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Vorwort

Italo Svevo oder Ettore Schmitz, wie er im bürgerlichen Leben hieß, wurde am 19. Dezember 1861 in Triest geboren. Seine Vorfahren waren Deutsche, doch hatte sein Vater, wie auch sein Großvater, der als österreichischer Beamter in Treviso lebte, eine Italienerin geheiratet. Als Ettore zwölf Jahre alt war, wurde er mit seinen Brüdern auf eine Schule in der Nähe Würzburgs geschickt, wo er fünf Jahre blieb. Bald beherrschte er die deutsche Sprache so vollkommen, daß er die Klassiker ohne Mühe zu lesen vermochte. Seine Lieblingsschriftsteller waren Jean Paul und Schopenhauer. Die Eindrücke dieser Jugendjahre waren so nachhaltig, daß Svevo noch kurz vor seinem Tode Deutschland das Land nannte, dem stets seine ganze Liebe gegolten habe. Wie sehr der Dichter, der wohl der Sprache und politischen Überzeugung nach Italiener, seiner geistigen Struktur nach aber Deutscher war, sich deutschem Geiste verpflichtet fühlte, bewies er, als er sein ursprüngliches Pseudonym Ettore Samigli aufgab und sich bedeutungsvoll Italo Svevo, den »italienischen Schwaben« nannte.

Nach seiner Rückkehr aus Deutschland besuchte Ettore zwei Jahre lang die Handelshochschule in Triest und übernahm dann, durch die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage seines Vaters gezwungen, die bescheidene Stellung eines kleinen Bankangestellten. In seinem ersten Roman »Una Vita«, der 1893 erschien, hat der Dichter mit autobiographischer Treue sein damaliges Leben geschildert. Er hatte gehofft, sich durch literarische Erfolge von einer Tätigkeit freizumachen, die ihm als Beruf aufgedrängt worden war, zu der er sich aber in keiner Weise berufen fühlte. Seine Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Als auch sein zweiter Roman »Senilità«, der sechs Jahre später erschien, das eisige Schweigen, mit dem man das erste Werk empfangen hatte, nicht zu brechen vermochte, zog der Dichter sich von dem literarischen Markt zurück, auf dem niemand seiner begehrte. Er war so erbittert, daß er keinen weiteren Versuch unternahm, eine Anerkennung zu erzwingen, die ihm, wie er wohl wußte, zu Unrecht versagt blieb. Er beschränkte sich daher in den folgenden Jahren fast ganz auf seine geschäftliche Tätigkeit, von der er seit seiner Heirat mit Livia Veneziani, durch die er Teilhaber und bald der eigentliche Leiter eines angesehenen Handelshauses wurde, völlig in Anspruch genommen war. Und fast war er froh darüber, daß ihm nun kaum noch eine freie Stunde blieb, in der er literarischen Neigungen hätte nachgehen können, denn, wenn er auch nur einen einzigen Satz schrieb, wurde er, wie er später gern erzählte, sofort zerstreut und weniger geschickt zu geschäftlicher Tätigkeit. »Da ich aber wohl fühlte,« sagte er einmal, »daß ich mich irgendwie künstlerisch betätigen mußte, widmete ich die wenigen freien Stunden, die mir blieben, dem Studium der Violine, um nur ja nicht ein drittes Mal der Literatur zu verfallen. Daß die Kur nicht glückte, weiß man ja, und manchmal sinne ich darüber nach, was mich wohl trieb, in einem Alter von zweiundsechzig Jahren noch einmal nach einem Verleger auf die Suche zugehen.« Es wird Ettore nicht anders ergangen sein als Mario Samigli, dem Helden seiner Novelle » Ein gelungener Scherz«. Denn auch er hatte wohl, »obgleich doch wirklich nicht mehr jung an Jahren, den Glauben noch immer nicht verloren, daß er vom Schicksal zum Ruhme ausersehen wäre«.

Immerhin vergingen vierundzwanzig lange Jahre in stiller Reifung, aber ohne jede Produktivität. Und vielleicht hätte er nie den Weg zur Literatur zurückgefunden, wären nicht zwei Momente von entscheidender Bedeutung zusammengetroffen. Das erste war die Bekanntschaft mit den Werken Sigmund Freuds, die er zunächst nur las, um sich selber ein Urteil darüber zu bilden, ob die psychoanalytische Methode geeignet sein könnte, einem Freunde die erhoffte Heilung zu bringen. Wie es ihm dabei erging, erzählt der Dichter in seinen Aufzeichnungen zu einem Vortrage, den er zu halten gedachte, aber nie gehalten hat (» Parole non dette«, abgedruckt in der Zeitschrift »Il Convegno« vom 25. April 1931): »Ich lernte die Psychoanalyse im Jahre 1910 kennen. Einer meiner Freunde, der nervös erkrankt war, fuhr nach Wien, um sich psychoanalytisch behandeln zu lassen. Daß dadurch meine Aufmerksamkeit auf die Psychoanalyse gelenkt wurde, war das einzige erfreuliche Ergebnis dieser Kur. Mein Freund ließ sich zwei Jahre lang psychoanalytisch behandeln und kehrte schließlich nahezu völlig gebrochen zurück. War er schon vorher willenlos gewesen, so war er es nun erst recht. Da er nämlich die Gewißheit erlangt zu haben glaubte, daß es keine Rettung für ihn gäbe, wurde sein Leiden nur um so hartnäckiger ... Als Behandlungsmethode war die Psychoanalyse für mich ohne jedes Interesse. Ich war gesund, oder wenn ich krank war, liebte ich meine Krankheit vielleicht so sehr, daß ich gewillt war, sie für mich zu behalten und mit allen Kräften gegen jedermann zu verteidigen. Jedenfalls gab ein Freudianer, dem ich mich anvertraute, meiner Antipathie gegen den Stil seines Meisters diese Deutung. Das primitive Tier, das auch in mir stecke, meinte er, bisse wütend um sich, um seine Krankheit vor jedem Eingriff zu schützen. Aber die Psychoanalyse ließ mich fortan nicht mehr los. Es wurde ihr freilich nicht schwer, mich festzuhalten, da mein Geist von nichts anderem gefesselt war.« Bald war Svevos Geist von der neuen Welt, die sich ihm auftat, und die er in seinem Roman » Senilità« schon zu einer Zeit vorausgeahnt hatte, da noch niemand etwas von Freud wußte, so gefesselt, daß er nicht eher Ruhe fand, als bis er sich mit der Psychoanalyse dichterisch auseinandergesetzt hatte.

