Auguste Supper
Der Gaukler
Auguste Supper

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Elftes Kapitel

Kühle grüne Wasser spielen.
Gläsern trägt ihr Strahl die Bälle.
Auf und nieder geht's im Tanze.
Im Verrinnen raunt die Welle:
Diese Blinden, Willenlosen
Glauben aus sich selbst zu leben,
Wenn die grünen kühlen Wasser
Sie im Spiel zum Tanze heben.
        A. S.

Gerüchte füllen die Stadt. Jeder will sie hören, keiner mag sie glauben.

Dort, wo die zwei roten Steintürme seit Urzeiten zwischen den Bergen ragten, nordwärts im nahen, stillen Tal, sollten die gefürchteten Horden wüstend hausen. Wenn nicht einmal der weithinstrahlende Ruhm des ehrwürdigen Klosters Schutz geboten hatte, was sollte dann aus der Stadt werden? – Aus der Schmiede kam Hammerschlag. Der sonst so vertraute, friedliche Laut klang in dieser Stunde fremd, fast schmerzend.

Jetzt trat die bleiche Meisterin unter die Türe und gebot dem hämmernden Schmiedsknecht halt.

»Willst sie wohl herrufen, du? In all den Tagen 293 hast du keinen Hammer angerührt,« klang es verweisend aus ihrem Mund.

Unwillig schaute der Knecht auf, tat noch einen starken Schlag und warf dann den Hammer weg, daß er klingend auf die Steinfliesen aufschlug. »Herrufen? Die kommen ohne mich, wenn sich der Spion schon lang in der Stadt herumtreibt.«

»Welcher Spion?«

»Ihr seht nur noch, was sieben Schuh hoch ist.«

Flammendes Rot lief über des Weibes Gesicht. »Lösch das Feuer!« befahl sie kurz.

Er nahm das Kühlwasser und goß es mit jähem Schwung in die Esse, so daß Asche, Rauch und Funken nach allen Seiten stiebten.

»Habt Ihr sonst noch Sorgen, Meisterin?« fragte er hämisch.

Seine Frechheit stählte ihren Mut. Seine blitzenden Zähne schreckten und lockten sie nicht mehr.

Unwillig, und von dem Stolz ihrer heimlichen Liebe umloht, sah sie ihn an. »Nein, für alles andere hat längst der Kleinmann gesorgt,« sagte sie laut und sicher.

Der Knecht lachte hell. »Für wen und was der alles sorgt! Jung oder alt – kein Frauenzimmer ist in der Stadt, das nicht auf ihn schwört.« 294

»Und kein Mann, der nicht von ihm lernen konnte,« entgegnete rasch und mit brennendem Kopf die Kleine.

Der Rußige nickte. »Lernen, wie man Witfrauen betört und seine Schwester nächtens an hohe Herren verkuppelt.«

Glut und Blässe wechselten auf dem Gesicht der Frau. Ihr Atem ging mühsam; dann sagte sie unterdrückt: »Du bist schlechter, als ich dir zutraute. Dort ist die Tür!« Und sie deutete nach dem Tor der Schmiede, dessen einer Flügel nach der Straße hin offen stand.

Der Rußige kreuzte die Arme. Höhnisch kam's: »Dort ist die Tür. Aber nicht die einzige, Meisterin. Habt Ihr zur anderen den Schlüssel verlegt?«

Fassungslos, wie geschlagen, stand die Witwe. Eine heimliche Stunde voll reinen Glückes, wie es die Einsame in ihrem freudlosen Leben nie gekannt, wurde ihr von einem Schleicher, einem Horcher, einem Verräter beschmutzt und besudelt. Das Herz zitterte ihr vor Leid, Scham, Zorn und Not. Es war so schön gewesen, so ohne Schuld, das, was dieser schmutzige Mensch mit seinem erschlichenen und gestohlenen Wissen berührte und ins Gemeine verzerrte. Schwere Tränen stiegen ihr in die Augen. Dann rang sie sich mühsam empor und fand ihren 295 Stolz wieder. Die kleine Faust ballte sich. »Schämst du dich nicht! Du hast es nötig, von Spionen zu reden! Nicht wert bist du, daß dich der Kleinmann im Genick nimmt, wie eine räudige Katze.«

Hinter den beiden sagte eine ruhige Stimme: »Ich werde das aber doch tun, Sara,« und die mächtige Gestalt des Zeugmachers füllte die andere Türe.

