Hermann Sudermann
Im Zwielicht
Hermann Sudermann

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Sie lächelt.

Sie täuschen mich nicht, liebe Freundin, Sie haben Kummer gehabt. Sagt es mir nicht das Zucken, das um Ihre Mundwinkel spielt? Les' ich es nicht in Ihren geröteten Augen?

Sie haben Chloral genommen, sagen Sie mir. – Das gibt rote Augen, da haben Sie recht. – Aber was brauchen Sie Chloral zu nehmen, Sie, die Sie sich sonst stets Ihres gesunden Schlafes rühmten?

Sie sind erkannt, also zwingen Sie sich lieber nicht, mir ein heiteres Gesicht zu machen.

Man muß sich nicht gehen lassen, sagen Sie. Ist das nun hübsch von Ihnen? Warum werfen Sie einen alten Freund, wie mich, zu dem großen Haufen der Fremden, dem man sich nur im Paradeanzug zeigt? Und nun versuchen Sie gar zu lächeln? Um des Himmels willen, wischen Sie dieses Lächeln fort, es schneidet mir in die Seele! – Sagen Sie mir ja nicht, das wäre ein Lächeln der Selbstbeherrschung, denn das hab' ich schon lange auf dem Strich. –

80 Fern sei es von mir, mich an dem Heroismus zu vergreifen, der ein freundlich Gesicht macht, um ein geliebtes Wesen über Schmerz und Elend hinwegzutäuschen, fern sei es von mir, der Verzweiflung zu spotten, die nächtlich in die Kissen hineinschluchzt, um der Morgensonne ein sonniges Antlitz zu zeigen. Wogegen ich mich wende, das ist die Selbstbeherrschung um der leeren Form willen, die das Empfinden versteckt, weil es als unhöflich gilt, Temperament zu haben; die auf Socken einherschleicht, weil der harte Tritt die Nerven irgend eines Schwächlings verletzen könnte; welche Wonne und Weh, Sehnsucht und Ekel unter demselben hohlen, nichtssagenden Lächeln versteckt. O, wie ich dieses Lächeln hasse!

Denken Sie, wir wären in einer großen Gesellschaft und machten von einem stillen Winkel aus unsere Kulturstudien. Eine Gestalt nach der anderen zieht vorüber. Was da aus dem nackten Busen emporsteigt, was sich in den hohen Halskragen hineinwürgt, sind das Menschengesichter? Nein! Larven sind es, gesellschaftliche Larven, alle mit derselben glitzernden Wachsschicht eines öden, seelenlosen Lächelns überzogen, Larven, die man auf der Treppe vorbindet und wieder ablegt, wenn man unten im Wagen sitzt.

Und unter diesen Larven nagt der Gram, wühlt der Aerger, lacht die Liebe, rast die Leidenschaft. So glauben wir wenigstens. Es sind ja Menschen wie wir, und auch wir haben die Larve vors Gesicht gebunden, weil's der »gute Ton« so will.

Da lob' ich mir das Bauernvolk im Hinterwald, im Hochgebirge. Das prügelt sich, das schimpft sich, das küßt 81 sich, das sticht mit Messern um sich und ist so roh wie möglich, aber es schluckt nichts in sich hinein und ertötet nichts in seinem Busen; es kann sich ausleben, und das hat seinen großen Vorteil! Wenn es wahr ist, daß das Glück auf der ungestörten Entfaltung der Persönlichkeit beruht, so ist dort der Hochsitz irdischer Glückseligkeit!

Ich weiß wohl, das ist paradox; auch dort ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Aber dieser fatale gesellschaftliche Schnürleib läßt das Blut in den Adern ebben, bis unser ganzes inneres Leben stagniert und der stolze Strom der Leidenschaft zum parfümierten Sumpfe wird. – Sehen Sie, das ist die Strafe! Das Lächeln der Selbstbeherrschung wird zum Lächeln der Lüge, und diese Lüge zehrt so lange an unserem Wesen, bis nichts mehr an uns ist, um dessen willen es sich zu lügen lohnte, bis alles hohl und schal und eitel ist – – –

Lassen Sie mich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die Ihnen zeigen wird, woher der wütige Groll stammt, den ich soeben an Ihnen, unschuldiges Lamm und teure Freundin, ausgelassen habe.

Sie wissen, glaub' ich, daß ich früher einmal Lehrer war. Mädchenlehrer? fragen Sie. Mit Vorliebe, Sie Spötterin!

