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Brief III.

London, den 9. September 1710.

Nachdem ich den Herzog von Ormond besucht, mit Dr. Cockburn Swifts Arzt. gespeist, einen Teil des Nachmittags mit Sir Matthew Dudley Ein bekannter Whig, der später Zollkommissionär wurde. und Will Frankland, den Rest in St. James's Kaffeehaus verbracht hatte, ging ich nach Hause, schrieb an den Erzbischof von Dublin und MD und gehe jetzt zu Bett. Ich vergass Ihnen zu sagen, dass ich Will Frankland gebeten habe, bei seinem Vater ein gutes Wort für Manley Generalpostmeister in Irland, ebenfalls ein Whig. einzulegen, da die Winterstürme an allen Ämtern rütteln. Er sagte mir, sein Vater sei auch in Gefahr, zu fallen; um Manleys Stellung bewürben sich jetzt schon viele; man beschuldige ihn, Briefe geöffnet zu haben; Sir Thomas Frankland werde alles opfern, um sich selbst zu retten; daher fürchte ich, Manley ist verloren, usw.

10. Heute habe ich mit Lord Mountjoy in Kensington gespeist; habe meine Geliebte gesehn, Ophy Butlers Frau, die ein wenig reizlos geworden ist. Bis zehn Uhr habe ich mit Addison und Steele zusammen gesessen; Steele wird seine Stellung als Herausgeber der Zeitung sicherlich verlieren; denn jedermann ist ärgerlich, weil er sich auf Parteigezänk einlässt. Um zehn ging ich ins Kaffeehaus, denn ich hoffte, Lord Radnor dort zu finden, den ich noch nicht gesehn hatte. Ein unzufriedener Whig. Er war auch da; wir haben anderthalb Stunden lang von Herzen Verrat wider die Whigs, ihre Gemeinheit und ihren Undank geredet. Als ich nach Hause kam, wälzte ich Groll in meiner Seele und entwarf Rachepläne: voll von ihnen (ein paar Andeutungen habe ich niedergeschrieben) gehe ich zu Bett. Ich fürchte, MD haben zu Hause gegessen, denn es ist Sonntag; da hat es denn den halben Liter Wein gegeben; um Gotteswillen, seid artige Mädchen, und alles wird gut werden. Ben Tooke war heute morgen bei mir. Verleger des Märchens von einer Tonne; Agent Swifts.

11. Sieben Morgens. Ich stehe auf, um zu Jervas zu gehn, damit der mein Bild beendet; und es ist der Rasiertag; also guten Morgen, MD; aber halten Sie mich jetzt nicht auf, denn ich kann nicht mehr bleiben; und bitte, essen Sie beim Dechanten, aber verlieren Sie nicht Ihr Geld. Ich sehne mich danach, von Ihnen zu hören usw. – Zehn Abends. Ich habe Jervas heute morgen vier Stunden lang gesessen. Er hat meinem Bild eine ganz neue Wendung gegeben und ist jetzt sehr damit zufrieden; aber wir müssen den Beifall der Stadt haben. Wenn ich reich genug wäre, würde ich es kopieren lassen und die Kopie mitbringen. Herr Addison und ich haben zusammen in seiner Wohnung gegessen, und ich bin einen Teil des Abends hindurch bei ihm sitzen geblieben; eben komme ich nach Hause, um eine Stunde zu schreiben. Patrick Swifts Diener. behauptet, der Pöbel hier kümmere sich viel mehr um die Politik als in Irland. Jeden Tag erwarten wir Wandlungen und dass das Parlament aufgelöst wird. Lord Wharton Thomas, Earl of Wharton, Lord Statthalter von Irland bis 1710; politisch der von Swift vielleicht bestgehasste Mann seiner Zeit. erwartet von Tag zu Tag, sein Amt zu verlieren: er arbeitet wie ein Pferd für die Wahlen; und kurz, ich habe unter allem Volk nie eine solche Gärung erlebt. Ich habe letzten Samstag von Joe einen jämmerlichen Brief bekommen, in dem er mir sagt, dass Herr Pratt Vizeschatzmeister von Irland; Joseph Beaumont hatte Ansprüche an den Staat, in deren Geltendmachung Swift ihn unterstützte. sich weigert, ihm sein Geld zu zahlen. Ich habe mit Herrn Addison darüber gesprochen und will auch mit Lord Wharton sprechen; aber ich fürchte, es wird erfolglos sein. Immerhin will ich tun, was ich kann.

