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Viertes Kapitel.
Nikhils Erzählung

III

Ich habe mich nie viel mit mir selbst beschäftigt. Jetzt aber versuche ich oft, Abstand von mir zu nehmen, um mich zu sehen, wie Bima mich sieht. Was für ein Bild trübseliger Feierlichkeit bietet doch ein Mensch wie ich, der die Dinge immer zu ernst nimmt.

Es ist ganz gewiß besser, die Sorgen wegzulachen, als die Welt mit Tränen zu überschwemmen. Nur so kann die Welt wirklich weitergehen. Wir genießen unsere Speise und unsern Schlaf nur, weil wir die Sorgen, die überall, zu Hause und draußen, auf uns warten, wie leere Schatten verscheuchen können. Wenn wir sie nur einen Augenblick ernst nehmen, wo würde da unser Appetit und unser Schlaf bleiben?

Aber ich selbst kann mich nicht als einen dieser Schatten verscheuchen, und daher liegt die Last meiner Sorge beständig schwer auf dem Herzen meiner Welt.

Warum stellst du dich nicht hoch oben auf die große Heerstraße des Weltalls und fühlst dich als einen Teil des Alls? Was ist dir Bima in diesem ungeheuren, jahrtausendelangen Strom der Menschheit? Dein Weib? Was ist ein Weib? Ein leerer Name, den du wie eine Seifenblase mit deinem eigenen Atem groß gemacht und Tag und Nacht sorglich gehütet hast, und der doch beim ersten Nadelstich von draußen zerplatzt.

Mein Weib, – und also in Wahrheit ganz mein eigen! Wenn sie nun aber sagt: »Nein, ich gehöre mir selber«, – soll ich da antworten: »Wie kann das sein? Gehörst du nicht mir?«

»Mein Weib«, – genügt dieser Name als Beweis, daß sie mir gehört, oder wird sie etwa sogar durch ihn mein Eigentum? Läßt sich eine ganze Persönlichkeit in diesen Namen einfangen?

Mein Weib! – Habe ich nicht in dieser kleinen Welt alles gehegt und geliebt, was es Reines und Holdes in meinem Leben gab? Ich ließ es keinen Augenblick von meinem Herzen, daß es mir nicht in den Staub fallen sollte. Was habe ich nicht alles auf ihrem Altar geopfert an Weihrauch der Verehrung und Musik der Leidenschaft, an Blumen, die der Frühling und der Herbst mir brachten! Wenn sie sich nun wie ein Papierboot in das schmutzige Wasser der Gosse hineintreiben läßt, – sollte ich da nicht auch–...?

Da falle ich wieder in mein altes Pathos! Warum »schmutzig«? Und warum »Gosse«? Schmähworte, die man in einem Anfall von Eifersucht braucht, ändern die Tatsachen nicht. Wenn Bima nun einmal nicht mein ist, so ist sie es nicht, und kein Zürnen und Wüten und Streiten kann etwas daran ändern. Wenn mein Herz bricht – mag es brechen! Das wird die Welt nicht zugrunde richten – und mich auch nicht; denn der Mensch ist soviel größer als die Dinge, die er in diesem Leben verliert.

Aber das ist die Rücksicht auf die Gesellschaft–... Die überlaß ich der Gesellschaft selbst! Wenn ich weine, so weine ich für mich, nicht für die Gesellschaft. Wenn Bima sagt, daß sie mir nicht gehört, was frage ich dann danach, wo die ist, die die Gesellschaft als mein Weib ansieht!

Leid muß es geben; aber ich muß mich mit allen Mitteln, die in meiner Macht sind, gegen eine Form der Selbstquälerei schützen: ich darf nicht denken, daß das Leben seinen Wert verliert, wenn das Schicksal mich einmal zurücksetzt. Der volle Wert des Lebens darf nicht für die enge häusliche Welt eingesetzt werden; Erfolg oder Mißerfolg auf dem Gebiet meiner persönlichen Leiden und Freuden sind zu belanglos, als daß sie das ganze große Unternehmen des Lebens bankrott machen könnten.

Die Zeit ist gekommen, wo ich Bimala des ganzen ideellen Schmuckes entkleiden muß, mit dem ich sie behangen habe. Ich gab meiner eigenen Schwäche nach, als ich solchen Götzendienst mit ihr trieb. Ich war zu maßlos in meinem Begehren. Ich machte einen Engel aus Bimala, um meinen eigenen Genuß zu erhöhen. Aber Bimala ist, was sie ist. Es ist widersinnig, zu erwarten, daß sie mir zu Gefallen die Rolle eines Engels spielen sollte. Der Schöpfer ist nicht verpflichtet, mir Engel zu schicken, nur weil ich Verlangen nach einem Idealbild von Vollkommenheit habe, das nur in meiner Einbildung besteht.

Ich muß mir eingestehen, daß ich in Bimalas Leben nur ein Zufall gewesen bin. Ihrer Natur nach ist für sie vielleicht nur mit einem Menschen wie Sandip eine wahre Ehe möglich. Doch ich darf mir nun auch nicht in falscher Bescheidenheit sagen, daß ich es verdiene, hinter ihm zurückzustehen. Sandip hat gewiß manches sehr Anziehende, das auch auf mich sehr stark wirkte, aber ich bin doch sicher, daß er nicht größer ist als ich.

Wenn er heute den Siegeskranz davonträgt und ich übersehen werde, so wird der, der ihm den Preis zuerkennt, einmal dafür Rechenschaft ablegen müssen.

Ich sage dies nicht im Gefühl stolzer Überhebung. Die einfache Notwendigkeit zwingt mich, mir allen Wert, den ich wirklich habe, zu vergegenwärtigen, damit ich nicht ganz an mir selbst verzweifle. Möge daher doch durch die schreckliche Erfahrung des Leides mir wenigstens eine Befreiung zuteil werden – die Befreiung von dem Mangel an Selbstvertrauen!

Ich habe unterscheiden gelernt, was ich wirklich in mir habe und was ich törichterweise zu haben glaubte. Die Abrechnung ist gemacht, und das, was übrig ist, bin ich selbst, – nicht ein verkrüppeltes Selbst in Fetzen und Lumpen, nicht ein krankes Selbst, das auf Krankenkost gesetzt werden muß, sondern eine Seele, die das Schlimmste erduldet und es überstanden hat.

Mein Lehrer ging eben durch das Zimmer und sagte, indem er mir die Hand auf die Schulter legte: »Mach, daß du zu Bett kommst, Nikhil, es ist spät in der Nacht.«

Ja, es ist so schwer für mich geworden, zu Bett zu gehen, bevor es spät ist und Bima fest schläft. Am Tage sehen wir uns und sprechen sogar miteinander; aber was soll ich sagen, wenn wir allein zusammen sind, in der Stille der Nacht? – Da schäme ich mich, körperlich und seelisch.

