Hermann Sudermann
Im Zwielicht
Hermann Sudermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das römische Bad.

Wie? Man hat Sie verlästert, ärmste Frau? . . . Was hat man denn gesagt? Sie seien mit einem Herrn im Theater gewesen? Sie haben ihm erlaubt, Sie in Ihrem Wagen heimzugeleiten? . . . Aber, ich bitte Sie, hat man denn nicht recht? . . . Wenn ich nicht irre, war ich selber jener Herr . . . Wollen Sie Ihren teuern Freundinnen verwehren, Blutzeugen der Wahrheit zu sein? . . .

Die pikanten Schlußfolgerungen sind es, die Sie empören? – Sagen Sie mir eine einzige Harmlosigkeit auf der Welt, aus welcher man nicht pikante Schlüsse zöge, und ich will mich Ihrer Empörung anschließen . . .

Vorgestern, als wir bei Z.'s zusammen waren, erlaubte ich mir beim Abschiede die gewiß unverdächtige Bemerkung, daß Sie ein wenig blaß aussähen, und daß ein Spaziergang im Tiergarten zur Mittagszeit Ihnen gut thun würde. Frau Meyer beobachtete uns, und wenn ich auch das verständnisinnige Lächeln, das auf dem Antlitz dieser Dame erblühte, nicht bemerkt hätte, so würde ich doch darauf 64 schwören können, daß sie heute erzählt, wir hätten heimlich ein Rendezvous verabredet . . . Daß ich, wie wir miteinander stehen, einfach hätte sagen können: wissen Sie was? ich werde Sie abholen kommen; daß ich Sie überdies zu jeder Tagesstunde in vollendeter Einsamkeit zwischen Ihren vier Pfählen genießen kann – notabene, wenn Sie mich empfangen wollen, – daran denkt man nicht.

Bitte, bitte, ereifern Sie sich nicht! Ob wir in Berlin oder in Abdera wohnen? fragen Sie. Ob wir den Staub des Schildbürgertums niemals von unseren Füßen schütteln können? – Nein, das können wir nicht. Abderiten bleiben wir, oder vielmehr, wir werden es in dem Augenblicke, in welchem wir das Einladungskärtchen, das uns Herr und Frau Meyer übersenden, nicht abweisen und dasselbe etliche Wochen später durch ein ähnliches erwidern. – Dadurch räumen wir Herrn Meyer – und noch mehr der Frau Meyer – also Leuten, die uns nie etwas angingen und nie etwas angehen werden – das Recht ein, über unseren Handlungen zu Gericht zu sitzen. Wir werden Sklaven des Hauses Meyer.

Freilich, auch Demokrit war ja ein Bürger von Abdera; aber wie ich Demokrit kenne, hat er sich ein Halbhundert Formulare lithographieren lassen, worin in den schönst geschweiften Lettern geschrieben stand, daß er zu seinem unendlichen Leidwesen verhindert sei, der an ihn gütigst ergangenen Einladung zum – das Datum wird später ausgefüllt – Folge zu leisten, – auf gut Griechisch: »Bleibt mir drei Schritt vom Leibe!«

Sie haben recht, das darf sich nur Demokrit erlauben; wir anderen aber stürzen uns kopfüber in jene 65 Heuchel- und Lästeranstalt, die man Gesellschaft nennt, sie, die unsere Talente erstickt, unseren Charakter verflacht und – wenn sie's gut mit uns meint – unsere Eitelkeit großpäppelt.

Eine solche Gesellschaft, ob sie in Berlin oder in Inowrazlaw sich bildet, ist ihrer Natur nach kleinstädtisch angelegt, und nur die Erscheinungsformen dieser Kleinstädterei sind hier und dort verschieden.

Ob Frau Meyer sich hier nußgroße Brillanten in die Ohren hängt, ob sie sich dort mit der Brosche schmückt, die sie als Zugabe zu einem illustrierten Familienjournal erhalten hat, ob sie ihre Freundinnen zu einem »five o'clock tea« oder zum Kaffee mit frischen Waffeln bei sich sieht, ob die Spitzen der Litteratur und der Kunst oder ein paar zitternde Referendare mit benzinduftigen Handschuhen bei ihr verkehren, ob sie über Schopenhauer und Guy de Maupassant oder über die Marlitt und Gregor Samarow zu schwatzen weiß, es bleibt sich alles ganz egal: der Geist, der in dieser Frau lebt, ist hier und dort der gleiche; sie versteht nie und nimmer von ihrer werten Persönlichkeit zu abstrahieren, urteilt stets aus der Enge ihrer zufälligen Erfahrungen heraus und ordnet sich willig jeder Willkürordnung unter, die gerade an der Mode ist.

