materiellen Werten ist. Die, welche Meister in dieser Kunst sind, kündigen in ihrem Geschäft die größten Lügen an, tragen mit ihren breitesten Federn falsche Rechnungen in ihre politischen Hauptbücher ein, lassen täglich lügenstrotzende Zeitungen vom Stapel und schicken Prediger in die Welt, die ihre Lügensaat verbreiten wie Fliegen die Pestkeime. Ich bin ein bescheidener Schüler dieser Großen. Als ich zur Kongreßpartei gehörte, trug ich nie Bedenken, zehn Prozent Wahrheit mit neunzig Prozent Lüge zu verdünnen. Und wenn ich jetzt auch nicht mehr zu der Partei gehöre, so habe ich darum doch nicht die grundlegende Tatsache vergessen, daß das Ziel des Menschen nicht die Wahrheit, sondern der Erfolg ist.«

»Der wahre Erfolg,« verbesserte mein Lehrer.

»Meinetwegen,« erwiderte Sandip, »aber die Frucht wahren Erfolges reift nur auf dem gut geackerten Felde der Lüge. Die Wahrheit aber wächst von selbst, wie das Unkraut und die Dornen, und nur Würmer können Frucht von ihr erwarten.« Damit eilte er aus dem Zimmer.

Mein Lehrer lächelte, als er mich ansah. »Weißt du, Nikhil,« sagte er, »ich glaube, Sandip ist nicht ohne Religion, seine Religion geht nur auf die Kehrseite der Wahrheit, gleich wie der dunkle Neumond auch sein Licht hat, wenn auch an der verkehrten Seite.«

»Darum auch eben,« stimmte ich zu, »habe ich auch immer eine Zuneigung zu ihm gehabt, obgleich wir uns nie einigen konnten. Selbst jetzt kann ich mich nicht über ihn entrüsten, obgleich er mich tief verletzt hat und es vielleicht noch mehr tun wird.«

»Das ist mir klar geworden,« sagte mein Lehrer. »Ich habe mich lange gewundert, daß du immer noch mit ihm Geduld hattest; ja, mitunter war ich geneigt, es als Schwäche an dir zu tadeln. Jetzt sehe ich, daß ihr beiden, wenn ihr euch auch nicht reimt, doch denselben Rhythmus habt.«

»Einen Reim brauche ich nicht, da mein Schicksal sich doch zu einem ›Verlorenen Paradies‹ zu gestalten scheint!« bemerkte ich, sein Wortspiel aufnehmend.

»Aber was soll mit Pantschu werden?« fragte mein Lehrer.

»Sie sagen, daß Harisch Kundu ihn von seinem Hof weisen will. Wie wäre es, wenn ich den Hof kaufte und ihn dann an Pantschu verpachtete?«

»Und seine Geldstrafe?«

»Wie kann der Zemindar die einziehen, wenn er mein Pächter wird?«

»Und der verbrannte Stoff?«

»Ich werde ihm andern verschaffen. Ich möchte sehen, ob irgend jemand es wagt, meinem Pächter zu wehren, Handel zu treiben, wie es ihm gefällt.«

»Ich fürchte, Herr,« warf Pantschu mutlos ein, »daß, solange ihr reichen Leute miteinander kämpft, die Geier der Polizei und des Gesetzes sich fröhlich um euch ansammeln und die Menge ihren Spaß daran hat, aber wenn es ans Töten geht, da wird der arme Pantschu allein an der Reihe sein.«

»Wieso? Was könnte dir geschehen?«

»Sie werden mir mein Haus niederbrennen, mit Kindern und allem.«

»Nun, für deine Kinder will ich sorgen«, sagte mein Lehrer. »Du kannst darum Handel treiben, womit du willst. Sie sollen dir nichts anhaben.«

Noch am selben Tage kaufte ich Pantschus Hof, und er ging in aller Form in meinen Besitz über. Dann kam gleich eine neue Störung.

Pantschu hatte den Pachthof als alleiniger Erbe von seinem Großvater übernommen. Jeder wußte dies. Aber nun tauchte von irgendwoher eine Tante auf, mit ihren Koffern und Bündeln, ihrem Rosenkranz und einer verwitweten Nichte. Sie setzte sich in Pantschus Hause fest und erhob Anspruch auf eine Leibrente.

Pantschu war wie vom Donner gerührt. »Meine Tante ist schon lange tot«, wehrte er ab.