»Wie kommt es, mein Meister, daß Sie noch nicht schlafen?« fragte ich zurück. Mein Lehrer lächelte ein wenig, als er hinausging, und sagte: »Die Zeit des Schlafens ist für mich vorüber. Jetzt bin ich im Alter, wo man wacht.«

Bis hier hatte ich geschrieben und wollte gerade aufstehen und zu Bett gehen, da sah ich durch das Fenster vor mir, wie der schwere Mantel der Juliwolke sich plötzlich etwas öffnete und ein großer Stern hindurchschien. Er schien zu mir zu sagen: »Im Traumland knüpft man Bande, und sie zerreißen wieder, aber ich bin immer hier – die ewige Lampe der Hochzeitsnacht.«

Und plötzlich wurde mein Herz von der Gewißheit erfüllt, daß hinter dem Vorhang der körperlichen Dinge durch die Jahrtausende hindurch treu die ewige Liebe wacht und auf mich wartet. Manches Leben hindurch habe ich in manchem Spiegel ihr Bild gesehen, – in zerbrochenen Spiegeln, in gekrümmten Spiegeln, in staubigen Spiegeln. Und immer, wenn ich versuchte, mir den Spiegel ganz zu eigen zu machen, und ihn sorgfältig verschloß, dann sah ich das Bild nicht mehr. Aber wozu das alles? Was habe ich mit dem Spiegel, oder überhaupt auch mit dem Bild zu tun?

Meine Geliebte, dein Lächeln wird nie ersterben, und an jedem Morgen wird dein rotes Stirnzeichen mir neu leuchten.

»Welch kindischer Selbstbetrug!« spottet irgendein Teufel von seiner dunklen Ecke aus, – »mit solchem törichten Geschwätz bringt man Kinder zur Ruhe!«

Das mag sein. Aber Millionen und Abermillionen von Kindern schreien und müssen zur Ruhe gebracht werden. Kann es sein, daß all diese Scharen mit einer Lüge gestillt werden? Nein, die ewige Liebe kann mich nicht täuschen, denn sie ist wahr!

Sie ist wahr, darum habe ich sie so oft gesehen und werde sie immer wieder sehen, selbst wo ich irre gehe, und selbst durch den dichtesten Tränenschleier. Ich habe sie auf dem Marktplatz des Lebens gesehen und im Gedränge verloren und wiedergefunden; und ich werde sie wiederfinden, wenn ich durch die Spalte des Todes diesem Leben entronnen bin.

Ach, Grausame, spiele nicht länger mit mir! Wenn es mir nicht gelungen ist, dich zu finden, indem ich den Spuren deiner Füße auf dem Wege, dem Duft deines Haares in der Luft folgte, laß mich nicht ewig darum trauern und weinen! Der Stern, der durch den Wolkenmantel glänzt, sagt mir, daß ich nicht verzagen soll. Was ewig ist, muß unvergänglich sein.

Jetzt will ich zu meiner Bimala gehen. Sie wird ihre müden Glieder ausgestreckt haben und eingeschlafen sein, erschlafft von all den innern Kämpfen. Ich will einen Kuß auf ihre Stirn drücken, ohne sie aufzuwecken, – das soll mein Blumenopfer auf ihrem Altar sein. Ich glaube, wenn ich auch alles vergäße nach dem Tode, – all mein Irren und all mein Leiden, – die Erinnerung an diesen Kuß würde in mir nachzittern, denn der Kranz, der aus den Küssen der Liebe gewoben ist, wird einmal, nach vielen Existenzen, die ewige Liebe krönen.

Als der letzte Schlag verklungen war, der die zweite Stunde kündete, kam meine Schwägerin ins Zimmer. »Aber was machst du denn, lieber Bruder?« rief sie. »Geh doch um Gottes willen zu Bett und hör auf, dich so zu quälen! Ich kann es nicht ertragen, zu sehen, wie du leidest.« Die Tränen traten ihr in die Augen, als sie mich so bat.

Ich konnte kein Wort hervorbringen, sondern berührte nur in stummer Ehrfurcht ihre Füße und ging zu Bett.

 

Bimalas Erzählung

 

VII

Zuerst argwöhnte ich nichts, fürchtete nichts; ich fühlte nur, daß ich ganz meinem Vaterlande gehörte. Wie beglückend war diese rückhaltlose Hingabe! Nun wurde es mir offenbar wie der Mensch in völliger Selbstaufopferung seine höchste Seligkeit finden kann.

Ich glaube, daß dieser Rausch wohl allmählich ganz von selbst vorübergegangen wäre. Aber das wollte Sandip Babu nicht; ich sollte ihn erst ganz kennenlernen. Der Ton seiner Stimme war wie eine körperliche Berührung, jeder seiner Blicke warf sich bettelnd mir zu Füßen. Und hinter dem allen brannte eine Leidenschaft, so ungestüm, daß sie mich hätte mit den Wurzeln ausreißen und an den Haaren mit sich schleifen mögen.

Ich will der Wahrheit nicht ausweichen. Ich fühlte Tag und Nacht sein zehrendes Verlangen. Es hatte etwas so wahnsinnig Verlockendes, mich in den Abgrund solcher Leidenschaft zu stürzen. Wie furchtbar schien es, wie schmachvoll, und doch wie süß! Dazu kam meine unbezähmbare Neugier, die mich immer weitertrieb. Ich wußte so wenig von ihm, er konnte nie und auf keine Weise mein werden, und seine Jugend loderte in tausend Flammen auf – ach, wie voller Geheimnis war diese ungeheure, heiße Leidenschaft!

Im Anfang hatte ich ein Gefühl der Verehrung für Sandip, doch das schwand bald. Ich hörte sogar auf, ihn zu achten; ja, ich begann, auf ihn herabzusehen. Dennoch war mein Herz ein Instrument, das er meisterhaft zu spielen wußte. Was nützte es, wenn ich vor seiner Berührung zurückwich und sogar das Instrument selbst in mir haßte; es mußte doch seinem Zauber gehorchen.

Ich muß gestehen, es war etwas in mir, was–... wie soll ich sagen?–... etwas, was mich wünschen läßt, daß ich damals gestorben wäre.

Tschandranath Babu kommt immer, wenn er Zeit findet, zu mir. Er hat die Kraft, meinen Geist zu einer Höhe zu erheben, von der ich in einem Augenblick das Gebiet meines Lebens nach allen Seiten vor mir ausgebreitet sehe und erkenne, wo seine wirklichen Grenzen sind und daß ich töricht darüber hinausgehen wollte.

Aber was nützt das alles? Will ich denn wirklich Befreiung? Es ist, als ob ich nur ein Gebet habe: mag Leid über unser Haus kommen, mag das Beste in mir verkümmern und verdorren; wenn nur dieser süße Wahn mir bleibt!

Wenn ich vor meiner Heirat meinen verstorbenen Schwager sah, wie er wahnsinnig vor Trunkenheit seine Frau schlug und dann in rührseliger Reue schluchzend und heulend gelobte, keinen Branntwein wieder anzurühren, und wie er dann doch am selben Abend sich hinsetzte und ein Glas nach dem andern trank, dann war ich von Ekel gegen ihn erfüllt. Aber mein Rausch heute ist noch furchtbarer. Ich brauche mir das Gift nicht erst zu verschaffen und einzuschenken: es quillt in meinen Adern, und ich weiß nicht, wie ich ihm widerstehen soll.

Muß dies bis zum Ende meines Lebens so fortgehen? Bisweilen sehe ich mich selbst erschrocken an und denke, mein Leben ist ein Nachtmar, der plötzlich mit seiner ganzen Lüge verschwinden wird. Es ist so ganz losgelöst von allem, was war, und hat keine Beziehung mehr zu seiner Vergangenheit. Was es jetzt ist und wie es so werden konnte, kann ich nicht verstehen.

