Auguste Supper
Holunderduft
Auguste Supper

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Der Hüter des Tales.

(Zu dem Bilde von Hans Thoma.)

Wohl soll es keiner durch die lauten Gassen hinschreien, wenn ihm Gott vorüberging. Aber wenn er an seinem Weg einen Altar findet, dann darf er wohl den Mund auftun zu einem Zeugnis.

Und so soll hier stehen, wie es gewesen ist.

Als ein müder Wandersmann bin ich in das Tal gekommen, dessen Namen ich nicht nennen will.

Der alte Bauer vom Schwarzhof gab mir sechs Frühsommerwochen hindurch in seinem einsamen Haus die erbetene Unterkunft.

Das Wiesental ist breit und wellig. Ein Bach durchzieht es, zu dem die Wasser von den waldigen Hängen kommen.

Unfern von diesem Bach steht der Schwarzhof.

Ich hauste in einer großen, niederen Stube.

Eine ganze Reihe schmaler Fenster ging gegen den Bach hin, an dem die uralten, schwarzgrünen 148 Erlen standen, von denen vielleicht der Hof seinen Namen hat.

Mein hochgetürmtes Bett roch nach Fenchel. In Tisch und Schrank bohrte der Holzwurm. Lautlos flogen Tag und Nacht große, graue Motten durch die Stube.

Ich bekam Gerichte zu essen, die ich vorher nie gekannt hatte, trank Ziegenmilch und watete barfuß im Bach.

Stundenlang lag ich in des Schwarzhofbauern Wiese im Gras, das dicht vor dem ersten Schnitt stand, und dessen grüne Wellen sich im Wind hoben und senkten.

Da schaute ich reglos in den Himmel hinein bis in jene flimmernden Tiefen, wo die goldenen Falter taumeln, von denen wir wissen, daß sie die Blumen des Paradieses suchen.

Oft jagten die Wolken über mich dahin wie gehetzte Rosse, denen der Schaum vom Gebiß fliegt. Oft zogen sie auch träg und unwillig wie satte Schafe, die einen altersmüden Hund hinter sich haben.

Heuschrecken hüpften auf mich und über mich. Oft frech und voll Übermut, oft auch erschrocken, in Bestürzung und ungeschickter Hast. 149

Die schrillen Schreie der Schwalben gellten hernieder, und hoch in der blauen Einsamkeit zog der Weih seine Kreise.

Und für alle Laute dieser Sommerwelt war ein eintöniges Summen der Unterton.

So schloß ich die Augen, so klang dieses Summen wie das Branden eines unendlich fernen Meeres. Und ich dachte zuweilen, daß die Unruhe und Arbeit meines Lebens von fern her gegen das Heute brande, wie gegen eine stille Insel, die mich an ihren Strand genommen habe, daß ich Atem schöpfen möge zu neuem Kampf mit Wind und Wogen.

So trieb ich es wochenlang. Dann kam die Stunde, von der ich hier reden will.

Ein Hang fällt steiler als die andern ab ins grüne Tal.

Wie eine kecke Nase stellt er sich den Winden entgegen.

Er heißt denn auch der Windfang.

Junger Wald wächst an seinen Flanken hin. Oben aber ist eine schmale Hochfläche, die nur Beerengestrüpp und etliche Büsche trägt.

Eine Felsplatte springt wie eine Kanzel vor. Von dieser hohen, einsamen Warte aus sieht man das Tal 150 mit den grünen Wellen im Gelände in der Tiefe liegen.

Wie eine Schlange windet sich der Bach hindurch. Finster stehen die Erlen um den Schwarzhof.

Die sonnenheißen Dächer liegen wie plumpe Schildmützen über den paar zerstreuten Häusern, und in der Ferne schieben sich die waldigen Berge hintereinander.

Dort oben stand ich oft in jenem Sommer.

Einmal, an einem heißen Nachmittag lag ich bäuchlings im Beerengestrüpp. Ich schlief nicht. Träumte auch nicht. Ich ließ mir nur die Sonne auf den Rücken scheinen, ob mir nicht Flügel wachsen möchten.

Darüber gingen lange Stunden hin.

Plötzlich verstummte das ferne Meeresbranden, das mir sonst immer meine Ohren füllte. Eine wunderlich leere Stille ließ mich emporschrecken. Wie der Müller erwacht, wenn unversehens das Werk steht.

Ich richtete mich auf und schaute im Sitzen um mich.

