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20. Unser Ritt durch das Nordland

Mit dem Abschied von Hnausum begann unsere Reise durch das Nordland. Sie glich in vieler Hinsicht dem bereits Erzählten; ich will deshalb meinen Bericht darüber jetzt etwas kürzer fassen.

Im allgemeinen kann ich sagen, daß wir auf den Höfen des Nordlands, die durchweg größer und wohlhabender sind als die Höfe im Südland, stets mit derselben Gastfreundlichkeit aufgenommen wurden.

Der Bauer von Hnausum gab uns in der liebenswürdigsten Weise seinen kleinen Sohn als Führer mit, weil es zunächst über eine Bergkette ging, wo immer mit Gefahr zu rechnen ist, wenn man den Weg nicht kennt, besonders bei Nebel. Hernach sollten wir durch ein neues Tal kommen.

Der Knabe blieb bei uns, bis wir in der Ferne unser nächstes Nachtquartier, Sólheimar (»Sonnenheime«), sehen konnten.

Der Hof Sólheimar nahm sich von weitem aus wie ein kleines Schwalbennest am Bergeshang. Wir blieben dort über Nacht und wurden auf das freundlichste bewirtet.

Tags darauf sollten wir das Tal verlassen und über den mächtigen Blandafluß setzen, der viel tiefer ist als die Hvítá, der Weiße Fluß, mit seinen dreizehn Armen, den wir noch sehr gut in Erinnerung hatten. – Über eine neue Bergkette hinweg sollten wir dann am Abend das Gehöft Bidimýri erreichen.

Auch der Bauer auf Sólheimar ließ uns von einem lieben kleinen Jungen begleiten, bis wir wohlbehalten den gefährlichen Blandafluß überschritten hätten.

Als wir zu dem Fluß hinkamen, sahen wir gleich, daß hier keine Rede davon sein konnte, durch die tiefen, reißenden Fluten hindurchzureiten. Der Knabe sagte denn auch, er wolle uns einen Fährmann besorgen, und bat uns, so lange am Ufer zu warten. Dann lief er auf einen Hügel hinauf und rief dort mit solcher Kraft » Ferja!« (das heißt »Fähre!«), daß es in allen Bergen ringsum widerhallte.

Aber es ging hier beinahe wie auf unserer Seefahrt bei den Bestmanna-Inseln: der Junge mußte den Ruf mehrmals wiederholen, bis er Erfolg hatte.

Endlich sahen wir einen Mann von dem nächsten Berg herab langsam auf uns zukommen – eine kraftvolle Gestalt.

Das war der Fährmann. Er hatte eine Baßstimme, wie ich sie selten gehört habe.

Nach kurzer Begrüßung nahmen wir den Pferden alles Reitzeug, Sättel, Kasten und Pakete ab und brachten es in ein kleines, starkes Fährboot. Dann sollten zuerst die Pferde in den tiefen Fluß hinausgetrieben werden, wo sie nun richtig ihre Fähigkeit im Schwimmen zeigen konnten.

Die armen Tiere leisteten verzweifelten Widerstand. Sie wollten nicht in das eiskalte Wasser hinein. Schließlich mußten sie aber doch nachgeben und schritten dann mit Vorsicht in die reißende Flut.

Bald war von ihnen im Wasser nichts mehr zu sehen als ihre herausragenden Köpfe, die mit großer Schnelligkeit stromabwärts getrieben wurden.

Alle drei versuchten wiederholt zu uns zurückzukehren, aber der strenge Fährmann wehrte es ihnen so mit Drohungen und Steinwürfen, daß sie sich zuletzt fügten und auf das jenseitige Ufer lossteuerten. Zugleich munterte er sie mit seiner tiefen, kräftigen Stimme fortgesetzt zum Weiterschwimmen auf.

Als sie bis ungefähr in die Mitte des Flusses gekommen waren, sahen sie sich nicht mehr um.

Jetzt brachte das Boot auch uns über den breiten Strom.

Drüben angelangt, bezahlte ich dem Fährmann die gewöhnliche Taxe, eine Krone. Wir verabschiedeten uns, und dann ging es weiter ins Nordland. –

Nach einem kalten Bad soll man sich rühren und bewegen. Diese Regel schienen unsere Pferde zu kennen, denn jetzt begannen sie zu galoppieren, bis sie alle drei von Schweiß trieften.

Bevor wir Bídimýri erreichten, näherten wir uns bereits der Meeresküste im Norden von Island, gegenüber Drangen, der aus »Grettirs Saga« bekannten steilen Felseninsel, die dicht beim Lande hoch über das Wasser emporragt.