Eines Tages sagte meine Schwägerin mit höhnischem Lachen: »Was für eine rührend gastfreundliche Hausfrau wir doch haben! Ihr Gast will durchaus nicht weichen. Zu unsrer Zeit hatten wir auch Gäste; aber wir kümmerten uns nicht so ausgiebig um sie – wir waren törichterweise zu sehr in Anspruch genommen durch die Sorge für unsern Gatten. Der arme Nikhil muß es büßen, daß er zu modern ist. Er hätte als Gast kommen sollen, wenn er bleiben wollte. Jetzt sieht es so aus, als ob es für ihn Zeit wäre, zu gehen.«

Dieser Sarkasmus traf mich nicht; denn ich wußte, daß es diesen Frauen nicht gegeben ist, Art und Ursache meiner Hingebung zu verstehen. Das begeisternde Gefühl, meinem Vaterlande Opfer zu bringen, stählte mich damals, daß solche Pfeile mich nicht erreichen und verletzen konnten.

 

VIII

Seit einiger Zeit ist von der Sache des Vaterlandes gar nicht mehr die Rede. Den Gegenstand unsrer Unterhaltung bilden jetzt die sexuellen Probleme der Gegenwart und ähnliche Fragen, dazwischen etwas Poesie, sowohl altindische wie moderne englische, und das Ganze ist immer begleitet von einer tiefen Grundmelodie, wie ich sie nie vorher gehört habe, voll Männlichkeit und zwingender Gewalt.

Es war so weit gekommen, daß wir jeden Vorwand verschmähten. Wir hatten auch nicht den geringsten Scheingrund dafür, daß Sandip Babu noch immer da blieb und daß ich von Zeit zu Zeit vertrauliche Gespräche mit ihm hatte. Ich war in einem beständigen innern Kampf. Ich war zornig auf mich selbst, auf meine Schwägerin, auf die Einrichtung der Welt, und ich gelobte mir, nie wieder die Frauengemächer zu verlassen, und wenn ich daran sterben sollte.

Zwei Tage lang tat ich keinen Schritt hinaus. Da wurde es mir zum ersten Mal klar, wie weit es mit mir gekommen. Ich fand gar keinen Geschmack mehr am Leben. Was ich auch anrührte, hätte ich am liebsten gleich wieder hingeworfen. Ich fühlte, daß ich wartete, daß alle meine Nerven vom Kopf bis zu den Zehen gespannt waren auf etwas, – auf jemand; mein Blut fieberte vor Erwartung.

Ich versuchte, mich durch Arbeit abzulenken. Der Fußboden des Schlafzimmers war sauber genug, aber ich bestand darauf, daß er unter meiner Aufsicht noch einmal gescheuert wurde. Die Sachen lagen ganz ordentlich in den Schränken; ich zog sie alle heraus und ordnete sie anders. Ich fand am Nachmittag nicht einmal Zeit, mein Haar hochzustecken, ich band es nur lose zusammen und wirtschaftete umher und plagte jeden. Dann fing ich an, in der Vorratskammer zu kramen. Die Vorräte schienen mir sehr zusammengeschrumpft, und das konnte nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, aber ich fand nicht den Mut, irgend jemand dafür zur Verantwortung zu ziehen, denn hätte der sich nicht fragen müssen: »Wo hatte sie denn die ganze Zeit ihre Augen?«

Kurz, ich benahm mich an jenem Tage wie eine Besessene. Am nächsten Tag versuchte ich, etwas zu lesen. Ich habe keine Ahnung, was ich las, aber plötzlich merkte ich, daß ich ganz unbewußt, mit dem Buch in der Hand, den Korridor entlang gegangen war, der zu den Außengemächern führte. Nun stand ich an einem Fenster, der Veranda gegenüber, die sich vor der Zimmerreihe auf der andern Seite des Hofes hinzieht. Es war mir, als ob das eine dieser Zimmer zu einem andern Ufer entwichen wäre und die Fähre aufgehört hätte zu fahren. Es war mir, als sei ich nur noch der Geist von der, die ich vor zwei Tagen gewesen, verurteilt, dazubleiben, wo ich war, ohne doch wirklich da zu sein, und immer sehnsüchtig hinüberstarrend.

Als ich da stand, sah ich Sandip aus seinem Zimmer auf die Veranda treten, eine Zeitung in der Hand. Ich konnte sehen, daß er furchtbar aufgeregt war. Der Hof, das Geländer vor ihm, alles schien seine Wut zu erregen. Er warf die Zeitung hin mit einer Gebärde, als hätte er die ganze Welt zerreißen mögen.

Ich fühlte, daß ich mein Gelübde nicht länger halten konnte. Ich war im Begriff, weiterzugehen, nach dem Wohnzimmer, als meine Schwägerin plötzlich hinter mir stand. »O Himmel, dies setzt allem die Krone auf!« rief sie aus, als sie wieder forthuschte. Danach hatte ich nicht mehr den Mut, weiterzugehen.

Als am nächsten Morgen mein Mädchen kam und rief: »Herrin, es ist hohe Zeit, die Vorräte herauszugeben«, warf ich ihr die Schlüssel hin mit den Worten: »Sag Harimati, daß sie es besorgt«, und setzte mich mit einer englischen Stickerei, die ich angefangen hatte, ans Fenster.

Da kam ein Diener mit einem Brief. »Von Sandip Babu«, sagte er. Welche unerhörte Dreistigkeit! Was sollte der Bote davon denken? Mein Herz zitterte, als ich den Brief erbrach. Er enthielt keine Anrede, sondern nur die Worte: »Eine dringende Angelegenheit – das Vaterland betreffend. Sandip.«

Im selben Augenblick hatte ich die Stickerei beiseite geworfen und war aufgesprungen. Ich ordnete mit ein paar Griffen mein Haar vor dem Spiegel, den Sari wechselte ich nicht erst, sondern zog nur schnell eine dazu passende Jacke an.

Ich mußte durch eine der Veranden, wo meine Schwägerin des Morgens zu sitzen und Betel zu schneiden pflegt. Ich bekämpfte meine Verlegenheit. »Wohin, Tschota Rani?« rief sie.

»Ins Wohnzimmer draußen.«

»So früh! Zu einer Matinee, wie?«

Und als ich ohne zu antworten weiterging, summte sie ein anzügliches Lied hinter mir her.

 

IX

Als ich die Tür des Wohnzimmers öffnete, sah ich Sandip, der in einen illustrierten Katalog von Gemälden der Britischen Akademie vertieft war und der Tür den Rücken zukehrte. Er bildet sich ein, ein großer Kunstkenner zu sein.

Eines Tages sagte mein Gatte zu ihm:

»Wenn die Künstler je einen Lehrmeister brauchen, so werden sie nie darum in Verlegenheit sein, solange du da bist.« Es war sonst nicht die Art meines Gatten, zu spotten, aber in letzter Zeit ist er anders darin, und er verschont Sandip nie.

»Warum meinst du, daß die Künstler keine Lehrmeister brauchen?« fragte Sandip.

