Auguste Suppper
Leut'
Auguste Suppper

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Wie der Wald geflunkert hat.

Es war einmal eine alte Bauernfrau, die hatte eine große Liebe und eine große Sorge.

Die große Liebe war ein Stück Tannenhochwald am Rande eines murmelnden Baches, und die große Sorge war ihr Sohn, der Michel. Früher war's umgekehrt gewesen. Da war der blondköpfige Bub der verwitweten Mutter große Liebe, und der junge Wald, den sie dereinst selbst gepflanzt, und der nicht recht gedeihen wollte, ihre große Sorge gewesen.

Aber aus dem Buben wurde im Lauf der Jahre ein jämmerlich fauler, nichtsnutziger Mensch, der seiner Mutter aufs Herz trat, bis es ganz wund und elend ward.

Der Wald dagegen kam nach und nach ins Wachsen. Aus den zarten Bäumchen wurden 180 schlanke, kräftige Tannen, die stolz und stark in Sonnenglut und Wintersturm standen und ihre Wipfel im Bache spiegelten.

Da trug das Weib sein zertretenes Herz oft hinaus, setzte sich auf einen Stein am Bach und horchte, wie der Wald rauschte und das Wasser gurgelte und murmelte.

Und je öfter sie lauschte, je deutlicher verstand sie, was Wellen und Tannen meinten.

Die Wipfel hoch oben raunten: Fass' neuen Mut, der Wald macht's gut! Und der Bach, der über schlüpfriges Geröll und grüne Nixenhaare dahineilte, murmelte fort und fort: Gräm dich nicht drüber, es geht vorüber!

Diese Worte gefielen dem Weib so wohl, daß sie gar nicht mehr hören wollte, was Menschen sagten. Es mochte über sie kommen, was da wollte, so dachte sie: es geht vorüber! Und ihr fauler Sohn mochte es noch so schlimm treiben, so tröstete sie sich: der Wald macht's gut! Der Michel verlachte seine Mutter. »Was du dir nicht einbildest,« sagte er, »Wald und Bach können doch nicht reden.« »Mit mir schon,« beharrte leise das Weib.

»Geflunkert,« höhnte der Sohn.

Wie es bei Müßiggängern zu gehen pflegt: der Michel sank von Stufe zu Stufe. Er fing zu trinken an und verschlemmte sein und seiner Mutter Gut bis auf den Streifen Wald am 181 Bachesrand. Als alles vertan war, pilgerte er dort hinaus, zählte die Stämme und berechnete, wieviel für das Holz zu lösen sei und wie lange er von dem Erlös sein faules Leben würde fristen können.

Viel kam nicht heraus. Da suchte Michel mit ingrimmigem Lächeln nach einem Baum, an dem er sich aufhängen wollte, wenn alles Geld vollends verbraucht wäre.

Er fand eine Tanne, der der Sturm den Wipfel ausgebrochen hatte und die deshalb zum Verkauf nicht viel nutz war. Diese beschloß er, für seinen Zweck stehen zu lassen.

Jetzt bot er seinen Wald zum Verkauf aus. Aber niemand wollte ihn. Die Bauern, denen Michels Mutter gelegentlich erzählt hatte, was die Tannen raunten, scheuten sich, einen sprechenden Wald zu kaufen.

Endlich bot ein Holzhändler einen guten Preis; aber er wollte die Stämme geschlagen haben.

Der Michel tat sich nach Holzhauern um; aber alle Männer, die er fragte, lehnten es ab, des faulen, abgewirtschafteten Burschen Taglöhner zu sein.

Die Not brannte dem Faulpelz auf die Finger und zwang ihm schließlich Axt und Säge in die Hand. Die Mutter, die sich im stillen schon gefreut hatte, daß ihr geliebter Wald werde stehen 182 bleiben, beschwor ihn, die Tannen, die ihr so oft tröstend zugesprochen, in Ruhe zu lassen solange sie noch lebe. »Ach,« jammerte sie, »wer soll denn dann alles noch einmal gut machen, wenn du den Wald zerstörst? Der Wald war doch meine letzte Hoffnung.« »Die meine auch,« höhnte der Michel, »alles andere ist vertan.« So ging er ans Werk, und bald dröhnte der sonst so stille Wald von splitternden Schlägen.

Die Mutter des Faulenzers hatte sich ihm nachgeschlichen, saß mit verweintem Gesicht am Bach und starrte in das Wasser, das in der Sonne glitzerte. »Gräm' dich nicht drüber, es geht vorüber,« murmelten die geschwätzigen Wellen; aber die bekümmerte Alte hörte es nicht; ihr hallten nur immer die Axtschläge in den Ohren. Scheu hob sie von Zeit zu Zeit den Blick und sah hinüber, ob der erste Stamm bald stürze, und da sah sie, wie von ihres Michels Gesicht der Schweiß der Arbeit rann. Das hatte sie noch nie gesehen, es war ihr ganz neu und seltsam. Auch wie der sonst immer faule und müßige Mensch die Arme hob zu den wuchtigen Schlägen, wie der ganze Körper sich bog und dehnte, wie die nackte Brust wogte und keuchte, das war neu und merkwürdig. Das Weib konnte bald gar nicht mehr wegsehen. Ihr Michel, wie er so dastand, erinnerte sie an den blondköpfigen Buben, den sie einmal so sehr 183 lieb gehabt hatte vor vielen Jahren, und der an dem trunksüchtigen Faulenzer sonst nie zutage getreten war.

