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III

Mario hatte zwei alte Freunde, von denen der eine, wie sich bald zeigte, sein erbitterter Feind war.

Der andere, der bis zu seinem Tode sein Freund blieb, war sein Bürovorsteher, ein gewisser Herr Brauer. Er war wenige Jahre älter als Mario und mit ihm in Freundschaft verbunden, denn nie trat er als sein Vorgesetzter auf, sondern er behandelte ihn stets als seinen Kollegen. Diese auf Gleichheit begründeten Beziehungen hatten nicht in einer gefühlsmäßigen Freundschaft ihren Ursprung, sie entsprangen auch nicht aus demokratischen Überzeugungen, sondern sie entwickelten sich aus einer jahrelangen gemeinsamen Arbeit, bei der bald der eine, bald der andere der Überlegene war. Man weiß, daß selbst der unbedeutendste Schriftsteller es immer noch besser versteht, einen Brief aufzusetzen, als ein Mann, der sich nie mit Literatur befaßt hat. So war Brauer denn der Vorgesetzte, wenn es sich darum handelte, ein Geschäft richtig anzufassen, kam es aber darauf an, Offerten und Polemiken zu Papier zu bringen, trat Mario an seine Stelle. Sie hatten sich so aufeinander eingespielt, daß sie wie zwei Räder derselben Maschine arbeiteten. Mario hatte sich daran gewöhnt, zu erraten, was Herr Brauer wünschte, wenn er ihn bat, einen Brief so zu schreiben, daß man sich verständlich machte, ohne die Sache, auf die es ankam, auszusprechen, oder daß man sie zwar aussprach, sich dadurch aber zu nichts verpflichtete. Herr Brauer war immer beinahe, aber nie völlig zufrieden, und oft schrieb er den ganzen Brief noch einmal, wobei er die Worte und Redewendungen Marios mit blindem Respekt übernahm, sie aber hier und da an eine andere Stelle rückte. Wenn Herr Brauer etwas verbesserte, war er liebenswürdiger denn je, und er entschuldigte sich: »Ihr Schriftsteller habt eine zu persönliche Art, euch auszudrücken. Das ist nichts für Geschäftsleute, die nur gewöhnliche Sterbliche sind.« Und Mario fühlte sich durch eine solche Kritik so wenig beleidigt, daß er sich vielmehr alle Mühe gab, sie zu verdienen. Daher schmückte er seine Geschäftsbriefe reicher mit Kostbarkeiten als seine Fabeln. Und dann erkannte er bereitwillig an, daß der von Brauer noch einmal geschriebene Brief viel kaufmännischer war als sein eigener, denn so brauchte er von einer Sache, die ihn langweilte, wenigstens nichts mehr zu hören.

Da die beiden so viele Meisterwerke in gemeinsamer Arbeit geschaffen hatten, hatte sich zwischen ihnen eine herzliche Freundschaft entwickelt. Jeder erkannte die Verdienste des anderen an. Aber mehr: keiner mißgönnte dem andern seine Überlegenheit. Denn Brauer hielt es für ein großes Unglück, zum Schriftsteller geboren zu sein, und wer ohne seine Schuld von einem solchen Unglück betroffen war, konnte wohl erwarten, daß seine glücklicheren Kollegen ihm jeglichen Schutz gewährten. Mario aber hatte gerade für die Geschäftstüchtigkeit so wenig Verständnis, daß es ihm nie in den Sinn gekommen war, sie zum Ziel seines Ehrgeizes zu machen.

Eins aber konnte er nicht recht einsehen: weshalb verdiente Brauer ein soviel größeres Gehalt als er selber? Da er seinen Neid in das Gewand der Fabel hüllte, mußte sich nun auch der arme Brauer die Verwandlung in einen Sperling gefallen lassen. Doch mochte es ihn immerhin trösten, daß Mario selber an dieser Verwandlung teilnahm. Natürlich wurden den beiden Sperlingen Brotkrumen gestreut. Denn ihr Dasein scheint ja nur den einen Zweck zu haben, daß die Gutherzigkeit der Menschen sich an ihnen ohne große Unkosten betätigen kann. Brauer wählte den kürzesten Weg zum Futter, und darum flog er sehr niedrig. Mario flog hoch und darum kam er zu spät. Aber er fastete gern, denn er tröstete sich mit der schönen Aussicht, die er von seiner Höhe hatte genießen können.

Mario war übrigens ein sehr tüchtiger Angestellter, den man nie anzutreiben brauchte, damit er seine Pflicht tat. Außer den Briefen, die er gemeinsam mit Brauer entwarf, lagen ihm auch zahlreiche Eintragungen und andere Arbeiten von untergeordneter Bedeutung ob, die man im Geschäftsleben mit Recht den Literaten zuweist, weil sie zu nichts anderem zu gebrauchen sind. Auch für diese Arbeiten, die Mario mit großer Gewissenhaftigkeit erledigte, war Brauer ihm dankbar, weil er dadurch mehr Zeit gewann, die Geschäfte zu leiten, wie es sein Wunsch und seine Pflicht war. So wurde er immer geschäftstüchtiger, und der Augenblick mußte kommen, da sein kaufmännisches Wissen Mario mehr nützen konnte, als dessen literarische Talente ihm jemals hatten nützen können.