12. Heute habe ich dem Herzog von Ormond Herrn Ford Charles Ford, Besitzer von Woodpark bei Dublin, einer der vertrauteren Freunde Swifts; später Nachfolger Steeles als ›Gazetteer‹. vorgestellt und dem Lord Präsidenten Nämlich das Geheimen Rats Lord Somers. meinen ersten Besuch gemacht; mit ihm hatte ich eine lange Erörterung; ich wich ihm immer aus, wenn er in bezug auf mich von Lord Wahrton zu reden begann; als er mich aber drängte, sagte ich ihm, er wisse ja, ich hätte nie etwas von Lord Wharton erwartet, und Lord Wharton wisse, dass dies meine Ansicht sei. Er sagte, er habe Lord Wharton zweimal über mich geschrieben, und beide Male habe der auf diesen Teil des Briefes nichts erwidert. Man rät mir, in Dingen der Erstlinge Die Erstlinge (First Fruiss) sind die ›Annaten‹ katholischer Herkunft. Die Einkünfte des ersten Jahres jeder erledigten Pfründe gehörten der Krone. Dabei wurden sie fast durch den nötigen Verwaltungsapparat aufgezehrt. Swift sollte den Erlass dieser Auflage bewirken, die für England längst erlassen worden war. nichts zu unternehmen, bevor nicht diese Aufregung ein wenig vorüber ist; noch bleibt sie bestehn, und wir sind alle im Dunkeln. Der Lord Präsident sagte mir, er erwarte jeden Tag, sein Amt zu verlieren, und er hat es schon seit zwei Monaten erwartet. Ich versichere bei meinem Leben, ich bin dieser Stadt von Herzen müde und wollte, ich hätte mich nie gerührt.

13. Ich ging heute morgen in die Stadt, um Herrn Stratford zu sehn, den Kaufmann aus Hamburg, meinen alten Schulkameraden; doch als ich bei Bull Ein Huthändler, Verwandter des Bischofs Bull; Whig. auf Ludgate Hill vorsprach, nötigte er mich in sein Haus zu Hampstead, um in grosser und schlechter Gesellschaft zu essen; unter andern war Herr Hoadley Später Bischof von Winchester. da, der whiggistische Geistliche, der so berühmt ist, weil er die Gegenrolle gegen Sacheverell spielte. Siehe Einleitung zum Appendix in Band I. Aber morgen denke ich Stratford noch einmal aufzusuchen. Ich war jedoch froh, dass ich nach Hampstead kam, wo ich Lady Lucy und Moll Stanhope sah. Von Frau Long höre ich sehr unglückliche Nachrichten: sie und ihre Kameradin haben ihren Haushalt aufgelöst; sie ist für immer gebrochen und aufs Land gegangen: es sollte mir leid tun, wenn all das wahr ist.

14. Heute sah ich Patty Rolt, Eine Kusine Swifts. die gehört hatte, dass ich in der Stadt wäre; und ich habe mit Stratford bei einem Kaufmann in der Stadt gegessen, wo ich den ersten Tokaierwein trank, den ich je gesehn habe; er ist wundervoll, doch nicht so, wie ich es erwartet hatte. Stratford ist steinreich und leiht jetzt der Regierung vierzigtausend Pfund, und doch wurden wir in derselben Schule unterrichtet und besuchten dieselbe Universität. Wir hören, dass der Kanzler plötzlich entlassen worden ist, und dass Sir Simon Harcourt an seine Stelle treten soll; ich bin früh nach Hause gekommen, da ich mir aus dem Kaffeehaus nichts mache.

15. Heute haben Herr Addison, Oberst Freind und ich die Millionenlotterie besucht, die in Guildhall gezogen wird. Die Maulaffen und Blaujackenjungen gaben sich ein riesiges Ansehn, als sie die Zettel zogen, und sie zeigten der Versammlung die offenen weissen Hände, damit wir sehn könnten, dass kein Schwindel dabei war. Wir assen in einem Landhaus dicht bei Chelsea, wohin Herr Addison sich oft zurückzieht; und abends im Kaffeehaus hören wir, dass Sir Simon Harcourt zum Grosssiegelbewahrer ernannt worden ist, so dass wir jetzt jeden Augenblick die Auflösung des Parlaments erwarten; aber ich vergesse, dass dieser Brief erst in drei oder vier Tagen abgeht, und dass meine Nachricht schal sein wird, so dass ich sie hätte in den letzten Absatz stecken sollen. Soll ich diesen Brief abschicken, bevor ich von MD höre, oder soll ich ihn behalten, damit er länger wird? Stellas Mutter habe ich noch nicht gesehn, weil ich Lady Giffard nicht sehn will; aber ich werde es so einrichten, dass ich hinaus komme, wenn Lady Giffard nicht zu Hause ist. Ich vergass, meine beiden letzten Briefe zu numerieren; aber beachten Sie, dass dies Nummer 3 ist, und noch habe ich nicht Nummer 1 von MD erhalten; doch Montag werde ich ihn haben, und ich denke, das wird gerade vierzehn Tage später sein, als Sie meinen ersten hatten. Ich bin entschlossen, eine Menge Porzellan mit hinüber zu nehmen. Es gefiel mir heute gewaltig. Was soll ich bringen?

