Auguste Suppper
Leut'
Auguste Suppper

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Strafversetzt.

Strafversetzt haben sie mich. Weil ich ein kühnes Mundwerk habe. Man weiß ja, wie das ist.

Im hintersten Wald, wo Fuchs und Hase sich Gutenacht sagen, sitze ich jetzt in einem Forsthaus, in dem alles wackelig, windschief, heruntergekommen ist, bis auf mich, den Oberförster. Das ist immer noch besser, als wenn's umgekehrt wäre.

Ich kam in die Einöde. Und als ich die weiten Wälder sah, die so herrlich verwahrlost sind, daß ich nicht recht wußte, ob ein forstmännisches Donnerwetter oder ein menschliches Entzücken mehr am Platz wäre, da habe ich einen Juhschrei losgelassen wie der Hans, als er die Liesel sah. Stillgestanden bin ich und habe gelacht. Dann habe ich mich ins Heidelbeergestrüpp gelegt und habe erst recht gelacht.

Ein Geschichtchen ist mir eingefallen, das mein alter Vater oft erzählt hat. Er ist in Mainz 150 aufgewachsen zu der Zeit, als Österreicher und Preußen in der Stadt lagen. Die Österreicher haben nicht für die Hellsten gegolten dazumal, und man hat ihnen allerlei nachgesagt. Wurde da ein Bursche von seinem Korporal auf den Fischmarkt geschickt, daß er einen Aal kaufe. Er besorgt das aufs beste und trägt das Wasserbiest in einem Netze heim, wie das der Brauch ist. Wie nun aber jene Österreicher waren: gutmütig, gemütlich und nicht übermäßig stolz auf die Überlegenheit ihres Menschentums – mein Bursche fängt den klitschigen Aal zu kitzeln an. Der windet sich blitzschnell in seinem Netz und beißt den Spaßvogel in den Finger.

Nun hättet ihr aber meinen Österreicher sehen sollen. »Biest,« schreit er, »bist du en Preuß', daß d' kan Spaß verstehst?« Und dieweil er soeben über die Rheinbrücke schreitet, schleudert er den Missetäter mit zornigem Schwung in die Flut. »So, jetzt versauf! Luder, ungemütlichs.«

Ich lag lachend im Heidelbeergestrüpp und kam mir vor wie der Aal. Und die hohe Behörde, die mich strafversetzt hatte, die kam mir vor wie der Österreicher. Mutatis mutandis selbstverständlich.

Das Dorf, zu dem ich nun gehöre, ist weitverstreut. Es sind eher einzelne Gehöfte mit breiten Dungstätten, krummen Zwetschgenbäumen und eingehegten Gärten um die Häuser. Diese selbst haben zum Teil noch Schindeldächer, was sich ganz famos 151 ausnimmt, behördlicherseits aber scheel angesehen wird. Das ist ja oft so.

Grün oder blau oder blutrot gestrichene Türen, Fensterrahmen und Läden, ja ganze Hauswände grinsen scheußlich über die Höhe, deren zarte, verschwimmende Farbentöne der liebe Herrgott auftrug, während das kräftigere Farbenspiel an den Häusern von dem Michael Pfrommer, dem Gipser und Anstreicher herrührt, der für mein Dorf etwa das ist, was Giorgione für Venedig war. Nur ist dieser jung gestorben und der Michele wird heuer achtundsiebzig und vermalt in der strengsten Zeit bis zu fünf Pfund Ölfarbe täglich.

Ich habe mir ihn gleich anfangs herauszitiert in mein Staatsgebäude. Auf der Wetterseite war an den Fenstern jeglicher Anstrich weg, das wollte ich auf meine Kosten etwas ausbessern lassen, der Kürze des Verfahrens halber.

Ich schlug ihm in aller Güte vor, die gefährdeten Fensterrahmen graubraun anzustreichen.

Er fuhr unter die weiße Schürze und holte die Brille aus der Hosentasche. Sie war jämmerlich verschmiert, und mir wollte scheinen, als könne sie kein klares Weltbild geben.

Dann trat er einen Schritt zurück und betrachtete die Hauswand.

»'s wurd g'macht, Herr Oberferschter, 's wurd g'macht.« 152

Und nach zwei Tagen hatte ich grasgrüne Fensterrahmen, die hell über die Stachelbeerhecken meines Gartens leuchteten. Ich war im ersten Augenblick erschrocken, als ich aus dem Wald kam und die Bescherung sah. »Donnerwetter,« entfuhr es mir, »soll das graubraun sein?«

Aber der Michele ließ sich nicht drausbringen. »'s ischt recht so, Herr Oberferschter, 's ischt recht so.«

Da kam mir der helle Neid auf das dürftige Männlein, das rittlings auf einem Fensterkreuz saß und seiner Hände Werk seelenruhig und unbedingt für recht erklärte.

Ach – einmal hatte ich das getan und war strafversetzt worden.

»Ja, ja, Michele,« sagte ich, »mir soll's ja recht sein; aber wenn der Forstrat kommt und der Baurat –«

»Wenn's dene net g'fällt, sollet se's wieder wegschlecke.« entgegnete unerschütterlich das Männlein, und mir blieb nichts übrig, als ihm zuzustimmen, obgleich mir das Herz schwer war.

Von dem Tag an hatte und habe ich eine kleine Schwäche für den Michele.

