Auguste Suppper
Leut'
Auguste Suppper

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Einer aus dem Ellbacher Oberamt.

Gegen Simon und Judä hin ist in Uflingen so ziemlich alles eingeheimst. Die Kartoffeln, eine besonders rauhe, hartschalige Sorte, die in dem schweren Boden der Markung am besten gedeiht, sind immer das letzte, was eingeführt wird.

Wenn schon die kalten Herbstregen vom Wind gepeitscht, wie graue Schleier über die Höhe gehen, werden sie geholt. Der lehmige Uflinger Boden bleibt dann so zäh an den gelblichen Knollen hängen. Und die gefüllten Kartoffelsäcke ziehen dann gut auf der Wage.

Aber da gibt's nichts Schlimmes dabei zu denken. Die Uflinger sind nicht schuld, daß just ihre Kartoffelsorte so spät reift, und sie machen das Herbstwetter nicht und nicht den zähen Boden. 72

Mit Schuhen, deren Gewicht sie kaum mehr heben können, stehen die Erntenden zwischen dem abgestorbenen, faulenden Kartoffelkraut, dessen strenger Geruch weithin auf der Hochebene liegt. Wenn die gebückt Arbeitenden sich aufrichten, dann läuft der Regen in tiefen Rinnsalen über braune Gesichter, die die deutliche, frische Schrift des eben entschwundenen heißen, arbeitsvollen Sommers tragen.

Und die Gesichter sehen dann wohl hinüber über die tiefen, grünen Täler, die jäh vom Rand der Hochebene abfallen und jenseits in tannenbestandenen Hängen wieder aufsteigen zu dem fernen Plateau, das zum Ellbacher Oberamt gehört, und das statt der Äcker und ihrer schweren Mühsal nur Wald trägt, grünen Wald, der ganz von selbst seinen Besitzern ins Geld wächst.

Dann spucken die von Uflingen in die Hände, fassen den Stiel der schweren Haue fester und murmeln: »Um Ellbach 'rum, die Hungerleider hänt's doch besser als Unsereiner.«

»Jo,« sagt dann ein anderer, »des z'wege send se au' so kommod, die Waldbaure' sellt dromme!«

Streng und ernst schauen gegen Simon und Judä hin die Uflinger in die Welt. Streng und ernst, wie müde Leute, die keine leichten Stunden kennen. Wenn aber der lange, tatenlose Winter sich gegen das Ende neigt, wenn in vielen müßigen 73 Tagen das Uflinger Blut eindickt und verhockt, dann keimt in den Gesichtern ein unguter Zug von Grobheit und Gewalttätigkeit und Streitsucht auf.

Dann weiß der liebe Gott, daß es jetzt höchste Zeit ist für die Frühlingswinde, die Schnee und Eis von der Markung lecken müssen, damit die Bauern mit den glattrasierten Gesichtern, die Weiber mit den spitzen, schmalrückigen Nasen, ihr nicht für Müßiggang erschaffenes Blut an den offenen Furchen wieder zurecht arbeiten können.

Man tut nicht leicht mit den Uflingern. Besonders nicht, wenn man aus dem Ellbacher Oberamt ist, wo die grünen Wälder von selber wachsen.

Und der schwarze Jakob ist aus dem Ellbacher Oberamt. Bei des Kälberer Daniel Wittfrau, dem Bäbele, ist er als Knecht eingetreten kurz vor der Hopfenernte.

Hopfen gibt's um Ellbach herum nicht. Der rauhe Wind hätte dort das zähe Geranke mitsamt den Stangen, an denen es in die Höhe klettert, über den Haufen geworfen. Aber in Uflingen, in dem breiten, warmen Deich zwischen dem Scheckenwald und der Steinhalde, dort wo der Wind immer nur obenher fährt, wie einer, der sich nicht Zeit und Mühe nimmt zu ordentlicher, gründlicher Arbeit, dort gedeihen die grüngelben, schuppigen, flatterigen Dolden aufs beste.

Im Herbst, wenn die Blätter sich zu verfärben 74 beginnen, wird das Geranke von den Stangen gerissen und in hohen, duftenden Fuhren heimgebracht in die Scheune.

Mitten in diese Ernte hinein kam der Jakob. Maul und Nase riß er auf.

Auf der blanken Scheunentenne zwischen schwatzenden, lachenden Kindern, Weibern, Mägden sitzen und die grünen Dolden von den Ranken zupfen, das war so recht eine Arbeit für einen aus dem Ellbacher Oberamt.

Was doch die Weiber alles wußten! Da war eine, ein blutjunges Ding, die Heinrike, die Jungmagd, die ließ mit den flinken Fingern zugleich das flinke Mundwerk laufen – gar nicht zum glauben.

Und die Bäuerin selbst, ein stattliches, frisches Weib, hörte zu, lachte bisweilen und hatte dabei ihre prüfenden Augen in jedem Simrikorb, ob sein duftender Inhalt auch rasch genug anwachse.

Dem Jakob ging's nicht sonderlich schnell aus der Hand. Wenn einer auf den Holzhauer gelernt hat, dann hat er einen ganz anderen Griff in den Fingern als man ihn zum Hopfenzupfen braucht.

Aber die Bäuerin sagte nichts. Sie sah den guten Willen. Zur Vesperzeit ging sie dann ins Haus, und der neue Knecht rückte näher zur Heinrike.

»Du,« sagte er, »dir ist's aber wohl!«

Das Mädchen warf ihm eine Handvoll Hopfen 75 ins Gesicht. »Worum soll mir's net wohl sei'?«, fragte sie lachend, »i be net aus 'm Ellbacher Oberamt, wo nix wachst, wie d' Kröpf' und d' Tannezapfe.«

Der Jakob strich sich den gelben Staub von den Lederhosen und sah unter den schwarzen, gelockten Haaren hervor die Kecke seltsam an.

