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Achtes Kapitel.
Nikhils Erzählung

X

Die Lokalzeitungen haben angefangen, Artikel und Briefe gegen mich zu veröffentlichen, und ich höre, daß Karikaturen und Schmähschriften folgen sollen. Witz und Humor lassen ihren Übermut an mir aus, und über die Lügen, die auf diese Weise verbreitet werden, krümmt sich das ganze Land vor Lachen. Sie wissen, daß sie das Monopol haben, die Leute mit Schmutz zu bewerfen, und so kommt der harmlose Vorübergehende nicht unbesudelt davon.

Sie sagen, daß meine sämtlichen Gutsinsassen, vom höchsten bis zum niedrigsten, Freunde der Swadeschi-Bewegung sind, aber aus Furcht vor mir es nicht wagen, sich als solche zu bekennen. Die wenigen, die tapfer genug waren, mir zu trotzen, haben die ganze Härte meiner Verfolgung fühlen müssen. Ich bin im geheimen Einverständnis mit der Polizei und mit dem Magistrat, und diese verzweifelten Anstrengungen, mir zu meinem ererbten Titel noch einen ausländischen zu erwerben, sollen alle Aussicht auf Erfolg haben.

Auf der andern Seite sind die Zeitungen des Lobes voll von den Zemindars Kundu und Tschakravarti, den treu ergebenen Söhnen des Vaterlandes. Wenn das Land nur noch ein paar solche tapfre Patrioten mehr hätte, heißt es, so würden die Fabriken von Manchester sich bald ihr eigenes Grablied nach der Melodie des Bande Mataram singen müssen.

Dann folgt in blutroten Lettern eine Liste der verräterischen Zemindars, deren Schatzhäuser man verbrannt hat, weil sie die Sache nicht unterstützen wollten. »Das heilige Feuer«, heißt es weiter, »ist aufgerufen, daß es seinen heiligen Beruf erfülle und das Land reinige, und noch andere Kräfte sind am Werk, die dafür sorgen, daß die, die nicht wahre Söhne des Mutterlandes sind, sich nicht länger auf seinem Schoß breitmachen.« Die Unterschrift ist augenscheinlich ein Pseudonym.

Ich merkte, daß unsre Studenten dahinter steckten, daher ließ ich einige von ihnen rufen und zeigte ihnen den Brief.

Einer der Studenten berichtete mir mit ernster Miene, sie hätten auch gehört, daß eine Schar entschlossener Patrioten sich zusammengetan habe, die rücksichtslos jedes Hindernis, das sich der Swadeschi-Bewegung entgegenstellte, aus dem Wege räumen wolle.

»Wenn auch nur einer unserer Landsleute diesen verwegenen Gesellen zum Opfer fällt,« sagte ich, »so bedeutet dies in der Tat eine Niederlage unseres Vaterlandes.«

»Das verstehen wir nicht, Maharadscha«, sagte ein Student der Geschichte.

Ich versuchte, ihnen meine Meinung zu erklären.

»Unser Vaterland«, sagte ich, »ist durch bloße Furcht bis an den Rand des Abgrunds gebracht, – Furcht vor den Göttern bis hinab zu der Furcht vor der Polizei; und wenn ihr nun im Namen der Freiheit ein anderes Schreckgespenst aufstellt, – wie ihr es auch nennen mögt –, wenn ihr, mit der Schwäche eures Vaterlandes rechnend, es durch offene Gewalt eurem Willen unterwerfen wollt, so kann keiner, der sein Vaterland wirklich liebt, auf eurer Seite sein.«

»Gibt es denn irgend ein Land,« fragte der Geschichtsstudent weiter, »das sich aus einem andern Grunde als aus Furcht seiner Regierung unterwirft?«

»Die Freiheit, die in einem Lande herrscht,« erwiderte ich, »kann man nach dem Grade bemessen, in dem die Furcht dort herrscht. Wo ihre Herrschaft sich auf die beschränkt, die rauben und plündern möchten, da kann die Regierung sich rühmen, den Menschen von der Gewalttätigkeit des Menschen befreit zu haben. Aber wo Furcht darüber wachen soll, wie die Menschen sich kleiden, wo sie Handel treiben und was sie essen, da hat man keine Achtung vor der Willensfreiheit des Menschen und zerstört die Menschheit an der Wurzel.«

»Übt man in andern Ländern nicht auch solchen Zwang auf den Einzelwillen?« fragte der Geschichtsstudent weiter.