»Weil der Künstler ein Schöpfer ist«, erwiderte mein Gatte. »Darum sollten wir uns bescheiden damit begnügen, unsere Lehren über die Kunst aus dem Werk des Künstlers zu entnehmen.«

Sandip lachte über solche Bescheidenheit und sagte: »Du meinst, daß Demut das Kapital ist, das die meisten Zinsen einbringt. Ich bin aber der Überzeugung, daß die, denen es an Stolz fehlt, dem Rohr gleichen, das auf dem Wasser umhertreibt und keine Wurzeln im Boden hat.«

Die widersprechendsten Gefühle bewegten mich, wenn sie so redeten. Einerseits wünschte ich sehnlichst, daß mein Gatte in dem Streit siegte und daß Sandips Stolz gedemütigt würde. Und doch war es gerade dieser nicht zu beugende Stolz Sandips, der mich so anzog. Er leuchtete wie ein kostbarer Diamant, der keine Schüchternheit kennt und der Sonne selbst keck ins Antlitz strahlt.

Ich trat ein. Sandip mußte meine Tritte hören, als ich mich näherte, aber er tat, als hörte er nichts, und ließ seine Augen nicht von dem Buch.

Ich fürchtete, daß er anfangen würde, über Kunst zu reden, denn wenn er von Bildern spricht, kann ich meine Feinfühligkeit in bezug auf sie nicht unterdrücken und habe immer große Mühe, bei seinen Reden meine Selbstbeherrschung zu bewahren. Daher war ich schon beinahe im Begriff umzukehren, als Sandip mit einem tiefen Seufzer aufsah und so tat, als ob ihn mein plötzlicher Anblick erschreckte. »Ach, da sind Sie!« sagte er.

In seinen Worten, in seinem Ton, in seinen Augen lag eine Welt von Vorwurf, als ob die Ansprüche, die er an mich hatte, meine Abwesenheit, wenn auch nur von ein paar Tagen, zu einem schweren Unrecht machten. Wohl empfand ich diese Haltung als eine Beleidigung für mich, aber ach, ich hatte nicht die Kraft, darüber zu zürnen.

Ich antwortete nicht, aber obgleich ich Sandip nicht ansah, konnte ich nicht umhin, seinen anklagenden Blick zu fühlen, der sich in meinem Gesicht festbohrte und nicht weichen wollte. Ich wünschte so sehr, er möchte etwas sagen, daß ich hinter seinen Worten Schutz finden könnte. Wie lange dies dauerte, weiß ich nicht, aber endlich konnte ich es nicht mehr aushalten. »Was ist das für eine Sache,« fragte ich, »worüber Sie mich zu sprechen wünschten?«

Sandip tat wieder überrascht, als er sagte: »Muß es sich denn immer erst um eine bestimmte Sache handeln? Ist Freundschaft an sich ein Verbrechen? O, Bienenkönigin, daß Sie das Höchste, was es auf Erden gibt, so gering schätzen! Darf man der Verehrung eines Herzens die Tür schließen wie einem verlaufenen Hunde?«

Ich fühlte wieder, wie mein Herz in mir zitterte. Jetzt mußte die Krisis kommen, zu ungestüm, um sich abwenden zu lassen. Freude und Angst kämpfen in mir um die Herrschaft. Würden meine Schultern stark genug sein, ihrem Ansturm standzuhalten, oder würde sie mich zu Boden werfen, das Antlitz in den Staub?

Ich zitterte am ganzen Körper. Mich mit Gewalt bezwingend, wiederholte ich: »Sie haben mich gerufen wegen einer Sache, die das Vaterland angeht, daher habe ich meine häuslichen Pflichten gelassen, um zu hören, was es gibt.«

»Das versuchte ich ja eben Ihnen klarzumachen«, sagte er mit einem sarkastischen Lachen. »Wissen Sie denn nicht, daß ich gekommen bin, um zu verehren? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich in Ihnen die Schakti unsers Vaterlandes verkörpert sehe? Es handelt sich doch nicht nur um unser geographisches Vaterland. Niemand kann sein Leben hingeben für eine Landkarte! Wenn ich Sie vor mir sehe, dann nur wird mir die ganze Schönheit meines Vaterlandes offenbar. Wenn Sie mich mit Ihren eigenen Händen salben, dann werde ich mich von meinem Vaterlande geweiht fühlen; und wenn ich mit diesem Bewußtsein im Herzen im Kampfe falle, so falle ich nicht in den Staub eines Landes, das die Landkarte zeigt, sondern mein Haupt sinkt nieder auf ein liebend ausgebreitetes Gewand – wissen Sie, an welches Gewand ich denke? An den erdroten Sari, den Sie neulich trugen, mit dem breiten, blutroten Saum. Ich sehe ihn immer vor mir. Das sind die Visionen, die im Leben Kraft und im Tode Freude geben!«

Sandips Augen sprühten Feuer, als er so sprach, aber ob es das Feuer der Begeisterung oder das Feuer der Leidenschaft war, hätte ich nicht sagen können. Ich mußte an den Tag denken, wo ich ihn zuerst reden hörte und wo ich zweifelte, ob er ein Mensch oder eine lebendige Flamme sei.

Ich konnte kein Wort hervorbringen. Es ist nicht möglich, hinter den Schranken äußeren Anstandes Schutz zu suchen, wenn in einem Augenblick das Feuer aufspringt und mit blitzendem Schwert und brüllendem Gelächter alles vernichtet, was der Geiz sorgsam aufgehäuft hat. Ich war in Todesangst, daß er sich vergessen und meine Hand ergreifen könnte. Denn er stand vor mir, am ganzen Körper bebend, wie eine züngelnde Flamme; seine Augen sprühten versengende Funken auf mich.

»Wollen Sie denn ewig mit Ihren kleinlichen Pflichten im Haushalt Götzendienst treiben«, rief er nach einer Pause, »Sie, die Sie die Macht in sich haben, Leben oder Tod über uns zu verhängen? Soll diese Ihre Macht in einer Zenana verborgen bleiben? Werfen Sie alle falsche Scheu von sich, ich bitte Sie; machen Sie sich doch nichts aus dem Geflüster um Sie herum! Werfen Sie sich noch heute mit offenen Armen in den Strom der Freiheit draußen in der Welt!«

Wenn Sandip in dieser Weise seinen Kult des Vaterlandes mit seiner Verehrung für mich verwebt, so beginnt mein Blut zu tanzen, und alle Schranken, die mich zurückhalten, geraten ins Wanken. Seine Reden über Kunst und sexuelle Probleme, seine Unterscheidungen zwischen dem Wirklichen und Unwirklichen hatten nur den Geist des Widerspruchs in mir hervorgerufen, der mich hinderte, sachlich zu antworten. Aber dieser Geist ging jetzt in Flammen auf, und mit ihm mein Widerstand. Ich fühlte mich durch meine Weiblichkeit verklärt und einer Göttin gleich. Warum sollte ihr Glanz nicht sichtbar von meiner Stirn strahlen? Konnte meine Stimme nicht ein Wort finden, einen vernehmlichen Ruf, der wie eine heilige Zauberformel mein Vaterland weihte und entflammte?

Plötzlich stürzte mein Mädchen Khema mit aufgelösten Haaren ins Zimmer. »Geben Sie mir meinen Lohn und lassen Sie mich gehen«, schrie sie. »In meinem ganzen Leben bin ich nicht so–...« Das Übrige wurde von Schluchzen erstickt.