»Kennst du di' so aus?« fragte er langsam und trocken. Da wurde das Mädchen glühendrot und wußte nicht warum.

Schweigend zupften beide eine Zeitlang fort, dann begann der Knecht wieder: »Send eigentlich au' Kender do vom Kälberer Daniel?«

Die Heinrike schaute sich rasch und kurz im Kreise um, dann gab sie halblaut zurück: »Schwätz' net so laut. Die Alt' dort ist d' Nagelschmiede, d'r Bäure' ihr Mueter. Die ist taub; aber sie hört älles und sieht älles.«

Dann leerte sie ihren Korb auf den großen Haufen, setzte sich wieder zurecht und sprach ganz leise auf den Knecht ein: »Kender – was schwätzst au'! D'r Kälberer Daniel ist doch bresthaft gwe', sei' Lebtag. Vo' dem könnet doch keine Kender do sei'. Wenn d' Nagelschmiede net gwe' wär, sächt ällemol mei' Mueter, no hätt' unser Bas den halbe Ma' nie g'nomme. Wenn mer doch jung ist und g'sund und sauber wie 's Nagelschmieds 76 Bäbele, no will mer doch en ganze Ma', en rechte, feste! Aber die Alt' hot fortg'macht, bis se 'n g'nomme hot. Weil er halt viel Sach g'hät hot. Und sie nix. Gar nix. G'rad so viel wie i.« Das Mädchen lachte, daß der Jakob alle ihre weißen Zähne sah. »Tätst du au' ein' nemme' wege' sei'm Sach?« fragte der aus dem Ellbacher Oberamt nach einer Weile bedächtig.

»Du, fell goht die nix a',« gab die von Uflingen zurück.

»Noi weger, und i' will au' nix devo'« sagte Jakob, dem es war, als müßte nicht unbedingt immer Uflingen das letzte und gröbste Wort haben.

Später kamen dann die Hopfen auf die luftige Darre hoch oben unter dem Dach.

Am liebsten hätte sich der Knecht in die grünen, hohen, duftenden Haufen geworfen und hätte durch die offenen Laden und Luken in den Himmel gestarrt, an dem die Wolken mit dem Winde zogen. So etwas gab es daheim nicht. Ja, die Heinrike hatte eigentlich recht. Nur Tannenzapfen wuchsen dort und die paar Kartoffeln, die man brauchte, und der kurze Flachs, den das Weiblein mit dem großen Kropf im dunklen Winter verspann. Über die Kröpfe hatte Heinrike auch gelacht. ›O du frech's Menschle du! Laß du mei' Mueter in Ruh', wer weiß, wenn du so alt bist und so viel durchg'macht host, ob du net au' en Kropf host.‹ 77

Der Jakob stieg die knarrenden Stiegen hinunter. Bis in den Schafstall, wo er in einer uralten Himmelsbettlade seine Liegerstatt hatte, folgte ihm der würzige Geruch der grünen Dolden. Jeder Lufthauch trug ganze Schwaden davon durchs Haus. Nein, so etwas gab es um Ellbach herum nicht.

Und dann hieß es, die Hopfen gelten dieses Jahr ganz ungewöhnliche Preise.

Man wartete auf die Händler, auf die »Hopfejude«, wie sie in Bausch und Bogen hießen. Da sollte es Geld regnen.

Die Uflinger machten die Rücken steif, schon lange ehe ihre Hopfen begehrt wurden.

Das Bäbele gab ihrem Knecht Verhaltungsmaßregeln. Er sollte den Bauern vertreten, den Händlern gegenüber, weil das nicht Weibersache sei.

Endlich ging der Tanz los.

Jeden lieben Tag rannte jetzt des Nachtwächters »krumm's Fritzle« mit seinem verkrüppelten Fuß flinker als der Gesündeste durch den Ort und schrie schon in aller Gottesfrühe: »'s ischt scho' wieder oar im Flecke.« Damit war ein Händler gemeint. Und dieser »Oar« stellte dann sein kotbespritztes Fuhrwerk im Ochsen ein und wärmte sich zunächst die von der Kälte des Herbstmorgens verklammten Finger am Ofen der Gaststube.

Die Ochsenwirtin steckte derweil zur besseren 78 Repräsentation den Zipfel der schmutzigen Schürze in den Bund, strich die Haare unter das Kopftuch und fuhr sich mit dem Ärmel übers Gesicht. Dann ging sie, den Schoppen Besigheimer zu holen; dieweil zu Uflingen jeglicher Hopfenjud einen Schoppen Besigheimer haben muß, mit oder ohne seinen Willen.

Mittlerweile kamen die vom krummen Fritzle alarmierten Bauern angestiegen. Mit schweren, gewichtigen Schritten traten sie in die Stube, rückten oberflächlich an den baumwollenen Zipfelmützen und sahen sich den Mann am Ofen an von oben bis unten. Ein wenig herrisch, ein wenig von oben herab, ein wenig mißtrauisch blickten heute die Uflinger, denn jetzt im Hopfenherbst, waren sie nicht schlechtweg Bauern, die hinter den Stadtleuten rangieren, besonders hinter Stadtleuten, die wie der Mann am Ofen schwere Geldtaschen umhängen haben – heute waren sie Produzenten. Jawohl Produzenten – das sagte der Schultes immer frei heraus, wenn es einer hören wollte. Die Ochsenwirtin hatte zu laufen. Denn wie dem Händler der Besigheimer, so gebührte den Produzenten der Heidelbeer und das Bier. Langsam kam ein Gespräch in Gang. Wie schwere, vereinzelte Tropfen, die dem Wetterregen vorangehen, so fielen die Worte. Vom Wetter, vom Jahrgang, von den Kartoffeln war die Rede, und dann 79 fing einer von den Hopfen an. Jetzt war's, als sei die Schleuse aufgezogen. Laut erschollen die rauhen Stimmen, die harten Fäuste schlugen auf den Tisch, daß der Weckenberg auf dem Teller übereinanderfiel und die von der Morgenkühle noch halbbetäubten Fliegen erschrocken zwischen Salzfaß und Brotlaib hervorkrochen.