»Wer leugnet dies?« rief ich aus. »Aber in allen diesen Ländern hat der Mensch erst seine Menschheit zerstören müssen, damit die Sklaverei gedeihen konnte.«

»Beweist es nicht vielmehr,« warf ein älterer Student dazwischen, »daß Sklaverei dem Menschen angeboren und eine Grundtatsache seiner Natur ist?«

»Sandip Babu setzte die Sache sehr klar auseinander«, sagte ein dritter. »Er gab uns das Beispiel Ihres Nachbarn, des Zemindars Harisch Kundu. Auf seinen Gütern würden Sie auch nicht eine einzige Unze ausländischen Salzes finden. Woher kommt dies? Weil er immer mit eiserner Faust regiert. Für die, die von Natur Sklaven sind, ist es das größte Elend, wenn ihnen ein strenger Herr fehlt.«

»Ei, Herr,« fiel ein jüngerer Student ein, »haben Sie denn nicht von dem widerspenstigen Pächter des andern Zemindars hier in der Nähe, Tschakravarti, gehört, wie man gesetzlich gegen ihn vorging, bis er in äußerste Not geriet? Als er schließlich gar nichts mehr zu essen hatte, ging er aus, um die silbernen Schmuckstücke seiner Frau zu verkaufen, aber niemand wagte, sie ihm abzunehmen. Dann bot ihm Tschakravartis Verwalter fünf Rupien für alles zusammen. Sie waren über dreißig wert, aber er mußte den Handel annehmen oder Hungers sterben. Nachdem der Verwalter ihm die Sachen abgenommen hatte, sagte er kalt, daß diese fünf Rupien auf seinen Pachtzins gutgeschrieben werden sollten! Als wir das hörten, waren wir so empört, daß wir mit Tschakravarti oder seinem Verwalter nichts mehr zu tun haben wollten, aber Sandip Babu sagte uns, wenn wir die lebendigen Menschen so beiseite werfen wollten, so müßten wir uns schließlich die Toten von den Verbrennungsplätzen holen, um unsre Sache auszufechten! Lebendige Menschen wie diese, bewies er uns, wissen, was sie wollen und wie sie es erreichen, – sie sind die geborenen Herrscher. Die, die keine eigenen Wünsche haben, müssen sich den Wünschen solcher Menschen fügen oder durch sie zugrunde gehen. Sandip Babu stellte sie – Kundu und Tschakravarti – in Gegensatz zu Ihnen, Maharadscha. Ihnen, sagte er, wird es bei all Ihren guten Absichten nie gelingen, die Fahne der Swadeschi-Bewegung auf Ihrem Gebiet aufzupflanzen.«

»Ich möchte«, sagte ich, »etwas Größeres pflanzen. Mir ist es nicht um tote Pfähle zu tun, sondern um lebendige Bäume, und diese brauchen Zeit zum Wachsen.«

»Ich fürchte, Herr,« bemerkte der Geschichtsstudent höhnisch, »Sie werden weder Pfähle noch Bäume bekommen. Sandip Babu lehrt ganz richtig, daß man zugreifen muß, wenn man etwas haben will. Wir brauchen alle etwas Zeit, um dies zu lernen, weil es dem widerspricht, was wir in der Schule gelernt haben. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie einer von Harisch Kundus Pachteinnehmern einen der Pächter, der nichts anderes mehr zu verkaufen hatte, zwang, sein junges Weib herzugeben! An Käufern fehlte es nicht, und die Forderung des Zemindars wurde befriedigt. Ich kann Ihnen sagen, Herr, der Anblick des verzweifelten Mannes ließ mich nächtelang nicht schlafen! Aber was mein Gefühl auch sagte, soviel war mir klar, daß der Mann, der das Geld, das er haben will, zu bekommen weiß, und sollte er auch das Weib seines Schuldners verkaufen, – daß dieser ein besserer Mann ist als ich. Ich gebe zu, daß ich nicht dazu imstande wäre, ich bin ein Schwächling, meine Augen füllten sich beim Anblick solcher Not mit Tränen. Aber wenn irgend jemand unser Vaterland retten kann, so sind es diese Kundus und Tschakravartis und ihre Leute.«

Ich fand keine Worte für mein Entsetzen. »Wenn das, was Sie sagen, wahr ist,« rief ich aus, »so sehe ich klar, daß es die Aufgabe meines Lebens sein muß, das Vaterland zu retten. Die Sklaverei, die uns bis ins Mark gedrungen ist, kommt bei dieser Gelegenheit als entsetzliche Tyrannei zum Ausbruch. Ihr seid so gewohnt, euch aus Furcht der Macht zu unterwerfen, daß für euch der Glaube an die Notwendigkeit der Unterwerfung der Schwächeren eine Art Religion geworden ist. Mein Kampf soll gegen diese Schwäche, gegen diese abscheuliche Grausamkeit gerichtet sein.«

Diese Dinge, die für gewöhnliche Menschen so einfach sind, verwirren sich unglaublich in den Köpfen der Studenten, und der einzige Zweck ihrer historischen Sophistereien scheint zu sein, die Wahrheit zu verdrehen!

 

XI

Pantschus vorgebliche Tante macht mir zu schaffen. Es wird schwer sein, sie des Betrugs zu überführen, denn obwohl es oft schwierig oder unmöglich ist, Zeugen für ein wirkliches Geschehnis zu finden, so lassen sich doch immer für etwas, was gar nicht geschehen ist, unzählige Beweise aufbringen. Der Zweck dieses Schachzuges ist augenscheinlich, den Verkauf von Pantschus Pachthof an mich rückgängig zu machen.

