Hermann Sudermann
Im Zwielicht
Hermann Sudermann

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Die Freundin.

Hab' noch einmal im alten Jahr bei Ihnen Dämmerstunde feiern wollen, teuerste Frau! – Lassen Sie mich ein Weniges vor mich hinschwatzen und schauen mich nicht so feierlich an – sonst muß ich mich dito in Positur setzen.

Das sei Sylvesterstimmung, meinen Sie. Ah bah! Mögen ordnungsliebende Gemüter ihre Rührung nach den Kalendertagen regeln und um die Jahreswende die obligate Sentimentalität zu züchten suchen – was geht das uns an? – Die sechs am Schluß der Jahreszahl schreibt sich nicht minder bequem als die fünf – und schließlich ist das der einzige Unterschied.

O, bin ich müde! Ich habe den Tag über Briefe geschrieben. Alles, was im Laufe des Jahres unbeantwortet geblieben war, hat heute seine Erledigung gefunden. – Du lieber Gott – welch alte Schulden kamen da zum Vorschein! Was für ein niederträchtiger Faulenzer bin ich gewesen! Wieviele gute Freunde hab' ich durch Schweigen 115 gekränkt, wieviele kleine Giftstachel im Fleische stecken lassen! – Genug davon!

Die Gratulationen habe ich ebenfalls besorgt. Auch Sie werden am Neujahrstage in der Frühe mein Kärtchen erhalten, ganz steif – mit »1, 1, 86« beschrieben, ohne den mindesten Pfefferkuchenvers.

Lachen Sie nicht! Wenn ich's mir recht überlege, ist dies »1, 1« doch eine bedeutungsvolle Ziffer, und man sollte nicht darüber spötteln, wie ich gethan.

Der Tag, den sie bezeichnet, ist der Umzugstermin für die Herzen, an ihm wechselt die Liebe ihre Wohnung. Nicht immer natürlich; viele haben ja langjährigen Kontrakt, lebenslänglichen sogar, und gar mollig haust es sich in solchen eingewohnten Räumen; aber die Leichtsinnigen, die Schmetterlinge – notabene, wenn man um Neujahr von Schmetterlingen reden kann – die Exmittierten und alle sonstigen Seelen, die sich aus Neigung oder Not ein neues Heim suchen, die sieht man um die Neujahrszeit im Aus- und Einzug begriffen.

Warum gerade dann? fragen Sie.

Die neue Saison hat begonnen, neue Verbindungen sind angeknüpft, neue Intriguen eingefädelt, neu erblühte Neigungen drängen sich schüchtern ans Tageslicht. Die Weihnachten gehörten noch der alten Aera an, und manches Glück, das bequem in Schlafrock und Pantoffeln zu genießen, siegte noch über die Unbequemlichkeiten der ungestüm anpochenden Leidenschaft. Jetzt aber, zu Neujahr, wird Kehraus gemacht, und alles morsche Liebesinventar veräußert. »Um zu räumen,« wie's in den Inseraten heißt.

Des Herzens Wohnungswechsel ist wohl der traurigste 116 Umzug, den es auf Erden gibt – es wird viel dabei zerschlagen, und manches teure Erinnerungsstück fällt in den Straßenschlamm –, aber wenn er sich nicht verhindern läßt, dann soll er gründlich, mit Energie geschehen.

Da fand ich einmal im Pelham, der Bibel aller Weltmänner, als Kapitelmotto einen alten, ungeschickten Vers:

»Gut ist's, alte Liebe abzuthun,
Eh' du zu neuer dich wendest!«

Eine Wahrheit von verblüffender Prägnanz! Wie mancher schon hat den Anschluß versäumt, weil er sich zu lange beim Abschiednehmen aufhielt. O, über dieses Thema ließen sich ganze Stöße von Novellen schreiben!

Bisweilen auch bleibt das Herz im alten Hause, aber es tauscht die Wohnung. Hier folgt Haß der Liebe, Liebe dem Haß, letzteres wenigstens in den Romanen der Marlitt. Und mehr noch: Freundschaft zieht ein, wo die Liebe wohnte; sagt doch schon der alte Spruch: »Hat man die Liebe, na und so weiter«.

Und zuguterletzt: die Freundschaft räumt das Feld, um der Liebe Platz zu machen.

Sie schütteln den Kopf. Sie glauben nicht daran? – Wohl weil wir beide so ganz gefeit sind? – O, wir machen eine Ausnahme, zwischen uns steht die intellektuelle Liebe zur Wahrheit wie eine kristallene Mauer im Eismeer. – Aber Beispiele könnte ich Ihnen nennen, teure Frau, Beispiele in Fülle. Und zwar traurige zumeist.