Ihm wurde erwidert, daß er an seines Onkels erste Frau dächte, aber dieser Onkel hätte bald darauf eine zweite genommen.

»Aber mein Onkel starb vor meiner Tante«, rief Pantschu, der die Sache immer weniger begriff. »Wie hatte er da noch Zeit, sich zum zweitenmal zu verheiraten?«

Das war schon richtig. Aber Pantschu sollte bedenken, daß niemand behauptet hätte, die zweite Ehe sei erst nach dem Tode der ersten Frau geschlossen; sondern sein Onkel hätte noch zu ihren Lebzeiten eine zweite Frau genommen. Da ihr aber der Gedanke, mit einer Nebengattin zusammen zu leben, nicht angenehm war, so wäre sie bis zum Tode ihres Gatten im Hause ihres Vaters geblieben, worauf sie fromm geworden wäre und sich nach dem heiligen Brindaban zurückgezogen hätte, von wo sie jetzt kam. Diese Tatsachen wären sowohl den Beamten Harisch Kundus wie einigen seiner Pächter bekannt. Und wenn der Zemindar es nur energisch genug verlangte, so würden sich sogar Zeugen finden, die an dem Hochzeitsfest teilgenommen hatten.

 

IX

Eines Nachmittags, als ich gerade sehr beschäftigt war, kam Bescheid in mein Geschäftszimmer, daß Bimala mich rufen ließe. Ich war überrascht.

»Wer, sagtest du, läßt mich rufen?« fragte ich den Boten.

»Die Maharani.«

»Die Bara Rani?«

»Nein, Herr, die Tschota Rani.«

Die Tschota Rani! Es schien mir eine Ewigkeit, daß sie mich nicht hatte rufen lassen. Ich ließ alle warten und ging in die inneren Gemächer. Als ich unser Zimmer betrat, wartete meiner eine neue Überraschung, denn als ich Bimala dort fand, sah ich deutlich, daß sie sich für mich geputzt hatte. Das Zimmer, das in letzter Zeit durch die beständige Vernachlässigung ein etwas geistesabwesendes Aussehen bekommen hatte, hatte an diesem Nachmittag etwas von seiner alten Ordnung wieder erlangt. Ich stand schweigend da und sah Bimala fragend an.

Sie errötete leicht, und die Finger ihrer rechten Hand spielten eine Zeitlang mit den Spangen auf ihrem linken Arm. Dann brach sie plötzlich das Schweigen.

»Sag einmal, ist es recht, daß unser Markt der einzige in ganz Bengalen ist, der ausländische Waren zuläßt?«

»Was wäre denn das Richtige, was man tun sollte?« fragte ich.

»Laß sie wegschaffen!«

»Aber die Waren gehören nicht mir.«

»Gehört nicht der Markt dir?«

»Er gehört vielmehr denen, die ihn zum Handel brauchen.«

»So laß sie mit indischen Waren handeln!«

»Nichts wäre mir lieber. Aber wenn sie es nun nicht tun?«

»Unsinn! Wie können sie so unverschämt sein? Bist du denn nicht–...«

»Ich habe heute nachmittag sehr viel zu tun und kann mich mit Auseinandersetzungen nicht aufhalten. Aber ich muß mich weigern, jemanden zu tyrannisieren.«

»Du tust es ja nicht in deinem Interesse, sondern für das Vaterland.«

»Tyrannei für das Vaterland heißt Tyrannei gegen das Vaterland. Aber das ist etwas, fürchte ich, was du nie verstehen wirst.« Und damit ging ich fort.

Plötzlich leuchtete mir die Welt in neuer Klarheit. Es war mir, als fühlte ich in meinem Blut, daß die Erde das Gewicht ihrer Körperlichkeit verloren hatte, und daß ihre tägliche Aufgabe, das Leben auf sich zu erhalten, keine Last mehr für sie war, sondern daß sie in wundervollem Schwung durch den Raum wirbelte und den Rosenkranz ihrer Tage und Nächte abbetete. Welch endlose Arbeit, und dabei welch unerschöpflich quellende Kraft! Niemand wird sie aufhalten, o nein, niemand kann sie je aufhalten! Aus der Tiefe meiner Seele sprang die Freude hoch auf wie ein Wasserstrahl, als wollte sie den Himmel stürmen.

