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V

Gaia, Mario und der Vertreter Westermanns waren so pünktlich, daß sie gleichzeitig vor dem Kaffeehaus eintrafen. Sie hielten sich aber ziemlich lange an der Tür auf, weil die Sprachverwirrung vom Turmbau zu Babel sich hier im kleinen wiederholte. Mario konnte nur zwei oder drei Worte deutsch sprechen, und die benutzte er dazu, seine Freude zum Ausdruck zu bringen, daß er die Bekanntschaft des Vertreters einer so bedeutenden Firma machen dürfe. Der andere sagte mehr, viel mehr, aber wenn er gleich deutsch sprach, ging doch nur ein Teil seiner Worte verloren, da Gaia emsig übersetzte: »Die Ehre, kennenzulernen ... der Vorzug, verhandeln zu dürfen ... das hervorragende Werk, das sein Chef um jeden Preis erwerben wolle ...«

Auch Gaia sprach, ziemlich plump und geradezu, einige Worte, die er sogleich übersetzte: Er hätte erklärt, Westermann könne den Roman haben, sobald er ihn bezahlt hätte. Es handele sich um ein Geschäft und nicht um Literatur. Als er das Wort »Literatur« aussprach, machte er eine verächtliche Grimasse. Das war sehr unklug. Denn weshalb redete er von der Literatur verächtlich, wenn es der Wahrheit entsprach, daß sie sich hier in ein gutes Geschäft verwandelte? Aber Gaia behandelte die Literatur verächtlich, um dem Literaten eins versetzen zu können, wobei er ganz vergessen zu haben schien, daß er ihm um des Scherzes willen alle Ehre hätte erweisen sollen. Und im Laufe des Gesprächs vergaß er sich einmal so weit, daß er zu Mario sagte: »Schweig du nur still, du verstehst ja doch nichts davon.« Mario erhob keinen Einspruch, denn Gaia wollte offenbar nur seine Unwissenheit in geschäftlichen Dingen bemängeln.

Gaia hatte es bald satt, vor der Tür stehenzubleiben. Die Luft war feucht und nebelig, bevor sie von dem Borasturm gereinigt wurde, der die hochgespannte Stimmung jener geschichtlichen Tage stark beeinträchtigen sollte. Er stieß die Tür auf, und unter lautem Gelächter trat er, hinkend, ohne sich weiter mit Förmlichkeiten aufzuhalten, als erster ein.

Die beiden andern machten noch einige Komplimente, bevor sie sich entschlossen, die Schwelle zu überschreiten, und so hatte Mario Zeit, diese wichtige Persönlichkeit zu studieren, die er zum ersten Male sah. Er sollte sie nie wieder sehen, aber sie prägte sich für immer seinem Gedächtnis ein. In der ersten Zeit erinnerte er sich des Deutschen als einer außerordentlich komischen Persönlichkeit, die in Anbetracht des bedeutenden Auftrages, den man ihr erteilt hatte, nur um so komischer wirkte. Später änderte sich das Bild seiner Erinnerung nicht wesentlich. Die Persönlichkeit des Unterhändlers blieb lächerlich, aber seine Minderwertigkeit wurde ihm selber zu einem schmerzlichen Vorwurf, weil er sich von einem solchen Menschen hatte mit Füßen treten und mißhandeln lassen. Der Gedanke, daß eine solche Hand ihn geschlagen hatte, träufelte Gift in seine Wunden. Mario war sicher kein schlechter Beobachter, aber leider pflegte er die Menschen mit den Augen des Schriftstellers zu betrachten, und da er wohl genau beobachten konnte, die Beobachtungen aber sogleich mit Begriffen verknüpfte und so von Grund aus veränderte, machte es keine große Mühe, ihn zu täuschen. Einem Manne, der das Leben ein wenig kennt, fehlt es nie an Begriffen, weil sich dieselben Formen und Farben bei den verschiedensten Dingen finden, die nur der Literat vollzählig in seinem Gedächtnis bewahrt.