Der Mann am Ofen warf nur dann und wann ein Wort zwischen den Diskurs.

Aber dieses Wort war immer wie ein Knochen, der unter balgende Hunde fliegt.

Der Ochsenwirt kam jetzt dazu. Mit der lächelnden Sicherheit des Unbeteiligten trat er her, die Hände in den Hosentaschen, in denen Geld klimperte, das braunrote, gestrickte Metzgerswams über dem baumwollenen Flanellhemd und dem schier städtischen Embonpoint lässig zugeknöpft.

»Waas ischt's? waas saget'r?« fragte er, als ahne er nicht entfernt, um was es sich handle. Wie einer höheren Instanz wurden ihm die Für und Wider unterbreitet. Des Mannes bartloses, wohlgenährtes Gesicht verlor die lächelnde Unbefangenheit nicht. Ganz Unparteiischer stand er da. Vielleicht, aber nur vielleicht flog von dem Mann am Ofen zum Unparteiischen und vom Unparteiischen zu dem Mann am Ofen ein kurzer Blick, ein kaum merkliches Augenzwinkern. Niemand sah es. Höchstens der schwarze Jakob, der 80 aus dem kommoden Oberamt war, und der als Bevollmächtigter von des Kälberer Daniels Wittfrau, dem Bäbele, seinen Heidelbeer trank, den Mund hielt und horchte. – So sind sie halt, die um Ellbach herum. –

Mit dem Jakob ging dann der Hopfenjud, der ein Christ war. Die vielen knarrenden, steilen Stiegen hinauf stiegen die Männer. Der Knecht bedächtig aber mit leichtem Atem, der Händler mühsam und keuchend.

Auf der letzten, leiterartigen Bodenstiege stand der Fremde, sog die herabströmende, würzeschwangere Luft tief in die Lungen und sagte dann leise, gleichsam tastend: »Ein bißchen Schwefel? –«

Der Jakob wandte den Kopf. Er, der Sohn einer hopfenlosen Gegend, wußte aus dem halbgeflüsterten Wort nichts zu machen. Stumm, ratlos, fast wie ein Schuldbewußter stand er da.

Aber da kam aus naher Tiefe hinter der Stiege oder wo immer hervor, die Stimme der ergrimmten Bäuerin.

»Schwefel? – Und was sonst no? Jakob, schwätz doch, tu doch dei' Maul auf! Hänt mir scho' emol Hopfe g'schwefelt?«

Der Knecht schüttelte den schwarzhaarigen Kopf. Noch war ihm die Sachlage nicht ganz klar; aber daß der Fremde an den Hopfen mäkeln wollte, so viel verstand er. 81

Hastig stieg er vollends empor, und er fuhr mit beiden Armen in die gelbgrünen, leise raschelnden, duftenden Massen, drückte das Gesicht hinein und tat einen tiefen Atemzug.

Nein, schönere Hopfen gab's nicht, weit und breit. Der Jakob wurde beredt. Es kam ihm aus dem tiefsten Herzen heraus. An die paar Kartoffeln und an die Tannenzapfen, die um Ellbach herum wachsen, dachte er, an die herben Schlehen, die dort drüben dürftig an den Hecken stehen.

Wie war das alles hart, duftlos und kümmerlich gegen solch einen duftenden, flatterigen Hopfenberg!

Die Bäuerin mußte ihrem neuen Knecht erstaunt auf den Mund schauen. Solch ein Loblied war ihrem Hopfen nie gesungen worden. Sie beugte sich selbst nieder, nahm eine Handvoll der grünen Dolden auf, und betrachtete sie wie etwas ganz Neues.

Heiß wurde der Handel. Der Knecht wich und wankte nicht. »Frau«, sagte der Händler, »der Schwarze da spielt den Hofbauern nicht schlecht.«

Die Bäuerin nickte nur und der Handel ging weiter. Dann zum Schluß, als es zum Klappen kam, gab das Bäbele Zusage und Handschlag, und der Jakob konnte wieder in den Stall an seine Arbeit gehen; man brauchte ihn nicht weiter. Dort 82 stand er, der Schwarze. hatte die Hände in den Taschen und pfiff durch die Zähne.

Die Rolle, die er gespielt, gefiel ihm nicht. Wenigstens der Schluß nicht.

»Gang an dei' Arbeit« hatte die Frau gesagt.

Hollah, Bäuerin, der ewigen Arbeit zulieb ist man auch nicht in die Fremde gegangen. Die kann man im Ellbacher Oberamt auch haben.

Grade der Schluß vom Handel: Zusage, Handschlag und das Geldeinnehmen wäre etwas für Unsereinen.

* * *

Am Sonntag wichst sich der neue Knecht die Rohrstiefel, rasiert das bläuliche Kinn, drückt das Hütlein schief auf den Kopf, stopft die Pfeife und setzt sich auf die Steinbank, vorne im Hof, von der man die Gasse hinabsieht und aber auch hinauf zum Fenster, an dem die Bäuerin am Sonntagnachmittag zu sitzen pflegt und den Christenboten liest, den sie von des Schulmeisters Tochter, der schieligen Luis entlehnt, und wofür dann und wann ein reichliches Deputätlein an Eiern und Butter ins Schulhaus wandert.

Zuweilen blickt das Bäbele vom Christenboten auf. Dann sieht sie den Jakob sitzen und die Gasse hinunterschauen, dorthin wo das kleine Häuslein der Weberin liegt, der Mutter der Heinrike. 83 Was es nur dort zu sehen gibt? Ein armseliges Häuslein ist's. Man sieht schon von außen, daß die, die da her stammt, einmal nicht Fuggers Gut mitkriegen wird.