Ich habe hernach oft darüber nachgedacht, was es war, das mein Gefühl damals so aufwallen machte. Zuerst fand ich keine Erklärung dafür. Aber dann wurde mir klar, daß die Fessel, an der ich mich Tag und Nacht innerlich wund gerieben hatte, zerbrochen war. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich, daß der trübe Schleier, der meinen Geist umdunkelt hatte, geschwunden war. Ich konnte alles, was sich auf Bimala bezog, wahrheitsgetreu vor mir sehn, wie auf einer photographischen Platte. Es war offenbar, daß sie sich besonders geputzt hatte, um mir jenen Befehl abzuschmeicheln. Bis dahin hatte ich Bimalas Schmuck nie als etwas von ihr Unterschiedenes angesehen. Aber an jenem Tage erschien mir die Art, in der sie sich nach englischer Mode frisiert hatte, als bloßer äußerlicher Aufputz. Das, was vorher das Geheimnis ihrer Persönlichkeit in sich trug und mir von unschätzbarem Wert gewesen war, war jetzt darauf aus, sich wegzuwerfen.

Als ich aus dem Schlafzimmer, diesem zerbrochenen Käfig, hinaustrat in das goldene Sonnenlicht draußen, fiel mein Blick auf die beiden Reihen von Bauhinien neben dem Kiesweg vor meiner Veranda, die den Himmel mit einer zarten Röte zu übergießen schienen. Eine Gruppe von Staren schwatzte und lärmte nach Herzenslust unter den Bäumen. Hinten auf der Wiese stand ein leerer Ochsenkarren, vornübergekippt, mit der Nase auf dem Boden und den Schwanz hoch in der Luft, – der eine von den losgeschirrten Ochsen weidete im Grase, der andre hatte sich niedergelegt und schloß behaglich die Augen, während eine Krähe auf seinem Rücken saß und ihm die Insekten abpickte.

Es war mir, als wäre ich dem Herzschlag der großen Erde näher gekommen, als ich sie so in der Schlichtheit ihres täglichen Lebens sah; ich spürte ihren warmen Atem in dem Duft der Bauhinienblüten, und ein Lobgesang von unsagbarem Wohllaut schien von dieser Welt aufzusteigen, wo alle Wesen sich einer Freiheit erfreuen, an der auch ich teilhabe.

Wir Menschen sind fahrende Ritter, auf der Suche nach der Freiheit, zu der uns unsre Ideale rufen. Sie, die uns das Banner webt, unter dem wir ausziehen, ist das wahre Weib für uns. Wir müssen der, die uns in ihrem Zaubernetz zu Hause zu halten sucht, die Maske abreißen und sie als das erkennen, was sie ist. Wir müssen uns hüten, daß wir sie nicht in die Reize unsrer eigenen Träume und Sehnsüchte kleiden und uns durch sie so von unserm wahren Ziel abziehen lassen.

Heute weiß ich, daß ich obsiegen werde. Ich bin an das Tor der Einfalt gekommen, ich sehe jetzt die Dinge wie sie sind. Ich selbst habe meine Freiheit gewonnen, ich werde andern die Freiheit lassen. In meiner Arbeit werde ich mein Heil finden.

Ich weiß, daß hin und wieder mein Herz mir weh tun wird, aber jetzt, da ich seinen Schmerz in seiner ganzen Wahrheit verstehe, kann ich ihn unbeachtet lassen. Jetzt, da ich weiß, daß er nur mich angeht, was hat er da noch zu bedeuten? Das Leid, das der ganzen Menschheit gehört, soll meine Krone sein.

Rette mich, Wahrheit! Laß mich nie wieder nach dem falschen Paradiese der Illusion trachten! Wenn ich allein wandern muß, laß mich wenigstens deinen Pfad gehen! Laß deine Trommelschläge mich zum Siege führen!

 

Sandips Erzählung

 

VII

Bimala ließ mich an jenem Tage rufen; aber sie konnte zuerst kein Wort hervorbringen und kämpfte eine Zeitlang mit den Tränen. Ich sah gleich, daß sie bei Nikhil keinen Erfolg gehabt hatte. Sie war so voll stolzer Zuversicht gewesen, daß sie ihren Willen durchsetzen würde, – aber ich hatte diese Zuversicht durchaus nicht teilen können. Die Frau kennt den Mann sehr gut von der Seite, wo er schwach ist, aber sie ist ganz unfähig, seine Stärke zu ermessen. Der Mann bleibt der Frau ebenso ein Geheimnis wie die Frau dem Manne. Wenn dem nicht so wäre, so wäre die Verschiedenheit der Geschlechter ja überflüssig und eine Kraftvergeudung der Natur.