Oft begegnet mir der Malermeister auf meinen Gängen im Wald. Er hat dann nicht Pinsel noch Farbtopf bei sich, aber er faulenzt nicht, er sammelt Eindrücke.

Ich muß wissen, was Faulenzen ist! Da 153 schlendert man anders daher als dieser Michele, wenn er mir begegnet. Da schnüffelt man nicht so neugierig in des lieben Gottes lichte Welt hinein und hat glänzende Augen wie die Kinder am Christtag.

Wie manches liebe Mal sind wir zwei stundenlang im schwarzen Grund gesessen. Der schwarze Grund ist merkwürdigerweise eine hochgelegene Blöße, auf der im zeitigen Frühjahr die Schnepfen streichen.

Vielleicht sollte ich es nicht so öffentlich sagen, daß ich stundenlang herumsitze. Von Gottes und Rechts wegen müßte mir auf meinem verfluchten Strafplatz die Arbeit über dem Kopf zusammenschlagen. Sie tut das auch. Aber was kümmert's mich! Wo einmal die Bauern über den Wald gekommen sind, da bringt kein Königlicher Oberförster die Geschichte mehr ins Lot.

Ich verlasse mich jetzt völlig auf den lieben Gott. Er hat die Bauern gemacht, er läßt den Wald wachsen, er hält die Mauern meines Hauses zusammen und er sorgt, daß bei den Holzauktionen die Preise recht werden. Ach, wenn doch auch alle nichtstrafversetzten Menschen wüßten, wie gut man es auf dieser Welt haben kann, wenn man den lieben Gott walten läßt.

Im schwarzen Grund schlägt der Specht. Ich kenne ihn gut, den Gesellen. Stundenlang habe 154 ich ihm schon zugesehen. Ein Schwarzspecht ist's, picus martius.

Um das aufgeklafterte Holz, das nackt und splitterig auf der moorigen Erde sitzt – es ist nicht viel wert, das ganze Los dort oben –, um das Holz reifen die Erdbeeren. Einmal habe ich meinen Hut davon vollgezupft und habe sie dem Hirschwirtstöchterlein, der Lies, gebracht. Es war ein warmer Abend. Das Rot verglühte am Himmel, und in der Laube im Hirschgarten saß die Lies, hatte beide Ellbogen aufgestützt und starrte weiß nicht wohin. Einer von ihren Zöpfen hing ihr über die Schulter und ihre Arme leuchteten weiß. Aber das habe ich ja gar nicht sagen wollen.

Schöne rote Kreuze sind auf die hohen Holzstöße gemalt.

Der Michele sagt zwar, diese Kreuze seien hundemiserabel gemacht. Im Schlaf könne er's besser. Aber man darf keinen Künstler über den andern hören.

»Michele,« sage ich, »laßt die Malerei, die lausige! Wir wollen jetzt vom Schorchagnesle reden.«

»Sie hänt recht, Herr Oberferschter. Des muß scho e rechter Esel sei, wo an sei Geschäft denkt, wenn er net mueß.«

Der Mann, der das gesagt hat, ist kein Studierter. Nicht durch dick und dünn, durch die Höhen und 155 Tiefen des Wissens und Erkennens hat er sich durchgewurstelt, und er ist doch zu dieser goldenen Wahrheit gekommen. Alles, was Menschen glücklich und selig macht, steht den Unmündigen offen, daß sie nur zuzulangen brauchen, wo die Klugen und Weisen hart ringen müssen. Dann reden wir vom Schorchagnesle.

Seitwärts klopft der Specht, hinter uns girren die wilden Tauben. Ich liege im Sauerklee und esse ganze Hände voll davon. Mir tut's nichts. Mein Inwendiges ist tadellos. Nur das Mundwerk –

Der Michele legt sich nie platt hin. Er findet das unfair.

»'s sieht so faul aus. Oder wie wenn mer en Rausch hätt'.«

Möglich, daß er recht hat.

Möglich. daß ich auch einen Rausch habe. Wenn der Wind am Waldsaum durch die Tannen geht – nein, Föhren sind's, miserables Zeug – und wenn der Holzstoß mit den roten Kreuzen nach Harz riecht, nach dem frischen Blut, das aus des Waldes Wunden träufelt, wenn die Erdbeeren leuchten wie der Lies ihr lieber Mund, wenn der rote Fingerhut nickt und die Tauben girren, dann ist's, als hätt' ich starken Wein getrunken.

Der Schorch, das ist ein Waldteil, nicht weit 156 von da. Und das Agnesle, das war ein Mädchen mit weißen Armen wie die Lies.

Eines Bauern Tochter war sie. Und ein Herr war da, ein Edelmann, der die Jagd hatte am Schorch. Waldstreu holte das Mädchen.. Und der Edelmann stand auf den Hirsch an. Dazumal gab's noch Hirsche am Schorch.

Und – Teufel auch – er brachte eine Hindin zur Strecke. Ich sag's ja immer: das Streuholen ist ein Forstfrevel erster Klasse.

Und das Schorchagnesle bekam ein Kind. Der Edelmann sah drein, als wüßte er von nichts.