Da steht des Kälberer Daniels Haus doch ganz anders da. Nach und nach wichst der Jakob die Stiefel immer öfter. Mitten in der Woche kann es ihm einfallen.

Eigentlich hätte das so ein Hungerleider aus dem Ellbacher Oberamt nicht nötig.

Die Nagelschmiedin ist bald achtzig Jahre alt, geht am Stock und tiefgebückt; aber sie sieht doch jeden Vogel fliegen.

»Bäbele,« sagt sie zu ihrer Tochter, »des könnt' dem passe', daß er z' Uflinge in e warm's Nest sitze tät.«

Die Bäuerin fragt gar nicht lang: wem? Sie schaut hart, fast finster drein und sagt kurz: »Zeh', zwölf Johr ist 'r jünger wedder i – – i tät mi schäme.« –

Die Alte kichert. »Wege sellem – die junge werdet vo' selber alt.«

»Aber die Alte nemme jung,« sagt leise, daß es fast wie ein Seufzen klingt, die Siebenunddreißigjährige und sie sieht auf den Hof hinunter, wo eben die Heinrike mit dem Rechen auf der Schulter vorübergeht. Siebzehn ist die. 84

* * *

Hat einer schon den Herbst gesehen, den tiefen Spätherbst dort auf der Höhe bei Uflingen?

Die Bauern, die mit schweren Schuhen, an denen die nassen, lehmigen Schollen hängen, hinterm Pflug einherstapfen, die sehen ihn nicht. Und die, die aus den schräg ungebundenen Säcken die Saatkörner wie einen gelben Regen über die schwarzen, offenen, hungrigen Furchen hinstreuen, die sehen ihn auch nicht.

Die Weiber in den zwilchenen Röcken, die mit dem schweren Karst zwischen Kartoffeln und Rüben stehen, die sehen nur die Mühsal, die an jeder Scholle, an jedem Strunk, an jedem Stein im Ackerboden hängt.

Aber der schwarze Jakob aus dem Ellbacher Oberamt, der ist ein anderer, der sieht den Herbst.

Wenn er zum Angersenholen ausfährt am späten, nebeligen Morgen, dann steht er breitspurig auf dem leeren, ratternden Wagen, sieht über die wohlgenährten, schwankenden Rücken seiner Zugochsen weg, hat das Hütlein aus der Stirn gerückt, das grobe Hemd über der haarigen Brust geöffnet, so daß die frische Kühle des Morgens ungehindert den Weg findet zu dem heißen Herzen. Mühselig geht's die steile Steige empor. Uflingen liegt im Tal und seine Markung auf der Höhe und im Deich hinterm Scheckenwald. 85

Träg schreiten die Ochsen aus; aber dem aus dem Ellbacher Oberamt geht's schnell genug.

Der Schwarzhaarige sieht – bei einem aus Uflingen wär's nie erhört; aber »dort drüben« sind sie so – er sieht das Blümlein Wegwart am Straßenrand, er sieht die träge, große Kröte im feuchten Graben, er sieht die roten, reifen, berstenden Pfaffenhütchen am kahlwerdenden Strauch, er sieht das sich verfärbende Laub am Haselbusch, in dem die Uflinger Buben und Eichhörnchen gehaust haben, so lang etwas zu holen war.

Da wird dem Jakob auf der Steige die Zeit nicht lang, und die Ochsen bekommen die Peitsche nicht.

Oft fährt ein Uflinger mit einer einzigen, dürren Kuh dem Ochsenwagen vor. Dann schüttelt wohl der Bauer den Kopf, spuckt aus und denkt: »Daß 's Daniels Bäbele net besser hinter dem Lohle her ischt!«

Auf der Höhe, gleich vorne bei der steinernen Ruhebank, neben der ein Busch voll überreifer Hagebutten steht, ginge es für den Jakob hist. Aber bisweilen fährt er hott oder geradeaus. Das kommt, weil es so viel zu sehen, so viel zu denken gibt da oben.

Liegt da der Nebel zitternd, wie in ruheloser Angst über Nähe und Ferne. Dann fährt plötzlich 86 der starke Hauch eines Unsichtbaren in das Gewoge. Der Jakob grinst. Der Herrgott ist's, der den Rauch seiner Morgenpfeife auseinanderbläst, damit er heruntersehen kann auf die Uflinger Markung.

Und dann kommt von Neudorf, dem ferne sichtbaren Ort auf der Hochebene herüber, ein gelber und roter Schein. Und noch ein wenig danach fahren aus dem gelben Schein heraus lange, schräge, feurige Spieße, und aus ist's mit den Nebelfetzen.

Wie von den Seifenblasen, die die Buben auf der Rathausstaffel machen, nur ein nasser Fleck bleibt, wenn die luftigen Dinger auf den Steinen geplatzt sind, so bleibt von all dem flatterigen Gewoge nur die grauweiße Nässe auf den Erdschollen und in den tausend Spinnennetzen, die sich von Furche zu Furche, von Stein zu Stein spannen.

Das zu sehen und zu beobachten ist so recht eine Sache für den Schwarzen.

Langsam fährt er auf dem schmalen Ackerweg dahin.

Die windschiefen Goldparmänenbäume auf des Schulzen Acker, die so gepflanzt sind, daß sie den Schatten auf das nachbarliche Krautfeld des Nachtwächters werfen, sie flimmern im goldenen, letzten Laub, das beim leichten Wind, der zuweilen anhebt, niederwirbelt und bis unter die Hufe der Ochsen dahergetanzt kommt. 87

Der schwarze Jakob, der jetzt neben seinem Wagen geht, bückt sich und hebt solch ein Blättchen auf.