16. Morgens. Sir John Holland, der Haushofmeister des königlichen Haushalts, hat mir sagen lassen, er möchte meine Bekanntschaft machen; ich habe Lust, ihn abzuweisen, weil er ein Whig ist; ich vermute, er wird mit den andern fallen; aber er ist ein würdiger Mann von Gelehrsamkeit. Sagen Sie mir, ob Ihnen diese Tagebuchbriefe gefallen? Sind sie nicht langweilig und stumpfsinnig?

Abends. Ich habe heute mit einem Vetter, einem Drucker, gegessen, bei dem Patty Rolt wohnt; dann ging ich nach ein oder zwei Besuchen nach Hause; es war ein sehr fader Tag. Frau Longs Unglück wird mir bestätigt; die Büttel sind in ihrem Hause; sie zieht sich in eine gemietete Wohnung zurück und von dort aufs Land, niemand weiss wohin: ihre Freunde hinterlegen ihre Briefe in einem Gasthof, und von dort werden sie ihr gebracht; und sie schreibt ihre Antworten, ohne sie mit einem Ortsvermerk zu versehn. Ich schwöre, es tut mir in der Seele weh.

17. Heute habe ich sechs Meilen vor der Stadt gegessen, und zwar mit Will Pate, dem gelehrten Wollhändler. Herr Stratford ging mit mir; hier sind sechs Meilen nichts; wir verliessen Pate nach Sonnenuntergang und waren hier, ehe es dunkel wurde. Dieser Brief soll Dienstag abgehn, ob ich von MD höre oder nicht. Mein Befinden ist fortdauernd recht gut. Gebe Gott, dass auch Stella mir von dem ihren gute Nachricht schicke: ich hoffe, Sie sind jetzt in Trim, oder gedenken es doch bald zu sein. Heute Abend habe ich eine Enttäuschung erlebt; der Bursche gab mir einen Brief, und ich hoffte, die Handschrift der kleinen MD zu sehn; es war nur eine Einladung zu einer Wildpretpastete auf heute; so habe ich obendrein noch meine Pastete versäumt. Zum Henker mit diesen untergehenden Höflingen. Da wünscht nun Herr Brydges, der Generalkriegszahlmeister, meine Bekanntschaft zu machen; aber ich höre, die Königin hat Lord Shrewsbury zu ihm geschickt, um ihm zu versichern, dass er seine Stellung behalten darf; und er verspricht mir grossen Beistand in der Sache der Erstlinge. Nun, ich muss dieses Blatt heute Abend wenden, obwohl die Seite noch eine Zeile fassen könnte; aber bitte, beachten Sie, dies ist ein ganzer Bogen; er enthält verteufelt viel, und Sie müssen schon zufrieden sein, wenn Sie müde werden; aber ich will es nicht wieder tun. Sir Simon Harcourt ist zum Generalstaatsanwalt ernannt worden, und nicht zum Grosssiegelbewahrer.

18. Heute habe ich mit Herrn Stratford auf Herrn Addisons Landsitz bei Chelsea gegessen; dann ging ich in die Stadt und früh nach Hause, wo ich einen Brief an den Tatler über den Verfall des Stils und der Kunst des Schreibens usw. begann; und da ich noch nicht von Ihnen gehört habe, so bin ich entschlossen, dass dieser Brief heute Abend abgehn soll. Lord Wharton wurde vom Herzog von Devonshire in gewaltiger Eile in die Stadt geholt; sie haben irgendeinen Plan; aber er wird nichts helfen, denn wir erwarten jede Stunde eine vollständige Umwälzung und dass das Parlament aufgelöst wird. Wenn Sie Joe sehn, so sagen Sie ihm, Lord Wharton habe zu viel zu tun, um an seine Angelegenheiten zu denken; aber ich will alle guten Dienste durchsetzen, die ich von Herrn Addison erlangen kann, und noch heute an Herrn Pratt schreiben; und sagen Sie Joe, er soll nicht den Mut verlieren, denn ich bin überzeugt, dass er das Geld unter jeder Regierung bekommen wird; nur muss er sich gedulden.