Über all dem Schauen merkte das Weib kaum, daß eben die erste ihrer geliebten Tannen fiel. Ein Zittern lief durch den Wipfel, ein Krachen ertönte, der Michel tat rasch einen Sprung zur Seite, und der stolze Baum lag am Boden.

»Das hast du gut gemacht, Michel,« rief ganz selbstvergessen und freudig das Weib.

Der Michel schaute hinüber und brummte: »So, lobst du mich auch einmal?« dann spuckte er in die Hände und ging hinter den nächsten Stamm.

Die Alte stand auf und kam näher. Sie war nicht gewohnt, bei der Arbeit der andern müßig zuzusehen. Stillschweigend fing sie an, die gefällte Tanne zu entasten und aus dem grünen Reisig Bündel zu machen. Der Michel sagte kein Wort. Daß die Mutter, die um den Wald so geweint hatte, ihn jetzt selbst zerstören und zerstückeln half, das verstand er nicht. Es war ihm nur, als müsse er sich schämen. Und weil ihm das ein unangenehmes Gefühl war, schlug er noch kräftiger und rascher zu, so daß die Splitter nur so flogen.

Zwei Bäume lagen jetzt schon am Boden. Die Sonne brannte heiß in die kleine entstandene Lichtung, und der schwitzende Michel spürte großen Durst. Er suchte in seinem abgelegten Kittel nach 184 der Flasche; aber die war leer und Geld fürs Wirtshaus nicht vorhanden. Da schlich er hinüber zum Bach, legte sich auf den Boden und hielt die Flasche in das ziehende Wasser. Kühlend und erquickend spülten ihm die Wellen um den jagenden Puls, länger als nötig blieb er so liegen und schaute in den Bach. Da war ihm plötzlich, als höre er das, was seine Mutter immer zu hören behauptete: »Gräm' dich nicht drüber, es geht vorüber.«

Der Michel wagte nicht zu lachen. Was man selbst hört, das muß man doch glauben. Er ließ den heißen Kopf ins kühle Moos am Ufer sinken und lauschte immerzu. Es war keine Täuschung. Fort und fort klang's: »Gräm dich nicht drüber, es geht vorüber.«

Auf einmal sprang er auf, unwillig fast. Er grämte sich ja doch gar nicht, der Bach sollte doch sein dummes Gemurmel lassen! Hastig trank er die gefüllte Flasche leer. Ah! das tat gut, das war ein Labsal, dieses klare, kalte Wasser! Dann ging er wieder an die Arbeit. Aber immer mußte er sich dazwischen hinein besinnen, was wohl der Bach gemeint haben könnte mit dem »gräm dich nicht«!

Sollte er, der Michel, sich vielleicht nicht über sein verloddertes Leben grämen? Ja, ja, ein verloddertes Leben, das war es seither gewesen, 185 da gab's nichts zu leugnen. Der Michel schlug zu wie wütend. Er fühlte einen großen Zorn; nur wußte er nicht über wen und was.

Die Mutter kam mit ihrem Bündelmachen nicht sonderlich weit vor lauter Erstaunen. Wie ihr Michel arbeiten konnte! Und wie ihr Michel Wasser trinken konnte! Er, der nur immer Wein und Bier und Schnaps wollte!

»Michel,« sagte sie, als sie ihn die Wasserflasche leeren sah, »das hast du gut gemacht.«

»So,« brummte er, »lobst du mich auch einmal.«

Zur Vesperzeit zog die Alte ein großes Stück trockenes Schwarzbrot aus ihrer tiefen Rocktasche.

»Michel, iß,« sagte sie, »Brot aus der Mutter Sack ist besser als Zwieback.« Das war ein alter Reim schon von Väterzeiten her.

Der Michel hatte früher nie daran geglaubt; aber nun, da er gemerkt hatte, daß seine Mutter mit dem Sprüchlein der Wasserwellen bei der Wahrheit geblieben war, nun glaubte er auch das von dem Brot. Gierig langte er zu, und es schmeckte ihm, wie ihm lange nichts mehr geschmeckt hatte.