Das wäre wahrhaftig einem von Uflingen seiner Lebtag nicht eingefallen. Um und um dreht der Knecht das Blatt, dann nickt er mit dem Kopf, macht ganz helle Augen und sagt: »sauber« und nocheinmal »sauber«. Das klingt und sieht aus, als habe der Schwarze soeben eines Goldschmieds gelungene Arbeit begutachtet und dem geschickten Meister ein Lob gesagt. Und derweil ist's ein welkes Blatt von des Schulzen Apfelbäumen. Noch im Weiterschreiten schaut der Jakob zurück nach diesen Bäumen. Sie und ihresgleichen haben ihm immer gefallen. Wie sie so vornübergeneigt dastehen und sich den Neudorfer Wind gleichmütig über den Rücken streichen lassen, da sehen sie aus wie kluge, hartschlägige, seelenruhige Kerle, die zu allem Ungemach sagen: »steig mir de Buckel nauf!« Und dies Wort steht auch vorne dran im Wörterbuch derer aus dem Ellbacher Oberamt. Und dann kommt der Acker, in dem der späte Haber war, den man erst heimgeholt hat. Noch stehen die Stoppeln und dazwischen huschen die Mäuse. Mit steifabstehenden, feinen Ohren, blanken Kugeläuglein und pudelnassen, erdfarbenen Fellchen witschen die flinken Dinger von einem Loch ins andere. 88

Von der Mäuseplage war viel im Blatt gestanden den ganzen Sommer hindurch. »O–ha!« schreit jetzt der Jakob und hängt sich schwer ins Leitseil, daß die Ochsen stehen. Dann sieht er mit gespanntem Blick dem Gehusche zwischen den Stoppeln zu. Also so sieht eine Plage aus! Wenn's nicht gedruckt im Blatt stünde, man würde es nicht glauben. Wie lauter heller Übermut, wie die tollste Freude am Leben kommt das Treiben dem Schwarzen vor. Von Plage keine Spur.

»Goht's do lustig zu, – so wenn's bei de Leut zuging! –« murmelt er und stemmt den Peitschenstiel auf den lehmigen Boden.

Rings auf der Höhe sind Uflinger bei der Arbeit. Klar und scharfumrissen heben sich die Gestalten der Leute und der Gespanne ab und drüben auf des Nachtwächters Krautäckern ist des Schulzen Spitzer hinter einem Hasen her. Der Jakob reißt die Peitsche herauf, als sei's eine Flinte und legt an. Er ist immer der beste Schütze bei seiner Kompagnie gewesen. Ganz dunkel und groß werden seine Augen im Jagdeifer.

Da bricht hinter ihm ein helles Gelächter los.

»Schwarzer,« ruft die Heinrike, »schießt mer im Ellbacher Oberamt d' Hase' mit d'r Geißel?«

Das weiße Tuch von der sonnverbrannten Stirne zurückgeschoben, den Kittel am Hauenstiel über die Schulter gehängt, steht die Siebzehnjährige in den 89 Furchen und lacht, daß die weißen Zähne blitzen. Der Knecht wendet sich jäh um und faßt die Ochsen am Zügel.

»Du,« ruft er im Weiterfahren, »soll i dir emol zeige, was älles im Ellbacher Oberamt der Brauch ist?« –

Die Heinrike läuft immer noch lachend den Weg voraus.

»Wart, Menschle, wart,« murmelt hinter ihr her der Schwarze und läßt die Augen nicht von ihr.

Auf diese Weise kommt's, daß wenn um Simon und Judä herum alles eingefahren ist zu Uflingen, der aus dem Ellbacher Oberamt allein nicht fertig ist. Er sieht zuviel, der Jakob, er hat zuviel Abhaltung, das kann die Heinrike bezeugen.

Die alte Nagelschmiedin ist eine Gescheite. Man sagt in Uflingen, sie höre das Gras wachsen. Aber immer die ganz Gescheiten sind's, die die ganz dummen Streiche machen. Oder ist's vielleicht kein dummer Streich, neben trockenem Zunder Feuer zu schlagen, wenn man einen Brand verhüten will? In der siebenunddreißigjährigen Witwe des bresthaften Daniel ist viel trockener Zunder aufgehäuft. – Was doch die Mutter daherreden mag von einem Hungerleider, der sich ein warmes Nest sucht! – Was war denn des Nagelschmieds Bäbele dazumal, als sie den reichen Kälberer heiratete? Vielleicht keine Hungerleiderin? Sie, die 90 kaum das Hemd auf dem Leib hatte. Damals hatten die Uflinger geschimpft; sie hatten den reichen, kranken Bauern gewarnt vor dem ›Bettelmenschle‹ das nur ins warme Nest wolle. Das Bäbele schaut vor sich hin mit großen, heißen Augen. War denn das Nest warm gewesen bei dem Bresthaften? Ein ganz leiser Schauder geht ihr durch den blühenden Leib. Sie riecht den Tee wieder, der immer in der Ofenkachel sott, so lang der Bauer sein armseliges Leben fristete, sie sieht die Tränklein und Salben stehen, hört seine heisere nörgelnde Stimme. Und dann verzieht sich ihr herber Mund. Der Daniel, der hat sich nie die Rohrstiefel gewichst und das Kraushaar gescheitelt, um dem Bäbele zu gefallen, der hat nur mit dem vollen Beutel gewunken; sonst hatte er keine Reize aufzuweisen. Und jetzt ist da einer gekommen, ein Junger, Gesunder, ein stämmiger Kerl, der nicht weiß, wie Tee riecht und wie Salben aussehen; und vor dem soll sie sich in acht nehmen, als vor dem Bösen? – Die Bäuerin rüttelt am Pfannenstiel, den sie in der Hand hält, wie in heißem Unmut. War denn des Nagelschmieds Bäbele nur für einen Bresthaften recht gewesen –? Stramm richtet sie sich auf, wie eine, ja wie eine, die etwas vorhat, was die ganze Kraft erfordert; da tritt die Heinrike mit einem Arm voll Holz in die Küche. 91

In die Augen der Frau kommt ein Flackern. – Die ist siebzehn, die da mit dem Holz. –

Feindselig hängt der Blick der Bäuerin an der Magd. Wie sie klein ist und leibarm, die Heinrike! Für des Kälberer Daniels Hof wäre eine stärkere Magd am Platz. Aufs Frühjahr gibt's da einen Wechsel.

