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10. Der große Geysir – Bei dem Bauer Greipur auf Haukadal

Als wir an dem Vormittag erwachten, schien die Sonne hell und freundlich.

Die Aussicht, die man von dem Hofe Austurhlid hatte, war bezaubernd schön: wieder steile, mächtige Berge, ein herrliches, lichtgrünes Tal, übersät mit wohlhabenden Höfen, in der Ferne Gletscher, blendend weiß, und darunter die Hekla, von oben bis unten mit Schnee bedeckt.

Berge, Täler, Gletscher, alles hatte hier ein vollständig neues Gesicht. Es waren Formen und Farben von einer ganz andern Art, als wir sie bisher gesehen. Dazu das schönste Wetter, die Luft gewürzt mit dem Wohlgeruch zahlloser Bergblumen. Zur Rechten sahen wir das Haukadal mit dem mächtig rauchenden und dampfenden Geysir.

Wir waren in eine von Islands berühmtesten Gegenden gekommen.

Vor unserer Abreise wollten uns die liebenswürdigen Leute durchaus ein gutes Mittagessen bereiten; sie hätten frisches Lammfleisch für uns, sagten sie.

Ich vermutete stark, daß sie unsertwegen ein Lamm geschlachtet hatten, denn in dieser Jahreszeit hat man für gewöhnlich auf den Höfen kein frisches Fleisch. Auch mußten wir selbst bestimmen, wie wir das Lamm zubereitet haben wollten, damit es ja recht nach unserem Geschmack wäre.

Die guten Leute taten alles für unser Wohlergehen, was sie nur irgendwie tun konnten.

Ihre aufrichtige Freundlichkeit und ihre feine, taktvolle Höflichkeit rührten mich mehr, als ich sagen kann.

 

Wir verließen das anmutige Austurhlid erst am Nachmittag, denn wir hatten jetzt nur noch ein paar Stunden bis zum Geysir zu reiten.

Der Weg führte beständig durch üppige, grüne Grasfluren, die das besondere Wohlgefallen unserer Pferde fanden. Mitten im Gehen erhaschten sie bald hier, bald dort, bald rechts, bald links vom Pfade einen kleinen Grasbüschel, woran wir sie natürlich nicht hinderten.

Das wäre auch schändlich gewesen; denn wir brauchten uns ja nicht zu beeilen, da wir uns beim Geysir einige Zeit aufhalten wollten. Die Tiere sollten es daher jetzt einmal wirklich gut haben.

Als wir schon ein größeres Stück weit geritten waren, machte ich einmal einen Abstecher, um mich auf einem kleinen Hof über den Weg zu erkundigen.

Nach Empfang des gewünschten Bescheides wollte ich wieder fort. Aber jetzt kam der Bauer mit Weib und Kind herbei. Alle umringten mein Pferd. Der Bauer hielt es am Zaum und sagte:

»Nun kommen Sie aber doch, bitte, herein und trinken Sie eine Tasse Kaffee mit uns!«

»Tausend Dank für Ihre freundliche Einladung«, erwiderte ich; »aber ich habe eben auf Austurhlid gegessen und Kaffee getrunken. Es geht jetzt nicht.«

»Ach, kommen Sie doch herein!« baten die Kinder.

»Liebe Kinder, ich danke euch herzlich«, sagte ich zu ihnen, »aber ich kann nicht. Es wartet auch noch ein kleiner dänischer Junge auf mich, dort hinten auf dem Wege.«

»Ein dänischer Junge?!« riefen da die Kinder. «Den müssen wir sehen!«

Im selben Augenblick stürmten sie davon zu Friedrich.

Sie versuchten ein Gespräch mit ihm anzufangen, aber es gelang nicht; sie verstanden sich nicht und konnten nur ganz wenig in der Zeichensprache mit ihm »reden«.

Als sie zurückkamen, erzählten sie ihrem Vater und ihrer Mutter voll Eifer von dem dänischen Jungen; denn ein dänischer Junge, das war hier etwas ganz Außergewöhnliches.