Der andere Freund Marios, der sich bald als sein Feind enthüllen sollte, war ein gewisser Enrico Gaia, Geschäftsreisender von Beruf. In seiner Jugend hatte er eine kurze Zeit versucht, Gedichte zu machen, und damals hatte er sich an Mario angeschlossen, später aber hatte der Geschäftsreisende in ihm den Dichter erdrosselt, während Mario die Mußezeit, die seine Berufstätigkeit ihm ließ, dazu benutzte, sein literarisches Leben in Gestalt von Träumen und Fabeln weiterzuleben.

Die Tätigkeit eines Geschäftsreisenden läßt keine Zeit zu dilettantischen Übungen. Erstens deshalb, weil er sein Leben fern von dem Schreibtische, der einzigen Stelle, an der man Verse und Prosa schreiben kann, verbringt. Dann aber auch deshalb, weil er laufen, reisen und reden, vor allem bis zur Erschöpfung reden muß. Vielleicht war es nicht sehr schwer gewesen, Gaias literarische Ader zu unterbinden. So hatte er wohl eine idealistische Periode durchgemacht – was indessen auch bei Sklavenhändlern bisweilen vorgekommen sein soll –, aber von dieser Periode war nicht mehr an ihm hängen geblieben, als von der Larve am geflügelten Insekt. Hätte man ihn zu Pulver zerstampft und dann analysiert, so hätte man in seinem Organismus auch nicht eine einzige Zelle gefunden, deren Bau andere Zwecke verraten hätte, als den, gute Geschäfte zu machen. Mario, ein wenig ungerecht, verzieh ihm eine so radikale Wandlung nicht und dachte: Ein Sperling im Käfig erregt wohl Mitleid aber auch Zorn. Wenn er sich hat fangen lassen, so bedeutet es, daß ihm der Käfig beinahe schon gebührte, und wenn er ihn ertragen konnte, so ist das ein sicherer Beweis, daß er kein anderes Schicksal verdiente.

Nun war Gaia aber als Geschäftsreisender sehr geschätzt, und es lag deshalb kein Grund vor, ihn zu verachten. Denn ein guter Geschäftsreisender nützt seiner Familie, der Firma, für die er tätig ist, und sogar dem Lande, in dem er geboren wurde. Seit vielen Jahren hatte er die kleinen Städte Istriens und Dalmatiens bearbeitet, und er konnte sich rühmen, daß das einförmige Provinzleben wenigstens eines gewissen Teils der Bevölkerung (seiner Kunden nämlich) sogleich einen neuen Antrieb erhielt, sobald er sich nur in einer dieser Städte zeigte. Seine treuen Reisebegleiter waren: eine unermüdliche Schwatzlust, ein guter Appetit und ein solider Durst – also die drei wesentlichsten Eigenschaften der Geselligkeit. Für Neckereien schwärmte er wie die alten Toskaner, doch behauptete er, daß seine Späße harmloser wären. Er verließ keinen noch so kleinen Ort, ohne vorher die Person bezeichnet zu haben, über die man sich lustig machen konnte. So blieb er bei seinen Kunden noch lange im Gedächtnis, wenn er fortgereist war, denn sie belustigten sich weiter auf den Spuren, die er hinterließ.

Vielleicht war diese Liebe zu derben Scherzen ein Überbleibsel seiner künstlerischen Bestrebungen. Denn der Erfinder solcher Scherze ist wirklich ein Künstler, eine Art Karikaturist, dessen Arbeit deshalb nicht etwa leichter ist, weil er nicht eigentlich arbeitet, sondern so geschickt erfinden und lügen muß, daß der Gefoppte sich selber karikiert. Wohlbedachte Vorbereitungen sind nötig, und auch die Durchführung des Scherzes erfordert peinlichste Sorgfalt. Daher darf man sich nicht wundern, wenn besonders gut gelungene Scherze Unsterblichkeit erlangt haben. Gewiß macht es viel aus, wenn ein Mann wie Shakespeare einen Scherz erzählt, aber man sagt, daß auch schon vor ihm über Jagos kleinen Scherz viel gesprochen wurde.