Der Schmied bückte sich nach dem weggeworfenen Hammer. Aber schon hielten zwei gewaltige Hände den Überraschten und schüttelten ihn, daß er stöhnte. Dann stießen sie ihn mühelos zur Tür hinaus.

»So,« sagte der Große aufatmend und gelassen, »acht Tage lang spürt der seine Knochen nicht mehr und dann sieht man wieder.«

Vorsichtig, als fürchte er die eigene Kraft, legte er die Hand auf das schöne Haar der Meisterin. »Sara, ich kam, um dir zu sagen, daß du fort mußt. Im Tal drunten brennt das Kloster; es wird Ernst.«

Sie schaute zu ihm auf. Mit weißen Lippen stammelte sie: »Ich fürchte mich.«

Er streichelte ihren Scheitel. »Ich bringe dich und meine Esther und des Bürgermeisters Anastasia auf den Berg.« 296

Da schluchzte sie auf und schmiegte sich an ihn. »Ich fürchte mich vor dir, weil du so stark bist.«

Erschrocken, wie ein Gescholtener, stand er. Dann nahm er die Zierliche in den Armen hoch, als sei sie ein Kind und küßte sie, daß ihr der Atem verging.

Als er sie niederstellte, nahm sie seine Hand und bedeckte damit ihr glühendes Gesicht. »Ich bleibe, wo du bleibst,« stammelte sie erstickt.

Sie hätten vielleicht in der rußigen Schmiede die Zeit vergessen, da fing in der Kapelle gegenüber das Glöcklein zu bimmeln an. Der Mann fuhr auf.

»Ich muß fort, Kleine. Du wirst keinen wollen, der in der bösen Stunde dir am Schürzenzipfel hängt.«

»Ich bleibe, wo du bleibst,« klang es noch einmal verstört.

Er schob sie weg. »Ich geh zu den Männern ans Tor, Sara,« redete er ihr zu, »heute nacht bin ich wieder bei dir.«

Sie glühte auf. »Der Schmied hat dich gesehen.«

Betroffenheit glitt über sein Gesicht; dann kam es ruhig: »Dem leg ich noch sein Handwerk.«

Er zog sie an sich: »Kleine, was ein schmutziger 297 Kerl ist, der kann nicht bei andern an ein sauberes Brusttuch glauben. Wir wissen, was wir wissen.« Sein bärtiger Mund suchte den ihren und noch einmal versank ihnen Zeit und Stunde.

Er riß sich los. Wie aus dem Schlaf erwacht, sah er sich um. Verändert klang seine Stimme: »Sara, vielleicht war's zum letztenmal. Sag, daß es gut und schön war.«

Sie weinte leise, den Kopf an seine Brust gepreßt.

Er küßte ihr das Haar. »Tu's mir zulieb und geh! Das Salztor ist noch offen. Geh in des Bürgermeisters Garten, wenn du nicht weiter auf die Höhe willst. Die beiden sind schon dort.«

Sie nickte stumm und sah ihm nach, wie er jetzt, ohne zurückzublicken, aus der Türe ging. Sie hörte den Schlüssel im Schloß knirschen, als er von außen schloß, ihr nur das Pförtchen gegen den Berg hin offen lassend zur Flucht.

Da überkam es sie auf einmal, als ob sie wunderbar gesichert sei durch des ruhigen Mannes gelassene Fürsorge. Alle Angst, alle Unruhe fiel von ihr ab. Minutenlang faltete sie die Hände, wie in inbrünstigem Beten. Dann steckte sie sich das zerzauste reiche Haar zurecht und fing an, in der Schmiede Ordnung zu schaffen. 298

In Reih' und Glied hängte sie die Hämmer an die Wand, kaum konnte sie den schwersten heben, und dabei lauschte sie dem Wimmern der Glocke, wie dem Laut aus einer fremden Welt, die sie nicht berührte und nicht bedrohte.

 

Naß und schmutzbedeckt, ein unordentlicher, betrunkener, wilder Haufen, teils zu Pferd, teils unberitten, schob sich ein großer Trupp Soldaten das Tal herauf. Johlend, lachend, fluchend, schreiend trieben sie dahin, wie ein losgerissenes ziel- und willenloses Stück Verderben, das irgendwo anbranden und Unheil ausschütten wird. Hinter ihnen schwelte, was sie berührt hatten.