Es scheint ein ehernes Gesetz des Glückes zu sein, daß die Liebe im Sinnentaumel beginne und in dem Frieden stiller Freundschaft – ich meine hier die Ehe – ein Ende 117 nehme; der umgekehrte Weg ist nicht verboten, aber er führt – in die Wüste.

»Es gibt ja abstrakte Schwärmer, welche die Vermählung der Geister als eine Vorbedingung der sinnlichen Neigung konstruieren, aber die Natur straft sie Lügen. Wo Freundschaft zwischen Mann und Weib in Liebe endigt, da war eines oder das andere Lüge. Und wehe, wenn's nicht die Freundschaft war!

Ja, apropos – besinnen Sie sich vielleicht auf ein Frauenporträt, das vor drei oder vier Jahren auf unserer Ausstellung viel Aufsehen erregte und dem Maler Ruhm und Bestellungen in Fülle eintrug? – Eine zarte, fast dürftige Gestalt in schmucklosem, schwarzem Samtkleide, – ein schmales, leidendes Gesicht, auf dessen blasser Stirn der ruhige Adel des Gedankens thronte, – halbgeschlossene, sinnende Augen, unter deren düsteren Wimpern ein bläuliches Leuchten flimmerte, – die Oberlippe von leichtem Flaum beschattet – und um die Lippen ein Zug von Sehnsucht und lächelndem Weh? – – – Oh, jetzt erinnere ich mich genau – wir haben das Bild sogar zusammen bewundert. – Sie blieben davor stehen, schauten es lange an und sagten dann:

»So denk' ich mir Vittoria Colonna!«

Ich schwieg erstaunt über Ihren Scharfblick, denn das Wesen jener Frau bot in der That mancherlei Vergleichungspunkte mit dem der unglücklichen Freundin Michelangelos, und auch ihr Schicksal, in das ich durch einen Zufall Einblick erhalten – über das »wie?« muß ich natürlich schweigen – schien dem Vittorias seltsam ähnlich. – Damals war es noch nicht abgeschlossen – und der Wendepunkt, der später eintrat – – –

118 Sie war die Witwe eines angesehenen ***'er Architekten, in dessen Hause dereinst eine Schar talentvoller junger Künstler aus- und eingegangen war. . . . Unter ihnen K . . . ., der spätere Maler des Bildes, ein fröhlicher Geselle, leichtsinnig und keck, der aus den Strudeln der Akademikerjahre die volle Kindlichkeit des Genies herübergerettet hatte, und dem die weltschmerzliche Blasiertheit, welche er so vielfachen Erfahrungen zuliebe sich angeeignet hatte, um so prächtiger zu Gesichte stand, als sie sich beim geringsten Anlaß in ein hellklingendes Gelächter auflöste.

Frau Hedwig erkannte alsbald den tüchtigen Kern, der in dem etwas fahrigen jungen Manne steckte, und nahm sich um so lieber seiner an, als alle Welt in ihm ein Talent ersten Ranges bewunderte, das nur etlicher Pflege bedurfte, um herrliche Früchte zu tragen. – Mit Inbrunst gab er sich der Führung der um einige Jahre älteren Dame hin, die er vergöttern lernte.

Er brachte ihr seine Skizzen, die sie aufmerksam durchmusterte, mit einem Blicke, dessen Formgefühl auch nicht der leiseste Fehlgriff der noch tastenden Hand entging. Er machte sie zur Vertrauten seiner schöpferischen Gedanken, die noch mit gärendem Ungestüm seinem Geiste entquollen, und gereift, geläutert erhielt er sie von ihr zurück. Es war kein Winkel seines Herzens, der nicht offen vor ihr dalag, und selbst die jugendliche Roheit, die manchmal aus seinem Empfinden mißtönend hervorquoll und andere fein fühlende Frauen verletzt haben würde, verstand sie als 119 Zeugnis der Ueberkraft zu würdigen und durch leisen Spott zur Harmonie hinüberzuleiten.

Unendlich reich war, was sie ihm gab, aber kaum geringer, was sie von ihm erhielt. Gebannt an die Seite eines alternden, grämlichen Gatten, selbst kränkelnd Jahr um Jahr, hatte sie ihr Denken frühzeitig reifen sehen, dabei jedoch den Frohmut, die Spannkraft der Jugend, eingebüßt. – Nun fluteten ganze Ströme frischen, freudigen Lebens von ihm zu ihr hinüber, sie fühlte sich neu verjüngt in seinem Anschauen, und in ihr Empfinden für ihn mischte sich eine zarte Mütterlichkeit, das Schattenbild eines Glückes, welches ihr versagt geblieben.