Der Vertreter Westermanns war ein kleines, wohlbeleibtes Männchen. Statt aber wenigstens jene gemessene Würde zur Schau zu tragen, die eine wohlproportionierte Fülle von Fleisch und Fett verleiht, machte er einen durchaus plumpen Eindruck, da er mit einem Unterleib behaftet war, dessen übermäßige Entwicklung sich sogar in seinem Pelz verriet. In dieser Hinsicht hatte er mit Gaia Ähnlichkeit. Sein Pelz, den ein wertvoller Kragen aus Seehundfell krönte, war das Bemerkenswerteste an dem ganzen Individuum und jedenfalls sehr viel eindrucksvoller als die Jacke und die blanknähtigen Hosen, die manchmal sichtbar wurden. Er legte seinen Pelz nie ab, und wenn er ihn einmal öffnen mußte, um an eine Tasche zu gelangen, die sich auf der Innenseite befand, trug er stets Sorge, ihn sogleich wieder zuzuknöpfen. Der hohe Halskragen rahmte sein schmales Gesicht ein, das einen kurzen Backenbart und einen spärlichen rotblonden Schnurrbart trug, während der Schädel vollkommen kahl war. Noch etwas anderes fiel Mario auf: der Deutsche hatte, in seinen Pelz vergraben, eine so steife Haltung, daß jede Bewegung, die er machte, eckig erschien.

Er war häßlicher als Gaia, aber Mario wunderte sich nicht darüber, daß er ihm ähnlich sah. Warum sollte auch ein Mann, der mit Büchern handelte, nicht einem Weinreisenden ähnlich sein? Auch der Handel mit Wein setzt ja etwas Kostbares voraus, ohne das er nicht bestehen könnte: den Weinberg und die Sonne. Was aber die Gravität betraf, mit der dieser Pelz spazierengeführt wurde, so konnte man leicht erraten, weshalb ein Mann vom Schlage Gaias sie anzunehmen für nötig befand.

Mario kam nicht auf den Gedanken, daß die angenommene Starrheit nur dazu dienen sollte, einen gebieterischen Lachreiz zu unterdrücken, vielmehr erinnerte er sich, daß die steife Würde jener Menschengattung, den Geschäftsreisenden, eigentümlich ist, da sie etwas scheinen wollen, was sie nicht sind, und da sie ihr wahres Ich verraten würden, wenn sie sich nicht sorgfältig überwachten. Alle diese Gedanken kamen Mario nicht ohne eine gewisse Anstrengung. Es schien, als wollte er helfen, das Gelingen des Scherzes zu erleichtern. Er dachte auch darüber nach, weshalb wohl nicht nur der Kritiker des Verlages Westermann, sondern auch der große Geschäftsmann selber zu Hause geblieben war. Aber er sagte sich, daß das Reisen damals sehr beschwerlich war, und daß schließlich ein solcher Kerl, ein Freund Gaias, genügte, um ein derartiges Geschäft zu Ende zu führen.

Als sie in dem Kaffeehause, das zu dieser Stunde wenig besucht war, an einem Tischchen Platz genommen hatten, erwies sich die babylonische Sprachverwirrung als recht hinderlich. Der Vertreter Westermanns versuchte etwas auf italienisch zu erklären, aber es gelang ihm nicht. Gaia vermittelte: »Er wünscht eine ausdrückliche Bestätigung, daß ich die Befugnis habe, statt deiner zu verhandeln. Ich könnte mich durch sein Mißtrauen beleidigt fühlen, aber Geschäft ist schließlich Geschäft. Übrigens bist du ja auch zugegen, aber er sagt, er versteht dich nicht.« Mario versicherte auf italienisch, daß er sich durch das, was Gaia ausmache, gebunden fühle. Er sagte es langsam und Silbe für Silbe, und der Deutsche erklärte, ihn verstanden zu haben und zufrieden zu sein.