Indessen hatte die Frau zu mir gesagt:

»Eine Tasse frischgemolkener Milch darf ich Ihnen aber doch gewiß bringen?«

Hiergegen war nichts mehr zu machen. Die Frau verschwand und kam ein paar Minuten später wieder mit einer Tasse Milch, die ich auf meinem Pferd austrinken mußte.

Ich dankte, so freundlich ich konnte, und nahm dann aus meiner Tasche ein paar kleine Schachteln mit Konfekt, die ich vor unserer Abreise von Dänemark bei Tidemand in Kopenhagen für die isländischen Kinder gekauft hatte, und gab sie den Kleinen nebst einigen farbigen Bildern.

Die Kinder meinten, das sei aber viel zu viel von meiner Seite. Dann reichten sie mir ihre Händchen und bedankten sich überaus freundlich.

Nach einem herzlichen » Verid thér saelir!« galoppierte ich wieder zurück zu Friedrich, der mich bei dem Packpferd am Wege zum Geysir erwartete.

 

Als wir weitere zwei Stunden geritten waren, kamen wir zum Hofe Laug (das heißt »Quelle«).

Dieser Hof liegt nur noch ein paar hundert Schritte vom Geysir entfernt. Auf ihm wohnte Sigurd, überall »Sigurd auf Laug« genannt, ein alter Mann von etwa achtzig Jahren, aber groß und noch stark und im ganzen Lande bekannt wegen seines erstaunlichen Gedächtnisses.

Sigurd kannte ungefähr alle Familien auf Island mit Namen, ja beinahe jeden lebenden Isländer. Ihm gehörte das Gehöft Laug mit dem Wunder des Geysir. Den Geysir selbst hatte er jedoch im Jahre vorher, zum Kummer und Ärger aller Isländer, an einen Engländer verkauft für 3000 Kronen.

Die Absicht des Käufers soll die gewesen sein, neben der Quelle ein Hotel zu bauen und das Ganze mit einer Mauer zu umgeben. Die Reisenden, die den Geysir besichtigen wollten, sollten dann einen Zählapparat passieren und Eintritt bezahlen müssen. Mit der Zeit, wenn der Fremdenstrom nach Island immer größer würde, sollte das ein einträgliches Geschäft werden.

In Verbindung damit steht gewiß das Folgende:

Während wir in Reykjavik waren, kam dahin ein Engländer, der im Auftrag englischer Kapitalisten dem Althing den Vorschlag unterbreiten sollte, eine Eisenbahn von Reykjavik zum Geysir zu bauen und zugleich eine regelmäßige Dampfschifflinie zwischen Liverpool und Island zu eröffnen. Island sollte dreißig Jahre lang die Zinsen für das Anlagekapital bezahlen, nämlich 100 000 Kronen jährlich, dann würde die Eisenbahn sein Eigentum werden. Die Sache wurde aber im Jahre darauf vom Althing abgewiesen.

 

Als wir bei dem Hofe Laug ankamen, trafen wir niemand im Freien. Wir ritten daher zum Eingangstor.

Hier mußte ich nun zeigen, daß ich wußte, was die Besuchsformen des Landes verlangten.

Ich stieg nach isländischer Sitte vom Pferde und bat Friedrich, es samt dem Packpferd zu halten, damit die Tiere nicht am unrechten Ort grasten. Das wäre nämlich eines der ärgsten Vergehen, deren sich ein Reisender schuldig machen könnte. Sodann nahm ich einen Holzstab, der neben der Tür lag, und führte mit ihm drei kräftige Schläge gegen den Giebel des Hauses.