Der geistige Horizont sei hier und dort ein verschiedener, sagen Sie. Ganz recht. Doch was hilft unserer Frau Meyer – ich meine der großstädtischen – die Weite ihres Horizontes, wenn ihr Auge nur die Fähigkeit besitzt, das Farbenschreiende, das kleinlich sich Vordrängende, das zufällig in den Weg Geworfene zu erkennen, für alles übrige aber mit Blindheit geschlagen ist?

66 Sie steht dicht an dem Strom der Weltgeschichte. Ganz recht. Aber was schöpft sie daraus? – Anekdoten!

Sie trinkt an den ersten Quellen litterarischen und künstlerischen Schaffens. – Ganz recht. – Aber was thut sie in den Premièren, den Ausstellungen, die sie nie versäumt? Sie stellt sich selber aus.

Sie steht im Verkehr mit den bedeutendsten Männern der Zeit. . . . Ganz recht. – Aber als was betrachtet sie sie? Als Salonzierden. Sie kennt ihre kleinen Schwächen ganz genau, sie hat beobachtet, mit welcher Eitelkeit jener geniale Maler vor dem Spiegel seine Krawatte zurechtrückte, sie weiß zu erzählen, wie dieser greise Gelehrte, dessen Ruhm die Welt durchhallt, nach dem Champagner ein heimliches Schläfchen machte, sie hat all' die gepfefferten Frivolitäten aufgefangen, welche jener sinnig zarte Poet in Weinlaune um sich streute. Da lob' ich mir mein kleines Cousinchen in der Provinz. Die kennt all' diese Herren von besserer Seite. Sie hat das große Bild des Malers in einem schönen Holzschnitt bewundert, sie hat das Schaffen des Gelehrten nach einer guten Biographie ihres Journals ahnen gelernt, sie hat den Poeten in seinen keuschesten Empfindungen belauscht.

Aber das hat ja Frau Meyer alles auch, sagen Sie. O noch mehr, viel mehr! Das Original jenes Holzschnittes hängt in ihrem eigenen Salon, und über die Bücher des Gelehrten und des Dichters kann sie selber Bücher reden – aber nur, um zum Schlusse hinzuzufügen: »Und der das geschaffen, ist mein Freund. – Beweis: Mein letztes Diner.«

67 Ja, unsere Frau Meyer ist eine echte, rechte Schildbürgerin. Sie sieht trotz ihres weiten Horizontes nicht über ihre Nase hinweg, ihr Geist ist ein Speicher pikanter Histörchen, ihr Herz ein Altar der Gnade, doch ihre Zunge ein Guillotinemesser.

Sie lachen. . . . Nein, nein, ich spreche im Ernst. – Meine These ist: »Wo Geselligkeit herrscht, da ist auch Abdera!« Denken wir uns drei, vier, fünf, sechs solcher Frau Meyer, die zwischen dem Leipziger Platz und dem botanischen Garten wohnen, zu einem geselligen Kreise vereint, so entsteht eine Kleinstadt in optima forma; ein Kirchturmgeist schwebt darüber, der wert wäre, der Genius der Tucheler Heide zu sein.

Aber eines haben wir Abderiten der Großstadt vor denen des Provinznestes voraus. Wir können uns unsere Kreise wählen, und wenn uns der eine nicht mehr gefällt, siedeln wir in einen anderen über. Auch ist die Kontrolle, mit der man uns beglückt, nicht gar so scharf, die Schlinge, welche uns die guten Freunde um den Hals legen, kann nicht so enge zugezogen werden. Frau Meyer hat mehr mit ihrer Toilette, ihren Vergnügungen zu thun, als ihre Namensschwester in der Kleinstadt, auch arbeitet ihre Zunge nicht gar so unbarmherzig, weil, weil – – ja, wie drück' ich das aus? – weil gestern ein kleines, zierliches Billet durch einen eiligen Boten abgegeben wurde, zu einer Stunde, da Herr Meyer . . . na, kurz und gut, sie kennt Momente der Milde, weil sie sich von den Grazien noch nicht verlassen fühlt.