»Was ist denn geschehen?«

Es stellte sich heraus, daß Thako, das Mädchen meiner Schwägerin, sie ohne irgendwelchen Grund maßlos beschimpft hatte. Sie war in einem solchen Zustand, daß ich mich vergeblich bemühte, sie zu beruhigen, indem ich ihr sagte, ich wolle gleich nachher kommen und die Sache untersuchen.

Der Schlamm häuslichen Lebens, der unter den Lotusblättern der Weiblichkeit lag, kam an die Oberfläche. Damit Sandip nicht noch mehr davon erblickte, eilte ich schnell zurück.

 

X

Meine Schwägerin war in ihr Betelnußschneiden vertieft, ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen, als ob nichts Verdrießliches passiert wäre. Sie summte noch dasselbe Lied.

»Warum hat deine Thako die arme Khema so beschimpft?« brach ich los.

»Hat sie das? Das Weibsbild! Ich werde sie aus dem Hause peitschen lassen. Wie schändlich, dir deinen Morgen so zu verderben! – Aber was hat denn auch diese Dirne Khema für Manieren, daß sie hingeht und dich stört, wenn du beschäftigt bist? Plage du dich jedenfalls nicht mit solchen häuslichen Zänkereien, Tschota Rani! Überlaß das nur mir und geh wieder zu deinem Freunde!«

Wie plötzlich der Wind in den Segeln unsres Geistes umschlägt! Daß ich Sandip draußen aufgesucht hatte, war in der Beleuchtung des Zenana-Kodex etwas so Unerhörtes, daß ich nicht wußte, was ich antworten sollte und in mein Zimmer ging. Ich wußte, daß meine Schwägerin dahinter steckte, daß sie ihr Mädchen zu dieser Szene aufgereizt hatte. Aber ich fühlte mich auf so unsicherem Boden, daß ich keinen Gegenhieb wagte.

Erst neulich hatte ich gesehen, daß ich den unbeugsamen Stolz, mit dem ich von meinem Gatten die Entlassung Nankus gefordert hatte, nicht bis zu Ende aufrechterhalten konnte. Ich wurde plötzlich verlegen, als die Bara Rani kam und sagte: »Es ist wirklich ganz meine Schuld, lieber Bruder. Wir sind altmodische Leute, und mir wollte die Art deines Sandip Babu nicht recht gefallen, daher sagte ich dem Türhüter–... aber wie konnte ich wissen, daß unsre Tschota Rani dadurch beleidigt sein würde? – Ich hätte gerade das Gegenteil erwartet! Aber ich bin nun einmal so unverbesserlich einfältig!«

Was so herrlich scheint, wenn man es von der Höhe der nationalen Sache aus betrachtet, erscheint trübe und schmutzig, wenn man es von unten sieht. Und bald steigert sich Unwillen und Zorn zu Abscheu.

Ich schloß mich in mein Zimmer ein, setzte mich ans Fenster und dachte darüber nach, wie leicht das Leben doch sein würde, wenn man mit seiner Umgebung in Harmonie bleiben könnte. Wie einfach und selbstverständlich sitzt meine Schwägerin da auf der Veranda mit ihren Betelnüssen, und wie unerreichbar fern ist mir mein natürlicher Platz bei meinen häuslichen Pflichten gerückt! Wie soll das alles enden? fragte ich mich. Werde ich je aus diesem Zustande wie aus einem Fiebertraum erwachen und alles vergessen, oder werde ich zu einem Abgrund geschleppt, aus dem es in diesem Leben kein Entrinnen gibt? Wie brachte ich es nur fertig, mein Glück von mir zu stoßen und mein Leben so zu Grunde zu richten? Jeder Winkel dieses Schlafzimmers, das ich vor neun Jahren als junge Frau zuerst betrat, starrt mich erschrocken an.

Als mein Gatte von seinem Magisterexamen nach Hause kam, brachte er mir diese Orchidee mit, die aus einem fernen Lande jenseits des Meeres stammt. Unter diesen kleinen Blättern quoll solch eine Fülle von Blumen hervor, es sah aus, als ob die Schönheit selbst ihr Füllhorn ausgeschüttet hätte. Wir beschlossen, sie hier über dem Fenster aufzuhängen. Sie blühte nur das eine Mal, aber wir haben immer gehofft, daß sie noch einmal blühen würde. Aus Macht der Gewohnheit habe ich sie selbst in diesen Tagen noch begossen, und sie ist noch grün.

Es sind jetzt vier Jahre her, da rahmte ich ein Bild meines Gatten in Elfenbein und stellte es in die Nische da drüben. Wenn jetzt mein Blick zufällig darauf fällt, so muß ich die Augen niederschlagen. Bis vorige Woche pflegte ich es regelmäßig jeden Morgen nach dem Bade mit Blumen zu schmücken, als eine Art Morgenopfer, das ich meiner Liebe brachte. Mein Gatte schalt mich oft darum.

»Es beschämt mich, daß du mich auf eine Höhe erhebst, auf die ich nicht gehöre«, sagte er eines Tages.

»Welch ein Unsinn!«

»Ich bin nicht nur beschämt, sondern auch eifersüchtig!«

»Nun höre ihn einer! Eifersüchtig auf wen denn, bitte?«

»Auf dies mein falsches Ich. Es zeigt nur, daß ich dir zu unbedeutend bin, daß du einen außerordentlichen Mann haben möchtest, vor dessen Überlegenheit du dich beugen kannst, und daher mußt du dir helfen, indem du dir ein andres Ich von mir machst.«

»Es macht mich nur böse, wenn du so redest«, sagte ich.

»Was nützt es, daß du böse mit mir bist«, erwiderte er. »Schilt dein Schicksal, daß es dir keine Wahl ließ, sondern dich zwang, mich blindlings zu nehmen. Nun mußt du beständig versuchen, seinen Fehler wieder gutzumachen, indem du in mir ein Muster aller Vollkommenheit zu sehen suchst.«

Ich war damals so gekränkt durch diesen bloßen Gedanken, daß mir die Tränen in die Augen traten. Und immer, wenn ich jetzt daran denke, muß ich die Augen vor jener Nische niederschlagen.

Denn jetzt habe ich ein andres Bild in meinem Schmuckkasten. Als ich neulich im Wohnzimmer aufräumte, nahm ich den Doppelrahmen fort, in dem Sandips Bild neben dem meines Gatten steckte. Diesem Bild opfere ich keine Blumen, sondern ich halte es unter meinem Schmuck verborgen. Es übt einen um so größeren Zauber auf mich, weil ich es heimlich aufbewahre. Ich betrachte es von Zeit zu Zeit bei verschlossenen Türen. Des Abends schraube ich die Lampe hoch und sitze da, mit dem Bild in der Hand, es unverwandt anstarrend. Und jeden Abend will ich es am Lampenfeuer verbrennen, um es nie mehr zu sehen; aber jeden Abend verberge ich es mit einem Seufzer wieder unter meinen Perlen und Diamanten.

Ach, ich elendes Weib! Welch ein Reichtum von Liebe faßte jedes dieser Schmuckstücke ein! Ach, warum bin ich nicht tot?