So muß sich in Island jeder Reisende am Tage anmelden. Nach Sonnenuntergang dagegen darf man sich durchaus nicht anders anmelden als durch »Guda«, das heißt, man ruft zu einem Dachfenster, wie schon beschrieben, die Worte hinein:

» Hér sé Gud!« (»Hier sei Gott!«)

Von drinnen wird dann geantwortet:

» Gud blessi ykkur!« (»Gott segne euch!«)

Sobald ich meine drei Schläge ausgeführt hatte, hörte ich drinnen im Gang Schritte.

Eine Frau kam heraus.

Wir grüßten, und sie fragte, was wir wünschten.

»Ich möchte gern mit dem Hausherrn sprechen«, sagte ich.

Die Frau verneigte sich und bat mich, einen Augenblick zu warten; dann ging sie hinein, um ihn zu holen. –

Ich wollte Sigurd, den Hausherrn, bitten, daß er uns nach Kalmanstunga führe, einem Hof in einer weitausgedehnten Wüstengegend jenseits der hohen Berge, die wir in der Ferne vor uns sahen. Das ist ein Ritt von achtzehn Stunden, wenn man schnell reitet. Die ganze Strecke ist vollständig unbewohnt, ein furchtbares Lavafeld; nur an ein paar Stellen findet sich Gras für die Pferde.

Das Schlimmste jedoch ist dort der mächtige Gletscherfluß Hvitá, der Weiße Fluß, ein reißender, milchweißer Bergstrom mit dreizehn Armen, die zu Pferde überquert werden müssen.

Einen solchen Ritt ohne Führer zu unternehmen, daran war natürlich nicht zu denken.

Nun gab es aber in der ganzen Umgebung des Geysir nur drei Männer, die den Weg kannten, nämlich Sigurd auf Laug, sein Sohn, der Bauer Greipur auf dem benachbarten Hofe Haukadal, und endlich Gudjón, Bauer auf einem dritten Hof in der Nähe. Der sicherste von ihnen war trotz seiner hohen Jahre der alte Sigurd.

Alles das wußte ich von Reykjavik her, wo ich mich genau über unsern Reiseweg erkundigt hatte.

 

Jetzt trat zur Türe heraus auf den Hofplatz ein alter Mann, gestützt auf einen zwölfjährigen Jungen, der neben ihm ging. Der Mann war von hoher, kraftvoller Gestalt. Sein ganzes Gesicht war mit einem weißen, kurzgeschnittenen Bart bedeckt.

Es war Sigurd.

Einen Augenblick standen wir uns gegenüber, dann grüßte ich mit den gewöhnlichen Worten.

Sigurd sah mich an, ohne zu antworten. – Dann aber beugte er sich plötzlich zu dem kleinen Jungen nieder, der ihn stützte, und näherte sein Ohr dem Gesicht des Knaben, denn er war offenbar schwerhörig.

Der Knabe schrie ihm aus Leibeskräften hinein:

»Der Mann grüßt dich!«

» Komid thér saelir!« sagte darauf der Alte: »Willkommen! willkommen!«

Dann schwieg er und sah wieder auf mich.

Während ich ebenfalls den ehrwürdigen, großen, noch stattlichen alten Mann betrachtete, kam mir in den Sinn, so müsse wohl Egill Skallagrimsson, der normannische Held, in seinen alten Tagen ausgesehen haben. –

Nachdem wir uns also gegrüßt hatten, fuhr ich fort, jetzt aber laut und kräftig:

»Ich wollte Sie fragen, ob Sie uns morgen nach Kalmanstunga führen könnten?«

Jedoch das war noch nicht laut genug; der Knabe mußte mit seiner hellen Stimme, die es viel besser als die meinige konnte, wiederholen:

»Der Mann fragt dich, ob du ihn und den fremden Jungen morgen nach Kalmanstunga führen willst?«

Der Alte sah eine Zeit lang vor sich hin, dann sagte er:

»Ich selbst werde es diesmal kaum können. Aber reisen Sie nach Haukadal, dort zu dem Hof jenseits des Flusses, und fragen Sie meinen Sohn Greipur; wenn er es dann nicht kann, so werde ich mit Euch reiten, oder ich sorge Euch für einen andern Führer.«