Aber Frau Meyer in der Kleinstadt! Vor der gibt es kein Entrinnen! Tugend und Borniertheit, das sind 68 die beiden Reiser, aus denen sie ihre Megärengeißel zusammenflicht. . . . Von den Zuständen, die da herrschen, können Sie sich wohl kaum eine Vorstellung machen, und damit Sie sich ein wenig trösten, will ich Ihnen eine kleine lustige Geschichte erzählen, die viel zu unglaublich ist, als daß sie erfunden sein könnte. – Hören Sie zu:

Dablowo ist ein kleines Nest irgendwo im Osten und besitzt eine Kirche, ein Rentamt, drei Kaufläden, die zugleich Branntweinschenken sind, und einen gemeinsamen Platz zum Wäschetrocknen.

Auf dem Kirchturme steht ein einbeiniger Wetterhahn, vor dem Rentamt ist das Treppengeländer abgerissen, in den Schaufenstern der Läden paradieren je zwei urnenartige Glasgefäße mit Fruchtbonbons und Lakritzenholz – in einem sogar ein staubiger Zuckerhut mit einer Guirlande von Kalkpfeifen ringsum – und auf dem Trockenplatz wurde im Winter vor zwei Jahren ein erfrorener Handwerksbursch gefunden. – Mehr an Dablowoer Merkwürdigkeiten aufzuzählen, würde mir schwer fallen.

Die Honoratioren bestehen aus dem Pfarrer, dem Rentmeister, dem Amtsrichter und zweien der Gastwirte, – der dritte wurde wegen seiner geheimen Leidenschaft fürs Pferdestehlen in Acht und Bann gethan – und seitdem Dablowo Eisenbahn erhalten hat, kamen noch dazu der Stationsvorsteher und der Bahnmeister.

Diese Honoratioren waren einig darin, daß sie als die edelste Blüte der Menschheit geschaffen worden, und daß jenseits des Gemeindewaldes die eigentliche Welt aufhöre. Der Pfarrer seinerseits, ein kleines vertrocknetes Männlein, 69 mit einer Tabaksnase und der Stimme eines weinenden Kindes, hielt alles, was außerhalb seines Kirchspiels gelegen war, für einen ungeheuren, schwarzen Sündenpfuhl und hatte außerdem nur noch eine Ueberzeugung, nämlich, daß Homer die Präpositionen seiner Sprache nur deshalb in Anwendung gebracht habe, damit er, der Pfarrer Lewenthan, dreitausend Jahre später einen Kommentar dazu schreibe.

Seine Gattin war eine Eingeborene von Dablowo, die er sich vor fünfunddreißig Jahren heimgeholt hatte. Sie besaß eine eigentümliche Art, mit dem Schürzenzipfel unter der Nase vorbeizuwischen und dabei die dümmsten Fragen zu thun. Ihr schönster Charakterzug war das Himbeergelee, von dem sie im Spätsommer ihren Freundinnen je ein Töpfchen zu verehren pflegte.

Sie hatte eine Cousine, Fräulein Leontine Wisotzky, eine Jungfrau jenseits der Dreißiger, welche Putz machte und eine Leihbibliothek hielt. Sie behauptete stets, die neuesten litterarischen Erscheinungen auf Lager zu haben und nach den neuesten Pariser Modellen zu arbeiten. Letzteres konnte die Dablowoer Damenwelt aus naheliegenden Gründen nicht kontrollieren; aber wenn die Mode mit der litterarischen Produktion gleichen Schritt hielt, so mußte sie seit dem Jahre 1837 still gestanden haben – aus diesem Jahre nämlich stammte das Nesthäkchen ihrer Bibliothek, die neueste Ausgabe von Karoline Pichlers ausgewählten Romanen. Diese alte Schachtel – ich meine nicht Karoline Pichler; gegen Kolleginnen soll man höflich sein – hatte die gefährlichste Zunge in dem ganzen Neste. Sie sagte ihren Freundinnen alle nur denkbaren Schandthaten nach, 70 besaß aber nichtsdestoweniger das Privileg, bei ihnen der Reihe nach Abendbrot zu essen. – Um sich an den Nichtswürdigkeiten der anderen zu weiden, gab man sich selber gutwillig preis, denn man wußte wohl, daß Fräulein Leontine zu viel Gerechtigkeitssinn besaß, um Ausnahmen zu machen.