Sandip hatte mir klargemacht, daß es nicht in der Natur der Frau liegt, zu zaudern. Für sie gibt es weder rechts noch links, – sie geht immer geradeaus. Wenn die Frauen unsres Vaterlandes aus ihrem Schlaf erwachen, wiederholte er mir beständig, so werden sie mit Siegesgewißheit ihren Ruf erschallen lassen: »Ich will!«

»Ich will« – führte Sandip eines Tages aus, – war das erste Wort am Anfang der Schöpfung. Es wurde nicht von irgendeinem Grundsatz geleitet, sondern es wurde zu Feuer und wandelte sich zu Sonnen und Sternen. Es kennt keine Gerechtigkeit. Weil es den Menschen haben wollte, opferte es unbarmherzig Millionen von Jahren hindurch Millionen Tiere auf, um zu seinem Ziel zu kommen. Dieses furchtbare Wort »ich will« ist Fleisch geworden im Weibe, und daher versuchen die Männer in ihrer Feigheit mit allen Kräften, diese elementare Flut einzudämmen. Sie fürchten, daß sie, wenn sie lachend dahintanzt, alle Hecken und Stützen ihres Kürbisfeldes umreißen könnte. Die Menschen haben sich zu allen Zeiten geschmeichelt, diese Kraft sicher in den Schranken der Konvenienz eingeschlossen zu halten, aber sie sammelt sich an und wächst. Jetzt ist sie noch ruhig und tief wie ein See, aber allmählich wird ihr Druck immer stärker, die Deiche werden nachgeben, und die Kraft, die so lange stumm gewesen ist, wird brüllend hervorstürzen mit dem Ruf: »Ich will!«

Solche Worte Sandips hallen in meinem Herzen wider wie die Schläge einer Kriegstrommel. Sie bringen jeden Konflikt in mir zum Schweigen. Was kümmert es mich, was die Leute von mir denken? Was bedeutet mir jene Orchidee und jene Nische in meinem Schlafzimmer? Wodurch sollten sie die Macht haben, mich zu verkleinern und zu beschämen? Das Urfeuer der Schöpfung brennt in mir.

Ich fühlte mich versucht, die Orchidee herabzureißen und aus dem Fenster zu werfen, die Nische ihres Bildes zu berauben und dem schamlosen Geist der Zerstörung, der in mir wütete, die Zügel schießen zu lassen. Schon hatte ich den Arm erhoben, um es zu tun, da krampfte ein plötzliches Weh mein Herz zusammen, und Tränen stürzten mir aus den Augen. Ich warf mich nieder und schluchzte: »Wie soll dies alles enden, wie soll es enden?«

 

Sandips Erzählung

 

IV

Wenn ich diese Seiten aus meiner Lebensgeschichte lese, so frage ich mich ernstlich: Ist dies Sandip? Bestehe ich denn nur aus Worten? Bin ich nur ein Buch mit einem Deckel von Fleisch und Blut?

Die Erde ist nicht ein totes Ding wie der Mond. Sie atmet, und der Atem ihrer Flüsse und Meere hüllt sie ein. Sie ist bedeckt mit einem Mantel aus ihrem eignen Staub, der in der Luft flattert. Der Zuschauer, der von draußen auf die Erde blickt, sieht nur das Licht, das dieser Atem und dieser Staub zurückwirft. Die Konturen der mächtigen Festländer kann er nicht deutlich unterscheiden.

Der Mensch, der lebendig ist wie die Erde, ist auch in den Nebel seiner Ideen eingehüllt, die er ausatmet. Die Konturen seines wahren Wesens bleiben verborgen, und es scheint, als ob er auch nur aus Licht und Schatten besteht.

Es scheint mir, daß ich in dieser meiner Lebensgeschichte gleichwie jene Planeten nur das Bild meiner idealen Welt entfalte. Aber ich bin nicht nur, was ich zu sein wünsche und glaube – ich bin auch, was ich nicht liebe und was ich nicht sein möchte. Meine Erschaffung hatte schon begonnen, ehe ich geboren wurde. Ich hatte keine Wahl in bezug auf meine Umgebung, und so muß ich versuchen, aus dem, was sich mir bietet, das Beste zu machen.

Meine Weltanschauung macht mich gewiß, daß das Große grausam ist. Gerecht sein ist für die Durchschnittsmenschen; es ist das Vorrecht der Großen, ungerecht zu sein. Die Oberfläche der Erde war eben. Der Vulkan stieß mit seinem feurigen Horn gegen sie und kam so zu seiner Höhe, – er versuchte nicht, dem, was ihm im Wege stand, sondern mit sich selbst gerecht zu werden. Erfolgreiche Ungerechtigkeit und natürliche Grausamkeit sind die einzigen Kräfte gewesen, durch die der Einzelne oder die Nation zu Reichtum und Herrschaft gekommen ist.

Daher predige ich die große Lehre von der Ungerechtigkeit. Ich sage jedem: Befreiung ist auf Ungerechtigkeit gegründet. Ungerechtigkeit ist das Feuer, das fortwährend etwas verzehren muß, damit es nicht zu Asche wird. Wenn ein Einzelwesen oder Volk nicht mehr imstande ist, eine Ungerechtigkeit zu begehen, wird es hinweggefegt und auf den Kehrichthaufen der Welt geworfen.

Bis jetzt ist dies nur meine Theorie, mit der ich selbst noch nicht ganz eins geworden bin. In meiner Rüstung sind Sprünge, durch die etwas sehr Weiches und Empfindliches hindurchblickt. Weil, wie ich schon sagte, der wesentliche Teil meines Ichs schon vor meiner gegenwärtigen Existenz geschaffen wurde.

Von Zeit zu Zeit stelle ich meine Anhänger auf die Probe, um zu sehen, wie weit sie es in dieser Grausamkeit gebracht haben. Eines Tages gingen wir zu einem Picknick. Eine Ziege graste in der Nähe. Ich fragte: »Wer ist unter euch, der mit diesem Messer der Ziege dort lebendig ein Bein abschneiden und es mir bringen kann?« Während sie noch alle zögerten, ging ich selbst hin und tat es. Einer von ihnen wurde ohnmächtig bei dem Anblick. Aber als sie mich unbewegt sahen, berührten sie ehrfurchtsvoll meine Füße und sagten, daß ich über alle menschliche Schwäche erhaben sei. Das heißt, sie sahen an jenem Tage die Nebelhülle meiner Idee, aber bemerkten nicht mein inneres Wesen, das ein launenhaftes Schicksal weich und barmherzig geschaffen hat.

In dem gegenwärtigen Kapitel meines Lebens, dessen Interesse sich von Tag zu Tag mehr um Bimala und Nikhil konzentriert, bleibt auch viel unter der Oberfläche verborgen. Die Theorie, die mich beherrscht, formt mein inneres Leben; dennoch entzieht sich ein großer Teil meines Lebens ihrem Einfluß, und so entsteht ein Widerspruch zwischen meinem äußeren Leben und seinem inneren Plan, ein Widerspruch, den ich, so gut ich kann, zu verbergen suche, auch mir selber; denn sonst könnte er nicht nur meine Pläne, sondern mein Leben selbst zum Scheitern bringen.