Am Schorch hat das Mädchen die weißen Arme aufgehoben und hat weinend gefleht: »O Herr, du mein Heiland.«

Aber der Edelmann hat gesagt: »Kreuzdonnerwetter, ich bin dein Heiland nicht! Wer hat denn dich heißen Streu holen?«

Da ist das Mädchen hingekniet ins Gras, das naß war vom Abendtau, und sie hat gestammelt: »Was soll denn werden aus mir, Herr?«

Da hat der Edelmann einen greulichen Fluch getan und hat ihr gesagt, was aus ihr werden solle, nein, was schon aus ihr geworden sei. –

Wenn der Michele das Wort sagt, dann fahre ich aus meinem Sauerklee auf und möchte dem Männlein an die Kehle. Aber dann fällt mir ein, daß der Malersmann ja nur zitiert, und daß es 157 ein Edelmann war, der das Wort gesagt hat drüben am Schorch, wo das Agnesle im zerwühlten Gras kniete.

Und es fällt mir auch ein, daß die ganze Historie bald dreihundert Jahre alt ist, und daß so etwas heutzutage gar nicht mehr vorkommt, weil – weil – ich glaube, weil das Streuholen verboten ist und weil die Edelleute Automobil fahren, oder aus andern Gründen. Da lege ich mich wieder behaglich zurück und höre weiter. Also der Edelmann sagte dem Agnesle, was sie sei. Sie ist ganz weiß geworden im Gesicht. »Käsweiß,« versichert der Michele. Dann hat sie ein Paar Augen gemacht – ein Paar Augen.

Aufgestanden ist sie vom Boden, mühselig und beladen.

Aber unter aller Mühsal und Last hat ein Fünkchen angefangen zu glimmen.

Wenn der Michele das erzählt, dann reibe ich mir jedesmal die Hände. Es ist gar nicht zu sagen, wie mich das Fünkchen freut. Ich bin so. Vom ganzen Christentum hat mich das famose Zornwort von dem verdammten Otterngezüchte immer am meisten begeistert.

Ich richte mich halb auf. »Michele,« frage ich, »hat denn das Mädchen nicht ihren Rechenstiel genommen und hat dem erbärmlichen Lumpen eins über den Kopf gegeben und hat gesagt: ›Tropf 158 elender! An der ganzen Lumperei ist mir nur das arg, daß mein Kind wird dein Kind sein. Eines Lumpen Kind!‹«

»Noi,« sagt dann der Michele, »noi wäger. So ka e Oberferschter schwätze, aber kei Mädle, wo letz dra ischt. 's Agnesle ist hoim, und weil se kei Mueter meh g'hät hot, hot sie ihr Elend ihrem Bruder verzählt. Ihren Vater hot se gottsträflich g'fürchtet. Und ihr Bruder, der hot no d' Zäh' aufenander bisse. Und am e schöne Obed hot mer den Edelma tot am Schorch g'funde.«

»So,« sage ich.

»Jo,« sagt der Michele, und wir sehen uns in die Augen, als ob wir Gott weiß was für ein Geheimnis miteinander hätten.

Das ist die Geschichte vom Schorchagnesle. Es gehört noch etwas dazu; aber das glaubt ja draußen kein Mensch. Nur wir im Wald, wo Fuchs und Hase einander Gutenacht sagen, wir glauben es. Und warum glauben wir's? Einfach, weil wir's am eignen Leib erlebt haben, daß das Schorchagnesle einen am späten Abend oder am hellichten heißen Mittag erschreckt mit ihrem leisen Weinen, das abseits vom Weg ertönt. Oft sieht man sie auch. Dann hat sie ein kleines Kind an der Hand und winkt und nickt und führt jeden, der ihr folgt, stundenlang in der Irre. Mich hat sie auch schon drangekriegt. Ich habe ihr nicht 159 folgen wollen; aber sie sah aus wie Hirschwirts Lies, und ich hab' nichts Böses gedacht.

Die Stunden damals vergess' ich nicht. Von neun Uhr früh bis vier Uhr nachmittags bin ich in meinem eignen Revier herumgestolpert wie ein Blinder. Ich bin doch sonst nicht so, daß ich mich nicht auskenne.

Schwül war's in der grünen Wirrnis. Rings um mich knisterte etwas, krachte etwas. Einmal da, einmal dort. So, wie wenn jemand sachte durchs Gehölz dringt. Und die Preiselbeeren standen in einer Lichtung dicht und rot. Fingerhüte ragten dazwischen. Die nickten, wie wenn eine unsichtbare Hand die Giftstengel schüttelte. Ich brach einen ab und sah den leuchtenden Glocken in die tiefen Kelche. Beim Blitz, man sollte das nicht tun. Es liegt da etwas drin. Etwas, was einem heiß macht. Ich warf den Stengel weg und lief und lief. Und nach zwei Stunden stand ich auf einmal wieder am gleichen Fleck. Welk, fast dürr lagen die roten Glocken da, wo ich sie hingeworfen hatte. Ein Pfauenauge saß darauf und klappte langsam die schillernden Flügel auf und zu, als härme es sich um die Blumen. Und ich schämte mich vor dem Schmetterling.

Die Sonne stand im Mittag. Heiß und bitterlich schmeckten die Preiselbeeren. Zwei Blindschleichen bäumten dicht vor meinen Füßen die 160 glänzenden stählernen Leiber. Ich weiß nicht, war's in Liebe oder in Haß. Ich zückte schon den Stock, die zwei zu trennen. Da fiel mir ein, daß Liebe und Haß ihre Sache allein ausfechten müssen, wenn es klare Verhältnisse geben soll.