Wieder betrachtete er mich einen Augenblick. Dann faßte er meinen Arm und sagte:

»Sind Sie Isländer?«

»Ja.«

»Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?«

»Ich heiße J. St. Sv. und bin von Mödruvellir im Hörgárdal.«

»Dann haben Sie die letzten zwanzig Jahre nicht in Island zugebracht.«

»Das ist richtig; ich bin vor fünfundzwanzig Jahren als kleiner Junge von Island fortgereist und habe die ganze Zeit im Ausland gelebt.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich; ich habe davon gehört. Ich kenne Ihre Familie gut. Ihr Vater hieß Sveinn und war der Sohn von Thorarinn Thorarinsson von Kelduhverfi. Ihre Mutter Sigridur stammt aus der Gegend von Mývatn; sie ist jetzt mit ihren Geschwistern in Kanada.«

»Ganz richtig, so ist es. – Aber ich wundere mich, daß Sie sich so genau an das alles erinnern.«

»Ich lebe hier jetzt ungefähr achtzig Jahre und habe deshalb Zeit gehabt, mich mit den Verhältnissen im Lande etwas bekanntzumachen. – Sie wünschen jetzt aber gewiß den Geysir zu sehen, bevor Sie nach Haukadal reiten? – Dann will ich diesen kleinen Jungen mitschicken, der kann euch den Weg zeigen und kann euch behilflich sein. – Siggi, geh mit den Fremden zum Geysir und hilf ihnen da etwas zum Rechten!«

Ich dankte dem ehrwürdigen Greis für alle seine Güte und sagte ihm Lebewohl. Er selbst drückte mir dabei mit ungewöhnlicher Kraft die Hand.

Der kleine Siggi lief indessen zu Friedrich, nahm ihm, ohne ein Wort zu sagen, mein Reitpferd ab und führte es zu mir, damit ich aufsteigen konnte. Dann nahm er das Packpferd und ging mit ihm an der Spitze vor uns her.

 

Wir sollten jetzt zum ersten Mal den berühmten großen Geysir sehen!

»Geysir« bedeutet Springquelle, genauer »der Springende«.

In Island gibt es viele solche Quellen; aber es gibt nur eine, die man den »großen Geysir« nennt. Dieser ist in der ganzen Welt bekannt. Die andern sind meist viel kleiner.

Auf den großen, weltberühmten Geysir ritten wir jetzt zu.

Nach wenigen Minuten kamen wir an den Fuß einer breiten, runden Felsenkuppe, aus deren Mitte es beständig dampfte und rauchte wie aus einem Dutzend Fabrikschornsteinen. Eine eigentümliche Luft schlug uns entgegen: eine Mischung von Schwefel, Salpeter und Wasserdampf.

Zugleich ließ sich ein seltsames Geräusch vernehmen, etwa wie aus einem riesengroßen Topf mit kochendem Wasser.

Das waren die vielen mächtigen Steinbehälter da oben, in denen es kochte und brodelte.

Wir wurden immer gespannter.

Unser Führer, der Knabe Siggi, ging mit unserm Packpferd ruhig voraus, ohne sich ein einziges Mal umzusehen.

Jetzt stieg er die Höhe hinan.

Wir ritten ihm nach, ebenso schweigsam wie er.

Aber unsere Pferde begannen unruhig zu werden. Sie rochen ab und zu an dem nackten Felsgrund, machten halt, spitzten die Ohren und sahen ängstlich umher. Dann gingen sie mit größter Vorsicht wieder weiter, etwas höher hinauf.

Das Packpferd wurde von der kundigen Hand des Knaben geführt und gehorchte deshalb jedem seiner Winke. Doch sah ich, daß es die Ohren fast waagrecht nach vorn spitzte und beständig in eigentümlicher Weise die Augen rollte. – Offenbar fand es das Ganze doch äußerst bedenklich.