Der Gatte, froh, die einsame Frau beschäftigt zu sehen, ließ die beiden ruhig gewähren. – Und weshalb auch nicht? – Nie wäre eine Eifersucht grundloser gewesen; vertraute der junge Taugenichts ihr doch sogar seine – mehr oder minder leichtfertigen – Herzensaffairen an, die sie mit lächelndem Warnen so weit unwirksam zu machen suchte, daß sie die Entwickelung seines Talentes nicht störten.

Zwei, drei Jahre vergingen. Der Gatte Frau Hedwigs starb – sie fühlte sich kränker denn je und siedelte, dem Rate der Aerzte folgend, nach dem Süden über – nach Nizza.

Still und einsam lebte sie für sich hin; nur hin und wieder erschien irgend ein junges Genie mit langen Haaren und nicht allzu sauberem Hemdkragen in ihrem anspruchslosen Salon, welches ein Empfehlungsschreiben ihres Freundes überbrachte und sich meistens in Geldverlegenheiten befand.

120 Der Briefwechsel mit ihm, dem Freunde, den Arbeit und Amt in Deutschland festhielten, bildete ihre einzige Zerstreuung. Er schrieb ihr oft, daß er sie anbete wie eine Heilige. Sie wehrte den ekstatischen Schwall energisch von sich ab und war zufrieden, daß er ihr trotz seines flatterhaften Temperaments und seines wachsenden Ruhmes die alte Neigung treu bewahrte.

Drei Jahre schlichen so dahin.

Da – in einem Spätherbst erschien er plötzlich in Nizza. Müde, abgearbeitet, geistig vereinsamt, zerfahrener denn je, aber – zum Manne geworden.

»Bei Ihnen komm' ich Heilung suchen!« rief er, als er zum erstenmal in ihr Zimmer trat.

Sie weinte vor Freuden.

Bald verkehrten sie herzlicher miteinander denn je, und doch empfand sie bisweilen eine gewisse Scheu vor ihm, die ihr ehedem fremd gewesen war, eben weil er ihr nicht mehr als der Jüngling gegenüberstand, auf den sie früher unbefangen mütterlich herabgeschaut hatte. Der Unterschied der Jahre schien fortgewischt – auch innerlich. – Sein Geist war dem ihren nahe gerückt – unheimlich nah.

Oft klagte er ihr sein Leid. Das böse Kopfweh, das ihn plagte – eine Frucht allzuvieler Arbeit – dann die Sorgen, mit denen er gerungen, die Enttäuschungen, die er erduldet. Sie waren nicht allzu groß, aber dem verwöhnten Schoßkinde des Glückes hatten sie doch über den Kopf wachsen können. Sie verschlang seine Worte; das Kleinste, das ihn anging, hatte für sie eine ungeheure Bedeutung gewonnen.

121 Aber vieles schien er zu verschweigen.

»Und die Frauen?« fragte sie lächelnd, doch innerlich von plötzlich aufsteigender Eifersucht gequält.

»Ach, lassen wir die Frauen!« erwiderte er, »ich habe sie samt und sonders vergessen. Jetzt sind Sie mein ein und alles.«

Sie erschauerte, aber sie sagte nichts. O, wenn er gewußt hätte, wie erst ihr ganzes Wesen in ihm aufging!

Diese seine Worte umschmeichelten sie fortan, sie klangen selbst nachts durch ihren Schlummer.

Weihnachten feierten beide zusammen.

Als die Lichter am Baume brannten, und der Duft von Tannen und Aepfeln heimatlich den Raum durchzog, ergriff er ihre beiden Hände, sah ihr lange lächelnd ins Auge und sagte dann:

»Wissen Sie! wir beide müßten uns eigentlich heiraten.«

Sie fühlte, wie es sie siedendheiß durchrieselte, aber sie faßte sich und brach in ein lautes Lachen aus.