Das Leben ist unbestimmt und voller Widersprüche. Wir Menschen versuchen mit unsern Ideen ihm eine besondere Gestalt zu geben, indem wir es in eine bestimmte Form pressen, – in die Bestimmtheit, die Erfolg hat. Alle Welteroberer, von Alexander bis auf die amerikanischen Millionäre, finden in Schwert oder Dollar das Sinnbild, nach dem sie ihr Wesen formen, und dies ist die Quelle ihres Erfolges.

Der Hauptstreitpunkt zwischen Nikhil und mir besteht darin, daß, obgleich unser beider Wahlspruch ist: »Erkenne dich selbst«, wir beide es auf ganz verschiedene Weise deuten und infolgedessen seine Selbsterkenntnis in meinen Augen das Gegenteil ist. »Wenn du auf deine Weise Erfolg gewinnst,« wandte Nikhil bei einer Gelegenheit ein, »so gewinnst du ihn auf Kosten der Seele, aber die Seele ist mehr wert als der Erfolg.«

Ich antwortete nur: »Deine Worte sind abstrakt.«

»Das kann ich nicht ändern«, erwiderte Nikhil. »Eine Maschine ist konkret genug, aber nicht so das Leben. Wenn du um der konkreten Greifbarkeit willen das Leben als eine Maschine ansehen willst, so mußt du dir nicht einbilden, daß du das Leben kennst. Die Seele ist nicht so konkret wie der Erfolg, und daher verlierst du sie nur, wenn du dem Erfolg nachjagst.«

»Wo ist sie denn, diese wunderbare Seele?«

»Da, wo sie sich im Unendlichen findet, jenseits allen Erfolges.«

»Aber was hat alles dies mit unsrer Arbeit für das Vaterland zu tun?«

»Damit ist es dieselbe Sache. Wo unser Vaterland sich selbst als Endzweck setzt, da gewinnt es Erfolg auf Kosten seiner Seele. Wo es das Höchste und Größte als letztes Ziel sieht, da versäumt es vielleicht den Erfolg, aber es gewinnt an seiner Seele.«

»Gibt es dafür irgendein Vorbild in der Geschichte?«

»Der Mensch ist so groß, daß er nicht nur den Erfolg verschmähen, sondern auch das Vorbild entbehren kann. Vielleicht gibt es kein Vorbild dafür, ebensowenig wie das Samenkorn ein Vorbild für die Blume hat. Und dennoch ist der Trieb des Samenkorns auf die Blume gerichtet.«

Es ist nicht so, daß ich Nikhils Standpunkt gar nicht verstehe; darin liegt vielmehr die Gefahr für mich. Ich bin in Indien geboren, und das Gift seines Idealismus steckt mir im Blut. Wie laut ich auch gegen die Tollheit der Selbstverleugnung predige, ich kann mich selbst nicht ganz von ihr freimachen.

So kommen heutzutage bei uns solche sonderbaren Widersprüche zustande. Wir müssen unsre Religion haben und auch unsern Nationalismus, unsre Bhagavadgita und unser Bande Mataram. Die Folge ist, daß beide zu kurz kommen. Es ist, als ob man eine englische Militärkapelle neben unsern indischen Flöten spielen ließe. Ich muß es mir zur Lebensaufgabe machen, diesem fürchterlichen Durcheinander ein Ende zu machen.

Ich möchte, daß der europäische Stil bei uns zur Herrschaft käme, nicht der indische. Dann könnten wir stolz die Fahne der Leidenschaft hochflattern lassen, die die Natur uns mitgegeben hat auf das Schlachtfeld des Lebens. Die Leidenschaft ist schön und rein, – rein wie die Lilie, die aus dem schlammigen Boden kommt. Sie steigt über alles, was sie beflecken will, empor und braucht keine Kunstmittel, um sich rein zu halten.

 

V

Eine Frage hat mich in diesen letzten Tagen gequält. Warum lasse ich zu, daß mein Leben sich so mit Bimalas verstrickt? Bin ich denn ein von der Strömung dahingetriebenes Stück Holz, das von jedem beliebigen Hindernis aufgehalten wird?

Nicht als ob ich irgendwelche falsche Scham darüber empfände, daß Bimala der Gegenstand meines Begehrens geworden ist. Es ist nur zu klar, wie sehr sie mich braucht, und so betrachte ich sie als ganz rechtmäßig mein. Die Frucht hängt mit dem Stengel am Zweig, aber das ist kein Grund, weshalb der Stengel das Recht haben sollte, sie ewig festzuhalten. Die reife Frucht fühlt, wie sie sich immer mehr vom Stengel löst. Sie hat ihre ganze Süße für mich aufgespeichert: Hingabe an mich ist Erfüllung ihres Daseins, ihres eigensten Wesens, ist ihre wahre Sittlichkeit. Daher muß ich sie pflücken, denn ich darf sie nicht um diese Erfüllung ihres Daseins bringen.

Aber was mich verdrießt, ist, daß ich mich immer mehr verstricke. Bin ich nicht geboren, um zu herrschen, um mich auf mein eigenes Roß, die Menge, zu schwingen und, die Zügel in der Hand, sie zu treiben, wie ich will und wohin ich will, – der Preis für mich und für sie nur die Dornen und der Schmutz der Straße? Dies Roß wartet jetzt vor der Tür, es scharrt ungeduldig den Boden und kaut am Gebiß, und sein Wiehern erfüllt die Luft. Aber wo bin ich und was treibe ich, daß ich Tag für Tag die herrliche Gelegenheit versäume?

Ich glaubte einst, ich sei ein Sturmwind, und die abgerissenen Blumen, mit denen ich meinen Pfad bestreute, würden mich nicht im Fortschreiten hindern. Aber ich bin nur eine Biene, die immer um dieselbe Blume kreist. So trifft auch auf mich zu, was ich sagte: daß die Farbe, die der Mensch sich mit seinen Ideen gibt, nur auf der Oberfläche liegt. Der innere Mensch bleibt doch immer derselbe. Wenn jemand, der ganz in mich hineinsehen könnte, meine Biographie schriebe, so würde er beweisen, daß im Grunde gar kein Unterschied sei zwischen einem Kerl wie Pantschu und mir, oder selbst zwischen Nikhil und mir!

Gestern abend blätterte ich in meinem alten Tagebuch–... ich las, wie ich gerade mein Examen gemacht hatte und mein Hirn von Philosophie zum Bersten vollgepfropft war. Selbst damals schon hatte ich mir gelobt, keinen Illusionen, weder eigenen noch fremden, Raum zu geben, sondern mein Leben auf der Grundlage der Wirklichkeit aufzubauen. Aber wie ist es tatsächlich bis jetzt damit gewesen? Wo ist die Festigkeit? Es gleicht vielmehr einem Netzwerk, das, obgleich der Faden überall zusammenhängt, doch zum größten Teil aus Löchern besteht. Ich mag versuchen, was ich will, sie lassen sich nicht wegbringen. Und gerade wie ich mich beglückwünsche, daß ich so sicher und unbeirrbar dem Faden folge, gerate ich in solch ein schlimmes Loch. Denn ich habe angefangen, Gewissensskrupel zu bekommen.

»Ich brauche es, es ist da; also nehme ich es mir.« – Das ist eine klare und gerade Politik. Wer kraftvoll und energisch sein Ziel verfolgt, muß es sicher am Ende erreichen. Aber die Götter wollen nicht, daß solche Reise leicht ist, daher senden sie die Sirene Mitgefühl aus, daß sie den Wanderer vom Wege abbringt, indem sie seinen Blick mit ihrem tränenvollen Nebelschleier trübt.