Über einer ganz veränderten angstgelähmten Welt stand bleifarbener Himmel.

Im Westen hatte ein tiefhängendes, gelbgraues Wolkengeschiebe die Sonne aufgefressen. Kein Lüftchen rührte sich. Die Wolkenwand gähnte stumm und 151 finster herüber wie ein grausiger Schlund, aus dem Tod und Verderben brechen muß.

Ich sprang empor. In jäher Angst streckte ich die Hände aus, als könnte ich damit das Ungeheuer am Himmel zurückschieben.

Aber gleich einer höhnenden Antwort auf mein Unterfangen, lief ein rotes Leuchten die schreckliche Wand entlang.

Wehrlos und verstummt lag das Tal im fahlen Licht, als sei es gebannt von furchtbarem Schlangenblick.

Mich packte ein grausendes Bangen, wie um ein geliebtes Kind, das man ins Verderben gehen sieht und dem man nicht beispringen kann.

Ein stummer Schrei rang sich in mir los. Der Schrei der Hilflosen, der am weitesten hinter Wolken und Wetter dringt.

Und da – ist doch keine laute Gasse da, die mich hören könnte –, da vernahm ich über meinem Kopf ein gewaltiges Rauschen wie von flatterndem Fahnentuch.

Und alsbald klirrte und dröhnte es neben mir, als ob ein in Erz Gewappneter rasch vorüberschreite und am Rand des Felsens hoch über dem Tal stillstände. 152

Mir weiteten sich die Augen, doch sah ich nichts. Aber die Beine wurden mir schwer, daß es mich auf die Kniee zwang.

Zitternd lag ich in der lautlosen Schwüle.

In mir schrie die Angst: »Herr, nimm die Hülle nicht von meinen Augen! Ich trag es nicht.«

Ich weiß nicht, wie lange ich so verharrte. Zerschlagen fühlte ich mich wie schlechter Ton von des Töpfers Hand. Auf einmal ward es sehr stille in mir.

Ich stand auf und schritt zu Tal als ein Träumender.

Zu der Wolkenwand schaute ich hinüber, wie man nach brüllenden Löwen schaut, die man hinter starken Gittern weiß.

Der Schwarzhofbauer stand auf seiner Wiese und blickte nach dem Himmel.

Er ist ein einsilbiger, alter Mann, der seinen Weg geht, ohne umzuschauen.

»Bös sieht es aus«, sagte er und deutete empor.

»Es macht nichts,«, gab ich kurz zurück.

Da hafteten seine fernsichtigen Augen an meinem Gesicht, als ob sie das Letzte und Unterste in mir ergründen wollten. 153

»Ja,« murmelte er dann, »der am Windfang schläft noch schlummert nicht.«

Mir ward es eng im Schlund, daß ich nicht sogleich reden konnte.

»Wer ist's?«, fragte ich dann.

Der Alte schüttelte den weißen Kopf und schritt an mir vorüber.

* * *

In jener Nacht fand ich keinen Schlaf.

Ferne Donner dröhnten und grollten, und der rollende Widerhall füllte das Tal. Ein unruhiger, stoßweiser Wind zerrte an den Erlen, daß sie schwiegen und aufrauschten, ächzten und verstummten nach seinem Willen.

Mir war keine Stunde zu lang. Ich lag und lauschte dem fernen Murren des Wetters und fühlte mich geborgen in der Schwüle meiner dunklen Stube. Und dann dehnten sich die Wände, bis sie weit waren wie das ganze, grüne Tal, über das der Felsen am Windfang hereinragt.

Da schlief ich ein im Morgengrauen. 154

* * *

Tagelang bin ich nachher um den Bauern vom Schwarzhof gestrichen. Begehrlich und bang zugleich. Wie ein Schatzgräber um die Stelle streicht, an der er Beute vermutet.

Ich brannte danach, den verschlossenen Mann nach Dem am Windfang zu fragen. Und ich scheute mich zugleich, an jene Stunde dort oben zu rühren oder rühren zu lassen.

Da trat an einem späten Abend der Bauer in meine Stube und legte ein altes Buch neben die brennende Kerze auf den Tisch.

»Da,« sagte er, »ich merke schon lang« – – Er sprach nicht aus, ging wieder und ließ mich stehen.

Das Buch war eine Bibel vom Jahre 1719.

Sie war in dickes, weißgraues Leder gebunden. Der zerfaserte Schnitt sah aus wie angeräuchert und zernagt.