Da ich keinen andern Ausweg finden konnte, dachte ich daran, Pantschu auf meinem Gebiet ein Stück Land in Erbpacht zuzuweisen und eine Hütte darauf bauen zu lassen. Aber mein Lehrer wollte davon nichts wissen. Er meinte, ich solle solchem boshaften Treiben gegenüber nicht gutwillig nachgeben, und erklärte sich bereit, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

»Sie, Meister?« rief ich höchst überrascht.

»Ja, ich«, wiederholte er.

Ich konnte mir durchaus nicht vorstellen, wie mein Lehrer irgend etwas gegen diese juristischen Ränke tun könnte. An diesem Abend kam er nicht wie sonst zur gewohnten Stunde zu mir. Als ich mich nach ihm erkundigte, erfuhr ich von seinem Diener, daß er mit einem kleinen Koffer, in den er ein paar Sachen und etwas Bettzeug gepackt hatte, abgereist sei und in einigen Tagen zurück sein werde. Ich dachte, daß er sich vielleicht aufgemacht hätte, um im Dorf, wo der Onkel Pantschus gelebt hat, Zeugen zu finden. Aber solch Unternehmen schien mir ganz aussichtslos–...

Am Tage vergesse ich mich über meiner Arbeit. Aber wie der Spätherbstnachmittag langsam vorrückt und die Farben am Himmel trübe werden, trüben sich auch meine Gefühle. Es gibt viele in dieser Welt, deren Seele in Steinhäusern wohnt, – sie brauchen sich um das Draußen nicht zu kümmern. Aber meine Seele wohnt unter den Bäumen im freien Felde; sie nimmt die Botschaften, die die freien Winde bringen, mittelbar in sich auf, und die ganze Tonleiter von Licht und Dunkel findet Widerhall und Antwort in ihrer innersten Tiefe.

Solange der helle Tag um mich leuchtet und ich mitten im Getriebe der Menschen bin, scheint es, als ob meinem Leben nichts fehlt. Aber wenn die Farben am Horizont verblassen und der Himmel die Vorhänge über seine Fenster zieht, dann fühlt mein Herz, daß der Abend auch für mich wie ein Vorhang herabsinkt, um die Welt draußen auszuschließen und die Stunde zu künden, wo die Dunkelheit sich mit dem Einen füllen muß. Erde, Himmel und Wasser rufen es uns zu, und ich kann mein Ohr nicht ihrem Ruf verschließen. Wenn daher die Dämmerung immer tiefer wird, wie der Blick aus den dunklen Augen der Geliebten, so sagt mir mein ganzes Wesen, daß die Arbeit allein nicht der wahre Sinn des Lebens sein kann, daß sie allein nicht Inhalt und Zweck des menschlichen Daseins sein soll, denn der Mensch soll nicht ein bloßer Sklave sein – auch nicht der Sklave des Wahren und Guten.

Ach, Nikhil, wo ist der Teil deines Selbst geblieben, der sonst, wenn die Arbeit des Tages getan war, unter dem Sternenhimmel alle Fesseln von sich warf und hineintauchte in die unendlichen Tiefen des nächtlichen Dunkels? Wie furchtbar einsam ist doch der, dem in der Mannigfaltigkeit des Lebens der Gefährte fehlt!

Neulich abends, um die Zeit, wo Tag und Nacht sich auf der Schwelle begegnen, hatte ich gerade nicht zu arbeiten, war auch nicht zum Arbeiten aufgelegt, und auch mein Lehrer war nicht da, um mir Gesellschaft zu leisten. Mein Herz war wie ein leer dahintreibendes Boot, das einen Ankerplatz sucht, und so schlenderte ich den inneren Gärten zu. Ich liebe die Chrysanthemen sehr, und an der einen Seite des Parkes habe ich ganze Reihen davon in allen Spielarten an der Mauer entlang in Töpfen hintereinander aufstellen lassen. Als sie blühten, sah es aus, als ob eine grüne Woge sich in Schaum von allen Regenbogenfarben auflöste. Ich war längere Zeit nicht nach diesem Teil des Parkes gekommen, und der Gedanke, meine Chrysanthemen nach langer Trennung wiederzusehen, erfüllte mich mit freudiger Erwartung.

Als ich eintrat, sah der Vollmond gerade über die Mauer, deren Fuß noch im tiefen Schatten lag. Es war, als ob er sich von hinten auf den Zehen herangeschlichen hätte und mutwillig lächelnd der Dunkelheit die Augen zuhielte. Als ich mich der Terrasse von Chrysanthemen näherte, sah ich davor eine Gestalt im Grase ausgestreckt. Mein Herz stockte plötzlich. Auch die Gestalt richtete sich beim Nahen meiner Schritte erschrocken auf.

Was sollte ich in dem Augenblick tun? Ich schwankte, ob ich mich noch schnell zurückziehen sollte. Auch Bimala überlegte augenscheinlich, wie sie mir entkommen könnte. Aber es schien mir ebenso ungeschickt, jetzt fortzugehen, wie zu bleiben. Bevor ich mich entschließen konnte, stand Bimala auf, schlug das Ende ihres Sari über den Kopf und ging fort, den inneren Gemächern zu.