Gaia schenkte den Kaffee ein, während der Vertreter Westermanns aus seiner Brieftasche mehrere Foliobogen zog. Es war der Vertrag, der schon in zweifacher Ausfertigung aufgesetzt war. Er breitete ihn auf dem Tisch aus und beugte sich mit dem ganzen Oberkörper darüber. Mario dachte: »Leidet der Ärmste denn auch noch am Hexenschuß?«

Gaia hatte es eilig. Er riß dem andern die Papiere aus der Hand und begann, Mario den Vertrag zu übersetzen. Er überschlug viele Klauseln, die, wie er sagte, bei allen Verträgen der großen Verlagsfirma üblich wären, und betonte dafür alle Vorteile, die er Mario durch diesen Vertrag verschafft hätte. Er gebrauchte dieselben Worte, die er gebraucht haben würde, wenn es sich nicht um ein Scheingeschäft gehandelt hätte: »Du wirst einsehen, daß ich mir meine Provision ehrlich verdient habe. Die ganze Nacht habe ich mit diesem Herrn verhandelt.« Und er versagte es sich nicht, noch schnell ein wenig von dem Gift zu verspritzen, mit dem er durchsättigt war. »Wenn ich dir nicht geholfen hätte, hättest du nichts zuwege gebracht.«

Auf Grund dieses Vertrages sollte Westermann Mario zweihunderttausend Kronen bezahlen und damit das Recht erwerben, in der ganzen Welt Übersetzungen des Romanes zu veröffentlichen. »Für Italien behältst du alle Rechte. Ich habe es für gut befunden, dir diese Rechte vorzubehalten, denn man kann nicht wissen, welchen Wert der Roman in Italien erlangt, wenn man erfährt, daß er in alle Sprachen übertragen wurde.« Um keinen Zweifel zu lassen, wiederholte er: »Italien bleibt dir vorbehalten – ausschließlich.« Und dabei verzog er keine Miene. Sein Gesicht schien geradezu erstarrt, wie das Gesicht eines Mannes, der gespannt auf Zustimmung und Beifall wartet.

Mario dankte ihm aus überströmendem Herzen. Er glaubte zu träumen. Am liebsten hätte er Gaia umarmt – nicht weil er ihm Italien geschenkt hatte, sondern weil er voraussah, daß der Roman bald auch in Italien seinen Platz an der Sonne erobern würde. Er machte sich Vorwürfe wegen der instinktiven Abneigung, die er immer für ihn gefühlt hatte, und versuchte sich klarzumachen, daß er ihn nun lieben müßte: »Er ist mehr als gut, er ist gefällig. Natürlich verdient auch er bei der Geschichte, aber ich verdiene doch unvergleichlich viel mehr, und es ist hübsch von ihm, zu zeigen, daß er mir das gönnt.«

Doch da fiel ihm ein, welche Angst er in der Nacht ausgestanden hatte. Er legte Gaia freundschaftlich die Hand auf den Arm und schlug vor, in den Vertrag eine Klausel einzufügen, die Westermann verpflichtete, den Roman wenigstens in deutscher Sprache noch im Laufe des Jahres 1919 zu veröffentlichen. Der arme Mario hatte es eilig, und er wäre gern bereit gewesen, einen Teil der zweihunderttausend Kronen zu opfern, wenn er damit seinen großen Erfolg hätte beschleunigen können. »Ich bin nicht mehr so jung«, sagte er, um sich zu entschuldigen, »und ich möchte gern meinen Roman übersetzt sehen, ehe ich sterbe.«

Gaia war empört. In gleichem Maße, wie Marios Zuneigung zu ihm wuchs, wurde seine Verachtung für ihn immer größer. Wie eingebildet mußte dieser Mensch doch sein, wenn er über das Anerbieten, das man ihm für seinen lumpigen und völlig wertlosen Roman machte, noch lange verhandeln wollte!