19. Ich habe heute Morgen gekritzelt, und ich glaube kaum, dass ich diese Seite heute füllen werde; ich will sie abschicken, wie sie ist; und sie ist auch gut genug für unartige Mädchen, die niemandem schreiben, und obendrein einem so guten Jungen wie Presto! Ich dachte dies heute Abend abzuschicken, aber ich wurde aufgehalten und konnte nicht; und die Wahrheit zu sagen, so wollte ich doch auch noch ein klein bisschen auf die nächste Post und einen Brief von MD warten. Gestern Mittag ist der Graf von Anglesea gestorben, die grosse Stütze der Torys; daher ist jenes Amt des Vizeschatzmeisters von Irland wieder einmal erledigt. Wir sollten gute Freunde werden, und ich konnte kaum einen Verlust erleben, der mir mehr Kummer gemacht hätte. Der Bischof von Durham ist am gleichen Tage gestorben. Die Tochter des Herzogs von Ormond hat mir heute am dritten Ort einen Besuch abgestattet, um mir Avancen zu machen, und ich soll ihn morgen erwidern. Ich habe einen Brief von Lady Berkeley erhalten, in dem sie mich um Gotteswillen bitten, My Lord Gesellschaft zu leisten, denn er ist an der Wassersucht erkrankt; aber ich kann nicht hingehn und muss morgen meine Entschuldigung schicken. Ich höre, dass in wenigen Stunden noch mehr Amtsentsetzungen stattfinden werden.

20. Heute habe ich den Töchtern des Herzogs den Besuch erwidert, und die unverschämten Dirnen sprangen mir bis an den Mund, um mich zu begrüssen; Die beiden Töchter standen, wie man aus dem scherzhaften ›Dirnen‹ entnimmt, bei Swift in grosser Gunst. dann hörte ich das Gerücht von den Veränderungen bestätigt; Lord Präsident Somers, der Herzog von Devonshire und Herr Boyle, der Staatssekretär, sind heute sämtlich hinausgesetzt worden. Ich entsinne mich nicht, dass je von einem Hof so kühne Massnahmen getroffen worden wären: ich bin fast entsetzt darüber, obgleich ich mir nichts daraus machen würde, wenn sie alle gehängt würden. Wir wundern uns, dass das Parlament noch nicht aufgelöst worden ist und dass man etwas von solcher Wichtigkeit bis zum Schluss verschiebt. Wir werden hier einen merkwürdigen Winter erleben zwischen dem Ringen einer schlauen, verdrängten Partei und den Triumphen der Machthaber; ich werde beiden gleichgültig zuschauen und sehr friedlich nach Irland zurückkehren, wenn ich meine Rolle in der Sache, die mir anvertraut worden ist, ausgespielt habe, ob mit oder ohne Erfolg. Morgen vertausche ich meine Wohnung in Pall Mall mit einer in der Bury Street, wo ich vermutlich bleiben werde, solange ich in London bin. Wenn morgen irgend etwas geschieht, will ich es noch hinzufügen.

Robins Kaffeehaus. – Wir haben eben gerade grosse Neuigkeiten aus Spanien gehört; Madrid und Pampeluna sind genommen. Ich werde hier fortwährend unterbrochen.

21. Ich habe eben Ihren Brief erhalten, auf den ich noch nicht antworten will; Gott sei Dank, dass alles so gut steht. Ich sehe, Sie haben meinen zweiten noch nicht erhalten: ich hatte einen Brief von Parvisol, der mir schreibt, er habe Frau Walls einen Wechsel über zwanzig Pfund für mich gegeben, der Ihnen überreicht werden sollte; aber Sie haben ihn mir nicht geschickt. Heute Abend wird das Parlament aufgelöst: grosse Neuigkeiten aus Spanien; König Karl und Stanhope sind in Madrid, und Graf Staremberg hat Pampeluna genommen. Leben Sie wohl. Dies ist aus St. James's Kaffeehaus geschrieben. Meine Antwort auf Ihren Brief will ich heute Abend beginnen, aber diese Woche nicht mehr abschicken. Bitte, sagen Sie mir, ob Ihnen diese tagebuchartigen Briefe gefallen. – Ihre Gründe dafür, dass Sie nicht nach Trim gehn, gefallen mir nicht. Parvisol schreibt mir, er könne Ihr Pferd verkaufen. Verkaufen, zum Henker? Lassen Sie ihn bitte wissen, dass er ebensogut seine Seele verkaufen darf. Was? Irgend etwas verkaufen, was Stella liebt und zuweilen reiten kann? Es gehört ihr, und sie mag tun, was sie will: bitte, lassen Sie ihn das durch die erste Post wissen, die nach Trim geht. Er soll meinen Grauen verkaufen und sich hängen lassen!


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