Eine lange, schmale Schneuse ging ich entlang. Dürres, verbranntes Hirschgras deckte die rissige Erde, aus der die Hitze zurückschlug. Ich meinte mich auszukennen. Da hörte die Schneuse auf und eine schlechtgehaltene Schonung lag vor mir, die mir fremd vorkam in ihrer Verwahrlosung. Heute weiß ich, daß sie zu meinem Revier gehört. Ich hätte es auch damals wissen können.

Eine Auerhenne ging vor mir auf. Ich nahm den Stock an die Backe. Man hat so seine instinktiven Bewegungen. Aber auch, wenn ich Flinte oder Büchse gehabt hätte, sie wäre, weiß Gott, nicht losgegangen.

Wenn dieses scheue, schwerfällige, große Gevögel aus dem mittagshellen, heißen Gehölz bricht, dann ist's, als sei ein Märchen auf Atemslänge wirklich geworden.

Ich werde mich hüten, loszuknallen, wo es auf allen Seiten spukt.

Nachgeguckt habe ich dem Vogel, und das Herz hat mir geklopft.

Kurz und gut: Nachmittags um vier Uhr bin ich drei Stunden abseits von meinem Ziel aus 161 dem Wald gekommen. Wie? Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß ich es keinem Menschen gesagt habe bis auf den heutigen Tag. Zu was hätte ich's erzählen sollen? Es hätte dann doch bloß geheißen: den haben sie nicht umsonst strafversetzt.

Als ich nach jenem heißen Tag am kühlen Abend heimkam, hat mich der Durst noch in den »Hirsch« getrieben. Die Lies saß in der Laube, und am Himmel verglühte das letzte Rot.

»Lies,« habe ich gefragt, »sind Sie im Wald gewesen, heute schon?«

»Warum?«

»Haben Sie mir zugewunken?«

»Warum?«

In mir fing's an zu gären. »Warum? Warum? Weiß ich's denn warum?«

Und ich zog an ihren langen Zöpfen, und das Rot des Himmels floß um die Lies, und wir alle zwei wußten nicht warum, warum?

Ich fragte nicht mehr. Und von selber sagte sie nichts. Sie hielt ganz still.

* * *

Durch den Michele habe ich des Schulmeisters nähere Bekanntschaft gemacht. Der Mann ist Bienenzüchter, und er ließ seine uralten Holzkästen durch den Maler neu anstreichen. 162

Sehr schön blau und rot hat es der Michele gemacht.

Der Lehrer hatte seltsamerweise etwas daran auszusetzen. Ich weiß selbst nicht was. Die Bienen würden kopfscheu, oder so etwas, behauptete er.

Da führte der schlaue Michele mich ins Feld. Mich solle der Lehrer fragen, ob er, der Michele, nicht sein Fach verstehe aus dem FF.

Eigentlich konnte ich ja nur bezeugen, daß der Michele mir Fensterrahmen angestrichen habe, die kein Baurat und kein Forstrat mehr abschlecke. Aber meine Freundschaft und Wertschätzung für den Malersmann bewog mich, dieser schlichten Tatsache noch einige kühne Wendungen anzufügen.

Man sieht, wieviel im allgemeinen auf Referenzen zu geben ist.

Des Schulmeisters Garten ist ein steiniges Gehänge aus grauen Mäuerlein, über das üppig, wirr und verfilzt Arabis und Hauswurz klettert.

Dazwischen wächst hier eine Zwiebel, dort ein Rettig, da ein Salatstock.

Ein Garten, in dem viel mehr für die Bienen als für die Menschen gesorgt ist. Der Schulmeister braucht auch nicht viel Grünzeug. Er hat nur eine einzige Tochter zu Haus. Sieben Kinder sind in der Welt verstreut. Die Frau hat ihr eignes 163 Gärtchen, auf dem ihr die Vergißmeinnicht schon zehn Jahre lang über den Kopf wachsen.

Auf der obersten Mauer, hart neben dem Bienenstand, ist eine Bank gezimmert. Dort sitze ich manchmal neben dem Schulmeister. Hager und steif ist der Alte, ein stiller, bedächtiger Mann, wie's gut ist für einen Bienenzüchter und einen Schulmeister. Hastige und fahrige Menschen kann man weder fürs eine noch fürs andre Metier brauchen. Bienen stechen, wo sie ein unruhiges Wesen sehen, und Buben und Mägdlein werden frech oder kopfscheu.

Überhaupt die Bienen und die Menschen! Tausend Vergleiche weiß der Schulmeister. Mir ist's ganz erstaunlich. Wenn man da so relativ jung als Oberförster sein Dasein fristet, hat man keine Ahnung, was ein alter Schulmeister alles weiß und beobachtet. Wo er's nur her hat? Sapperlot! Volksschulbildung basta. Unsereins: Gymnasium – Maturitas – Hochschule. Und einen netten Batzen Geld hab' ich meinem Vater gekostet. Und jetzt sitze ich auf dem Bänkchen neben dem Schulmeister wie ein Waisenbub. Wenn ich nur meine Studienkosten wieder hätte! Von dem Alten ließe ich mir sagen, wie man es macht, daß man lernt, was er gelernt hat. Um das herausgezahlte Schulgeld kaufte ich dann dem Fiskus das Forsthaus ab. Und der Michele müßte mir's neu 164 anstreichen. Auf jeder Seite anders. Ein Bienenstand müßte mir her und ein Gärtchen mit wuchernden Arabis. Und eine Laube würde ich zimmern, in die der letzte rote Schein des Abends fallen würde, und die Lies müßte drin sitzen, die weißen Arme aufgestützt, die Zöpfe über den Schultern.