Es sind etwa sechs Jahre her, da erhielt ich den ehrenvollen Ruf, der einzigen Tochter eines angesehenen Finanzmannes – mehrfacher Millionär, glaub' ich – Unterricht zu erteilen. Worin, das war nicht recht ausgemacht, jedenfalls aber sollten Geschichte der Philosophie, Aesthetik, Kunstgeschichte, Mythologie, Litteratur, Stilistik und Rhetorik zu den vorerst in Angriff zu nehmenden Disziplinen gehören. 82 Sie finden das ein bißchen reichlich, ich fand dasselbe; aber als ich der gnädigen Frau meine darauf bezüglichen Bedenken aussprach, beruhigte sie mich, indem sie meinte, es käme nicht so darauf an, den Inhalt dieser Gebiete zu erschöpfen, als vielmehr »den Geist des jungen, blumengleichen Geschöpfes zu bereichern«. Ich verstand vollkommen. Meine Aufgabe war: praktische Anleitung zum Geistreichsein.

Die Mutter war, wie Sie hieraus schon ahnen, eine oberflächliche, kokette Gesellschaftsdame, der Vater ein trockener Geschäftsmann, die Tochter ein hochmütiges, reserviertes Goldprinzeßchen, noch ziemlich dürftig an Gestalt, aber bereits vollgestopft mit dem Dünkel und der Unduldsamkeit der gefeierten Löwin. Anfangs beliebte sie, mich wie eine Art Bediensteten über die Achsel anzusehen; erst einige Spöttereien meinerseits – Backfische zähmt man bekanntlich nur durch Spott – bewogen sie, sich etwas mehr in acht zu nehmen. Immerhin hatte ich meine liebe Not mit ihr. Mit Ausnahme des Französischen, das sie schnatterte wie ein Papagei, hatte sie so gut wie gar nichts gelernt. Und dazu war sie von einer wahrhaft naiven Trägheit; was ihr nicht anflog, existierte nicht für sie.

Sie war arm an Gedanken und schien auch arm an Empfindungen; wenigstens bemerkte ich nicht, daß ihr bleiches, hageres Gesicht den gewöhnlichen Ausdruck der Müdigkeit und Blasiertheit jemals verlor. Die Erziehungsmethode der Mutter gipfelte in dem Bestreben, ihrer Tochter ein liebenswürdiges Lächeln beizubringen.

»Ines, mein Kind, was sollen die düsteren Schatten auf deiner Stirn? Ines, durch Freundlichkeit gewinnt man 83 die Neigung der Menschen. Ines, ich wünsche, daß du lächelst!«

Und Ines zuckte die Achseln und lächelte. Anstatt dem jungen Wesen Liebe und Lebensfreudigkeit ins Herz zu gießen, verlangte man nichts weiter, als trügerischen Sonnenschein auf seinem Angesicht zu sehen.

Was mich trotz ihrer unangenehmen Seiten zu meiner Schülerin hinzog, war die vollendete Abgeschlossenheit, in der sie dahinlebte. – Sie war vereinsamt, vielleicht, ohne es selber zu wissen, und da mein Glaube, daß alle Fünfzehnjährigen ein reiches Seelenleben führen müssen, nun einmal feststand, so beschloß ich, ihrem Wesen auf den Grund zu gehen, um zu erfahren, ob darin nicht manches schlummere, was des Erwachens wert wäre.

Ich wählte ein Gewaltmittel, das mir in ähnlichen Fällen noch stets geholfen: ich las ihr Heines »Buch der Lieder« vor.

Daran knüpfte ich etliche Erörterungen über die Liebe und den »großen Schmerz« im allgemeinen, und siehe da! mein Mittel wirkte. Ihr Auge begann zu leuchten, ihre Züge gewannen Leben, und mit hochroten Wangen gestand sie mir, daß beide, die Liebe wie der große Schmerz, ihr nicht fremd wären, und daß sie ein Tagebuch führe, in welches u. s. w.

Nun hatte ich den scheuen Vogel gefangen. Sie gewann Vertrauen zu mir, ja, sie that noch ein Uebriges – sie verliebte sich in mich. Interessant war es zu beobachten, wie sie diese ihre Gefühle zu erkennen gab: sie stützte ihr Gesicht in beide Arme, so daß die Aermel bis über die 84 Ellenbogen zurückfielen, schlug möglichst langsam die Lider auf und starrte mich mit verschwommenen Blicken an. Wenn ich dann verweisend sagte: »Ines, träumen Sie nicht,« seufzte sie so geräuschvoll wie möglich und las oder schrieb gemütlich weiter.