Als wir endlich den obersten Rand der Höhe erreichten, lag vor uns ein ebener, runder Platz, ungefähr so groß wie Kongens Nytorv, der Neue Königsmarkt, in Kopenhagen, der ein paar hundert Meter im Durchmesser hat. Rechts und links stiegen eine Menge rauchender Dampfsäulen hoch in die Luft hinauf.

Jetzt blieben die Pferde alle zugleich stehen, wie wenn eine unsichtbare Macht sie festgebannt hätte. Sie sahen ängstlich bald einander an, bald starrten sie auf das Unheimliche, vor dem wir standen, oder sie warfen unruhige Blicke nach allen Seiten, als wollten sie irgendeinen Ausweg aus dieser augenscheinlichen Lebensgefahr suchen.

Schließlich kamen sie zu einem festen Entschluß: sie wandten sich alle drei entschieden um und wollten abwärts flüchten.

Siggi wies das Packpferd in kräftiger Weise zur Ordnung und brachte es schnell dazu, sich in sein Schicksal zu ergeben. Es stand nun verschüchtert und zitternd hinter ihm.

Friedrich und ich dagegen hatten mehr Mühe mit unsern Reitpferden. Zuletzt bezwangen aber auch wir sie. Doch war es unmöglich, sie weiter voranzubringen; wir mußten absteigen und sie am Zaum hinter uns herziehen.

Siggi ging jetzt wieder langsam voraus und führte uns geradeswegs zum Geysir mitten auf dem großen Platz. Dabei mußten wir an mehreren Stellen vorüber, wo man – zum neuen Entsetzen unserer Pferde – den Felsen selbst kochen und sprühen hörte.

Ja, sogar Steine waren hier am Kochen und gaben fortwährend Laute von sich ähnlich wie ein Dampfventil.

Wir rührten mit der Hand an diese Steine: sie waren brennend heiß.

Im übrigen war der Boden, auf dem wir standen, nicht wärmer als gewöhnlicher Boden. Trotzdem aber gingen darauf die Pferde beständig, als ob die Erde unter ihren Füßen gebrannt hätte; sie hoben immer nur einen Fuß nach dem andern ruckartig in die Höhe.

 

So kamen wir zum Geysir, der gewaltigen kochenden Quelle, deren Name vielleicht bekannter ist in der weiten Welt als die bescheidene Insel selbst, auf der er sich befindet.

Ich konnte kaum glauben, daß ich jetzt vor diesem Zauberwerk der Natur stand, – am Rande des berühmten großen Geysir!

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Der Anblick war überwältigend und so eigenartig, daß es schwer ist, ihn zu beschreiben:

Vor sich hat man ein Becken, das bis zum Rande mit grünlichem, aber reinem, klarem Wasser gefüllt ist. Das Becken ist rund und mißt über hundert Fuß im Umfang. Die Wasserfläche sah genau aus wie kochendes Wasser in einem Topf, nur war das Wasser in der Mitte viel unruhiger als am Rande; man sah es dort unablässig sich heben und senken.

Es waren das die Wassermassen, die beständig in Verbindung mit den furchtbaren Kräften drunten im Schoß der Erde sind, von ihnen fortwährend gehoben und gesenkt und zuletzt mit gewaltigem Getöse über hundert Fuß hoch senkrecht in die Luft hinaufgeschleudert werden. –

Nachdem wir lange dieses wunderbare Naturspiel betrachtet hatten, bekam ich Lust, die Wärme des Wassers zu prüfen. Ich bückte mich und tauchte einen Finger hinein. Aber ich mußte ihn schleunigst wieder zurückziehen: das Wasser war kochendheiß! – Seine Temperatur ist schon häufig von Männern der Wissenschaft gemessen worden; sie beträgt an der Oberfläche 86 Grad Celsius, in einer Tiefe von zwanzig Metern 125 Grad Celsius.

Das Becken geht etwa dreißig Meter weit senkrecht hinab, dann wendet es sich nach der Seite.