Hier hatte der geächtete Grettir nahezu zwanzig Jahre gewohnt; hier wurde er zuletzt von seinen Feinden bei einem Überfall getötet, obschon er auf dem Krankenbett lag. Sein ritterlicher Bruder Illugi, der den todkranken Grettir verteidigt hatte, aber am Ende überwunden und zum Gefangenen gemacht worden war, wurde vor dem Hause Grettirs enthauptet, da er nicht auf die Rache für den Tod seines Bruders verzichten wollte.

Später kamen wir an der Stelle vorbei, wo Grettirs Haupt begraben wurde von denen, die ihn getötet hatten.

 

Von Bídimýri ging es nach Silfrastadir. Zwischen den beiden Höfen ist ein tiefer, vielarmiger Fluß, Héradsvötnin (»Wasser des Landbezirks«), durch dessen größten Arm unsere Pferde wieder schwimmen mußten. Wir selbst benutzten das Fährboot. Durch die andern Arme des Flusses konnten wir reiten.

Einmal war es uns schwer, die Furt zu finden. Da riefen wir einem kleinen Mädchen zu, das gerade auf der andern Seite vorbeiritt, und fragten sie, wo man ohne Gefahr hinüberkommen könne. Statt zu antworten, lenkte sie rasch ihr lebhaftes Pferd mitten in das tiefe Wasser, ritt zu uns herüber und forderte uns auf, ihr zu folgen.

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Zum Dank für die liebe Gefälligkeit schenkte ihr Friedrich ein kleines Bildchen. –

In dieser Gegend lernten wir eine Sitte kennen, die uns zeigte, daß der Übergang über solche Flüsse unter Umständen auch gefährlich sein kann. Beim Abschied sagen nämlich dort die Leute nicht wie wir: »Glückliche Reise!«, sondern sie gebrauchen das sinnreichere »Behüt' Gott, guten Fluß!« Sie wissen nämlich aus Erfahrung, wie verhängnisvoll ein schlimmer Fluß oft ist.

Durch die Hilfe des kleinen Mädchens hatten wir einen »sehr guten Fluß« und erreichten Silfrastadir in bestem Wohlbefinden. Dort übernachteten wir. –

Von Silfrastadir nahmen wir den Weg über den Öxnadalspaß, eine unbewohnte, lange, enge Bergschlucht, gebildet von mächtigen Höhen auf beiden Seiten. Unser Ritt über den Paß dauerte wohl sechs Stunden. Überall am Wege gab es eine Menge der schönsten Blaubeeren. –

Gegen 1 Uhr nachts kamen wir zu dem ansehnlichen Gehöft Steinstadir.

Als wir uns dem Hofe näherten, sprengte Friedrich in seiner Freude, daß wir endlich ein Obdach erreichten, im Galopp zum Hofplatz. Ein kleiner Junge, der in dieser Nacht die Wache hatte, stand draußen.

Friedrich begann sogleich eine Unterredung mit ihm, halb dänisch, halb isländisch. Er fragte ihn, ob das der Hof Steinstadir sei, ob wir auf dem Hof übernachten könnten, und so weiter. Ferner zeigte er ihm ein Sträußchen Blaubeeren, die er sich von der Bergschlucht mitgenommen hatte, und wollte wissen, wie man die Beeren in dieser Gegend nenne.

Ich mußte lachen, als ich sah, welche Wirkung diese Fragen auf den isländischen Jungen ausübten, der vielleicht nie in seinem Leben einen Ausländer gesehen hatte. Wortlos vor Staunen, betrachtete er eine Zeit lang den fremden Knaben; denn die Sprache, in der er von ihm angeredet wurde, hatte er gewiß nie zuvor gehört.

Auch Friedrich schüttelte den Kopf, als er keine Antwort erhielt.

Stumm standen sich die beiden Jungen gegenüber.

Das Ganze endete damit, daß der kleine Isländer kehrtmachte und ins Innere des Hauses verschwand. – Er weckte jetzt einen, der Dänisch verstand, und bald waren wir auch auf Steinstadir gastlich aufgenommen.

Die weitere Reise führte uns das romantische Öxnatal entlang. Am Abend setzten wir über den tiefen Fluß Hörgá im Hörgártal und kamen nun zu dem mächtigen Hof Mödruvellir, wo uns die Hausmutter, Frau Steffánsson, den behaglichsten Aufenthalt bereitete.

Auf Mödruvellir, dem größten und reichsten aller Höfe, die wir bis jetzt gesehen, war eine tüchtig geleitete Realschule eingerichtet. Die Schüler hatten jedoch gerade Ferien.

Mödruvellir – das werden am besten die Leser der Ronnibücher verstehen – machte auf mich einen ganz besonderen Eindruck.

Ich bin sonst nicht der Gewalt innerer Bewegungen und Stimmungen unterworfen und lasse mich nicht so leicht von ihnen überwältigen; aber hier auf diesem Hofe drangen kurz nach unserer Ankunft so viele starke und tiefe Empfindungen auf mich ein, daß es mir unmöglich war, sie zu verbergen.