Sie lernte nun so fleißig und gab sich so rückhaltlos meiner Leitung hin, daß ich hoffen durfte, durch meinen Einfluß die Fehler ihrer verschrobenen Erziehung zu paralysieren. Ich lehrte sie, daß die Elenden, die zerlumpt und barfuß einhergehen, nach denselben Gesetzen denken und fühlen wie die Fürsten und die Millionäre, und daß man daher alle Menschen mit gleicher Liebe ins Herz schließen und niemand verachten müsse. Das war ihr etwas Neues, Unerhörtes. – Auch gegen die innere Verlogenheit der gesellschaftlichen Formen zog ich zu Felde. Einmal gab ich ihr ein Aufsatzthema, welches lautete »Das Lächeln«. Sie wußte nicht, was damit anfangen; erst als ich ihr – mit mehr Wärme, als vielleicht nötig gewesen wäre – meine Meinung kundgab, da leuchtete es in ihrem Auge auf, als hätt' ich ihr innerstes Empfinden getroffen. In ihrer Arbeit fand ich hernach meine Gedanken mit einer Leidenschaftlichkeit wiedergegeben, die mich in Erstaunen setzte. Die Schlußworte darin lauteten: »Das Hohe und Edle im Menschen, sein Stolz, sein Glück, seine Liebe, alles erstirbt allgemach, wenn das Lächeln auf seinen Lippen das Lächeln der Lüge ist.«

Das war alles ganz gut und schön, aber – es brach mir den Hals.

Zwei Tage, nachdem ich Ines den Aufsatz mit dem Prädikat »Gut« zurückgegeben hatte, erhielt ich einen 85 eingeschriebenen Brief, worin die gnädige Frau mir mitteilte, daß sie sich, wegen mangelnder Uebereinstimmung der Ansichten, genötigt sehe, mich zu entlassen.

* * *

Jahre waren vergangen. Ich hatte meine Schülerin nicht wiedergesehen, bis mich vor einiger Zeit das Schicksal ganz unverhofft mit ihr zusammenführte. Es war bei einem Diner im Hause des Herrn L . . .

»Kommen Sie, ich will Sie zu Ihrer Dame führen,« sagte der Hausherr, mich am Arm ergreifend. »Frau Kommerzienrat Z . . ., Sie kennen sie ja.«

»Habe nicht den Vorzug.«

»Ach, Unsinn! Sie sind ja ihr Lehrer gewesen, sie hat's mir selber erzählt.«

Verwundert horchte ich auf – da sah ich sie auch bereits. Tief in einen Fauteuil zurückgelehnt, spielte sie mit den Elfenbeinstäben ihres Fächers. Eine üppige, schlanke Gestalt – ein volles, bleiches, leider zu stark gepudertes Gesicht, große, schwarze, müde blickende Augen, eine blendende Büste – wahrlich, ein schönes Weib!

Nun wurde sie meiner gewahr. Ein prüfender Blick überflog meine Gestalt, – wahrscheinlich wollte sie sehen, ob der ehemalige Präzeptor inzwischen salonfähig geworden, dann streckte sie mir mit nachlässiger Bewegung die Hand entgegen, und dabei flog über ihr Gesicht ein Lächeln, das sich zu dem der Fünfzehnjährigen verhielt wie das Nordlicht zum Frühlingssonnenschein – ein Lächeln, halb höflich, halb gelangweilt, doch so kalt und trostlos, daß mich ein Frösteln überlief.

86 Wir wechselten ein paar gleichgültige Worte: Wie ist's so lang gegangen? und dergleichen, dann kam das Signal zur Tafel, und ich führte sie auf unsere Plätze.

Sie trank rasch hintereinander ein paar Gläser Rotwein. – Der Ton unseres Gesprächs wurde heiter und ungezwungen, wie es sich für zwei so alte Bekannte geziemte. Sie gestand mir nachträglich ihre damalige Liebe und spöttelte weidlich darüber.

Ich lenkte das Gespräch allgemach auf die Gegenwart.

»Und, gnädige Frau, als alter Freund, der an Ihrem Geschicke regen Anteil nimmt, darf ich wohl fragen: sind Sie glücklich?«

»Glücklich? O ja!« Da war das fatale Lächeln wieder! Wie zwei kleine Schlangen ringelten sich die Fältchen um ihre Mundwinkel.