Mit der größten Spannung warteten natürlich Friedrich und ich darauf, bis der Geysir anfangen würde zu springen. Siggi dagegen, unser kleiner Begleiter, schien nicht recht zu begreifen, wie das alles einen solchen Eindruck auf uns machen konnte. Für ihn war dieser Geysir etwas Gleichgültiges; er war ja ganz in der Nähe geboren und aufgewachsen und hatte ihn schon tausendmal gesehen.

Ich rief ihn nun herbei und fragte ihn, ob es nicht gefährlich sei, so nah am Rande des Geysirs zu stehen; denn wenn er plötzlich ausbrechen würde, könnte ja die ganze kochende Wassermasse auf uns herabfallen, und das würde doch wohl eine empfindlich warme Dusche sein.

»O nein, so ist es nicht«, sagte der Junge lächelnd; »wenn er zu springen anfängt, kündigt er es immer vorher an; man hört dann ein wiederholtes unterirdisches Dröhnen. Dabei bebt die Erde ganz heftig, und man braucht dann nur einige Schritte gegen den Wind zurückzutreten.«

Ich fragte weiter:

»Ja, und wie geht denn der Ausbruch eigentlich vor sich?«

»Die ganze Wassermasse, die herauskommt«, erklärte der Knabe, »wird senkrecht in die Höhe geworfen, bis zu fünfmal nacheinander und gewöhnlich ein paar hundert Fuß hoch; aber auch mehr oder weniger. Ein Teil des Wassers fällt dann wieder in den Krater zurück, ein Teil nach außen, besonders wenn ein starker Wind weht; ein großer Teil verwandelt sich sogleich in Dampf.«

»Wann ist der Geysir zuletzt gesprungen?«

»Vergangene Nacht.«

»Und wie oft springt er überhaupt?«

»Das geschieht sehr unregelmäßig; bisweilen zwei-, dreimal am Tage, aber auch in drei Wochen nur einmal. Dieses Frühjahr ist er öfter als sonst gesprungen, fast jeden Tag.«

So gab uns Siggi auf das freundlichste über alles Auskunft, was wir ihn fragten.

 

Nach dem großen Geysir betrachteten wir auch die vielen andern Quellen um ihn herum. Es sind im ganzen etwa hundert an der Zahl, – sozusagen seine kleinen Brüder und Schwestern.

Eine von ihnen wird »Strokkur« – das »Butterfaß« – genannt. Sie ist die größte und unruhigste. Ihr Wasser kocht noch heftiger als das im großen Geysir; das Geräusch davon hört man weit in die Ferne.

Aber an Größe kann sich der Strokkur mit dem Geysir nicht messen. Er gleicht genau einem gewöhnlichen Brunnen; es ist ein rundes Loch, etwa zwei Ellen breit, das in den harten Felsen hineingeht. Die Seiten sehen aus wie polierter roter Stein.

Das Wasser reicht bei dieser Quelle nicht bis zum Rande. Wenn man hinabschaut, sieht man es kochen und in gewaltiger Bewegung; es wird beständig etwa eine Elle hoch auf- und niedergeworfen.

Das ist ein schreckliches Brausen und Lärmen da unten! – Ich wagte nur schnell über den Rand des Brunnens zu blicken, denn ich fürchtete, die ganze Wassermasse ins Gesicht zu bekommen.

Um nichts waren die Pferde in die Nähe des Strokkur zu bringen, so sehr erschreckte sie das unheimliche Geräusch und der Dampf, der aus dem offenen runden Loch aufstieg. –

In den übrigen Quellen hat das Wasser verschiedene Farben, blau oder grün, und sieht besonders im Sonnenschein bezaubernd schön aus. –

Wir gingen langsam zwischen diesen kochenden Kratern hin und her und bewunderten immer von neuem ihr merkwürdiges Verhalten. Zuletzt betrachteten wir noch einmal den großen Geysir.