Sie sahen nicht die seltsam stille, schwermütige Schönheit der dunklen Wälder und Berge, hörten nicht das leise, traurige Murmeln der grünen Flusseswellen, fühlten nicht die tiefe Bangigkeit, die das weltferne Tal füllte. Sinnlos, fremd, zerrissen irrte ihr Lärmen zwischen den Berghängen, nirgends verweilend, nirgends sich einfügend, nirgends ein Echo hervorlockend.

Und inmitten des Haufens, in sich versunken und einsam, ein kleiner, gelbgesichtiger Reiter mit den Zügen, der Haut, den Augen eines Südländers. Seine verwitterte Montur trug die 299 Abzeichen des Kapitäns und hinter ihm ritt der Schlanke mit den goldenen Borten, der Kurier.

Der Kapitän hob jetzt den Kopf. Seine stechenden Augen suchten umher; er wandte sich auf dem Pferd und sprach mit dem Goldbetreßten. Dann sank er wieder müd, verdrießlich in sich zusammen. Von all dem Wüsten um sich her, schien er nichts zu vernehmen. Plötzlich – war sie vom Flußufer aufgetaucht? hatte sie sich irgendwo vom Wegrand gelöst? – schritt neben des Kapitäns Pferd eine Gestalt im schwarzen, bös mitgenommenen Mantel, einen barettartigen Turban, ein turbanartiges Barett auf dem Kopf.

Das Pferd wollte scheuen; aber ein Griff des Schwarzen, ein kosendes Wort, brachte es rasch zur Ruhe.

Die trunkenen Soldaten schienen den Ankömmling nicht zu sehen; ihm zur Seite, an ihm vorbei, wälzten sie sich weiter, auf nichts bedacht, von nichts in Anspruch genommen, als von ihrem trägen, sinnlosen Dahintreiben, das ihr gelles Grölen begleitete.

Der Kapitän hatte sich aufgerichtet. In hitzigem Unmut sah er dem Fremdling ins Gesicht. Aber sein stechender Blick wurde rasch wieder matt; vielleicht vor den ruhigen, ja kalten Augen des 300 andern; vielleicht auch, weil das jähe Feuer in dem Gelbgesichtigen nur ein Aufflackern ohne Kraft war.

»Ihr seid krank,« sagte jetzt in der Sprache des Kapitäns der Schwarze, und seine Stimme hatte einen gleichmütigen, ruhigen Klang, »es wäre Euch gut, aus den Wäldern heraus und nach einem wärmeren Land zu kommen.«

Über das gelbe Gesicht des Offiziers ging Schrecken. Er hörte aus dem fremden Munde das, was er soeben im Reiten gedacht hatte. In seiner fernen Heimat, unter den Ölbäumen und Weinstöcken der Provence war er gewesen mit aller Sehnsucht seiner Seele und seines fiebergequälten Leibes. Er haßte die engen, kalten, waldgefüllten Täler, er haßte die steinigen Bergwege, den verhangenen Himmel, er haßte die finsteren Menschen mit der rauhen, unverständlichen Sprache, er haßte sein Handwerk, er haßte sich selbst.

Der Schwarze schritt ruhig neben dem Pferd her und tat, als sehe er den Goldbetreßten nicht, der seinen Gaul heranschob. Nur an den Kapitän richtete er seine Worte.

»Es ist gut, daß Ihr die Ordre habt, so schnell wie möglich südwärts zu ziehen, und jeden Aufenthalt zu meiden.« 301

»Woher wißt Ihr? –« fragte der andere mehr müd als überrascht.

»Der Herbst, der Winter kommt so schnell in diesen Tälern. Die Nebel sind Euch Gift. Zumal die Flußnebel.«

Der Kapitän nahm seinen stolpernden Gaul fester. Frierend schauerte er zusammen. Dies verdammte Fieber und dazu das Geschwätz, das wie nachhallendes Echo seiner eigenen Gedanken war!

Mißbehagen in der Stimme, fragte er, gegen den Goldbetreßten zurückgewendet: »Wer ist dieser Kerl, wo kommt er auf einmal her?«

»Ich sah ihn nie,« entgegnete der Kurier, sich herdrängend und nach der Peitsche am Sattel greifend.