Aber der Kuckuck! Das Geld ist verstudiert. Kein Mensch zahlt mir's heraus.

Den Jakob Böhme und den Michael Hahn liest der Alte. Ich muß sagen, mein Fall ist das nicht.

Aber wenn der Wind mit eines Schulmeisters weißen Haaren spielt und die Bienen zu den Fluglöchern schwirren, die Pluderhöslein dickgeschwellt vom Segen Gottes, wenn die Sonnenblumen kerzengerade stehen und ihre zackigen Scheiben unverwandt und unbeirrbar dem Himmelslicht zukehren, dann kann man doch so halb und halb Bücherschreiber verstehen, die ihrer Lebtag taten wie die Sonnenblumen und wie die Bienen.

Auf des Schulmeisters Gartenbank wird mir überhaupt manches deutlich. Der Alte hat so gute Bilder für alles. Das Himmelreich ist gleich –! Juchheisa! Ich danke jedem, der Himmelreich und Erdenreich ein Schrittlein näher zueinander bringt. Wir sind ja doch alle Amphibien.

Durch den Schulmeister habe ich den Pfarrer 165 kennen gelernt. Als ich ihm seinerzeit meinen Besuch machte, war er im Wald. Und als er zu mir ins Forsthaus kam, war ich im »Hirsch«. Mir war's kein sonderlicher Jammer. Ich habe geistliche Herren in Masse in der Familie. Und was man so sehr in der Nähe hat, verliert gar zu leicht an Reiz.

Aber der hiesige ist scheint's der übelste nicht.

Predigen tut er schlecht. So viel ist mir klar. Jede Predigt hat drei Abschnitte, ob sie will oder nicht. Vielleicht muß das so sein als Symbolum der Dreieinigkeit. Ich versteh' das nicht. Von den drei Abschnitten ist mir der letzte immer der liebste. Das darf nicht falsch aufgefaßt werden. Tatsächlich ist dieser letzte Abschnitt immer der saftigste. Der Pfarrer weiß, daß jedesmal, wenn er sagt: »Und zum dritten und letzten, meine liebe Gemeinde,« daß dann die Köpfe sich aufrichten. Darum legt er in diesen Teil seiner Rede die beste Kraft. Ich würde es genau so machen, wenn ich Pfarrer wäre. Für aufgereckte Köpfe ein kräftig Wörtlein. Für hinduselnde Geister ein lauwarmes Predigtlein. Jedem das Seine, sagt der Lateiner.

Also die Predigt ist nicht hervorragend. Aber für mich und die Bauern genügt's. Und dann: was will das bißchen Predigt am Sonntagmorgen besagen! Für die Woche muß der Mensch etwas haben, die Wochen sind so lang! Ein guter 166 Wochentagspfarrer wiegt zehn Sonntagspfarrer auf. Unser Pfarrer ist ein Wochentagspfarrer. Mehr sag' ich nicht. Mein Mundwerk ist ohnedies in Verruf. Und von allen Menschen, denen man etwa am Zeug flicken wollte, können die Pfarrer am ungemütlichsten werden. Das weiß ich von meinem seligen Großvater her, der zwei zornentbrannte Bände geschrieben hat, weil ihm einmal im heimischen Lokalblättchen eines ans Bein versetzt wurde. Jene Zeit vergess' ich nicht. Ich war dazumal bei dem alten Herrn in den großen Ferien. Ich habe immer einen Bogen um ihn herum gemacht.

Was in den zwei Bänden stand, weiß ich nicht mehr. Der Titel hieß: »Meine Rechtfertigung.« Die betreffende Nummer vom Lokalblättchen aber habe ich aufgehoben und lese sie bisweilen. Das ist mein Ahnenkult. Der hiesige Pfarrer ist in meinem Alter. So zwischen fünfundzwanzig und fünfzig. Ich muß mich vorsichtig ausdrücken. Hier wird alles herumgesprochen, und die Lies mit ihren achtzehn Jahren könnte zu hören bekommen, was zu wissen ihr nicht absolut not tut.

Bei dem ersten Zusammentreffen mit dem geistlichen Herrn haben wir gegenseitig ganz vorsichtig und behutsam die Fühlhörner ausgestreckt. Das muß man bei Pfarrern immer tun. Und auch bei Förstern schadet's nichts. 167

Dann aber haben wir sie mit einem Schlag lachend zurückgezogen. Seitdem stecken wir oft beisammen. Der Schwarzrock geht für sein Leben gern in den Wald. Und ich muß ihm dann sagen, was er nicht weiß. Viel ist's nicht. Ich glaube, bei vertauschten Rollen wäre mehr zu reden. Ich wollte nur, ich könnte ehrlicherweise von mir behaupten, dem Pfarrer seine Kirche sei mir so lieb wie ihm mein Wald. Aber solche Flattusen verlangt der Mann gar nicht. Bescheidener als ihn gibt's keinen Menschen. Neulich, als der Wind über uns seltsam heulend durch die Wipfel ging, verstummte er mitten in einem guten Gespräch.

Ich schaute ihn an.