* * *

Der Jakob führt den letzten Wagen voll Dung auf die Höhe.

Auf die dampfende, festgepritschte Last wirbelt der weiche Schnee herunter; vereinzelte Raben streichen über die leeren Äcker hin, und in des Schulzen kahlen Äpfelbäumen lärmen Finken und Meisen.

Sonst ist heute kein Leben auf der weiten Höhe. Die Mäuse sind nicht da, des Schulzen Spitz ist nicht da, der Hase von dazumal ist nicht da, und die Heinrike ist auch nicht da. Der Knecht schaut sich um. Es ist kein gutes Alleinsein da oben.

Wohl sieht man hinüber über die weiten Talgründe, hinüber zu den Tannenwäldern des Ellbacher Oberamts, unter denen irgendwo das alte Weiblein mit dem großen Kropf wohnt.

Aber was hilft das dem Jakob? Wenn man sich einmal verrannt hat, so recht gründlich in eine böse Sackgasse verrannt, dann kann auch kein 92 altes, kropfiges Weiblein heraushelfen. Das lose Leitseil in den schneenassen Händen trottet der Schwarze neben seinen Ochsen dahin und sieht den Weg nicht unter den Füßen. Das ist das Schlimmste, keinen Weg unter den Füßen zu sehen. Also die Bäuerin nimmt ihn, das ist jetzt sicher. Vor der Nagelschmiedin hat sie's ihm gesagt, deutlich und mit dürren Worten. Und die Nagelschmiedin mit ihrem bösen Schandmaul hat zuerst getan, als habe sie falsch gehört, hat mit dem Kopf gewackelt und gesagt: »Bäbele, was denkst an! Zweihundert Mark ist haufe gnueg für so en junge Kerle vom Wald drübe! Und wenn er mit dem Loh' net z'friede ist, no schick ihn fort mitsamst d'r Heinrike, dem leichtsinnige Menschle, wo immer mit 'm rumkarressiert – –.«

Da war die Bäuerin blutrot im Gesicht geworden und hatte der Alten überlaut in die Ohren geschrien, wie und was. Daß der Hof einen Bauern brauche, und daß der Jakob ein tüchtiger Mensch sei und so und so.

Der Schwarze lacht jetzt auf, daß die träge trottenden Ochsen erstaunt die schweren Köpfe wenden.

Den Zorn von der alten Hexe hätte einer sehen sollen! Alles, nur nichts Rechtes hat sie ihre Tochter gescholten, und ihn, den Jakob, nicht weniger. Und dann ist sie davongehumpelt und 93 hat in ganz Uflingen herumgeschrien, was der hergelaufene Hungerleider aus dem Ellbacher Oberamt im Sinn habe. Die Bäuerin aber ist aus der Stube gegangen mit einem ganz verzerrten Gesicht. Kein Wörtlein hat sie mehr zu dem Jakob gesagt. So, als sei's ihre Meinung, daß alles übrige des Schwarzen Sache sei.

Der Knecht fährt sich über die Stirne. Ihm wird heiß, mitten im Schneetreiben.

Er hat ganz vergessen, daß er dazumal, als ihm bei jenem ersten Hopfenhandel seine Rolle nicht behagte, anfing, die Stiefel blitzblank zu wichsen, einen Scheitel durchs Kraushaar zu ziehen und Sonntags unter der Bäuerin Fenster zu sitzen. Er hat vergessen, wie ihm die Hopfengärten und Kornäcker, die Ochsen im Stall und die Schafe auf der Weide gefielen.

Hier oben auf der Höhe, wo er so manchen Tag im Herbst bis in den späten Abend hinein mit der Heinrike gearbeitet hat, als die Felder noch nicht kahl waren, hier oben vergißt er das und denkt an anderes.

Und das ist die Sackgasse.

Schärfer schaut jetzt der Jakob hinüber gegen den Tannenwald. Das Weiblein, das dort wohnt, sitzt um diese Zeit in einer spärlich erwärmten Stube, zieht die Knie hoch und legt die halbverklammten, alten Hände an die Ofenkacheln, um 94 sie wieder zu erwärmen, daß sie den wirren Flachs vom Wocken spinnen können.

Weiblein, sage, was hältst du von der Sache?

Der Jakob sieht sie lachen, die Alte. »Bue«, sagt sie, »im Alter de Ofe und in der Juged de Schatz em Arm, des – scht 's Best!« – –

Sei still, Alte! Das will dein Bub jetzt gar nicht hören! Nach einer wärmeren Stube, nach besserem Flachs, einem weicheren Bett, einer kräftigeren Suppe sollst du verlangen, dann weiß dein Jakob, was er zu tun hat.

Aber das Weiblein ist eigensinnig. Sie sagt nichts von der Suppe und nichts vom besseren Flachs. Grade nur immer von einem Schatz erzählt sie, und wie das schön gewesen sei, so lang sie den hatte, und wie dann das große Elend angefangen habe, als er eine reichere genommen und sie sitzen gelassen habe, sie und ihren Buben, den Jakob. – –

Der Schwarze starrt und starrt und sieht den Weg nicht.

* * *

Aus den Spalten der strohumflochtenen Stalltüren dringen beständig Dampfwölkchen auf den Hof, wo an der hohen Güllenpumpe die mistfarbenen Eiszapfen hängen. Der zottige Hund liegt in seiner verhangenen Hütte und rührt sich 95 nicht. Ein paar Hühner scharren im zertretenen Schnee, als sei's ihnen mehr um Bewegung und Wärme als um verborgene Körnlein zu tun.

Die zwillchenen Fäustlinge über die frierenden Hände gezogen schneidet der Jakob Futter auf Vorrat in der Scheune.