Der Schwarze bückte sich tief, als fürchte er einen Schlag. Dann richtete er sich auf und hatte eine gerötete Stirne. Dem Goldbetreßten ins Gesicht sehend, sagte er: »Wir kennen uns schon lang. Ich weiß: seit Eurer letzten Liebesnacht hat Euer Pferd gehinkt bis vor kurzem. Ihr solltet Euch in acht nehmen, mein Leutnant!«

Der Kapitän lachte auf. Sein krankes Gesicht verzerrte sich dabei zur Fratze. »Hört Ihr's,« rief er, »Eure Liebesnächte sind's, die Euch die Gäule 302 kaputt machen. Mich wundert nicht mehr, daß Ihr jeden Monat einen andern reitet.«

Und dann, in seinen galligen Ton zurückfallend: »der Kerl soll sich zum Teufel scheren; man braucht keine Schnurranten unter den Leuten.«

Der Fahrende verneigte sich. »Gerne, Euer Gnaden, mein Kapitän. Beim Teufel weiß man, was man zu erwarten hat. Dort, wohin Ihr reitet, weiß man das nicht.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, trat er neben den Kurier und betastete eine goldene Schnur, die diesem über Arm und Schulter hing. Als probiere er eine Melodie, summte er: »C'est la corde, que t'emporte. Kennen Sie das kleine Lied, mein Leutnant?«

Der Schlanke hob seine Peitsche und schlug ihm über die Hand. »Sei nicht zu frech, Geselle!«

Leise summend fuhr der Schwarze fort, als hätte er nichts gefühlt und nichts gehört: »a quelle heure? – et tu meurs – die kleinen Kinder singen das bei mir daheim beim Spiel. Habt Ihr es nie gesungen? Ihr waret doch, geb's Gott, auch einmal Kind?«

Der Goldbetreßte fühlte sich schwer gereizt und wußte nicht wodurch. Mit jähem Wortschwall wandte er sich an den Kapitän. 303

Doch der schüttelte gleichgültig den Kopf. Halb müd, halb mißmutig kam seine Antwort. Was und in wessen Dienst sollte dieser sonderbare Kerl da spionieren? Es gab ja keine Heimlichkeiten. Weil er von dem Befehl wußte, talauf zu ziehen? Bah – der ganze Trupp wußte davon. Weil er das Provencalische verstand? Fahrend Volk kommt durch die ganze Welt. Man mag ihn laufen lassen, oder eine Strecke weit mitnehmen – alles gleich! Tut, was Ihr wollt!

Er sank wieder auf seinem Gaul zusammen und seine Gedanken wanderten halb in Fieber, halb in Sehnsuchtsträumen.

Hinter ihm ging jetzt der Schwarze mit gebundenen Händen neben des Goldbetreßten Pferd. Lächelnd schritt er aus, als mache ihm die ganze Sache Spaß. Und plötzlich hatte er die Hände frei und hielt den Strick in die Höhe, dem Reiter fast vor die Nase.

»Verzeiht, mein Leutnant, es braucht ganz andere Dinge, um mir die Hände zu fesseln, als einen hänfenen Strick. Ihr erlaubt, daß ich ihn in die Tasche stecke.«

Verblüfft, erschreckt schaute der Kurier.

Da streckte der Fahrende die Hände aus. »Seht Ihr denn nicht, daß sie mir ohnedies gebunden sind? 304 Wären sie es nicht, ich hätte längst diese engen Täler hinter mir, die wie eine Mausefalle sind. Nie wäre ich Euch alsdann in den Weg gelaufen.« Verloren setzte er hinzu: »Auch lebte vielleicht meine Maja noch.«

Jetzt glaubte der Goldbetreßte wieder Boden unter den Füßen zu spüren. Er lachte auf.

»Euch ist der Schatz gestorben. Da habt Ihr Euch hinter den sauren Wein gemacht, den sie hier haben, davon seht Ihr nun Mäuse.«

Da lachte auch der Fahrende. »Gut geraten, mein Leutnant. Seit mein Schatz mir starb, bin ich über manchen sauren Wein geraten und sehe, was nicht alle sehen. Man heißt dies bei mir zu Haus: Die Krankheit der Durstigen. Habt Ihr sie nie gehabt?«

Der Goldbetreßte spuckte aus.