»Ach,« sagte er fast verlegen, »mir ist's, wenn der Wind so geht, als habe ich zu schweigen, dieweil mein Herr redet.«

Das Wort fällt mir jetzt immer ein, wenn ich bei Windesbrausen durch den Wald gehe. Und der Wind braust oft hier oben. Früher habe ich weiter gar nichts dabei gedacht. Ob der Pfarrer diese Wirkung beabsichtigt hat? Ob er mich dergestalt fürs Geistliche hat fangen wollen? Ich glaube nicht. Es ist bei ihm wie bei meines Forstwarts Jakoble. Den habe ich kürzlich mit einer großen Forelle in der Hand am Bach in den hinteren Wiesen angetroffen. 168

»Jakoble,« habe ich ihn angedonnert, »wart, dir werd' ich Forellen fangen!«

Er heulte los. »I han se jo gar net fange wölle, Herr Oberferschter. Sie ischt jo grad uf mi zug'schwomme.«

Der Malermichele ist auch beim Pfarrer besonders gut angeschrieben. In die Kirche geht er ja nicht viel. Höchstens bei ganz schlechtem Wetter. Sonst strolcht er weit lieber in Wald und Feld umeinander. Der Pfarrer nimmt ihm das nicht übel. »Im Vertrauen,« hat er zu mir gesagt, »wenn ich nicht der Pfarrer wäre, ich würd's nicht viel anders machen.«

Der geistliche Herr behauptet, das Malermännlein besorge das mit Ölfarbe, was ein rechter Pfarrer mit jedem Wort besorgen sollte: das Trübselige freundlich, das Schmutzige rein, das Befleckte wieder frisch machen und über das Farblose Glanz von oben ausgießen. Solche Einfälle hat mein Pfarrer. Sein Vergleich stimmt. Nur sieht man beim Michele besser, was er schafft.

Beweibt ist er auch, mein Pfarrer, natürlich. Ich glaube, das muß sein. Sonst gilt's als ein Verrat am Bekenntnis. Merkwürdigerweise hat er keine Kinder. Es ist der erste derartige Fall, den ich weiß.

Aus der Frau werde ich nicht recht klug. Mir ist die Mutter gestorben, als ich zwei Jahre alt 169 war. Und wer seine Mutter nicht gekannt hat, der kriegt seiner Lebtag nicht den rechten und sicheren Standpunkt zu den Frauen. Aber die Pfarrerin kommt nicht mir allein nicht ganz geheuer vor.

Die Ricke, meine alte Magd, sagt, die Frau sei nicht in ihrem »rechten Klima«. Was sie eigentlich damit meint, weiß ich nicht. Aber es wird schon stimmen. Kein Mensch glaubt, welche Rolle das »rechte Klima« im Leben spielt.

* * *

Man spürt so nach und nach, daß der Herbst kommt.

Die paar Felder sind leer, das Kartoffelkraut dürr, die Gärten bei den Häusern von Unkraut und altmodischen Blumen ganz überwuchert.

Spanische Wicken und Kapuziner und blaue Winden und Malven, welche die Stengel lüderlich hängen lassen, stehen und warten auf den ersten Reif, der ihnen über die Köpfe fahren wird.

Alle Morgen sehe ich in meinem eignen famosen Garten nach, ob's noch nicht so weit ist. Aber diese Blüten der Höhe sind rauher als die der Niederung. Die Winden knäueln sich zusammen vor dem kalten schweren Nachttau. Und wenn die Sonne kommt, dann tun sie die Kelche auf und leuchten vom Zaun, als sei nichts gewesen. 170

Meine Feuerbohnen blühen drauflos, als gäb's kein Sterben, als müßte für all dies Blühen auch noch ein Reifen kommen. Der Pfarrer sagt, so müsse das immer gemacht werden, auch von unsereinem. Ich sehe nicht ein wozu. Die Feuerbohne hat keinen Verstand, ich habe einen.

Das sei gerade der Fehler, sagte der Pfarrer. Ich mußte durch die Zähne pfeifen. Das könnte den Herren passen, daß man seinen Verstand auf der Seite ließe und einfach täte wie die Blumen in der späten Sonne.

Ich hab' ihm das gesagt, meinem Pfäfflein.

Er lachte laut. »Uns Pfarrern, meinen Sie, könnte das passen? Ja, mein lieber Freund, was hätten denn wir davon? Aber die Menschen hätten's so gut dann. Und wir haben doch nichts andres auf der Gotteswelt zu tun, als dem geplagten Menschenvolk zu zeigen, wie man es gut haben könnte auf Erden.«

»Pfarrerlein, Pfarrerlein,« warf ich hin, »sonst tut Ihr nichts, wirklich nichts?«

Er schaute mich an, und seine runden Augen hinter der Brille kamen mir ehrlich vor. »Wir haben kein andres Amt. Aber wir sind Menschen wie alle. Und wo ist ein Mensch, der immer nur tut, was seines Amtes ist?«

Da fiel mir mein vorlautes Mundwerk ein und meine Strafversetzung, und ich ging und schaute 171 nach der unteren Baumschule beim schwarzen Grund, die in einem gottserbärmlichen Zustand ist.

Der Michele hat nichts mehr anzustreichen in dieser Jahreszeit. Es trocknet nicht mehr.

Bisweilen lasse ich ihn in meinem Hof Reisig aufmachen. Nach meinen Begriffen macht er es tadellos. Ricke sagt, es sei nicht zum Mitansehen. Bis der Tagdieb einen Bund gemacht habe, mache sie zehn. Aber Ricke wurstelt alles zusammen. Michele kommt mir ihr gegenüber vor, wie ein Kunstgewerbler gegenüber einem Handwerker der ältesten Schule.