»Ihr Gatte? Wo ist er? Ich konnte ihm leider nicht mehr vorgestellt werden.«

»Der mir drüben zunickt.« Sie erhob ihr Glas und nickte mehrmals zu einem Herrn hinüber, der am anderen Ende der Tafel saß. Ein fahles, abgelebtes Gesicht, zwinkernde kleine Augen, ein halb ergrauter Spitzbart – ich wußte genug.

»Und wann haben Sie ihn kennen und lieben lernen?«

»Lieben lernen?« erwiderte sie in eigentümlich gedehntem Tone.

»Will sie dir Konfidenzen machen?« dachte ich in meinem Sinne; sie aber fuhr fort:

»Als mein Gatte um mich warb, war ich über die 87 thörichten Träume lange hinaus. Ich verschwieg ihm keineswegs, daß ich ihm Liebe nicht zu bieten hätte.«

»Und er?«

»Nun – er ging eben drauf ein.«

»Das mein' ich nicht. Er liebt Sie doch?«

»O nein!« – – Und sie lächelte. Die Schlänglein spielten.

»Dieses Weib ist elend, namenlos elend,« sagte ich mir.

»Sie sind so höflich, mich ungläubig anzusehen,« fuhr sie fort. »Ich täusche mich nicht. Er gab mir selbst die unwiderleglichsten Beweise. Vierzehn Tage nach der Hochzeit – Sie sind ja ein alter Freund, und ich brauche Ihnen nichts zu verschweigen – überraschte ich ihn, als er in meinem Boudoir einer meiner Freundinnen – sie sitzt nicht fern von hier – das Geständnis machte, er habe mich nur geheiratet, um in ihre Nähe zu kommen. Er wird dasselbe vermutlich auch anderen Freundinnen gesagt haben.«

»Und was thaten Sie?«

Sie zuckte die Achseln. »Mir ist nichts so widerwärtig, wie ein Skandal. Was konnte ich Besseres thun? Ich lächelte.«

In diesem Augenblicke rief eine Dame zu ihr herüber: »Ines, hast du deine Sendung von Worth schon erhalten?«

Sie wandte sich sofort zu der Sprecherin hin und schien ganz bei der Sache.

Ich starrte derweilen halb gedankenlos nach ihrem weißen Halse hin und sah zu, wie der Puder in kleinen Schüppchen sich loslöste und auf Busen und Nacken hinunterstäubte, 88 Da stieß mich mein Nachbar zur Linken an, ein bekannter Spötter und Lebemann, den ich flüchtig kannte.

»Sie sind ein Glückspilz,« raunte er nur zu. »Die schöne Frau Ines macht Ihnen ja Avancen.«

»Wie kommen Sie darauf?« erwiderte ich ziemlich unwirsch.

»Nun –, erzählte sie Ihnen nicht die rührende Geschichte von dem Verrate ihres Mannes, vierzehn Tage nach der Hochzeit? Das thut sie allemal, wenn sie jemand zu fesseln sucht.«

Ich hatte eine scharfe Antwort auf der Zunge; da drehte sie sich wieder zu mir um und sagte im gleichgültigsten Konversationstone:

»Wovon sprachen wir doch eben?«

Und da wir beide nicht darauf kamen, so vertieften wir uns in ein Gespräch über die Inscenierung des »Richters von Zalamea« im »Deutschen Theater«.


Nach der Tafel zog ich mich in das stille Rauchzimmer zurück, hüllte mich in die Wolken einer Bock und dachte in ziemlich trübseliger Stimmung über das eben Gesehene und Gehörte nach.

Nein, dieses Weib war nicht elend. In ihr war jedes Gefühl ertötet; verstand sie doch sogar, mit dem eigenen Unglück zu kokettieren!

Oder irrte ich mich doch? Hatte sie Komödie mit mir gespielt, um mich über ihren wahren Seelenzustand zu täuschen?

Es litt mich nicht länger an meinem Platze. Ich warf die Cigarre fort und kehrte zur Gesellschaft zurück, um sie 89 zu suchen. – Nirgends eine Spur von ihr; da endlich, wie ich den halbdunklen Wintergarten betrete, seh' ich sie, von einer breitblätterigen Musa beschattet, malerisch in einem Sessel liegen. Sie ist nicht allein! An ihre Schulter lehnt sich vertraulich Paul X . . ., der gefürchtete Roué; das Faunsgesicht dicht an ihrem Ohr, flüstert er ihr leise eindringliche Worte zu.

Und sie? Sie lächelt. 90

 


 


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