Er hat's gut in diesen Tagen. Oder vielmehr, er hat wenig Arbeit. Denn zum Guthaben gehört sonst noch allerlei. Drüben um Ellbach herum, ja, da meinen sie, wenn einer nur die Hände in die Taschen stecken könne, dann habe er's gut. O je! Der Jakob weiß das jetzt ganz anders. –

Es ist dämmerig da hinten in der Scheune, wo der Knecht steht. Halbdunkel fast. Und wenn das Messer der Futterschneidemaschine nicht gerade knirscht, dann ist es auch still, mäuschenstill.

Dem Jakob ist's eigentlich viel zu still. – So lang im Hof draußen die Dreschmaschine ratterte und der Göpel knirschte, so lang man im Schweiß seines Angesichts Garben herschleppen und Säcke tragen mußte, solange konnte man nicht an die vermaledeite Sackgasse denken.

Aber da innen in der stillen Dämmerung zwischen den Futterhaufen – – Der Schwarze fährt sich durchs Kraushaar und seufzt tief auf.

Unter der Scheunentüre erscheint die zierliche Gestalt der Heinrike. Sie hat den leeren Korb 96 über der Schulter hängen und kommt, von dem geschnittenen Futter zu holen für die Kühe.

Der Jakob sieht sie wohl daherschreiten; aber er tut nicht dergleichen. Auf und ab geht das schwere Messer, als gebe es für einen aus dem Ellbacher Oberamt nichts auf der Welt als Arbeit und wieder Arbeit.

Langsam naht sich die Jungmagd. Unter dem weißen Kopftuch schaut ihr Gesicht ein wenig blasser, ein wenig spitzer hervor als im vergangenen Herbst. Ja, der Winter läßt erblassen, was die Sonne gefärbt hat. Als sei das Lachen eingefroren, so streng und frostig ist der junge Mund, und die Augen gleiten kurz und scheu über den Mann an der Maschine.

Sie hält den Korb vor sich und beugt sich tief, vielleicht etwas gar zu tief über den Futterberg, dicht vor dem Messer.

Und dann schreit sie kurz und leise auf. Das Ende ihres Zopfes, der vornüber fiel, ist in das Messer gekommen. Ein scharfer Ruck hat ihr den Schrei erpreßt.

Der Knecht hält an und macht sie frei.

»Hätt'st net sage könne, i soll halte?« murmelt er zwischen den Zähnen. Zornig klingt's und verbissen, und der Heinrike steigen die Tränen in die Augen.

»Hättst du net selber wisse könne, wenn de 97 halte mueßt?« fragt sie leise dagegen, und es ist, als ob ein bitterer Vorwurf in den Worten liege.

Der Jakob hält seine Fäustlinge in der Hand und schaut finster vor sich hin. Nichts fällt ihm ein, was er sagen könnte, gar nichts, und doch muß einmal etwas gesagt werden.

»Ben i' vielleicht allei' schuldig? – –« stammelt er nach einer langen, schweren Pause, und er sieht dabei die Heinrike nicht an; er sieht nicht, wie ihr die Tränen langsam übers Gesicht laufen, wie der junge Mund zuckt. Auf einmal lehnt sie sich an den Balken, neben dem sie steht, sie hebt beide Arme wie in großem Jammer und stößt heraus: »Du und i, Jakob, du und i! – –«

In der niederen Stube, wo die zahllosen Soldatenphotographien über dem Sofa hängen, wo der Glaskasten steht mit den goldrandigen Kaffeeschüsseln und der mächtige Tisch, auf dem immer die Händler der Bäuerin das schwere Geld aufzählen – in dieser protzigen Uflinger Stube steht der Hungerleider aus dem Ellbacher Oberamt vor seiner Herrin.

Er hat die Rohrstiefel gewichst, das Kraushaar gescheitelt und das bläuliche Kinn frisch rasiert. Stattlich steht er da und gerade, wie eine der Tannen, unter denen er aufgewachsen ist.

Die Nagelschmiedin ist heute nicht bei der Unterredung. Man braucht sie auch nicht. 98

Das Bäbele hat einen scharfen Zug um den Mund. Man sieht ihr in dieser Stunde ihre siebenunddreißig an. Ja, noch älter sieht sie aus. Wie eine, die ihrer Jugend nachschaut.

»Also wieder 'uf de' Wald nüber wi't und Holzknecht wi't wieder werde –?« fragt sie und sie legt die ganze herbe Verachtung, die die Uflinger für die Waldbauern haben in ihre gepreßte Rede. »Jo, jo 's ischt besser! Ihr sellt dromme send kei' rechts Feldg'schäft g'wöhnt, bei euch wachst nix als Kröpf und Tannezapfe.«

Die Augen der Bäuerin werden jetzt dunkel und hart. Der grobe, gewalttätige Zug, der gegen das Frühjahr hin an allen Uflingern zutage tritt, verzerrt ihr Gesicht.

»Gang no'! Aber daß d' 's weißt: d' Heinrike, des leichtsinnig Menschle, mit dem d' älleweil rumkarressiert host, die jag i' au' 'naus, die ka'st mitnemme, no ka' se d'r helfe Schlehe moste und Gaise melke, ha – ha – ha –.«

Sie lacht so böse auf, die Frau, wie nur die lachen, die nicht hinausschreien wollen.

Der Jakob verzieht keine Miene. Er dreht sein rundes Hütlein in den Händen, schaut zu der Frau hinüber und sagt: »G'rad sell han i sage wölle, Bäuere! D' Heinrike tät i gern mitnemme zu mei're Mueter. Sie därf jo so doch net heimkomme zu d'r Webere. Die tät s'e jo doch bloß 99 ploge. Und plogt soll se net werde, d' Heinrike. Sie ist net dra' schuldig. I hätt au' könna wisse, wenn mer halte mueß. Aber jetzt ist's scho' so. Und mei Mueter tut d'r Heinrike nix. Mei' Mueter hot au' en ledige Buebe g'hät, und des ben i. Do weiß mei Mueter, wie des ist. Und später heirat i d' Heinrike. Mir brenget uns scho' 'naus. Wir send jo jung. Und 's Jungsei' ist doch 's best! –«

Der Schwarze hat zuerst seelenruhig gesprochen. Dann schneller und bewegter und zuletzt hat's geklungen, als ob ein heller Jauchzer der Schluß sein müsse.