Der andere schaute ihm wie prüfend ins Gesicht. »Ihr werdet sie auch nie bekommen. Ich verstehe mich auf Zeichen. Ich war schon einmal Arzt.«

»Warum nicht gar!« lachte der Soldat jäh belustigt, »und wißt Ihr auch, was ich schon einmal war? –«

»Es liegt mir auf der Zunge.«

»Ich war schon einmal König, là bas, – in Ägyptenland.« 305

»Ganz recht; ich entsinne mich. Einer Eurer Kämmerer hieß Potiphar und hatte ein Weib –«

Der Soldat pfiff durch die Zähne. »Ein bildschönes Weib.«

»Wie man es ansieht. Ich fand sie derb und frech. Doch andere hielten sie für sittsam. Mag sein, sie war beides, heut so und morgen anders. Es gibt solche Weiber. Mich nahm sie nicht am Rock. Ich liebe das nicht. Ihr waret weniger heikel.«

Der Goldbetreßte runzelte die Stirne. »Ihr habt ein freches Maul und lügt wie ein Pikarde.«

Der Fahrende schüttelte den Kopf. »Ich mühe mich um nichts so sehr, wie um die reine Wahrheit. Aber je ehrlicher ich bin, je mehr zeiht man mich der Verlogenheit. Das ist ein seltsam Ding. Woher mag's kommen? –«

»Vielleicht weil Eure Ehrlichkeit von jener Sorte ist, die an den Galgen bringt.«

»Mag sein,« sagte, wie versonnen, der Schwarze, »an Galgen, Rad und Kreuz hat schon so manche Ehrlichkeit geendigt. Nun gilt's zu warten.«

»Aufs Gehängtwerden, meint Ihr.«

Der Fahrende zuckte die Achseln. »Ich trage keine goldenen Schnüre und weiß noch nicht, an was und ob ich hängen soll. Doch das ist meine 306 kleinste Sorge. Ich muß auf anderes kommen: Es war damals ein Narr im Haus des Potiphar.«

»Ganz recht, ein Narr mit Kappe und Schellen.«

»Nicht den meine ich. Ich denke an den Roßknecht in den Ställen.«

»Ach so!«

»Er war ein garstiger Kerl, ein Polyphem; doch hatte er seine beiden Augen.«

»Warum sollte er sie nicht haben?«

»Es wäre besser für ihn. Er sieht zuviel für seines Geistes Kraft. Im übrigen war er der keuscheste der Männer am ganzen Hof.«

»Eunuche also?«

»Umsonst ließ jenes Weib ihre Künste vor ihm spielen – er zitterte vor ihr, wie vor der Sünde.«

»Ein Prachtskerl.«

»Und doch schrie seine starke Mannheit nach dem Weib. Versteht Ihr das?«

»Und ob! So war er also kein Eunuch?«

»Ich meine, ob Ihr versteht, daß in einem armen Narren, in einem häßlichen Scheusal das wohnen kann?«

Der Goldbetreßte schlug sich auf den Schenkel. »Ich hörte nie, daß große Weisheit oder Schönheit dazu nötig sei.« 307

Der Fahrende hob den Kopf und schaute den Lachenden an. »Habt Ihr auch schon bemerkt: Das Wort an sich ist nichts, ein leerer Hall, ein Hauch. Erst was ein jeder in den eigenen Ohren trägt, das schafft ihm Sinn. Doch noch dies eine: Wie ein Verdammter litt der Roßknecht, wenn er sah, daß ein anderer leichtfertig nahm, was ihm das Etwas in der Narrenseele zu nehmen nicht erlaubte.«

»Ein dummes Vieh.«

»Nie sah ich so etwas beim Vieh.«

»Da habt Ihr recht: so dumm ist ja kein Vieh.«

»Sein Haß auf solchen andern ist heute noch entsetzlich.«

»Lebt denn der Kerl noch immer?«

»Ich wünsch Euch nicht, daß Ihr ihm in den Weg geratet.«

Der Goldbetreßte schlug mit der Reitgerte in die Luft. »Sorgt nicht um mich! Vielleicht lebt gar auch noch das Weib? –«

»Die Dame Potyphar stirbt nie, wie Ahasver.«

»Was treibt sie jetzt, das alte Luder?«

»Sie ist kaum älter, als da Ihr sie sahet. Sie ruft den Narren zu sich, wie einen treuen Hund und scheucht ihn wieder weg, wie häßliches Gewürm. So treibt sie's fast im Schlaf. Daneben 308 wartet sie auf einen andern. Vielleicht auf Euch? Sie liebt die Borten und die Schnüre.«

»Viel Ehre! Meine Zeit ist knapp.«

Eine Schar Raben strich quer übers Tal. Man hörte mißtönende Schreie aus der grauen Luft.