Das Weib saß und schaute ihm zu und wurde vom Zusehen satt und froh und stark zur weiteren Arbeit. 186

Noch manches Mal im Lauf des Tages lag der durstige Michel am Bächlein und füllte die Flasche und hörte, ob er wollte oder nicht, was die Wellen murmelten. Am Abend, als er müde und zerschlagen von der ungewohnten Arbeit mit der Mutter heimwärts wanderte, da kam ihm plötzlich der Gedanke, daß, wenn der Bach nun doch richtig reden könne, wohl auch das wahr sei, daß die Tannen sagten: »Fass' neuen Mut, der Wald macht's gut.«

»Mutter,« begann er zögernd, »ist denn das wahr, daß der Wald alles gut machen will?«

Das Weib vermochte gar nicht sogleich zu reden. Sie hatte sich heute so gefreut über ihren fleißigen und nüchternen Sohn und sie erschrak ganz, wenn sie dachte, der Michel könnte das angefangene Werk liegen lassen und in sein altes Lasterleben zurücksinken. Viel lieber wollte sie den Wald opfern.

»Ach, Michel,« sagte sie da listig, »nur eine einzige Tanne hat das einmal zu mir gesagt, und diese können wir ja stehen lassen.«

»Ja, aber wenn wir nur auch die richtige herausfinden,« meinte der Sohn.

»O,« beteuerte das Weib, »ich kenne sie ganz genau.«

Am andern Morgen in aller Gottesfrühe schritten die Zwei wieder hinaus an die Arbeit. 187

Dem Michel, der sonst immer spät und mit schmerzendem und wüstem Kopf aufgestanden war, schien die Welt heute ganz verändert.

In der Ackerfurche rief die Wachtel, und im Heckenwerk am Waldsaum jubilierten die Vögel, und der Tau glitzerte am Weg. Die Zwei überschritten den eilenden Bach und im Hinüberschreiten horchte der Michel verstohlen, ob die Wellen heute auch wieder redeten. Er blieb eigens ein wenig hinter der Mutter zurück und war sehr froh, als er das gemurmelte Sprüchlein wieder hörte; er hätte es ungern vermißt. Als sie zur Stelle waren, warf der Michel den Kittel ab und griff zur Axt. Aber ehe er einen Hieb tat, bat er: »Mutter, jetzt zeige mir den Baum.«

»Welchen Baum?« fragte das Weib, denn sie dachte im Augenblick nicht an ihre Rede von gestern.

»Den, der alles gut macht,« sagte Michel.

Da ließ die Mutter die Augen rundum gehen und sah die Tanne mit dem ausgebrochenen Gipfel.

»Diese ist's,« sagte sie rasch, denn sie dachte, zum Verkauf sei der Baum doch nicht viel nutz.

Der Michel erschrak. Das war ja der Baum, an dem er sich hatte später aufhängen wollen. 188 Machte sich diese mißgestaltene Tanne da vielleicht über ihn lustig, wenn sie seiner Mutter zuraunte: »Fass' neuen Mut, der Wald macht's gut?« Meinte der freche Baum etwa, wenn nur der Michel erst hänge, dann habe es die alte Frau besser?

Eine große Wut kam über den Michel, und in der Wut arbeitete er für zwei, trank Wasser und aß Brot aus der Mutter Rocktasche.

So trieben es Mutter und Sohn manchen Tag zusammen, und zuletzt war der Streifen am Bach entlang eine Blöße, auf der nur noch die eine Tanne ragte.

Das Weib, das ihren Wald so lieb gehabt hatte, schaute sich um, als müsse sie sich auf etwas besinnen. Ihr Blick fiel auf den Michel, der müd und schweißbedeckt auf seine Axt gelehnt dastand. Da dachte sie nicht mehr an den verschwundenen Wald, sie wollte nur ihrem Buben ein gutes Wort sagen: »Michel,« rief sie, »Michel, das hast du gut gemacht!«

Der Michel, der seinen heißen, verschwiegenen Groll auf die einzige noch stehende Tanne nicht länger bezähmen konnte, schaute finster auf. »Nun, wenn ich's gut gemacht habe,« rief er, »dann braucht es ja der Wald nicht mehr gut zu machen.« Damit holte er weit aus mit seiner Axt, und weil die wipfellose Tanne ein kränkelnder Baum war, so fiel sie auf den ersten Streich. 189

Das Weib erschrak. Die vielen Stunden, in denen sie dem Wald gelauscht hatte, fielen ihr ein, und es war ihr schwer ums Herz, daß das alles nun bis auf die letzte Spur sollte vorüber sein.

»Michel,« sagte sie traurig, »jetzt redet der Wald nicht mehr.« Der Sohn gab dem gestürzten Baum, an dem er sich hatte hängen wollen, noch einen Extrahieb und sagte: »Ist auch gar nicht nötig, Mutter, es war ja doch nur geflunkert. Andere Leute können's auch gut machen, da braucht's die Großsprecherei nicht.«

Damit schaute er höhnisch über alle die gestürzten Wipfel hin, die nicht mehr raunen und rauschen konnten.

»Komm heim,« wandte er sich dann an das bekümmerte Weib, »morgen fangen wir an, einen jungen Wald zu pflanzen, einen, der kein so Getue von sich macht.«

Ob der junge wohl auch flunkern wird, wie der alte? Wahrscheinlich, denn Art läßt nicht von Art.


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