»Sie denken, ich scherze,« fuhr er fort, »nein, nein, ich sprach in heiligem Ernst. Sagen Sie selbst – wir sind beide einsam, die Welt stört uns nicht, und wir haben einander verstehen gelernt, wie keine zwei Menschenkinder sonst auf Erden. – Warum sollen wir nicht fürs Leben gemeinsame Sache machen?«

»Seien Sie vernünftig, mein Freund,« erwiderte sie, äußerlich bemüht, den heiteren Ton festzuhalten, »und sprechen Sie dergleichen Unsinn nicht mehr; denn Unsinn bleibt's, gleichviel ob im Ernste oder scherzhaft gemeint. Das fehlte gerade noch, daß Sie sich mit einer Frau behängen wollten, 122 die um fünf Jahre älter ist als Sie und in kurzer Zeit gänzlich verblüht sein wird. Zudem scheinen Sie mir zum Krankenpfleger nicht geboren, und Sie wissen doch, daß ich langsam dem Grabe zugehe. Also genug davon.«

In derselben Nacht weinte sie viel.

Am anderen Tage plagte ihn sein Kopfweh heftiger denn je.

Er durfte es sich in ihrer Gegenwart bequem machen und sich auf der Chaiselongue ausstrecken.

Sie rückte ihm die Kissen zurecht.

»Sie haben eine so kühle Hand,« sagte er. »In früheren Zeiten sind Sie mir wohl manchmal tröstend über die Schläfe gefahren. Das hat mir stets unendlich wohlgethan. Auch das Glück hab' ich nun verscherzt.«

Mit zitternder Hand strich sie ihm über Scheitel und Stirn.

Als sie dabei seine Wangen berührte, hielt er die Finger mit seinen beiden Händen fest.

»Hier lassen Sie sie ruhn,« sagte er mit tiefem Aufseufzen. »Meine Wangen brennen wie Feuer.«

Die ihren brannten nicht minder. – –

Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr vergingen. Immer enger schlossen die beiden Menschen in ihrer Herzenseinsamkeit sich aneinander.

Der Sylvesterabend kam.

Man beschloß, das neue Jahr gemeinsam heranzuwachen.

Frau Hedwig bereitete den Thee. Er hatte sich in einen Fauteuil zurückgelehnt und rauchte Cigaretten. Durch 123 die blauen Wölkchen hindurch beobachtete er ihr hausmütterliches Walten. – Auf ihren Wangen lag ein rosiger Schein, und in ihren Augen flimmerte es wie der Abglanz geahnten Glückes.

Er fühlte sich so froh und doch so beklommen, er hätte aufspringen und sie in seine Arme schließen mögen, bloß um die Last von seiner Seele abzuwälzen.

Sie sprach wenig – ein jeder schien mit seinen Gedanken beschäftigt.

Gegen elf Uhr erhob sich auf der Straße ein Lärmen, – der Schein dampfender Fackeln warf glührote Lichter durch das Fenster.

Ein Maskenzug, den eine Privatgesellschaft als Vorgeschmack nahender Karnevalsfreuden unternommen hatte, wälzte sich die Straße entlang.

Sie öffnete die Glasthür, und beide traten auf den Balkon hinaus, auf dem Granatbäume in voller Blüte standen. – Es war eine weiche, warme Nacht, wie bei uns im Frühling. Die Sterne flimmerten, und über dem Meere lag ein unbestimmtes Leuchten.

Als das Gewühl mit Pfeifen, Johlen und Gelächter zu ihren Füßen vorüberflutete, fühlte er, wie ihr Arm sich beinahe ängstlich in den seinen legte.

»Stehen wir hier nicht wie auf einem einsamen Felsen mitten im Meer?« flüsterte er ihr zu.

Sie nickte und schmiegte sich leise an ihn.

»Und müssen doch einander fremd bleiben,« fuhr er fort.

Sie antwortete nicht und neigte ihren Kopf hernieder, um ihn in den rosigen Blumenschwall zu tauchen. – Er fühlte, wie sie zitterte.

124 »Hedwig!« sagte er leise.

Sie schrak zusammen. Es war das erste Mal, daß er ihren Vornamen aussprach.

»Hedwig!«

»Was wollen Sie von mir?«

»Hedwig – mir ist das Herz so voll. – Ich muß Ihnen danken, muß Ihnen Liebes sagen . . . Was wär' ich ohne Sie? Alles, was ich bin, haben Sie aus mir gemacht . . . Hedwig, ich ertrag' es nicht mehr, mit klopfender Brust steif und kalt neben Ihnen zu stehen. Ich muß mir Luft machen, muß Ihnen sagen . . .«

»O mein Gott,« hauchte sie, die Hände vors Gesicht schlagend. Dann floh sie rasch in das Zimmer zurück und warf sich in einen Sessel.

Er folgte ihr und ergriff ihre beiden Hände.

Sie atmete schwer.