Dann verließen wir die Höhe und ritten zu dem Hofe Haukadal, wo wir die Nacht zubringen wollten, da der alte Sigurd auf Laug keinen Platz für uns hatte.

 

Unsere Pferde waren jetzt wieder wie umgewandelt; sie schienen glücklich zu sein, daß sie mit heiler Haut aus all der Teufelei dieser Geysire entronnen waren.

Der kleine Siggi geleitete uns bis zur Furt durch einen Bach, den wir überschreiten mußten. Hier bekamen die Pferde ein kaltes Bad, das nach dem erlebten Schrecken beruhigend auf sie wirkte. –

In Haukadal angekommen, nahmen wir zunächst die Begrüßung vor, die wir nun schon ganz gut konnten. Wir vollzogen die vorgeschriebenen Schläge an den Giebel, und bald kam der Bauer Greipur, ein großer, kräftiger Mann, heraus. Er behandelte uns mit der gewohnten isländischen Liebenswürdigkeit, besonders als er hörte, daß wir ihm von seinem Vater Sigurd auf Laug empfohlen waren.

Das Fremdenzimmer, in das wir hier geführt wurden, war sehr einfach und ärmlich, aber durchaus reinlich. Aufs beste wurden wir bewirtet. Unsere Liegestatt machte man auf einer Reihe Kisten und Kasten zurecht, die Bettücher waren von grobem Zeug.

Die freundlichen Eheleute auf Haukadal besaßen einen wahren Reichtum an Kindern. Das älteste war ein dreizehnjähriger Junge; dann folgten zwölf-, elf-, zehn-, neun-, acht- und siebenjährige kleine Knaben und Mädchen. Sie kamen alle zu uns herein, während wir speisten, stellten sich dichtgeschart vor uns hin und betrachteten uns mit großen, verwunderten Augen – die kleinsten natürlich mit dem Zeigefinger im Munde.

Spät am Nachmittag gingen wir mit Greipur und den Kindern hinaus auf die grüne Grasflur vor dem Hofe. Wir unterhielten uns über Dänemark und andere fremde Länder, über die schöne Aussicht und das herrliche Sommerwetter.

Während wir so plauderten, sahen wir plötzlich einen einsamen Reiter auf das Gehöft zukommen.

Es war der alte Sigurd von Laug.

Als er näherkam, gingen wir ihm ein Stück entgegen.

Er stieg vorsichtig vom Pferd und küßte seinen Sohn.

Der gute alte Mann hatte sich nur unsertwegen die Mühe gemacht, nach Haukadal zu reiten; er wollte wissen, ob Greipur uns wirklich den gefährlichen Gebirgsweg nach Kalmanstunga führen könne!

Vater und Sohn beratschlagten jetzt eine ganze Weile darüber. Das Ergebnis war, daß Greipur diese Führung nicht wagen dürfe, da er nie weiter als bis »Brunnar« gekommen war; dies aber war nur etwas mehr als die Hälfte des Weges.

»Sie müssen einen durchaus sicheren Führer haben«, sagte Sigurd dann zu uns, »denn wenn es oben auf den Bergen Nebel gibt, so laufen Sie Gefahr, daß Sie sich verirren, und es könnte geschehen, daß Sie ein paar Nächte draußen liegen müßten.«

Zuletzt wurde abgemacht, daß Greipur bei dem schon erwähnten Bauer Gudjón anfragen sollte, ob es ihm möglich wäre, die Führung zu übernehmen. Wäre Gudjón verhindert, so wollte Sigurd selbst uns geleiten.

Am Ende der Verabredung küßte Sigurd wiederum seinen Sohn Greipur, gab uns andern die Hand und sagte zu Greipur, er solle gut für uns sorgen. Dann bestieg er sein Pferd und ritt davon. –

Der Bote, der zu Gudjón geschickt wurde, brachte die Nachricht, daß Gudjón abwesend sei. Wir mußten uns daher entschließen, vorerst auf Haukadal zu bleiben.


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