Die Bäuerin stützt sich ganz schwer auf den Tisch. Also so sieht's aus! Sie bringt kein Wort hervor. Sie weiß auch nicht, daß sie die Zähne zusammenbeißt.

Als der Jakob schon lange aus der Stube ist, steht sie noch und kann sich nicht rühren. Sie steht und hört es in den Ohren gellen: »mir send jo jung, und 's jung sei' ist doch 's best.« Und etwas in ihr schreit nach den siebzehn Jahren, die dahin sind, und die der bresthafte Daniel Kälberer mit seinem Beutel voll Talern erschlagen hat.

Die steile Steige hinauf, wo er so oft mit dem Ochsenwagen fuhr, schreitet der Jakob.

Heute wirbelt kein Schnee hernieder, heute sieht er seinen Weg. 100

Und Besseres gibt's nicht, als seinen Weg sehen.

Die Heinrike geht neben dem Schwarzen her, und beide tragen ein Bündel.

Das Blümlein Wegwart blüht noch nicht am Straßenrand und auch die dicke Kröte liegt noch im Winterschlaf. Oben auf der Höhe stehen des Schulzen Apfelbäume noch kahl, so daß die lichte Vorfrühlingssonne auch auf des Nachtwächters Ackerstreifen scheint.

Die zwei bleiben Hand in Hand stehen und schauen hinüber, wo die Äcker von des Kälberer Daniels Witfrau liegen. Wie oft sind sie miteinander da oben gewesen! –

Des Mädchens schmales Gesicht rötet sich.

Dann schreiten sie weiter über die Höhe hin. Rechts drüben hinter dem Scheckenwald liegt der tiefe Deich mit den Hopfengärten.

Jetzt rötet sich dem Jakob die Stirne.

Vorhin ist dem Mädchen, jetzt dem Manne eingefallen, daß etwas verloren ist.

Weit drüben über dem grünen Tal, das sie überqueren müssen, sieht man dunkel, fast schwarz die stillen Wälder stehen, wo die Tannenzapfen wachsen.

Der Knecht zieht seinen Hut und jodelt hell hinaus.

Er grüßt sein Oberamt.

So sind sie, die um Ellbach herum. 101

Das Mädchen aber macht die Augen groß und sieht hinüber. Wie wird man sie aufnehmen dort drüben, die Uflingerin, die nichts mitbringt als ihr Bündel? –

»Du,« sagt der Jakob, »mei Mueter, wenn de siehst, die wurd d'r g'falle.«

Er schmunzelt vor sich hin. Er muß immer schmunzeln, wenn er an die kleine Alte denkt.

»Aber en Kropf hot se!« – fügt er dann auf einmal weniger zuversichtlich hinzu.

»Sei still,« murmelt die Siebzehnjährige verweisend; »wer weiß, wie i be', wenn i emol so alt be'.« –

Und schweigend gehen sie weiter.

* * *

Die Uflinger plagt ihr verhocktes Blut, weil der Winter gar lang war. Da sind sie froh, daß sie für ihre gärende Grobheit einen Abfluß haben. Im Ochsen wird über den Jakob verhandelt.

»Wer wurd au ein' aus 'm Ellbacher Oberamt ei'stelle. Faullenzer send's, kommode Kerle! Wenn 's Frühjahr kommt und 's Gschäft a'goht, no laufet se davo'.«

»Jo und an d'r Heinrike hot 'r vorher de Schlechte g'macht. Des ist die ganz Kunst vo' dene Waldbaure.« 102

Der Wirt tritt jetzt her. Im braunen, gestrickten Wams, das vorne das bunte Flanellhemd sehen läßt.

»Waas saget 'r, vo waas ischt d' Red?« Er tut, als ahne er nichts.

»Ha do, daß 's Kälberer Daniels Bäbele den Hungerleider ei'gestellt hot, und daß 's jetzt so gange ist.«

»Hm,« sagt bedächtig der Ochsenwirt, der gern seine eigenen Gedanken hat, »'r hot doch wenigstens an d'r Webere ihrer Heinrike net de Schlechte g'macht. Er häb se jo mit uf de Wald 'nüber.«

Eine große Stille ist unter den Uflingern.

Dann schlägt der Treibers-Gottlieb auf den Tisch, daß der Weckenberg übereinander fällt und schreit: »A Kapitalrindvieh ist 'r gwe, d'r schwarz Jakob! 's Kälberer Daniels Bäbele hätt 'n gnomme, wenn er's recht a'g'fange hätt.«

Sie lachen vor sich hin, die Uflinger, als wüßten sie alle Bescheid, und sie vergessen, wie sie kürzlich noch die Wut der Nagelschmiedin teilten.

Die Ochsenwirtin steckt ihren Schürzenzipfel auf und meint: »'s ischt net jedem sei' Sach, bloß noch de' Taler z' gucke.«

»Jo,« sagt rasch ihr Gatte, »i han au net dernoch guckt.«

Ein stoßweißes Gelächter geht um den Tisch. Keiner weiß recht, warum er lacht. 103

Einer der Jüngeren unten am Tisch klopft seine Pfeife aus. »I sag bloß,« brummt er, »wenn i 's z'tu' g'hät hätt, 's Kälberer Daniels Hof wär mir net 'nauskomme.«

»Und d' Heinrike an net!« fällt ein anderer ein.

»Jo, sell mein i au,« bekräftigt ein dritter.

»So send halt die um Ellbach rum!« ergänzt der Treibers-Gottlieb. Und der muß es wissen. 104



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