Fräulein Leontine war es auch, welche höchlich gemißbilligt hatte, daß der Amtsrichter Krause, ein behäbiger, breitschulteriger Junggeselle, der den Eindruck machte, als müßte man ihm ein Stücklein Seife schenken, sich plötzlich einer Jugendliebe erinnerte, die er vor so und so viel Jahren in der Universitätsstadt besessen hatte, rasch einen vierwöchentlichen Urlaub nahm und nach Ablauf dieser Frist mit einem hübschen, runden Weibchen heimkam, welches zwar nicht seine Jugendgeliebte, aber doch wenigstens deren Tochter war. Man bleibt gern in der Verwandtschaft.

Es zeugt für den schönen Charakter von Fräulein Leontine, daß sie sofort ihre eigenen Träume zu Grabe trug und der jungen Frau ihre glühendste Freundschaft entgegenbrachte. »Denn Jugend muß zusammenhalten,« sagte sie.

Frau Käthe, ein lebenslustig-harmloses Weltkind, fühlte sich nicht wenig einsam in dem traurigen Neste, und da die Hauptstadt der Provinz mit der Bahn in wenigen Stunden zu erreichen war, so schlüpfte sie in der ersten Zeit ihrer Ehe gar manches Mal auf eine Stippvisite zu ihrer Mutter hinüber.

Herr Krause fand alsdann niemand, der ihm abends die Pantoffeln brachte und zwei Stunden später das Licht auslöschte – ein Sybaritentum, dem sich sein an 71 Entbehrungen gewöhntes Junggesellenherz nur allzu gern hingab – er fing an, die Besuche seiner Frau mit scheelen Augen anzusehen, und ging schließlich so weit aus seinem Phlegma heraus, um sie ihr ganz zu verbieten. – Frau Käthe war nicht träge im Ersinnen von allerlei Vorwänden, und da nichts fruchten zu wollen schien, schaffte sie sich einen kleinen Schnupfen an, der nur durch ein römisches Bad, wie man es in der Hauptstadt erhielt, beseitigt werden konnte. – Allein ihr Gatte huldigte in der Therapie der entgegengesetzten Ansicht. Er erklärte, daß er ein grundsätzlicher Feind jeglichen Badens sei und nicht dulden werde, daß sie ihre Gesundheit gänzlich ruiniere.

Frau Käthe vergoß bittere Thränen, aber sie fügte sich.

Da geschah es, daß ihr Tyrann aufs Land hinaus mußte, einen Lokaltermin abzuhalten, der voraussichtlich zwei Tage in Anspruch nahm.

Frau Käthe war rasch entschlossen, die Zeit nutzbringend zu verwerten. Kaum war der Wagen ihres Gatten hinter den Pappeln der Chaussee verschwunden, als sie ihren Handkoffer packte und zur Bahn hineilte; denn der Zug kam in der nächsten Viertelstunde vorbei.

Auf dem Perron ging mit Gendarmenschritten Fräulein Leontine auf und nieder. Der Vogel auf ihrem Hute nickte verheißungsvoll, und ihre rotgeäderte Nasenspitze hob und senkte sich leise. Sie hatte die Witterung.

Frau Käthe suchte ihr rasch in ein Coupé zu entschlüpfen, aber sie stürzte ihr nach und klopfte energisch an das Glasfenster.

»Wohin, meine Teuerste, wohin?«

72 »Nach der Stadt,« erwiderte Frau Käthe mit schuldbewußtem Erröten und machte sich im Innern des Coupés zu schaffen.

»Was wollen Sie da? Wie?«

»Ein römisches Bad nehmen – ich habe den Schnupfen,« erwiderte Frau Käthe, der in der Eile keine neue Notlüge einfiel; doch gleichzeitig besann sie sich auf die Kämpfe, die sie mit ihrem Gatten durchgemacht hatte, und ängstlich fügte sie hinzu: »Aber bitte, sagen Sie niemand etwas davon, mein Mann könnte es erfahren und –«

In diesem Augenblick setzte der Zug sich in Bewegung.

Gedankenvoll schaute Fräulein Leontine ihr nach. »Die kleine Person will immer was Apartes haben,« meditierte sie. »Unsereins heilt den Schnupfen, indem er sich eine Flasche Salmiakspiritus unter die Nase hält; sie muß nach der Stadt fahren und – – – was heißt das übrigens, »römisches Bad«? Ich kenne allerhand Bäder, Seebäder, Flußbäder, Eisen-, Salz- und Kamillenbäder, kalte und warme Bäder. Die Rentmeisterin hat ihr Kleines sogar in Rotwein gebadet, obgleich ich das für einen himmelschreienden Luxus halte, aber ein römisches Bad, ein römisches – – –«

Eine Stunde später zerbrach sich ganz Dablowo den Kopf darüber, welche Art von Bad ein römisches Bad wohl sein möge. In der »Preußischen Krone« gerieten zwei Parteien heftig aneinander, von denen die eine Rom für einen Badeort erklärte, während die andere es bestritt.