Aber wie es ihm gelungen war, sein Lachen zu verbergen, so unterdrückte er nun auch – obwohl es ihm nicht minder schwer wurde – jede Andeutung seiner Verachtung, und er wäre auch, um später desto besser lachen zu können, gern bereit gewesen, die gewünschte Klausel in den Vertrag einzufügen, leider aber war auf jenen Blättern – die in Wirklichkeit einen Vertrag über den Transport von Wein in Eisenbahntankwagen enthielten – gar kein freier Platz zu finden, und dann schien es ihm auch ganz unmöglich, vor Marios Augen zu arbeiten oder so zu tun, als ob er arbeite, während er bei der Anstrengung, sein Lachen zu unterdrücken, beinahe erstickte. Gaia zögerte einen Augenblick und kratzte sich erst an der Nase, dann an der Stirn und schließlich am Kinn, um sein Gesicht hinter der Hand zu verbergen (vielleicht beherrschte er die Kunst, immer nur mit einem Teile seines Gesichts zu lachen). Dann räusperte er sich und begann, von Bosheit geladen, Marios Verlangen ernsthaft zu erörtern. Zuerst meinte er, Westermann würde vielleicht über eine solche Forderung verdrießlich werden. Als Mario aber sein Gesicht schmerzlich verzog, weil man ihm eine Bitte abschlug, deren Erfüllung doch Westermann in keiner Weise benachteiligen konnte, während sie für ihn eine so große Beruhigung bedeutete, kam ihm ein glänzender Gedanke: »Glaubst du denn nicht, daß ein Mann, der zweihunderttausend Kronen bezahlt, allen Grund hat, das Buch möglichst bald herauszubringen, damit sein Geld Zinsen trägt?«

Mario sah wohl ein, daß dieses Argument nicht schlecht war, aber sein Verlangen war so heftig, daß kein Argument auf der ganzen Welt imstande gewesen wäre, ihn zufriedenzustellen. Er sollte immer noch warten? Und was sollte er die ganze Zeit anfangen? Fabeln schreibt man nur an Tagen, die reich an Überraschungen sind. Das Warten aber ist nur ein einziges Erlebnis – vielmehr Unglück – und kann daher auch nur eine einzige Fabel erzeugen. Und die hatte er schon geschrieben. Es war die Geschichte von dem Sperling, der vor Hunger starb, weil er immer an derselben Stelle auf Brot wartete, wo er zufällig einmal welches gefunden hatte: Ein Beispiel von Freßgier in Verbindung mit Trägheit, wie es sich öfter in den Fabeln findet. Mario überlegte. Er suchte vergeblich nach einem – nicht zu starken – Ausdruck, der energisch genug die Dringlichkeit seines Wunsches kundtun konnte. So wurden die Verhandlungen denn für einen Augenblick unterbrochen. Gaia nippte an seinem Kaffee und wartete auf Marios Einwilligung, die offenbar nicht ausbleiben konnte. Mario aber betrachtete die kahle Platte des Deutschen, der seine lange, schmale Nase, auf der die Brille zitterte, in den Vertrag bohrte und ihn aufmerksam zu studieren schien. Weshalb zitterte wohl seine Brille? Vielleicht weil seine Nase von Wort zu Wort hüpfte, um zu prüfen, ob Marios Wunsch nicht etwa im Vertrage schon befriedigt war. Die Glatze, die ihm wie ein stummes, blindes und nasenloses Gesicht zugewandt war, sah so ernsthaft aus, weil ihr die Organe zum Lachen fehlten. Ja, sie zeigte mit ihrer rötlichen Haut, die hier und da ein hellblondes Härchen aufwies, einen geradezu trübsinnigen Ausdruck. »Schließlich«, dachte Mario, »wird es das beste sein, ich gedulde mich. Sobald ich das Geld erhalten habe, kann ich ja meinen Erfolg bekanntmachen. Das ist so gut, als wäre das Buch schon übersetzt.« In sein Schicksal ergeben, schickte er sich an, den Vertrag mit dem Füllfederhalter zu unterzeichnen, den Gaia ihm reichte.