Diese kurze Pause hatte genügt, um mir das ganze Elend Bimalas klarzumachen. Und sofort verstummte die Klage meines eigenen Lebens. Ich rief aus: »Bimala!«

Sie fuhr zusammen und hielt an, doch wandte sie sich nicht um. Ich trat hinzu und stand vor ihr. Ihr Gesicht war im Schatten, das Mondlicht fiel auf meines. Sie hatte die Augen gesenkt, die Hände krampfhaft zusammengepreßt.

»Bimala,« sagte ich, »warum sollte ich versuchen, dich in diesem verschlossenen Käfig bei mir festzuhalten? Weiß ich denn nicht, daß du auf diese Weise vor Kummer und Sehnsucht vergehen mußt?«

Sie stand still da, ohne die Augen zu erheben oder ein Wort zu sagen.

»Ich weiß,« fuhr ich fort, »daß, wenn ich dich mit Gewalt gefesselt halten wollte, mein ganzes Leben nichts mehr sein würde als eine eiserne Kette. Welche Freude könnte ich davon haben?«

Sie schwieg noch immer.

»Daher sage ich dir aufrichtig, Bimala,« schloß ich, »du bist frei. Was immer ich dir auch gewesen bin oder vergeblich zu sein versucht habe, – deine Fessel will ich nicht sein.« Und damit ging ich nach den äußeren Gemächern.

Nein, nein, es war weder ein großmütiger Impuls, noch war es Gleichgültigkeit. Ich hatte nur einfach eingesehen, daß ich selbst nie frei sein würde, solange ich andere in Unfreiheit ließe. Hätte ich versucht, Bimala wie eine Schmuckkette um meinen Hals zu behalten, so hätte diese Kette wie eine schwere Last auf mein Herz gedrückt. Habe ich nicht aus tiefster Seele gebetet, daß ich willig mein Los auf mich nehmen und auf Glück verzichten oder den Schmerz willkommen heißen wollte, wenn ich nur nicht in Knechtschaft leben sollte? Wenn man sich gewaltsam an die Lüge klammert und nicht von dem Glauben lassen will, daß sie Wahrheit ist, so erdrosselt man sich selbst. Möge ich vor solcher Selbstzerstörung bewahrt bleiben!

Als ich mein Zimmer betrat, fand ich meinen Lehrer dort wartend. Meine erregten Gefühle wogten noch in mir. »Die Freiheit, Meister,« begann ich ohne ein Wort der Begrüßung oder der Frage, »die Freiheit ist das Höchste für den Menschen. Nichts läßt sich mit ihr vergleichen, – gar nichts!«

Überrascht über diesen Ausbruch, sah mein Lehrer schweigend zu mir auf.

»Aus Büchern kann man nichts verstehen«, fuhr ich fort. »Wir lesen in den heiligen Schriften, daß unsre Begierden Fesseln sind, die sowohl uns selbst, wie andre binden. Aber solche Worte an sich sind so leer. Erst in dem Augenblick, wo wir den Vogel aus dem Käfig lassen, wird es uns klar, wie unfrei der Vogel uns gemacht hatte. Was wir einkerkern, es sei, was es sei, fesselt uns mit Begierde, deren Bande stärker sind als eiserne Ketten. Ich sage Ihnen, Meister, dies ist es, was die Menschen nie begreifen wollen. Sie alle versuchen irgend etwas zu reformieren, was außerhalb ihrer selbst ist. Aber die eigenen Begierden sind es, die reformiert werden müssen, sonst nichts, sonst nichts!«

»Wir meinen,« sagte er, »daß wir unser eigener Herr sind, wenn wir den Gegenstand unsrer Begierden in unsre Hand bekommen haben, aber in Wahrheit sind wir nur unser eigener Herr, wenn es uns gelingt, unser Herz von unsern Begierden zu befreien.«

»Wenn wir das alles so in Worte fassen, Meister,« fuhr ich fort, »so klingt es wie irgendeine sterile Greisenweisheit, aber wenn wir uns etwas davon wirklich begreifen, so sehen wir, daß es amrita ist, das die Götter tranken und unsterblich wurden. Wir können die Schönheit erst erkennen, wenn wir sie freilassen. Es war Buddha, der die Welt eroberte, nicht Alexander, – dies ist falsch, wenn wir es in trockner Prosa sagen, – ach, wann werden wir es in die Welt hinaus singen können? Wann werden alle diese innersten Wahrheiten des Universums überfließen über die Seiten der gedruckten Bücher und sich zu einem heiligen Strom vereinigen?«

Plötzlich fiel mir ein, daß ja mein Lehrer die letzten Tage verreist gewesen war, und ich den Grund seiner Abwesenheit noch nicht erfahren hatte. Ich schämte mich etwas über meine Gedankenlosigkeit und fragte ihn: »Und wo sind Sie die ganze Zeit gewesen, Meister?«

»Bei Pantschu«, erwiderte er.