Auch der kleine Friedrich bemerkte das; aber mit einem geradezu rührend feinen Taktgefühl überließ mich der Knabe jetzt meinen eigenen Gedanken. –

Was mich auf Mödruvellir so sehr ergriff, war der Umstand, daß ich hier geboren wurde und jetzt nach fünfundzwanzig Jahren diese meine Geburtsstätte zum ersten Male wiedersah!

Hier hatte ich als Kind meine ersten Spiele gespielt. – Hier sah ich die Höhe wieder, die ich damals für einen großen Berg gehalten hatte, von dem aus ich immer so staunend umherblickte und meinte, das, was ich hier gesehen, das sei schon die große, weite Welt. – Hier wuchsen die Blumen, wie ich seitdem keine mehr gesehen hatte.

Fast bei jedem Schritt, den ich tat, wachten Jugenderinnerungen in mir auf, erste liebe Vorstellungen aus meinen Kindheitstagen.

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Das ganze Leben seit der Stunde, da ich diesen meinen väterlichen Hof verlassen hatte, kam mir jetzt wie ein Traum vor. – Hier, so schien es mir, fand ich die eigentliche Wirklichkeit wieder. – Hier war vor vielen, vielen Jahren mein irdisches Paradies gewesen!

Hier hätte ich eigentlich jetzt bleiben müssen, denn nirgends in der Welt konnte ich wohl so glücklich und geborgen sein.

Aber daran war nicht mehr zu denken; ich hatte auf Mödruvellir keine Heimat mehr ...

Diese Gefühle und Erinnerungen bewegten mich so sehr, daß ich noch spät am Abend keinen rechten Schlaf finden konnte.

Mitten in der Nacht – es war wunderbar hell und mild – stand ich daher wieder auf. Ich ging hinaus ins Freie und wanderte in der nächsten Umgebung des Hofes umher, still und allein, die Seele voll Wehmut und voll Glück zugleich.

Ich merkte nicht, wie die Stunden verstrichen ...

Als es Morgen geworden war, kam Frau Steffánsson zu mir heraus, um mich zum Frühstück zu holen. –

Unvergeßlich blieb mir, wie liebevoll und doch zurückhaltend der kleine Friedrich an jenem Tage gegen mich war. Er wollte offenbar auch seinerseits mithelfen, mir den Aufenthalt am Ort meiner Geburt und meiner Kindheitserinnerungen möglichst zu verschönen.

 

Beim Abschied von Mödruvellir gab uns Frau Steffánsson einen Jungen mit, der uns den Weg bis Hjalteyri zeigen sollte, einem kleinen Handelsplatz mitten im Eyafjördur, dem schönsten Fjord Islands. Dort wohnte mein guter Freund Gunnar Einarsson, ein Kaufmann, mit Frau und Kindern.

In seinem Hause hielten wir uns volle acht Tage auf.

Wieviel Güte und Liebe der vortreffliche Mann und seine ganze Familie uns in all der Zeit erwiesen, kann ich mit Worten nicht ausdrücken. –

Gegen Ende August mußten wir auch von Hjalteyri Abschied nehmen. Es kam jetzt das letzte Stück unseres Rittes durch Island, der Weg nach Akureyri. Von dort sollte uns der Dampfer »Thyra« über die Färöer und die Stadt Edinburg wieder nach Kopenhagen zurückbringen.

In Akureyri wollten wir auch unsere Pferde verkaufen, die sich durch den langen Aufenthalt in Hjalteyri von den vielen Strapazen der Reise erholt hatten und gut aussahen. Dieses Geschäft wickelte sich dank der Hilfe meines Freundes Gunnar, der mit nach Akureyri geritten war, recht günstig ab.

Aber ich kann kaum sagen, wie schwer es mir wurde, mich von diesen guten Tieren zu trennen, die so treu und ausdauernd uns und unsere Sachen quer durch das ganze Innere meines Heimatlandes getragen hatten.

Vielleicht wird es Leute geben, die über mich lachen, wenn ich das Geständnis ablege, daß ich bei diesem Abschied Tränen in den Augen hatte. Für solche Menschen setze ich die Worte eines berühmten Reisenden hierher, der nach einem Ritt durch Island schrieb:

»Die vortrefflichen isländischen Pferde sind die allerliebsten kleinen Geschöpfe auf Gottes grüner Erde.«

Ich kann das nur bestätigen und hoffe, daß unsere drei lieben treuen Pferde in den Männern, die sie kauften, gute Herren gefunden haben. –

Gunnar Einarsson blieb in Akureyri drei Tage lang bei uns, weil das Schiff so lange Verspätung hatte. Er verließ uns nicht, bis wir glücklich und wohl an Bord waren.


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