Gaia aber erhob abwehrend seine Hand: »Erst das Geld, dann die Unterschrift!« Er redete eifrig auf den Deutschen ein, der sogleich die Hand in seine geräumige Brusttasche versenkte, die Brieftasche herauszog, die Nase hineinsteckte und schließlich ein Papier zum Vorschein brachte, das wie eine Bankanweisung aussah. Als er das Papier Gaia hinreichte, machte er den Fehler, ihm dabei in das Gesicht zu blicken. Zwei Leute, die beide in Gefahr sind, in Heiterkeit auszubrechen, dürfen sich nicht ansehen, denn sonst summiert sich ihre Schwäche und das Gelächter entlädt sich mit explosiver Gewalt. Die steife Haltung des Deutschen war keine üble Politik gewesen, Gaia aber, den die Selbstbeherrschung, die er bisher bewiesen, übermütig gemacht hatte, glaubte noch zu einer weiteren Verstellung fähig zu sein, indem er, dem Anschein nach sehr aufgeregt, von dem Deutschen sofortige Bezahlung verlangte. Nun ist der Mensch wohl zu einer jeden Heuchelei fähig, aber er kann nicht mehrere Affekte auf einmal heucheln. Dieses Bemühen überstieg denn auch Gaias Kräfte, und das zurückgedrängte Lachen entlud sich nun so gewaltsam, daß es ihn fast von seinem Stuhle geworfen hätte. Der Vertreter Westermanns wurde sofort angesteckt und drohte in seinem Pelze zu ersticken. Sie schüttelten sich beide vor Lachen und warfen sich gleichzeitig kräftige deutsche Schimpfwörter an den Kopf. Mario blickte sie ratlos an und bemühte sich vergeblich zu lächeln, um sich ihnen anzupassen. Doch schließlich fühlte er sich gekränkt, weil eine solche Angelegenheit in dieser albernen Weise behandelt wurde. Nicht nur das edle Werk, das er geschaffen, selbst der edle Wein, den diese Krämerseelen tranken, war entweiht.

Endlich gelang es Gaia, seine Fassung wiederzugewinnen, und er bemühte sich nun, den Fehler wiedergutzumachen. Er entnahm der Brieftasche des Deutschen ein anderes Papier, das der Bankanweisung sehr ähnlich sah. Oft von einem Lachen unterbrochen, das sich jetzt als nützlich erwies, weil es ihm die Zeit verschaffte, die er brauchte, um eine Ausrede zu ersinnen, stammelte er, der Deutsche hätte ihm beinahe statt der Bankanweisung ein Zettelchen gegeben, das er von jenem gewissen Orte mitgebracht hätte, den dieses Ferkel, wie Mario ja schon wüßte, jeden Tag zu besuchen pflegte. Die Ausrede war recht ungeschickt, aber Gaia war in der Eile nichts Besseres eingefallen, und zu seiner großen Überraschung schien Mario mit dieser Erklärung zufrieden. »So rächt sich die Keuschheit«, dachte Gaia.

Mario aber war nur deshalb zufrieden, weil er wünschte, man möchte wieder ernsthaft werden und auch, weil er den ärgerlichen Zwischenfall möglichst schnell vergessen wollte. Der Schriftsteller ist es gewohnt, Redewendungen, die ihm nicht mehr gefallen, einfach auszustreichen, und daher ist er auch geneigt, Ausstreichungen anzunehmen, die andere für nötig erachten. Wohl schildert er die Wirklichkeit, aber alles, was zu seinem Bilde von der Wirklichkeit nicht passen will, löscht er kurz entschlossen aus. Und das tat Mario auch in diesem Fall. Aus Höflichkeit gab er sich zwar den Anschein, als betrachte er das Papier, das Gaia immer noch in der Hand hielt, doch nicht aufmerksamer, als man einen Unbekannten betrachtet, der einem zufällig auf dem Bürgersteig begegnet und einen für einen kurzen Augenblick hindert weiterzugehen.

Mario unterzeichnete also die beiden Ausfertigungen des Vertrages. Die eine sollte er in einigen Tagen, mit der Unterschrift des Verlegers versehen, zurückerhalten. Inzwischen aber erhielt er die Bankanweisung, die, wie Gaia erklärte, Geldeswert besaß. Es war ein von der Firma Westermann auf Ordre Marios ausgestellter Wechsel auf Sicht auf eine Wiener Bank.