Wenn nun die Tage kommen, da die kalten, windgejagten Regen über die Höhe streichen, dann denken meine Gönner im Kollegium: »Der da hinten in der Wildnis wird schon zahm werden. In dem Revier hat sich noch jeder die Hörner abgelaufen.«

Wenn die wüßten, was ich weiß! »Es liegt wo ein Häuschen und so weiter.« Ich singe es oft, das Lied, im Nebenzimmer des »Hirsch«, wo ein Spinettlein steht. Es ist gar nicht so uralt, dieses Spinettlein, und die Finger, die darauf spielen, sind blutjung. Und der rote Mund, der mit mir singt, der ist just achtzehnjährig.

Sie hat ein Leiblied, die Lies. Nicht sagen will sie mir, was das für ein Leiblied ist. Als ob ich das nicht wüßte! Ich hab' sie's ja einmal 172 singen hören, als sie in der Laube saß und Bohnen schnitzelte.

»Ich schieß' den Hirsch im wilden Forst,« hat sie gesungen. »Und dennoch hab' ich harter Mann die Liebe auch gefühlt.« Einen Taler wollt' ich spendieren, wenn ich wüßte, ob sie mit dem harten Mann mich meint. Ich schieße zwar wenig, Hirsch und Adler gleich gar nicht. Aber sonst könnte doch manches stimmen. Zum Beispiel:

»Ein Tannreis schmückt statt Blumenzier
Den schweißbefleckten Hut,
Und dennoch schlug die Liebe mir
Ins wilde Jägerblut.«

Wenn ich nur wüßte!

Im Forsthaus regnet's durch die Dachsparren. Michele und ich haben kürzlich die größten Löcher mit Werg verstopft. Wenn der Mensch den redlichen Willen hat, aufs Trockene zu kommen, dann gelingt's ihm auch ohne staatliche Fürsorge.

Halbdunkel war's unterm Dach, und der Regen rauschte und gluckste. Der Michele rauchte mit meiner Erlaubnis Pfeife, und Walle, mein Dachshund, schnüffelte in den Ecken. Verlassene Wespennester klebten wie graue Kugeln am Gebälk, und Gerümpel aller Art war unters Dach geschoben.

»Sehet Se,« sagte der Michele und deutete mit dem Mundstück der Pfeife auf den Wirrwarr, »sehet Se, Herr Oberferschter, wenn's so aussieht 173 uf der Bühne, no mueß e Frau ins Haus. E' Stub ka au e Magd sauber mache; aber d' Bühne, die hält bloß d' Frau im Stand.«

Ich habe nichts erwidert. Kein Wörtchen. Die »Bühne« sieht tatsächlich heillos aus.

Wir stopften und stopften, und wurden von unsrer Arbeit schwarz wie die Kohlenbrenner.

»Herr Oberferschter,« versicherte der Michele, »wenn auf ere Bühne so e Dreck ischt, no ischt's Zeit, daß einer heiratet.«

Wieder blieb ich stumm.

Der Walle zog einen Schlappschuh, der irgend einem längst entschlafenen Amtsbruder gehört haben mag, mit klapperndem Geräusch aus dem Gebälke und quer über den halbdunkeln Raum.

»Herr Oberferschter,« begann zum drittenmal der Alte, »wenn d' Hund d' Schlappschuh umenander ziehet, no ist's Zeit, daß e Frau noch der Sach guckt.«

Ich habe zum drittenmal nichts gesagt; aber im Innersten ist mir das dreifache Wort des Alten vorgekommen wie eine Mahnung, wie eine Stimme von oben.

»Michele,« fragte ich, aber erst nach so langer Zeit, daß er keinen Zusammenhang ahnen konnte, »wie alt schätzet Ihr mich?«

Rasch drehte er sich um und musterte mich durch die Brille. »No net z' alt, Herr Oberferschter, 174 beileib net. I tät sage dreißig; aber so jung gibt's keine Oberferschter. I tät sage fünfevierzig, aber wenn e Oberferschter so alt ist, no lauft er nemme so stramm daher wie Sie.«

Diplomat hätte er werden können, der Michele. Aber ich gebe ihm darin nichts nach.

Gute zehn Minuten stopfte ich schweigend drauflos, ehe ich mit ganz verändertem Tonfall wie beiläufig fragte: »Mit wieviel Jahren habt denn Ihr geheiratet?«

»I? Ja, bei mir ist's ebbes anders g'wä. I han mit vierezwanzig mei's Meisters Tochter g'nomme.«

»Das war zu bald,« sagte ich halb tastend.

Er schüttelte den Kopf und sah vor sich hin. Dann trat er plötzlich dicht zu mir her und legte mir die Hand auf den Arm. »Noch zwei Johr ist se mir g'storbe, mei Bäbele. Hätt' i mit zwanzig g'heiratet, no hätt' i se doch vier Johr länger g'hat.«

Der Regen rauschte aufs Dach und des Alten Gesicht stierte gegen das Fenster, über das die Tropfen rannen. Komisch sah's aus, dieses Gesicht, Rußflecken klebten darauf, und zwischen den Rußflecken hockte ein Jammer um etwas, was schon lang, lang dahin ist.

»Herr Oberferschter,« sagte er leise in die dämmerige Stille hinein, »selle zwei Johr, wenn no emol komme könntet!« 175

Mir fiel nichts ein, was ich ihm hätte sagen können. Daß das, was vorbei ist, nicht wiederkommt, das weiß er ja selber.