Ich sehe, die arme Bimala kämpft wie ein Wild, das in einer Schlinge gefangen ist. Welche Todesangst ist in ihren Augen! Wie hat sie sich wund gerissen an ihren Fesseln! Dieser Anblick sollte natürlich das Herz eines richtigen Jägers froh machen. Und ich bin auch froh, aber ich bin auch wieder gerührt; und daher stehe ich zögernd und kann mich nicht entschließen, die Schlinge zuzuziehen.

Ich weiß, es hat Augenblicke gegeben, wo ich hätte zu ihr hinstürzen, ihre Hände ergreifen und sie an meine Brust drücken können, ohne daß sie Widerstand geleistet hätte. Hätte ich es getan, sie hätte kein Wort gesagt. Sie wußte, daß eine Krisis drohte, die in einem Augenblick den Sinn der ganzen Welt verändert haben würde. Und wie sie so vor der Höhle stand, aus der das Unberechenbare und doch Erwartete hervorbrechen sollte, wurde ihr Antlitz bleich, und ihre Augen glühten in Angst und Leidenschaft. Wenn dieser Augenblick eingetreten wäre, so hätte in ihm eine Ewigkeit Gestalt gewonnen, die unser Schicksal mit verhaltenem Atem erwartete.

Aber ich habe diesen Augenblick entschlüpfen lassen. Ich habe nicht mit rücksichtsloser Kraft zugegriffen und mich dessen versichert, was schon fast mein war. Jetzt sehe ich klar, daß es in meiner Natur verborgene Elemente waren, die sich mir offen als Hindernisse in den Weg stellten.

Genau auf dieselbe Weise wurde auch Ravana, der für mich der wahre Held des Ramajana Râmâjana, das zweite große Heldenepos der altindischen Literatur (neben dem Mahâbhârata). Der Hauptinhalt ist, wie dem Helden Râma seine treue Gattin Sîtâ von dem Dämonen Râvana geraubt wird und wie er sie mit Hilfe des Affenkönigs Hanuman wiedergewinnt. (Übers.) ist, von seinem Schicksal ereilt. Er hielt Sita in seinem Asokagarten in Gewahrsam und wartete, daß sie sich ihm geneigt zeige, statt sie kurzerhand in seinen Harem zu führen. Diese schwache Stelle in seinem sonst so großartigen Charakter machte die ganze Entführungsgeschichte nutzlos. Eine ähnliche Anwandlung von Gewissensskrupeln bewog ihn, seinem verräterischen Bruder nachzugeben, statt vor ihm auf der Hut zu sein, und der Dank war, daß man ihn tötete.

So liegt die Tragik des Lebens im Menschen selbst begründet. Anfangs liegt sie als winziger Keim irgendwo tief unten verborgen, um schließlich doch hervorzubrechen und das ganze Gebäude zum Sturz zu bringen. Die eigentliche Tragik besteht darin, daß der Mensch sich nicht als das erkennt, was er wirklich ist.

 

VI

So ist es auch mit meinem Verhältnis zu Nikhil. Wenn ich auch weiß, daß er verrückt ist, und über ihn lache, ich kann mich nicht ganz von dem Gedanken frei machen, daß er mein Freund ist. Zuerst wies ich seinen Standpunkt einfach ab, aber neuerdings hat er angefangen, mich zu beschämen und zu versetzen. Daher habe ich versucht, wie früher mit ihm zu diskutieren und dabei den alten begeisterten Ton anzuschlagen, aber er klingt nicht echt. Ja, bisweilen lasse ich mich so weit verleiten, daß ich meine Natur verleugne und so tue, als ob ich seiner Meinung bin. Aber Verstellung liegt nicht in meiner Natur, und auch nicht in der Nikhils; dies eine haben wir wenigstens gemeinsam. Daher ist es mir jetzt lieber, wenn ich ihm gar nicht begegne, und ich habe angefangen, ihm, soviel ich kann, aus dem Wege zu gehen.

Dies alles sind Zeichen von Schwäche. Sobald ein Mensch die Möglichkeit eines Unrechts zugibt, wird es Tatsache und packt ihn an der Kehle, wie sehr er auch versucht, allen Glauben an seine Existenz abzuschütteln. Was ich Nikhil offen sagen möchte, ist, daß man Ereignissen wie diesen als großen Wirklichkeiten ins Gesicht sehen muß, und daß das, was als Wahrheit sein Recht hat, wahre Freunde nicht trennen sollte.

Es läßt sich nicht leugnen, daß ich tatsächlich schwächer geworden bin. Aber nicht diese Schwäche war es, durch die ich Bimala gewann; sie versengte sich die Flügel an der Glut der Vollkraft meiner rücksichtslosen Männlichkeit. Sobald Rauch diese Glut verdunkelt, wird sie unsicher und verwirrt und weicht zurück. Dann kehrt sich ihr Gefühl gegen mich, und sie möchte mir am liebsten den Kranz, mit dem sie mich geschmückt hat, wieder abnehmen, aber sie kann es nicht; und so schließt sie nur die Augen, um ihn nicht zu sehen.

Doch trotz alledem darf ich nicht von dem Pfad, den ich mir vorgezeichnet habe, abweichen. Ich darf auf keinen Fall die Sache des Vaterlandes im Stich lassen, und am wenigsten im gegenwärtigen Augenblick. Bimala und mein Vaterland sollen mir hinfort eins sein. Der stürmische Wind aus Westen, der dem Lande den Schleier des Gewissens abgerissen hat, wird Bimala den Schleier des Weibes vom Antlitz reißen, und diese Entschleierung wird kein Gebot der Scham verletzen. Wenn das schaukelnde Schiff die Menge über den Ozean trägt und die Fahne des Bande Mataram über ihm flattert, so wird es zugleich die Wiege meiner Macht und meiner Liebe sein.

Bimala wird so verzückt sein, wenn sie die Befreiung ihres Vaterlandes im Geiste schaut, daß ihre Bande von ihr abfallen werden, ohne daß sie sich dessen schämt, ja sogar ohne daß sie es bemerkt. Ganz bezaubert von der Schönheit dieser furchtbaren, zerstörenden Macht, wird sie keinen Augenblick zögern, grausam zu sein. Ich habe in Bimalas Natur die Grausamkeit wahrgenommen, die die wesentliche Kraft alles Seins ist, – die Grausamkeit, die mit ihrer rücksichtslosen Gewalt die Schönheit der Welt wahrt.

Wenn man nur die Frauen von den künstlichen Fesseln befreien könnte, die die Männer ihnen angelegt, so hätten wir auf Erden ein lebendiges Ebenbild der Kali, der schamlosen, mitleidslosen Göttin. Ich gehöre zu den Dienern der Kali, und eines Tages werde ich ihr wahrhaft dienen, indem ich Bimala als ihre Inkarnation auf den Altar der Zerstörung erhebe. Zu solchem Dienst will ich mich bereiten.

Der Rückweg ist uns beiden für immer verschlossen. Wir werden einander berauben, werden einander hassen, aber nie mehr voneinander frei werden.


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