Ach, was ist es doch um den Stolz! Es schmerzte sie nicht, daß eine notwendige Sache nicht zustande gekommen war, sondern daß eine Bitte, die sie so viel Überwindung gekostet halte, ihr abgeschlagen war. Welch ein Reichtum an Farbe und Bewegung, Suggestion und Täuschung legt sich doch um dieses »Ich« und »Mein« in der Frau! Darin liegt gerade ihre Schönheit, – sie ist so viel persönlicher als der Mann. Als der Schöpfer den Mann machte, war er ein Schulmeister und hatte seinen Sack voll von Geboten und Grundsätzen; aber als er an die Frau kam, legte er seine Schulmeisterwürde nieder und wurde zum Künstler, der nur mit Pinsel und Palette arbeitet.

Als Bimala so schweigend dastand in ihrem gebrochenen Stolz, mit heißen Wangen und die Augen voll Tränen, wie eine Gewitterwolke, die mit Regen beladen und mit Blitz gewaffnet am Horizonte droht, sah sie so unwiderstehlich lieblich aus, daß ich nicht anders konnte, als zu ihr gehen und ihre Hand fassen. Ihre Hand zitterte, aber sie entzog sie mir nicht. »Bima,« sagte ich, »wir sind zwei Kameraden, die dasselbe Ziel haben. Wir wollen uns hinsetzen und über die Sache sprechen.«

Ich führte sie widerstandslos zu einem Sessel. Aber wie sonderbar! Gerade in diesem Augenblick fühlte meine ungestüme Leidenschaft eine unerklärliche Hemmung, – gleichwie der mächtige Padmastrom, der in unaufhaltsamem Lauf dahineilt, plötzlich durch irgendein kleines Hemmnis unter der Oberfläche von dem Ufer abgelenkt wird, das er zerbröckelt. Als ich Bimalas Hand drückte, erklangen alle meine Nerven wie Harfensaiten; aber dann verstummte die Symphonie plötzlich.

Was war es, das mich hemmte? Nicht eine bestimmte Sache; es war ein Gewirr von vielen Dingen, – nichts deutlich Greifbares, sondern nur jenes unerklärliche Gefühl der Hemmung. So viel ist mir jedenfalls klar geworden, daß ich nicht schwören kann, was ich in Wahrheit bin. Gerade weil ich mir selber so ein Rätsel bin, fühle ich mich zu mir selbst so hingezogen. Wenn ich einmal dahin kommen sollte, dies mein Ich ganz zu erkennen, so würde ich es von mir werfen, – und Glückseligkeit erlangen!

Als Bimala sich setzte, wurde sie totenbleich. Auch sie mußte wohl fühlen, welcher Gefahr sie entgangen war. Der Komet war schon über sie hinweg, aber die Berührung seines brennenden Schweifes überwältigte sie. Um ihr zu helfen, daß sie sich erholte, sagte ich: »Auf Hindernisse mußten wir uns gefaßt machen, aber wir wollen tapfer weiterkämpfen und uns nicht entmutigen lassen. Nicht wahr, Königin?«

Bimala versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein schwaches »Ja« hervor.

»Lassen Sie uns unsern Feldzugsplan machen!« fuhr ich fort und zog Bleistift und Papier aus der Tasche.

Ich begann eine Liste von den Mitarbeitern aus Kalkutta zu machen und jedem seine Aufgabe zu bestimmen. Bimala unterbrach mich, bevor ich fertig war, und sagte müde: »Lassen Sie das jetzt; ich komme heute abend noch einmal«, und dann eilte sie aus dem Zimmer. Sie war augenscheinlich nicht imstande, irgendeiner Sache ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Sie mußte eine Weile mit sich allein sein, – vielleicht sich aufs Bett legen und sich ordentlich ausweinen!

Als sie fort war, flammte meine Leidenschaft heißer auf, gleichwie die Wolke sich tiefer färbt, wenn die Sonne hinabgesunken ist. Ich fühlte, daß ich mir den Augenblick aller Augenblicke hatte entgleiten lassen.