Derselbe dumpfe, süßliche Geruch, den mein Bett und das ganze Haus ausströmte, kam mir entgegen, als ich die weichen, altersfleckigen Blätter aufschlug.

Da erschien mir das Buch wie ein Stück vom Schwarzhof selbst.

Ich blätterte vor und zurück und fand hinten Geschriebenes eingebunden. 155

Da zog ich mir den Stuhl zum Tisch und fing an zu lesen.

Und ich las sehr lang, denn es war eine mühevolle Sache. Zwar trat die Schrift noch klar aus den zermürbten Blättern; aber hundert Schleifen und Schnörkel durchrankten und umzogen die Worte. Dazu flackerte mein kümmerliches Licht, und mein Herz klopfte, so daß die Zeichen, die eine längst vermoderte Hand auf die Blätter geschrieben, unruhig und wie lebendig wurden.

Als ich alles gelesen hatte, saß ich und starrte auf die Schrift, wie einer, der an so reiche Beute nicht glauben kann, und der nicht traut, ob ihn nicht ein Trugbild äffe.

Aber still lag das große, alte Buch vor mir und wies seine fleckigen Blätter.

Es war aber das Folgende, was ein des Schreibens kundiger Mann einem Vorfahren des Bauern in die Hausbibel geschrieben hatte:

»Im großen Krieg, unseligen Gedenkens, ist das Tal von Schweden und Kaiserlichen wunderbarlich verschont worden. Und des Melchior Simon Sohn, ein stiller, eingezogener Mensch, hat beim Streuholen am Windfang Schwerter-Klirren gehört und Fahnen-Rauschen. 156

Und es hat vor vielen Jahren ein Benefiziat allhier gelebt. Ein auserwählter Mann, der seinen Leib kasteiete und seinen Weg in der Stille ging.

Zu dessen Zeiten begab sich's, daß eine erschreckliche Pest anhub, die in der Welt um sich fraß, wie Feuer im trockenen Dachstroh.

Da ist der Benefiziat emporgestiegen gegen den Windfang. Es war aber im Heumond und gegen den Abend.

Als aber die Sterne herauskamen und die Grillen im Wiesengrund schrieen, auch aus den Häusern im Tal der Lichtschein brach, da ward dem Benefiziaten das Herz sehr heiß von Liebe zur Heimat.

Er hub aber seine Hände auf und betete, daß Gott sie schirme gegen das Elend, das in der Welt draußen umging.

Über solchem Beten sank die Nacht.

Da hörte er zu seinen Häupten ein Rauschen wie von eines gewaltigen Vogels Fittich, oder von einer schweren Fahne, die im Wind schlägt. Es regte sich aber kein Lüftlein, und die Nacht war warm und hell, wie sie ist um den Johannistag.

Und ein Klirren hub an, wie wenn Eisen gegen Eisen stößt und schüttert. 157

Der Benefiziat hat aber vermeint und solches bezeuget, daß ein Gewappneter Gottes neben ihm über den Fels geschritten und über das Tal getreten sei, die Wacht zu halten am Windfang.

Doch hat er nichts gesehen denn das Glühen der Johanniskäfer, die in mehr als Manneshöhe im Kreise flogen, daß es aussah wie ein feuriger Reif.

Es ist aber die Pest am Tal vorbeigegangen wie der Marder an einem verwahrten Stall. Und haben danach noch etliche etwas gehört. Leute, die nicht mit Lügen umgehen und nicht viel Geschrei machen.

Es geht aber eine Rede, einmal werde Einer den Hüter des Tals stehen sehen am Windfang. Der sei ein gesegneter Mann, durch den viele gesegnet werden. Und er werde Zeugnis geben, daß alle aufhorchen in der Nähe und in der Ferne.«

* * *

So stand auf den vergilbten Blättern.

Mein Licht war herabgebrannt und flackerte. Und wie ich das Buch herumwarf, es für heute zu schließen, da fiel es noch einmal auseinander und starrte mich an.

Da las ich bei meiner Kerze letztem Flackern: »Und Tobias sprach zu ihm: Ich bitte dich, zeige 158 mir an, aus welchem Geschlecht und von welchem Stamme bist du? Und der Engel Rafael sprach: Sei zufrieden. Ist's nicht genug, daß du einen Boten hast, was darfst du wissen, woher ich bin?« –

Mein Licht erlosch.

Die großen, grauen Motten flogen lautlos durch die offenen Fenster, und in den Erlen flüsterte der Wind.



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