Der Fahrende sah empor. »Ihr sagt's: die Zeit ist knapp; die Raben schreien schon.« Er deutete nach ein paar Hütten, die verstreut am kahler werdenden Berg hingen. »Diese letzten werden auch einmal die ersten sein – wer weiß!«

Der Dunst über dem Tal verdichtete sich, ein leiser Sprühregen setzte ein und feuchtete bis auf die Knochen. Der frierende Kapitän verhielt sein Pferd. Verkrümmt hockte er im Sattel, graugelb war sein Gesicht. Er schaute sich nach dem Kurier um und ließ ihn nahe kommen. Aufgeregt verhandelten sie miteinander; dann griff der Goldbetreßte in die Satteltasche und hielt dem Kapitän ein Schriftstück vor. Ein kleines rundes Loch, mit angesengten Rändern war daran zu sehen, jenes Loch, das Doktor Bardili in lodernder Empörung über der Kerzenflamme in die welsche Lösegeldforderung eingebrannt hatte.

Langsam straffte sich der Rücken des kranken Kapitäns und seine eingesunkenen Augen gewannen ihr Funkeln wieder. 309

Er schob das Papier zurück. »Eh là – Ihr habt recht! Soweit muß unsere Zeit reichen, daß wir den Herren dies Loch in ihre Stadt einbrennen.«

Jetzt trat der Fahrende herzu. »Verzeiht, mein Kapitän! Ich war's, der dieses Loch einbrannte, nicht die Herren der Stadt.« Und als der Offizier verwundert aufschaute: »Wen pfleget Ihr zu strafen, den, der einen verkehrten Befehl ausgibt, oder den, der ihn ausführt?«

Noch immer schwieg der Kapitän und der Schwarze fuhr dringlich fort, als liege ihm alles daran, den anderen zu überzeugen:

»So wißt Ihr nicht, daß manches Tun der Menschen dem Tanzen eines Hampelmannes gleicht, das von fernher die Fäden lenken? Ich zog dazumal an einem Faden und einer, der nur seinem Kopf zu folgen glaubte, hielt dieses Schreiben über die Flamme. So war's und anders nicht.«

Jetzt riß sich der Kapitän zusammen. Hitzig schrie er den Kurier an: »Hab ich nicht schon einmal gesagt, der Kerl soll zum Teufel gehen! Was tut er denn noch da, der Possenreißer.«

Der Goldbetreßte wollte eine Antwort geben, aber aufgeregt fiel ihm der Fiebernde in die Rede: »Laßt formieren! Dort ist die Stadt! Wir ziehen 310 durch! Geplündert wird nicht! Gebrannt dort, wo ich sage.«

Er gab seinem Pferd die Sporen und stiebte voraus, als sei er seiner schweren Müdigkeit Herr geworden.

Bald wurden Kommandorufe laut. In überraschend kurzer Zeit machten sie aus dem wirren, betrunkenen Haufen einen geordneten, wenn auch lärmenden Zug, der wieder Ziel und Willen zu haben schien. Ganz hinten, neben einem einsamen Reiter, schritt der Fahrende. Ein Gaulskopf berührte seine Schulter. Da ging über das dunkle, verschlossene Gesicht ein kurzer, freundlicher Schimmer. Er legte einen Augenblick die Wange an das Tier und murmelte etwas.

Der Reiter drängte weg. »Was ist da los? –«

Da hob der Schwarze den Kopf und sagte lächelnd: »Euer Gaul hat mir anvertraut, er sei ein Gaul und wolle nie den Reiter spielen, und es wäre gut für mich, wenn ich es auch so hielte.«

Schallend lachte der Soldat. Dann schlug er mit der Gerte dem Fremdling über den Turban. 311

 


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