Das zweite Moment, das Svevo zur Literatur zurückführte, war ganz anderer Art. Als Ettore Schmitz sich im Jahre 1906 aus geschäftlichen Rücksichten entschloß, englischen Unterricht zu nehmen, führte ihn der Zufall zu James Joyce, der, von niemand gekannt, als Sprachlehrer in Triest lebte. Der englische Dichter, der schon damals seinen Weg klar vor Augen sah, spürte in dem Roman » Senilità« einen verwandten Geist und riet dem Verfasser, sein resigniertes Schweigen zu brechen. Es vergingen aber noch weitere zwölf Jahre, ehe Ettore Schmitz, durch den Weltkrieg zu geschäftlicher Untätigkeit gezwungen, Zeit und Muße fand, sich ein Buch von der Seele zu schreiben, das ihn die langen Jahre des Schweigens bewegt und zur Gestaltung gedrängt hatte. Endlich, im Jahre 1923, erschien der dritte Roman: » La Coscienza di Zeno.« Aber auch dieses Werk brachte dem Dichter zunächst nur neue Enttäuschungen. In den bereits erwähnten Aufzeichnungen sagt Svevo: »Nun muß ich gestehen, daß ich, wie alle, die publizieren, auf einen Erfolg gehofft hatte. Als mein Buch aber erschien, fand ich statt des erhofften Widerhalls eine tiefe Kirchhofsstille. Wenn ich heute davon spreche, kann ich lachen, und ich hätte vielleicht auch damals gelacht, wenn ich jünger gewesen wäre. Da das aber leider nicht der Fall war, litt ich dermaßen unter meinem Mißerfolg, daß ich den Satz prägte: Alten Leuten ist die Beschäftigung mit der Schriftstellerei nicht zuträglich. Ich war es gewiß schon gewohnt, keine Beachtung zu finden, aber diesen neuen Mißerfolg ertrug ich nicht, weil er mir den Appetit und den Schlaf raubte.«

Diesmal aber war Svevo nicht gewillt, die unverdiente Nichtbeachtung mit Stillschweigen hinzunehmen. Da er keine Zeit mehr hatte, auf den Ruhm zu warten, beschloß er, aus der bisher geübten Zurückhaltung herauszutreten und seinen Roman an James Joyce zu schicken, der inzwischen, zu internationaler Berühmtheit gelangt, nach Paris übergesiedelt war. Und Joyce enttäuschte das in ihn gesetzte Vertrauen nicht. Mit dem Erscheinen des von ihm inspirierten Aufsatzes von Valéry Larbaud im Februarheft 1926 des »Navire d'Argent«, das gleichzeitig Proben aus den beiden Hauptromanen Svevos brachte, erwachte das Interesse der gebildeten Welt, und nun erwachte endlich auch das Nationalbewußtsein der Italiener, die einen ihrer größten Dichter so völlig verkannt hatten.

Spät war der Ruhm gekommen, und der Dichter wußte ihn heiter lächelnd und ohne Überhebung zu tragen. Er versuchte nun nachzuholen, was er in der langen Periode der Unproduktivität versäumt hatte. Aber nur zwei Jahre des Schaffens waren ihm noch vergönnt. Am 13. September 1928 erlag er den Folgen eines Automobilunfalls.

Außer den drei großen Romanen, von denen bisher nur » Zeno Cosini« deutsch vorliegt (in der Übertragung von Piero Rismondo, 2. Auflage 1930), hat Italo Svevo ein Schauspiel » Un Marito«, einige kleinere Schriften und eine Reihe von Novellen hinterlassen. Die Novelle » Ein gelungener Scherz« (Una Burla Riuscita) erschien ebenso wie » Feuriger Wein« (Vino Generoso) im Jahre 1926, die Fabel » Die Mutter« (La Madre) 1910. Die Skizze » Kleine Geheimnisse« (Piccoli Segreti) wurde aus dem unveröffentlichten italienischen Manuskript übertragen.

Man hat Italo Svevo mit Joyce und Proust verglichen, man hat Flaubert, Balzac und Dostojewski seine Paten genannt, wir können getrost Jean Paul, Schopenhauer und Sigmund Freud hinzugesellen – sein Ruhm wird dadurch nicht geschmälert. Bewundernswert bleibt der Mut, mit dem Svevo in seinen Werken, die doch so ganz autobiographischen Charakters sind, die Sonde bis in die letzten Tiefen des Bewußtseins führt, die Gedanken, Träume, Zweifel, guten Vorsätze, Hemmungen, Krankheiten und Feigheiten seiner Helden analysiert und die geheimsten Falten der menschlichen Seele bloßlegt. Italo Svevos Bücher sind wie die Früchte vom Baume der Erkenntnis, und wer davon ißt, dessen Augen werden auf getan. Er sieht, daß er nackend ist, und beginnt sich seiner Nacktheit zu schämen.

Karl Hellwig


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