Endlich fiel ein Licht in diese Finsternis – und welch ein Licht!

73 Fräulein Leontine war nach dem Pfarrhof geeilt und hatte ihrer Cousine das merkwürdige Faktum mitgeteilt. Nach längerem Ratschlagen hatte die Pfarrerin sich in das Studierzimmer ihres Mannes begeben, der heute, wie seit 35 Jahren, Präpositionen ans dem Homer heraussiebte.

Leontine legte das Ohr ans Schlüsselloch und lauschte, aber sie hörte nichts weiter, als eine Menge abgerissener Fremdwörter, die sie nicht verstand. Das war man an dem »überstudierten« Pfarrer so gewohnt. Dann vernahm sie, wie er in ein Lachen ausbrach und mit seiner weinerlichen Stimme sagte: »Heute? Warum soll es das heute nicht auch geben? . . . In den großen Städten sind Laster zu Haufe, von denen deine Einfalt – Gott möge sie dir erhalten! – sich nichts träumen läßt. Sie gleichen jenem Gomorrha, welches der Herr in seinem Zorn – – –«

Etliche Minuten später kam die Pfarrerin mit einem dicken Buche in der Hand ins Zimmer zurückgestürzt. Ihr Antlitz war bleich vor Schreck und Entsetzen.

»Jesus, Jesus, wer hätte das von dem jungen Wesen gedacht,« schrie sie, die Hände faltend.

»Was hat sie gethan? Was hat sie gethan?« rief Leontine, und ihre Augen funkelten.

Darauf setzten die Frauen sich nebeneinander auf dem Sofa nieder, flüsterten, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen und studierten eifrig in dem Buche, welches die Pfarrerin aus dem Studierzimmer ihres Mannes mitgebracht hatte. Sodann ließ man sich zur Feier des Tages einen extra starken Kaffee machen und aß Butterzwieback mit Honig dazu, und während man jammernd über die 74 Schlechtigkeit der Welt zu Gericht saß, leckte man sich vergnüglich den Honig von den Lippen.

Eine Stunde später nahm Fräulein Leontine das dicke Buch unter den Arm und machte mit ihm eine Tournee durch den Ort, von der sie innig befriedigt gegen Mitternacht heimkehrte.

Als Frau Käthe folgenden Tags das Coupé verließ, sah sie in einem Winkel des Perrons zwei Mägde stehen, welche kicherten und mit den Fingern auf sie zeigten.

Sie schämte sich und dachte: »das ist die Strafe!«

Eine Weile später sah sie den Rentmeister in seiner Flausjacke mit seinen langen Schmierstiefeln auf sich zukommen. Ein vierschrötiger, aber gutmütiger Geselle, der jammervoll unter dem Pantoffel stand.

Als er sie bemerkte, stellte er sich gegen einen Pappelbaum und wischte sich die Stiefel im Grase des Chausseegrabens ab.

»Guten Morgen, Herr Rentmeister,« rief sie ihm fröhlich zu.

Er hörte nicht.

»Sind Sie heute blind und taub dazu, Herr Rentmeister?« sagte sie und tippte ihn auf den Arm.

Da drehte er sich um, sah sie von oben bis unten an, genau so, wie es seine Frau zu machen pflegte, und ging seiner Wege.

Starr vor Schreck schaute Frau Käthe ihm nach. »Er muß etwas mit meinem Manne vorgehabt haben,« tröstete sie sich, aber das Wasser stand ihr in den Augen.

Gleich darauf sah sie Fräulein Leontine mit der Wirtin 75 der »Preußischen Krone« am Fenster stehen und ihr entgegenschauen.

Sie grüßte freundlich und wollte an sie herantreten, »Guten Tag« zu sagen, aber die beiden Frauen dankten ihr nicht, sondern drehten ihr langsam und verächtlich den Rücken zu.

Ganz betäubt schlich sie nach Hause und brach dort in bittere Thränen aus.

Um Mittagszeit brachte der Hausknecht der »Preußischen Krone« einen versiegelten Brief, der an ihren Gatten adressiert war.