Welch ein erbärmlicher Feigling war ich gewesen! Sie war gewiß aus bloßem Ekel vor meinem schwächlichen Zaudern von mir gegangen, – und sie hatte recht!

Während diese Gedanken mich schmerzhaft durchzuckten, kam ein Diener und meldete Amulja, einen unsrer jungen Leute. Ich hätte ihn am liebsten abgewiesen, aber bevor ich mich dazu entschließen konnte, trat er ein. Dann begannen wir über die Nachrichten zu sprechen, die wir von den verschiedenen Distrikten hatten, und von ihren Kämpfen um ausländische Waren, und bald war die Luft von allen berauschenden Dünsten gereinigt. Mir war, als erwachte ich aus einem Traum. Ich sprang auf, ganz bereit zum Kampf, – Bande Mataram!

Es gab verschiedene Neuigkeiten. Die meisten von den Händlern, welche Pächter von Harisch Kundu waren, waren zu uns übergegangen. Viele von Nikhils Angestellten waren auch heimlich auf unsrer Seite und zogen die Drähte in unserm Interesse. Die Kaufleute von Marwari erboten sich, eine Geldbuße zu zahlen, wenn sie nur mit ihren augenblicklichen Vorräten räumen dürften. Nur einige mohammedanische Händler waren noch hartnäckig.

Einer von ihnen hatte ein paar deutsche Schaltücher für seine Familie gekauft. Sie wurden ihm unterwegs abgenommen und von einem unsrer jungen Leute aus dem Dorfe verbrannt. Dies hatte zu Unannehmlichkeiten Anlaß gegeben. Wir waren bereit, ihm indische Wollstoffe dafür zu kaufen. Aber wo waren billige indische Wollsachen zu haben? Wir konnten ihm seine Tücher doch nicht gut durch Kaschmirschals ersetzen! Er ging und beklagte sich bei Nikhil, der ihm riet, vor Gericht zu klagen. Natürlich sorgten Nikhils Leute dafür, daß nichts dabei herauskam, da sein Rechtsanwalt selbst auf unsrer Seite war.

Die Sache ist nämlich die: wenn wir die verbrannten ausländischen Stoffe jedesmal durch indische Stoffe ersetzen und noch obendrein einen Prozeß durchkämpfen sollen, – woher sollen wir das Geld nehmen? Und das Beste dabei ist, daß die Zerstörung ausländischer Waren den Bedarf noch vermehrt und damit also den Fremden Vorteil bringt. Es geht ihnen damit wie dem glücklichen Händler, dem der Nabob seine Kristalleuchter zerbrach, weil ihm das Klirren des zerbrechenden Glases so viel Spaß machte.

Eine andere Frage ist, ob wir, da es keine billigen bunten indischen Wollstoffe gibt, die Boykottierung der ausländischen Flanelle und Merinos so streng durchführen oder eine Ausnahme zu ihren Gunsten machen sollen.

»Weißt du,« sagte ich schließlich in bezug auf den ersten Punkt, »wir werden auf keinen Fall fortfahren, denen, deren ausländische Stoffe beschlagnahmt sind, dafür indische Stoffe zum Geschenk zu machen. Die Strafe soll sie treffen, nicht uns. Wenn sie uns verklagen, so müssen wir es ihnen dadurch heimzahlen, daß wir ihnen ihre Scheunen niederbrennen! – Was erschreckt dich dabei, Amulja? Es ist nicht die Aussicht auf ein großartiges Feuerwerk, was mich lockt. Du mußt bedenken, daß wir im Kriege sind. Wenn du Angst hast, Leiden zu verursachen, so geh und suche dir Liebesfreuden; für unsre Aufgabe können wir dich dann nicht brauchen!«

Die zweite Frage entschied ich dahin, daß ausländische Waren auf jeden Fall verboten bleiben sollten und wir uns auf keinen Kompromiß einlassen wollten. In der guten alten Zeit, als man diese bunt gefärbten ausländischen Schals bei uns noch nicht kannte, wurden unsre Landleute ganz gut mit ihren einfachen baumwollenen Tüchern fertig, das müssen sie wieder lernen. Sie sehen vielleicht nicht so prächtig aus, aber jetzt ist nicht die Zeit, an das Aussehen zu denken.

Die meisten von den Bootsleuten waren dafür gewonnen, daß sie sich weigerten, ausländische Waren überzusetzen, aber der Hauptfährmann, Mirdschan, war noch widerspenstig.