Es mag wohl sein, daß die anderen Scherze Gaias wirklich harmloser waren, als der, von dem hier die Rede ist. In Istrien und Dalmatien sollten seine Scherze dazu dienen, die Geschäfte zu fördern. Der Scherz aber, dem Mario zum Opfer fiel, war von aufrichtigem Haß gefärbt. Ja: Er haßte seinen großen Freund von ganzer Seele. Vielleicht war er sich dessen selber gar nicht einmal bewußt. Vielleicht war er sogar überzeugt, für Mario nichts anderes als aufrichtiges Mitleid zu fühlen. Denn dieser Unglückliche war nicht nur eingebildet, sondern noch dazu ganz ohne Grund, da er doch gar keine Aussicht hatte, es in seiner erbärmlichen Stellung je zu etwas zu bringen. Wenn er von Mario sprach, wußte er seinem Gesicht einen Ausdruck des Bedauerns zu geben, aber seine Lippen verzogen sich dabei in einer Weise, die sich auch wohl als eine Drohung deuten ließ.

Er beneidete ihn. Mario lebte im Reiche der Fabeln. Gaia war fleischlichen Gelüsten ergeben. Mario lächelte stets. Auch Gaia lachte viel, aber doch nicht immer. Die Fabel begleitet den Dichter wie ein leuchtender Schatten neben dem dunklen, den der Körper wirft. Die Schwelgerei aber ist etwas Furchtbares, wenn sie dem Menschen wie sein Schatten folgt. Denn sie ist ein Verbrechen gegen den eigenen Organismus, und sie ist – besonders im höheren Alter – von Gewissensqualen begleitet, gegen die das grauenhafte Schicksal des Orestes, der seine Mutter erschlug, noch leicht zu nennen war. Auf die Selbstvorwürfe folgt stets das Bemühen, sie zu entkräften, das Vergehen zu erklären und zu entschuldigen. Man meint dann wohl, daß kein Mensch dem gleichen Schicksal entgehe. Aber wie hätte Gaia wohl gutgläubig behaupten können, daß jeder, der dazu in der Lage ist, sich der Schwelgerei ergibt? Hatte er nicht Mario als lebendes Gegenbeispiel immer vor Augen?

Dazu kam die verwünschte Literatur, von der Gaia sich doch völlig frei gemacht zu haben schien, die aber dennoch seine Seele noch immer verdüsterte. Niemand träumt den Traum des Ruhmes ungestraft, und wenn er auch noch so kurz war. Immer wird er ihm nachweinen, und immer wird er den beneiden, der den Traum nicht aufgeben will, ob er gleich niemals zum Ruhme führt. Und daß Mario, der so leicht erröten konnte, seinen Traum nicht fahren ließ, las man leicht in seinen Augen. Er beanspruchte den Platz im Reiche der Literatur, der ihm vorenthalten wurde, und er hatte ihn auch wirklich inne – heimlich zwar, doch darum nicht weniger mit Recht und ohne Einschränkung. Er sagte freilich, er habe seit Jahren nichts mehr geschrieben (was eine Übertreibung war, da er der Geschichten von den Vöglein nicht Erwähnung tat), aber niemand glaubte es ihm, und das genügte, um ihn in aller Augen über seine Umgebung hinaus zu erhöhen. Daher verdiente er Haß und Mißgunst. Und Enrico Gaia verschonte ihn wirklich nicht mit beißendem Spott. Manchmal überrumpelte er ihn auch mit Gesprächen über Geschäfte und die wirtschaftliche Lage. Aber das genügte seiner Rachgier nicht, weil Mario es liebte, selber über seinen Mangel an Geschäftstüchtigkeit zu lachen. Gaia wollte den glücklichen Traum zerstören, der ihm aus den Augen leuchtete, und wenn er ihn dazu blind machen mußte. Sah er Mario mit der Miene des Schriftstellers, der die Dinge und die Menschen mit ewig heiterer und lebendiger Neugier betrachtet, in das Kaffeehaus treten, dann bemerkte er finster: »Da kommt der große Schriftsteller.« Und wirklich hatte Mario das Aussehen und genoß das Glück eines großen Schriftstellers.

In den Fabeln spielte Gaia keine Rolle. Eines Tages aber machte Mario die Beobachtung, daß die kleinen Vögel sehr gefräßig sind. An einem Tage verschlingen sie so viele Krümel, daß alle, auf eine Wage gelegt, das Gewicht ihres ganzen Körpers ausmachen würden. Deshalb war es so schwer gewesen, unter den Sperlingen einen zu finden, der Gaia glich. Aber wenigstens waren sie ihm alle in diesem einen Punkte ähnlich. Und Mario entdeckte plötzlich in dieser Ähnlichkeit den Widerspruch, aus dem später wohl einmal eine Fabel werden konnte: »Er ißt wie ein Sperling, aber er fliegt nicht.« Und weiter: »Er fliegt nicht, und er ist sich seiner Furcht bewußt.« Daß er damit Gaia meinte, unterliegt keinem Zweifel. Denn dieser hatte eines Abends, als er einen Freund durch eine Verleumdung beleidigt hatte, mit gewaltigen Sätzen aus dem Kaffeehause fliehen müssen.

 


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