Sie hatte nicht übel Lust, ihn zu öffnen, aber sie bezwang sich und legte ihn auf seinen Schreibtisch.

Gegen vier Uhr abends kam er heim, müde und staubbedeckt. Frau Käthe lag auf dem Sofa und hatte Kopfweh. Vor lauter Gewissensbissen wagte sie kaum, ihm einen Kuß zu geben.

Er öffnete den Brief, und kaum hatte er die ersten Zeilen gelesen, als er in ein zorniges Grunzen ausbrach.

»Käthe, was hast du angerichtet?« Er stand vor ihrem Sofa, wie Othello vor dem Bette Desdemonas, kaum minder schwarz als er.

Da fing sie bitterlich zu schluchzen an und versprach, es nie wieder thun zu wollen.

»Was?«

»In die Stadt fahren, ohne daß du's weißt.«

»Und weiter hast du nichts gethan?«

»Was sollt' ich denn sonst noch gethan haben?«

76 »Hier lies mal.« Er warf ihr den Brief zu. Darin stand:

»Geehrter Herr!

Dem Wunsche des Herrn Rentmeisters und der anderen Herren vom Préférencetisch folgend, muß ich Sie zu meinem größten Leidwesen bitten, mich in Zukunft nicht mehr mit Ihren Besuchen beehren zu wollen. Gleicherweise ist es nach dem, was Ihre Frau Gemahlin gethan, unseren Frauen unmöglich, den Verkehr mit derselben fortzusetzen.

Achtungsvoll

Der Wirt zur ›Preußischen Krone‹.«

Frau Käthe rang die Hände, der Amtsrichter aber ließ sich nicht aus der Fassung bringen, er griff nach seiner Mütze und begab sich direkt in das Gastzimmer.

Dort saßen Wirt und Rentmeister und ein paar andere Gäste in schwerem Ernste bei einander. – Das dicke Buch, das dem Studierzimmer des Pfarrers entstammte, lag mitten unter ihnen.

Der Amtsrichter ließ sich sein Stammseidel geben, als ob nichts geschehen wäre, setzte sich dem verlegen lächelnden Rentmeister gerade gegenüber und sagte:

»Du – was für'n verrücktes Zeug hat deine Frau wieder ausgeheckt?«

»Meine Frau – wie?«

»Was bedeutet denn der Wisch, den mir der Wirt in deinem Auftrage zugeschickt hat?«

»Du weißt also noch nichts?«

»Ne, – ich weiß gar nischt.«

77 »Nimm mal dieses Buch und lies.« – Der Amtsrichter drehte es ein paarmal um seine Achse und fand auf dem Rücken in Goldpressung die ominösen Worte »A – Blitzröhre«.

»Wo das Zeichen liegt,« sagte der Rentmeister.

»Was hat meine Frau mit –«

»Lies nur!«

Die angemerkte Seite enthielt den Artikel »Bad«; darin waren mit Bleistift folgende Zeilen unterstrichen: »Schon die alten Schriftsteller berichten, daß in den römischen Bädern die Frauen mit den Männern zusammen badeten. Dadurch wurden sie bald zu Stätten der Unzucht und der Schwelgerei, in welchen Laster aller Arten heimisch waren. Besonders seitdem Caracalla? – – –«

»Na ja – und?«

»Und der Pfarrer hat gesagt, daß es da heute noch genau so zuginge.«

»Und – und?«

»Und – ja, erfahren mußt du es doch einmal, armer Kerl – deine Frau ist gestern in so einem römischen Bade gewesen.« –

Was sich hierauf ereignete, darüber gehen die Nachrichten auseinander. Gewiß ist nur, daß der Band »A – Blitzröhre« dem Rentmeister an den Kopf flog, gleich wie ein Blitz aus gewitterschwangerem Himmel.

Ein halbes Jahr später wurde der Amtsrichter auf seinen dringenden Wunsch in eine größere Stadt versetzt; dort soll sich auch seine Abneigung gegen das Baden allgemach gelegt haben.

* * *

78 Sie lachen, verehrteste Frau. – Ihr Trübsinn ist verscheucht. Was sagen Sie? Ich hätte wider meine eigene These gesprochen? Sie meinen, weil eine Analogie zwischen unserem geistigen Niveau hier und dem jenes Nestes unmöglich sei?

O – römische Bäder kennt man hier; aber fragen Sie nur Herrn Meyer, was »Idealismus«, fragen Sie nur Frau Meyer, was »Entbehren« ist! 79

 


 


 << zurück weiter >>