»Könnten Sie nicht einfach sein Boot versenken?« fragte ich unsern hiesigen Verwalter.

»Nichts leichter als das«, erwiderte er. »Aber wie, wenn man mich nachher zur Verantwortung zieht?«

»Wer wird die Sache so plump anfangen, daß man ihn zur Verantwortung ziehen kann? Doch wenn es dazu kommt, so will ich es schon auf mich nehmen.«

Mirdschans Boot lag an der Landungsstelle angebunden, nachdem es die Ladung zum Marktplatz übergesetzt hatte. Es war niemand darin, denn der Geschäftsführer hatte eine Unterhaltung veranstaltet, zu der alle eingeladen waren. Als es dunkel geworden war, wurde das Boot, nachdem man es mit Schutt beladen hatte, durchbohrt und aufs Wasser gestoßen. Es sank mitten auf dem Wasser.

Mirdschan verstand alles. Er kam weinend zu mir und bat um Gnade. »Ich hatte unrecht, Herr –« begann er.

»Wie kommt es, daß du das jetzt plötzlich einsiehst?« fragte ich höhnisch.

Er gab keine direkte Antwort. »Das Boot war 2000 Rupien wert«, sagte er. »Ich sehe jetzt meine Schuld ein, und wenn Sie mir diesmal verzeihen, so werde ich nie mehr–...« und damit warf er sich mir zu Füßen.

Ich sagte ihm, er solle in zehn Tagen wiederkommen. Wenn wir ihm nur gleich die 2000 Rupien bezahlen könnten, so würde er mit Leib und Seele unser sein. Und er ist gerade der Mann, der unsrer Sache ungeheure Dienste leisten könnte, wenn wir ihn für uns gewännen. Wir werden nie ordentlich vorwärts kommen, wenn wir nicht die nötigen Mittel in Händen haben.

Sobald Bimala des Abends ins Wohnzimmer kam, ging ich ihr entgegen: »Königin! Alles ist bereit, der Erfolg wartet, aber wir müssen Geld haben.«

»Geld? Wieviel?«

»Nicht so sehr viel, aber auf die eine oder andre Weise müssen wir es bekommen.«

»Aber wieviel denn?«

»Augenblicklich genügen bloße 50 000 Rupien.«

Bimala fuhr innerlich zusammen, als sie die Zahl hörte, aber sie versuchte, es nicht zu zeigen. Wie konnte sie sich wieder geschlagen geben?

»Königin!« sagte ich, »nur Sie können das Unmögliche möglich machen. Das haben Sie in Wahrheit schon getan. Oh, daß ich Ihnen die ganze Größe Ihrer Leistung zeigen könnte, dann würden Sie es wissen. Aber jetzt handelt es sich um etwas anderes. Jetzt brauchen wir Geld.«

»Sie sollen es haben«, sagte sie.

Ich sah, daß sie auf den Gedanken gekommen war, ihre Schmucksachen zu verkaufen. Daher sagte ich: »Ihre Schmucksachen müssen unsre Reserve bleiben. Man kann nie wissen, wann wir sie brauchen.« Und als Bimala mich in stummer Bestürzung anstarrte, fuhr ich fort: »Dies Geld muß aus der Kasse Ihres Gatten kommen.«

Bimala war noch bestürzter. Nach einer langen Pause fragte sie: »Aber wie soll ich sein Geld bekommen?«

»Gehört sein Geld nicht ebensogut Ihnen?«

»Ach, nein!« sagte sie, von neuem in ihrem Stolz verletzt.

»Nun,« rief ich, »dann gehört es auch nicht ihm, sondern seinem Vaterlande, dem er es in der Zeit der Not entzogen hat!«

»Aber wie soll ich es mir verschaffen?« wiederholte sie.

»Verschaffen müssen und werden Sie es sich. Wie Sie es anfangen, das wissen Sie selbst am besten. Sie müssen es sich für die Göttin verschaffen, der es mit Recht gehört. Bande Mataram! Dies ist das Zauberwort, das die Tür seines eisernen Geldschranks öffnen, die Wände seiner Stahlkammer durchbrechen und die Herzen derer beschämen wird, die pflichtvergessen ihrem Ruf nicht folgen. Sagen Sie Bande Mataram, Bienenkönigin!«

»Bande Mataram!«


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