Als sie das Kaffeehaus verließen, wollte Mario sich gern mit einigen Dankesworten von dem Deutschen verabschieden, und er versuchte nachzusprechen, was Gaia ihm auf deutsch vorsagte. Doch Gaia selber unterbrach ihn: »Du kannst beruhigt sein, dieser Herr geht auch nicht leer bei der Geschichte aus.« Er wollte mit Mario allein sein und verabschiedete sich von dem andern, der es ebenfalls sehr eilig zu haben schien.

»Jetzt«, schlug Gaia vor, »wollen wir zusammen auf die Bank gehen und den Scheck zur Einkassierung präsentieren.«

Mario hatte nichts dagegen einzuwenden, aber in diesem Augenblick schlug die Turmuhr zwölf. Gaia stellte mit Bedauern fest, daß es nun zu spät wäre, und daß er deshalb nicht sofort mit Mario zur Bank gehen könnte, die um die Mittagszeit geschlossen war. »Willst du,« fragte er zögernd, »daß wir uns auf drei Uhr verabreden?« Am Nachmittag hatte er eine andere Verabredung, die er ungern versäumt hätte. Es wäre doch ärgerlich gewesen, wenn er dem Scherz sein eigenes Interesse hätte opfern müssen. Dann wäre ja er der Hineingefallene gewesen.

Mario versicherte, er könne allein zur Bank gehen. War denn nicht auch er – zu seinem Unglück – schon seit vielen Jahren geschäftlich tätig? Da er glaubte, Gaia wäre um seine Provision besorgt, beruhigte er ihn: »Sobald ich das Geld erhalten habe, bringe ich dir deine zehntausend Kronen.«

»Darum handelt es sich nicht«, sagte Gaia, immer noch zögernd. Dann bemerkte er entschlossen: »Du darfst aber den Scheck nicht sofort verkaufen. Der Vertreter Westermanns hat mich ausdrücklich darum gebeten. Er hat ihn selber unterzeichnet, und bei den heutigen Postverbindungen ist es keineswegs sicher, daß seine Benachrichtigung zur rechten Zeit eintrifft.« Als er sah, daß Marios Gesicht sich verdüsterte, fuhr er fort: »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Wenn du dir den Scheck ansiehst, wirst du bemerken, daß der Bevollmächtigte Westermanns ihn unterzeichnet hat. Du mußt ihn der Bank übergeben, sie aber anweisen, daß sie nicht protestieren soll, wenn die Annahme verweigert wird.« Gaia schien seine Worte zu bereuen: »Ich sage dir das alles nur, um dir Scherereien zu ersparen. Auch wenn du es verlangtest, würde die Bank dir in den jetzigen unsicheren Zeiten das Geld nicht auszahlen, obwohl der Scheck von einer so bedeutenden Firma unterzeichnet ist. Es ist das beste, du übergibst ihn der Bank, damit sie den Betrag einzieht. Mit meiner Provision hat es keine Eile. Sie ist mir so sicher, als wenn ich sie schon in der Tasche hätte.«

Mario versprach, sich genau nach Gaias Anweisungen zu richten. Übrigens hatte er selber auch schon gedacht, es so zu machen. Der Scheck in der Tasche hatte ihn offenbar geschäftstüchtig gemacht. Und Gaia konnte beruhigt sein, daß der Scherz weder ihn noch Mario mit den Gesetzen in Konflikt bringen würde. Aber auch aus einem andern, besseren Grunde glaubte er, unbesorgt sein zu können: sicher würde man in keinem zivilisierten Lande der Erde ihm das Recht zu einem Scherz bestreiten wollen.