»Wirklich?« rief ich aus. »Sind Sie alle diese Tage dagewesen?«

»Ja. Ich wollte mit der Frau, die sich seine Tante nennt, zu einer Verständigung kommen. Sie konnte es gar nicht fassen, daß es unter den Vornehmen solche Käuze gäbe, wie der, der Gastfreundschaft bei ihnen suchte. Als sie sah, daß ich wirklich die Absicht hatte, zu bleiben, fing sie an, sich etwas zu schämen. »Mütterchen,« sagte ich, »Sie werden mich nicht los, selbst wenn Sie mich schlecht behandeln! Und solange ich bleibe, bleibt Pantschu auch. Denn, nicht wahr, Sie müssen doch einsehen, daß ich es nicht ruhig mit ansehen kann, wenn seine mutterlosen Kleinen auf die Straße gesetzt werden?«

Sie hörte mir ein paar Tage lang zu, wenn ich so redete, ohne ja oder nein zu sagen. Heute morgen sah ich, daß sie dabei war, ihr Bündel zu schnüren. »Wir wollen zurück nach Brindaban«, sagte sie. »Geben Sie uns das Geld für die Reise!« Ich weiß, daß sie nicht nach Brindaban reisen wird und daß ihre Reisekosten eine hübsche Summe ausmachen werden. Deshalb komme ich zu dir.«

»Die Summe, die sie fordert, soll ihr bezahlt werden«, sagte ich.

»Die alte Frau ist gar nicht so übel«, sagte mein Lehrer nachdenklich. »Pantschu war unsicher wegen ihrer Kaste und wollte nicht dulden, daß sie die Wasserkrüge oder überhaupt etwas von seinen Sachen anrührte. So zankten sie sich beständig. Als sie sah, daß ich nichts gegen ihre Berührung hatte, sorgte sie mit großer Hingebung für mich. Sie ist eine ausgezeichnete Köchin!

»Aber der ganze Rest von Pantschus Achtung für mich schwand. Bis zuletzt hatte er noch geglaubt, daß ich wenigstens ein harmloser und einfältiger Mensch sei. Aber hier mußte er nun sehen, wie ich ganz unbedenklich meine Kaste aufs Spiel setzte, um die alte Frau für meinen Zweck zu gewinnen. Hätte ich versucht, ihr den Rang abzulaufen, indem ich irgend jemandem eine Zeugenaussage eingedrillt hätte, das wäre etwas anderes gewesen. Kriegslist muß man mit Kriegslist begegnen. Aber daß man sie auf Kosten der Strenggläubigkeit übt, ist mehr, als er ertragen kann!

»Jedenfalls muß ich auch nach der Abreise der Frau noch ein paar Tage bei Pantschu bleiben, denn Harisch Kundu heckt vielleicht eine neue Teufelei aus. Er hat zu seinen Trabanten gesagt, daß er sich begnügt hätte, Pantschu mit einer Tante zu versehen, aber ich wäre sogar soweit gegangen, ihm einen Vater zu verschaffen. Nun wollte er sehen, wie viele Väter dazu gehörten, um ihn zu retten!«

»Ob es uns gelingt, ihn zu retten, oder nicht,« sagte ich, »wenn wir zugrunde gehen bei dem Versuch, unser Vaterland aus den tausend Schlingen zu retten, die diese Leute ihm aus Religion, Sitte und Selbstsucht drehen, so wird unser Ende glücklich sein.«

 

Bimalas Erzählung

 

XIV

Wer hätte gedacht, daß sich soviel in diesem einen Leben ereignen könnte? Es ist mir, als hätte ich eine ganze Reihe von Existenzen durchlebt; die Zeit ist so schnell verflogen, ohne daß ich es merkte, bis ich neulich plötzlich wie aus einem Traum erwachte.

Ich wußte, es würde eine Auseinandersetzung zwischen uns geben, als ich mich entschloß, meinen Gatten zu bitten, die ausländischen Waren von unserm Markt zu verbannen. Aber ich glaubte fest, ich würde es nicht nötig haben, ihn mit Gründen zu überzeugen, der Zauber, der von mir ausströmte, würde schon seine Wirkung tun. War nicht ein so gewaltiger Mann wie Sandip mir hilflos zu Füßen gesunken, wie die mächtige Meereswoge, die sich am Ufer bricht? Hatte ich ihn gerufen? Nein, meine Zauberkraft hatte ihn angezogen. Und Amulja, der arme liebe Junge, als er mich zuerst sah, wie war da der Strom seines Lebens in roter Glut aufgeflammt, wie der Fluß beim Sonnenaufgang! Wahrlich, ich habe empfunden, wie einer Göttin zumute sein muß, wenn sie auf das strahlende Antlitz ihres Priesters herabschaut.