Stumm stand ich, hatte ein Löckchen Werg in der Hand und lauschte auf den Regen.

»Send Se net so dumm,« begann er auf einmal im alten, lebendigen Ton und führte die Pfeife zum Mund, »send Se net so dumm, nemmet Se e Junge, G'sunde, Feste. Nemmet Se eine, an der Se lang han könnet. Gucket Se uf kei Geld, gucket Se uf gar nix, als daß Se ebbes Liebs im Arm hänt Ihrer Lebtag. Des ledig Rumgehock ist nix. Mer wurd alt und mer hot kein Mensche. I will nix g'sagt han. Aber i, wenn der Herr Oberferschter wär', i wüßt', was i tät.«

In diesem entscheidenden Augenblick tauchte der Ricke zerzauster Kopf auf der Bodentreppe auf.

»I han no wölle froge, ob i nix helfe könnt'?« rief sie.

Ein Wink von mir trieb sie in die Versenkung zurück; aber vom Fuß der Treppe her versicherte sie: »Nächste Woch' wurd d' Bühne putzt, Herr Oberserschter.«

Der Malersmann lachte. »'s ischt z' spät, Ricke!«

In derselbigen Nacht hat es mir nicht aufs Bett geregnet. Aber ich wachte doch etliche Male 176 auf und meinte etwas sickern und rieseln zu hören. Und im Halbschlaf merkte ich dann, daß es die Worte des Malermichele waren, die da unaufhörlich leise raunten. Oft wär's besser, man sparte sein Werg und stopfte kein löcheriges Dach.

* * *

Wir stecken im Schnee bis an den Hals. Im Dorf dampfen die Stalltüren und die hochgeschichteten Dungstätten. Meinen geistlichen Freund sehe ich umeinander schleichen wie den Fuchs, der Hühner wittert. Er sagt, es seien viel kranke Leute im Ort. Und die Pfarrer hätten's wie die Juden und die Bazillen: Wo etwas einen Anbruch habe, da nisteten sie sich ein und witterten Beute.

»Freund Pfäfflein, wenn jetzt das ich gesagt hätte?«

Er lachte. »Dann hätte ich meine Meinung bestätigt gefunden, daß ein Oberförster jederzeit merkt, wie der Hase läuft.«

Es ist ihm nicht beizukommen.

Was denn all den Leuten fehle, fragte ich. Er schmunzelte und zuckte die Achseln. »Die Arbeit fehlt, der Schweiß auf den Stirnen, die Schwielen an den Händen, Wind und Sonne und klebender Ackerboden. Die, welche im mühevollen Sommer am tüchtigsten zulangen, die mautern im Winter. Außen und innen. So ein Hansjörg neben der 177 Mühle, dem in der Ernte keine Garbe zu schwer, kein Fluch zu saftig ist, der stöhnt jetzt über seinen Magen und sein Gewissen. Da bin ich immer froh, wenn eines von den Mittelchen, die ich rate, anschlägt. Sei's im Magen, sei's im Gewissen.«

So geht er durch die Häuser, mein Pfarrer, und lächelt und hat wichtig wie einer, der mitten in heißer Erntezeit steht.

Seine Frau sehe ich nie. Es heißt, sie könne den Winter in der verschneiten Einöde nicht vertragen. Da fahre sie immer zu Verwandten in die Stadt, wo das Klima milder sei als zwischen unsern Schneewällen.

Drum sage ich, wer da hinten hausen will, der muß eine nehmen, die das Klima gewöhnt ist. Eine feste, junge, gesunde, die nicht muckt, wenn ihr der Schnee über den Kopf stäubt und der Nordsturm daherfährt, als müßten die Tannen splittern.

Gehe ich da den vereisten Weg gegen den schwarzen Grund. Schneeschwere Äste hängen breit wie mächtige Elchschaufeln über den Pfad, und irgendwo bellt ein Fuchs vor Hunger und Kälte.

Nicht zu sagen ist's, wie einsam und groß mein Wald, wie fern und verklungen die Welt ist an solchen Tagen, da der Himmel schwer und grau über den Wipfeln hängt. 178

Und wie ich schreite und stampfe, da klingt's den Weg herauf: »Und dennoch hab' ich harter Mann die Liebe auch gefühlt.«

Das sind so die Vögel, die im Winterwald singen. Am Wegrand steht ein Tannenbaum. Ich habe mich dahinter gestellt, wie Jäger tun.

Und er kam angeschwirrt, mein Vogel.

Ich stellte die Flinte weg. Es war nicht das richtige Kaliber drin für Federwild. Mit der Hand habe ich ihn gefangen, den Vogel. Und ich habe ihn gefragt, ob er das Klima vertrage.

»Warum?«

»Weil ich an dir haben möchte ein ganzes langes Leben lang und nicht nur so zwei kurze arme Jährlein wie der Michele an seinem Glück und weil das Forsthaus eine wackelige Baracke ist, und weil ich zwischen fünfundzwanzig und fünfzig bin, und weil sie mich strafversetzt haben, und weil mein Mundwerk in einem üblen Ruf steht.«

»Du,« hat sie gerufen und hat sich losgemacht, und ihr achtzehnjähriges Gesichtlein hat geglüht, »dieses Klima vertrag' ich.«

Was will man mehr? Ich werde geziemend an meine strafversetzende Behörde berichten, daß ich und die Lies das Klima dahinten vertragen. Hoffentlich freut's die Herren. 179



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