Und Mario blieb weiter blind. Gaias Unruhe hatte sich deutlich genug gezeigt, aber er hatte sie nicht bemerkt, weil er sich in diesem Augenblick mit Selbstvorwürfen plagte. Selbstvorwürfe sind eine Eigentümlichkeit der Literaten. Es quälte ihn der Gedanke, daß er Gaia immer verachtet hatte und ihn trotzdem jetzt so ausnutzte. Bisher hatte er seine Freundschaft nur mit Rücksicht auf die Jugenderinnerungen ertragen, die einen Mann seiner Art gefühlsmäßig stark binden. Mußte er ihm nun nicht zu erkennen geben, daß ihre Beziehungen fortan ganz anderer Natur sein würden? Übrigens glaubte er, es nicht sofort zeigen zu dürfen, denn das hätte doch so ausgesehen, als wollte er ihn für seine Dienste außer mit einer Provision auch noch mit seiner Freundschaft bezahlen.

Doch Gaia, von jeder Sorge befreit, eilte davon, ohne zu warten, bis Mario, der stets alles sorgfältig zu erwägen pflegte, zu einem endgültigen Entschluß gekommen war. Und Mario dachte, um jede Wolke zu verscheuchen, die auf die Heiterkeit seiner Seele einen Schatten werfen konnte: »Wenn ich ihm die Provision aushändige, werde ich einen herzhaften Kuß beigeben. Es wird zwar einige Überwindung kosten, aber ich muß gerecht sein.«

Doch nicht alles hatte Gaia vorausgesehen. Da Mario im Geschäft bleiben mußte, ging Brauer auf seine Bitte zur Bank. Und er hielt sich gewissenhaft an die empfangenen Instruktionen: er übergab den Scheck zur Einkassierung und wies die Bank an, ihn ohne Protest zurückzugeben, wenn die Annahme verweigert würde. Aber der Bankbeamte, der mit Brauer befreundet war, riet ihm, sich den Tageskurs zu sichern, und Brauer, der wußte, welch überraschende Sprünge die Wechselkurse in jenen Tagen machten, sah ein, daß der Rat gut war, und befolgte ihn, ohne es für nötig zu halten, Mario um sein Einverständnis zu ersuchen. Dieser erhielt daher gleichzeitig mit der Quittung für den Scheck ein Schreiben der Bank, in dem sie erklärte, von ihm zweihunderttausend Kronen zum Kurse von fünfundsiebenzig Lire für hundert Kronen gekauft zu haben. Die Kronen sollten im Laufe des Dezembers eingezahlt werden. Mario faltete die beiden Dokumente zusammen und bewahrte sie sorgfältig in seiner Kassette auf.

Weder Mario noch Brauer kam es in den Sinn, daß sie etwas verkauft hatten, was möglicherweise gar nicht existierte. Brauer bedauerte nur, daß Westermann sich nicht schon vierzehn Tage früher entschlossen hatte, denn dann hätte Mario, nach dem damaligen Kurse, noch fünfzigtausend Lire mehr bekommen. Mario aber zuckte lächelnd die Achseln: das Honorar mochte gern verkürzt werden, wenn nur der Erfolg dadurch nicht geschmälert wurde.

Und noch etwas anderes hatte Gaia nicht vorausgesehen. Einige Tage später erfuhr Brauer von gewissen Geldschwierigkeiten der beiden Brüder, und er beredete Mario, ein Darlehen von dreitausend Kronen anzunehmen, denn es schien ihm unrecht, daß er Entbehrungen erleiden sollte, wo doch so viel Geld an ihn schon unterwegs war. Dieses Geld kam Mario sehr gelegen. Er kaufte eine Welt von Dingen, und jedes war ein sichtbares Zeichen seines Erfolges.

Mehrere Abende verzichteten die Brüder auf das Vorlesen, um die neuerworbenen Möbel zu bewundern, die von den alten Möbeln mit den verblichenen Stoffbezügen, die schon ihre Geburt miterlebt hatten, sehr vorteilhaft abstachen. Auch stellten sie eine Liste von Dingen auf, die sie noch kaufen wollten, wenn das Geld, das der Verleger Mario schuldete, eingetroffen wäre. Alles war damals sehr teuer, aber Mario glaubte, mit seinem Gelde sehr billig eingekauft zu haben. Sicher hatte mit der Zeit nicht nur sein Erfolg, sondern auch das Geld für ihn eine große Bedeutung erlangt.

 


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