In der stolzen Zuversicht, den diese Beweise meiner Macht mir gegeben, schickte ich mich an, meinem Gatten entgegenzutreten wie eine gewitterschwangere Wolke. Aber was geschah? Nie in all diesen neun Jahren sah ich einen so kühlen, fremden Blick in seinen Augen, – wie der Wüstenhimmel, der trocken und teilnahmlos auf alles niederblickt. Es wäre mir eine solche Erleichterung gewesen, wenn er in Zorn aufgeflammt wäre! Aber ich sah keine Möglichkeit, ihm nahezukommen. Ich fühlte mich wie in einem Traume, in einem Traume, auf den nur das Dunkel der Nacht folgen würde.

Früher beneidete ich meine Schwägerin immer wegen ihrer Schönheit. Damals hatte ich das Gefühl, daß die Vorsehung mir keine eigene Macht gegeben hätte, daß meine ganze Stärke in der Liebe läge, mit der mein Gatte mich beschenkte. Jetzt, da ich den Becher der Macht zur Neige geleert hatte und ihren Rausch nicht mehr entbehren kennte, fand ich ihn plötzlich in Stücke zerbrochen zu meinen Füßen, und nichts schien mir mehr des Lebens wert.

Wie fieberhaft hatte ich mich an jenem Tage mit meinem Haar gemüht! O Schmach und Schande über mich! Meine Schwägerin hatte, als sie vorbeikam, ausgerufen: »Ei, Tschota Rani, dein Haar scheint ja in die Luft fliegen zu wollen. Paß nur auf, daß es nicht den Kopf mit wegnimmt!«

Und dann neulich im Garten, wie leicht wurde es meinem Gatten, mir zu sagen, daß er mich freigäbe! Aber läßt Freiheit – leere Freiheit – sich so leicht geben und nehmen? Es ist, als ob man einen Fisch in der Luft in Freiheit setzte, – denn wie kann ich außerhalb der Atmosphäre liebender Sorge, die mich immer umgab, leben und atmen?

Als ich heute in mein Zimmer trat, sah ich nur Möbel – nur die Bettstelle, nur den Spiegel, nur den Kleiderriegel –, nicht die Seele, die das Ganze sonst durchdrang und beherrschte. Statt dessen war da Freiheit, nur Freiheit, bloße Leere. Ein trockenes Flußbett, in dem alle Felsen und Kiesel bloß lagen. Kein Gefühl, nur Möbel!

Als ich in einen Zustand äußerster Verstörtheit geraten war und mich fragte, ob mir überhaupt noch irgend etwas Wahres in meinem Leben geblieben sei und wo es sein könne, begegnete ich zufällig wieder Sandip. Da stieß Leben auf Leben, und die Funken sprühten, wie sie es sonst getan. Hier war Wahrheit – ungestüme Wahrheit, die schäumend in das leere Flußbett stürzte und alle Grenzen überflutete, – Wahrheit, die tausendmal wahrer war als die Bara Rani mit ihrem Mädchen Thako und ihren törichten Liedern und als alle die andern, die schwatzend und lachend umherliefen–...

»Fünfzigtausend!« hatte Sandip gefordert.

»Was sind fünfzigtausend?« rief mein Herz berauscht. »Sie sollen sie haben.«

Wie und wo ich sie bekommen sollte, das waren untergeordnete Fragen, die zunächst nicht in Betracht kamen. Wie war es denn mit mir gewesen? War ich nicht in einem Augenblick aus meinem Nichts emporgehoben worden zu einer Höhe, die alles überragte? So wird auch alles auf meinen Wink und Ruf kommen. Ich werde sie mir verschaffen, auf jeden Fall verschaffen, – daran kann kein Zweifel sein.

In dieser Stimmung hatte ich Sandip neulich verlassen. Aber als ich dann um mich blickte, wo war er da, der Baum des Überflusses? Ach, warum verspottet und verhöhnt die Welt draußen unser Herz so?

Doch verschaffen muß ich es mir; wie, das gilt mir gleich, denn Sünde gibt es hier nicht. Sünde befleckt nur die Schwachen; ich mit meiner Schakti-Kraft stehe über ihr. Nur ein Gemeiner kann Diebstahl begehen, der König erobert und nimmt sich die Beute, die ihm zukommt–... Ich muß herausfinden, wo das Schatzamt ist, wer das Geld dorthin bringt und wer es bewacht.

Ich brachte die halbe Nacht auf der Außenveranda zu und spähte nach der Reihe der Geschäftsgebäude hinüber. Aber wie sollte ich die 50 000 Rupien aus den Klauen jener Eisenriegel herausbekommen? Wenn ich durch irgendeinen Zauberspruch alle jene Wachen hätte tot zu Boden fallen lassen können, ich hätte nicht gezögert, – so erbarmungslos war mir zu Sinn!

Aber während eine ganze Räuberbande im wirbelnden Hirn seiner Rani einen Kriegstanz aufführte, lag das große Haus des Radscha in tiefstem Frieden da. Die Glocke des Wächters kündete eine Stunde nach der andern, und der Himmel sah still und gelassen auf mich herab.

Schließlich ließ ich Amulja rufen.

»Wir brauchen Geld für die nationale Sache«, sagte ich zu ihm. »Kannst du es nicht aus dem Schatzamt schaffen?«

»Warum nicht?« sagte er, sich in die Brust werfend.