»Lassen Sie uns vernünftig reden, mein Freund,« sagte sie dann, sich mühsam emporrichtend. »Setzen Sie sich dorthin und – hören Sie mir zu.« Er gehorchte mechanisch. »Warum kann es nicht zwischen uns bleiben, wie es bisher gewesen? . . . War es nicht gut so? . . . Hatten wir aneinander nicht unser Genügen? . . . Und da ist nun plötzlich eine Wallung über uns gekommen, die uns undankbar macht gegen all das Glück, das wir uns bisher geschenkt . . . Wir dürfen ihr nicht nachgeben. Sie würde uns – mich wenigstens – ins Unglück stürzen. Sehen Sie, vor kurzer Zeit sagten Sie mir, ich sei Ihr ein und alles. – Ich fühl' es wohl, in gewissem Sinne bin ich's, und dieses Gefühl macht mich stolz und glücklich; aber von dem Tage an, da wir Liebe ernten wollen, wo wir 125 Freundschaft säten, von dem Tage an ist der Zauber gebrochen, der uns so lange fesselte. Bis dahin war ich Ihr ein und alles, dann werd' ich – – – eine mehr.«

Er zuckte zusammen. »Welch häßliches Wort!« sagte er tonlos.

»Häßlich vielleicht, aber um so wahrer,« erwiderte sie, mit zitternden Fingern an der Tischdecke zupfend. »Wir dürfen uns keiner Selbsttäuschung hingeben. Diese Stunde entscheidet über unsere Zukunft. Noch liegt es in unserer Hand, welchen Weg wir einschlagen wollen. Sie wissen ja, daß – ich – Sie lieb habe – und – – – einsam bin; drum haben Sie Mitleid mit mir, schonen Sie mich – ich möchte in Ihrem Leben gern so viel bleiben, wie ich bisher gewesen.«

»Sie sollen ja mehr darin werden, nicht weniger!« rief er, die Hände auf seiner Stirn faltend, »ganz will ich mich Ihnen ergeben mit meiner Kunst, meinem Leib, meiner Seele. – Ich will Frieden haben, vor der Welt außer mir, und den Leidenschaften in mir – und wo könnt' ich den wohl finden als bei Ihnen?«

Sie atmete tief auf wie in erwachender Hoffnung. – Heiß hing ihr Blick an dem seinen.

In diesem Augenblick meldete der Zeiger die zwölfte Stunde.

»Noch wenige Minuten,« sagte er fortfahrend, »und das Jahr ist vorüber – ein neues kommt – soll es ewig ein und dasselbe bleiben in nichtigem Treiben für mich – in kummervoller Einsamkeit für Sie? – Vor uns liegt das Dunkel, und in ihm lauernd, wie ein gefräßiges Ungetüm, das Grab!«

126 Sie erschauderte.

»Es hält uns ja doch bald in seinen Klauen,« fuhr er fort; »warum sollen wir zweifeln und zaudern – es ist ja doch alles gleich – im Hintergrunde steht das Nichts. Drum lassen Sie uns glücklich sein im Rausch des Lebens, solang es Zeit ist.«

Die Uhr schlug zwölf . . .

Jeder Schlag war wie der Flügelschlag einer irrenden, einsamen Seele.

Weinend sank sie an seine Brust . . .


Ein Jahr später saß Frau Hedwig um dieselbe Stunde in demselben Gemach – doch diesmal allein . . . Er hatte schon zu Weihnachten kommen wollen, hatte es aber aufgeschoben bis zu Neujahr. Auch heute war er nicht eingetroffen; statt seiner kam ein Brief, den sie seit Stunden unablässig studierte.

Sie war sehr gealtert, mußte viel gelitten haben; um ihren Mund zuckte ein hartes, bitteres Lächeln.

Auf ihren Wangen entbrannten die Flammen des Todes, derweil sie auf die Worte niederstarrte.

Worte voll hohler Zärtlichkeit, der Verlegenheit abgerungen.

Sie sank vor dem Sessel nieder, auf derselben Stelle, auf der er damals gekniet, ein gequältes, zu Tode gedemütigtes Weib, und während sie den Kopf in den Polstern verbarg, murmelte sie: »Eine mehr.« – – –

* * *

127 Warum sehen Sie mich so traurig an, teuerste Frau? Was geht die Geschichte uns an? – – –

Erstens bin ich kein Genie, zweitens haben Sie kein Talent zum Verlassenwerden, und drittens bleiben wir auch im neuen Jahre die alten Freunde. 128

 


 


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