Ach, hatte ich nicht auch gerade so »Warum nicht?« geantwortet, als Sandip mich fragte? Die Zuversicht des armen Burschen konnte mir nur wenig Hoffnung geben.

»Wie willst du es anfangen?« fragte ich.

Die abenteuerlichen Pläne, die er darauf zu entfalten begann, lassen sich nur in einem Schauerroman wiederholen.

»Nein, Amulja,« sagte ich strenge, »du darfst nicht kindisch sein.«

»Nun,« sagte er, »so will ich die Wächter bestechen.«

»Woher willst du das Geld dazu nehmen?«

»Ich kann den Bazar plündern,« antwortete er unverblüfft.

»Solche Dinge laß bleiben! Ich habe ja meine Schmucksachen, die ich dazu brauchen kann.«

»Aber,« sagte Amulja, »mir fällt ein, daß sich der Schatzmeister nicht bestechen läßt. Doch das macht nichts; es gibt ein anderes und einfacheres Mittel.«

»Welches?«

»Warum brauchen Sie es zu wissen? Es ist ganz einfach.«

»Aber ich möchte es doch wissen.«

Amulja kramte in seiner Jackentasche und zog erst eine kleine Ausgabe der Gita heraus, die er auf den Tisch legte, – und dann eine kleine Pistole, die er mir zeigte, ohne weiter etwas zu sagen.

Entsetzlich! Er besann sich keinen Augenblick, unsern guten alten Schatzmeister Der Schatzmeister ist der Beamte, der am meisten mit der weiblichen Gutsherrschaft in Berührung kommt, da er ihre Aufträge für den Haushalt entgegennimmt und ihre Einkäufe besorgt, und so gehört er mehr zur Familie als die andern. zu töten! Wenn man sein freimütiges, offenes Gesicht sah, hätte man gedacht, daß er keiner Fliege wehtun könnte, aber was waren das für Worte, die aus seinem Munde kamen! Es war klar, der Schatzmeister war für ihn nichts Wirkliches und Lebendiges, das zu seinem Gefühl sprach, sondern nur eine Leere, die ausgefüllt war mit immer bereiten Sprüchen aus der Gita wie: »Wer den Leib tötet, tötet nichts!«

»Aber Amulja, was denkst du dir nur?« rief ich endlich aus. »Weißt du denn nicht, daß der gute alte Mann Frau und Kinder hat und daß er–...«

»Wo sollen wir Männer finden, die keine Frauen und Kinder haben?« unterbrach er mich. »Sehen Sie, Maharani, was wir Mitleid nennen, ist im Grunde nur Mitleid mit uns selbst. Wir scheuen uns, unsre eigenen weicheren Regungen und Gefühle zu verletzen, und daher schlagen wir nicht zu! Das ist der Gipfel der Feigheit!«

Es machte mich betroffen, als ich Sandips Phrasen aus dem Munde dieses Knaben hörte. Er war noch so rührend jung und unreif, – in dem Alter, wo man noch an das Gute als solches glauben kann, in dem Alter, wo man wahrhaft lebt und wächst. Die Mutter in mir erwachte.

Für mich selbst gab es nicht Gut noch Böse mehr, – gab es nur den Tod, den schönen lockenden Tod. Aber als ich diesen Knaben so ruhig von der Ermordung eines harmlosen alten Mannes reden hörte wie von einer ganz gerechten Sache, überlief mich ein Schauder. Je deutlicher ich sah, daß in seinem Herzen keine Sünde war, desto furchtbarer erschien mir die Sünde in seinen Worten. Es war mir, als ob die Sünde der Väter an dem unschuldigen Kinde heimgesucht würde.

Der Anblick seiner großen, von Glauben und Begeisterung leuchtenden Augen schnitt mir durch die Seele. Er stürzte sich in seiner Verblendung geradeswegs in den Schlund des Drachen, aus dem es keine Rückkehr gab. Wie konnte ich ihn retten? Warum erweist sich mein Land nicht einmal als wirkliche Mutter, die ihren Sohn ans Herz drückt und ausruft: »O, mein Kind, mein Kind, was nützt es, daß du mich rettest, wenn ich dich nicht retten kann?«

Ich weiß wohl, daß alle Macht auf Erden groß wird, wenn sie sich mit dem Satan verbündet. Aber die Mutter ist da, daß sie, und wenn sie auch ganz allein steht, dem Teufel trotze und sein Werk zu hindern suche. Die Mutter macht sich nichts aus bloßem Erfolg, wie groß er auch sei, – sie will Leben geben und Leben erhalten. Und meine Seele streckt in inbrünstigem Verlangen heute die Hände aus, dies Kind zu retten.

Eben noch habe ich ihn zum Raub aufgestachelt. Was ich nun auch dagegen sagen mag, nimmt er als weibliche Schwäche. Sie lieben unsre Schwäche nur, wenn sie die Welt in ihre Netze lockt!

»Du brauchst gar nichts zu tun, Amulja, ich werde das Geld schon schaffen«, sagte ich endlich zu ihm.

Als er im Begriff war, aus der Tür zu gehen, rief ich ihn zurück. »Amulja,« sagte ich, »ich bin deine ältere Schwester. Nach dem Kalender ist heute nicht der Brudertag In bengalischen Häusern (vielleicht in Hinduhäusern überall in Indien) wird die Tochter des Hauses mit besonderer Liebe gehegt, weil sie nach dem Gebot der Sitte so früh verheiratet wird. So nimmt sie liebe Erinnerungen mit in das Heim ihres Gatten, wo sie als Fremde erst Wurzel fassen muß, bevor ihr die ihr gebührende Stellung zuteil wird. Das Gefühl, das somit die junge Frau ihrem alten Heim gegenüber bewahrt, kommt zum feierlichen Ausdruck an dem Brudertag, an dem die Brüder ins Haus ihrer verheirateten Schwester geladen werden. Ist die Schwester die ältere, so nimmt sie die Ehrfurchtsbezeugung ihrer Brüder entgegen und gibt ihnen ihren Segen, und umgekehrt. Bei der Gelegenheit werden Geschenke getauscht, die man als Gaben der Ehrfurcht oder des Segens bezeichnet. (Anm. d. engl. Übers.), aber in Wahrheit sind alle Tage im Jahr Brudertage. Mein Segen sei mit dir! Möge Gott dich immer behüten!«

Diese unerwarteten Worte von meinen Lippen machten Amulja starr vor Überraschung. Er stand eine Weile regungslos da. Dann kam er zu sich. Und nun warf er sich vor mir nieder, als ein Zeichen, daß er meine Schwesterschaft annahm und mir als Bruder seine Ehrfurcht bezeugte. Als er sich erhob, waren seine Augen voll Tränen–... Ach, mein kleiner Bruder! Ich eile mit schnellen Schritten dem Tode zu, laß mich all deine Sünde mit mir nehmen! Möge deine Unschuld nie durch mich befleckt werden!

Ich sagte zu ihm: »Gib mir diese Pistole als Brudergeschenk!«

»Was wollen Sie damit, Schwester?«

»Ich will mich mit dem Tod vertraut machen.«

»Das ist recht, Schwester. Auch unsre Frauen müssen lernen, wie man stirbt und wie man tötet.« Und damit gab Amulja mir die Pistole.

Es war mir, als ob der Glanz seines jugendlichen Antlitzes mein Leben mit der Ahnung eines neuen Morgenlichtes überstrahlte. Ich steckte die Pistole zu mir. Möge dies Brudergeschenk die letzte Zuflucht in meiner Not sein–...

Nun, da die Tür zu der Kammer der Mutter in meinem Frauenherzen einmal geöffnet war, glaubte ich, sie würde immer offenbleiben. Aber dieser Pfad zum Heil wurde versperrt, als die Herrin den Platz der Mutter einnahm und sie wieder schloß. Gleich am Tage darauf sah ich Sandip, und sofort tanzte der Wahnsinn unverhüllt und zügellos in meinem Herzen.

Was war dies? War dies nun mein wahreres Ich? Nein, niemals! Nie vorher hatte ich dieses schamlose, grausame Weib in mir gekannt. Der Schlangenbeschwörer war gekommen und hatte getan, als ob er diese Schlange aus den Falten meines Gewandes hervorzauberte, – aber sie war nie da, sie war die ganze Zeit bei ihm verborgen. Irgendein Dämon hat Besitz von mir ergriffen, und was ich heute tue, ist sein Spiel und Treiben – es hat nichts mit mir zu tun.

Dieser Dämon war an jenem Tage unter der Maske eines Gottes mit seiner roten Fackel zu mir gekommen und hatte gesagt: »Ich bin dein Land. Ich bin deine Leuchte Im Englischen: I am your Sandip. Das indische Wort sandipu bedeutet »flammend, leuchtend«. (Übers.). Ich bin dir mehr als irgendeiner von den Deinen. Bande Mataram!« Und mit gefalteten Händen hatte ich geantwortet: »Du bist meine Religion. Du bist mein Himmel. Alles andere, was mein ist, soll von der Flut meiner Liebe zu dir hinweggefegt werden. Bande Mataram!«

Fünftausend sind es? Fünftausend sollen es sein! Morgen brauchst du sie? Morgen sollst du sie haben! In dieser rasenden Orgie soll dies Opfer von 5000 sein wie der Schaum auf dem Becher, und dann auf zum wilden Gelage! Die unbewegliche Welt soll unter unsern Füßen schwanken, Feuer soll aus unsern Augen sprühen, ein Sturm soll uns im Ohr heulen, und die Gestalten der Wirklichkeit und der Phantasie sollen durcheinander im Nebel vor unsern Blicken tanzen. Und dann wollen wir taumelnd in den Abgrund des Todes stürzen, – und in einem Augenblick wird alles Feuer erloschen, die Asche zerstreut sein, und nichts wird übrigbleiben.


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