Hermann Sudermann
Im Zwielicht
Hermann Sudermann

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La donna è mobile.

Warum sind Sie so entrüstet, liebe Freundin? Ueber das wetterwendische kleine Fräulein, das seit gestern abend in aller Leute Munde ist?

Ich gebe ja zu, am Tage vor der Hochzeit, da Huster bereits den Braten spickte und der Champagner schon auf dem Eise stand, mit einem anderen davonzulaufen, – es ist ein starkes Stück. Aber Philosophen dürfen sich nie ereifern.

Und schließlich – that sie nicht wohl daran, die liebe Kleine?

Ihr Verlobter, freilich, der hat nun das Nachsehen – aber warum tönte auch alle Welt von seinem Lobe wieder?

Warum hieß er auch der schöne Martin? – Welcher Frau von Rasse – um Ihren beliebten Ausdruck zu gebrauchen – muß es für die Dauer nicht unerträglich werden, ein Männerantlitz von tadelloser Regelmäßigkeit vor sich zu sehen? – Nicht der kleinste Höcker auf der Nase, nicht das leiseste Fältchen, das nicht im Schönheitskodex stände – ich bitte Sie, wer kann das aushalten? Er war zu schön, und das war sein Verderben.

56 Und dann bedenken Sie: dieses erdrückende Uebermaß seiner Tugenden! Ein solcher Adonis und nicht im mindesten von den Weibern verdorben! Keine Spur von Schlingelhaftigkeit im Wesen! Nie gewillt, sie zu maltraitieren! Der reinsten hingebendsten Liebe fähig! Ohne jeden Flecken, jede Pikanterie in seiner Vergangenheit. Sie werden mir zugestehen, daß für viele Ihres Geschlechtes, welche die sogenannten »gefährlichen« Männer zu schätzen wissen, diese Vorzüge ebenso viele Mängel bedeuten.

Da war ein solches mauvais sujet, wie der gräfliche Entführer, ein ganz anderer Held! Ich bitte Sie, wer kann dem Siegerlächeln eines Mannes widerstehen, dessen Pfad mit zerbrochenen Eheringen gepflastert ist, und der eine halbe Million unbezahlter Ehrenschulden aufzuweisen hat? – –

Und dann vor allen Dingen: La donna è mobile. Ich weiß ja, Sie bestreiten die Wahrheit dieses Satzes und halten ihn für eine plumpe Fabel, welche die Herren der Schöpfung erfunden haben, um ihre eigene Flatterhaftigkeit zu vertuschen. Ich geb' es zu: Männlein und Weiblein haben einander nichts vorzuwerfen. – Aber ein Unterschied existiert doch. Der Mann wandelt sich in seinen Neigungen mit vollem Bewußtsein, er macht sich Gründe oder wenigstens Scheingründe zurecht und kämpft die Kollision des »Für« und »Wider« redlich durch – wenn auch freilich nur zu oft in gröblich egoistischem Sinne! Die Frauen hingegen! Nun, ich will die alte Mär' von ihrer Logiklosigkeit nicht wieder aufwärmen, – Sie selbst, scharfsinnigste aller Freundinnen, beweisen ja leuchtend, wie anfechtbar sie ist, – jedenfalls aber ist es das Ueberwiegen unbewußter Mächte im Frauengemüt, jene rätselhafte innige 57 Verwandtschaft mit dem Naturleben, welche sie häufig zu so naivem, rapidem und unerklärlichem Wechseln ihrer Gefühle und Neigungen verführt. Und das – trotzdem das Weib von der Natur zur Treue prädestiniert ist, wie ich Ihnen gerne zugeben will.

Sie fragen, warum ich so nachdenklich vor mich hinschmunzle?

Mir fällt hierbei eine Frau ein, der ich gestern auf der Straße begegnete, und die mir einen Blick voll tiefster Dankbarkeit zuwarf, dafür – daß ich sie nicht grüßte.

Sie finden das seltsam. Ja, ich muß Ihnen die Sache doch erzählen! Sie hat ihre psychologisch interessante Seite. Also:

Ich hatte in einem der letzten Sommer einige Wochen am Rhein zugebracht und befand mich auf der Heimreise nach Berlin. Da ich mich in Frankfurt mit dem Schaffner gut zu stellen gewußt hatte, war ich in meinem Coupé allein geblieben. Nicht auf lange.

Auf der Station Elm, einem entzückend gelegenen Neste Frankens, öffnete er mit bedauerndem Achselzucken die Thür, und herein stieg eine dichtverschleierte, elegante Dame mit üppigen, noch jugendlichen Formen. Sie drückte das Taschentuch, das sie zusammengeballt in der Hand hielt, für einen Moment gegen die Stirn und wandte sich dann wieder zum Perron hinaus, von wo aus eine artige Anzahl von Handgepäckstücken, ein Sonnenschirm, ein Regenschirm, eine juchtenlederne Necessairetasche, ein gesticktes Reisekissen, eine getigerte Plüschdecke und dergleichen ihr zugereicht wurden.

Dann folgte ein dunkelbärtiger Herr, dem Anschein nach 58 in der Mitte der Dreißiger, der höflich vor mir den Hut lüftete und sich dann neben ihr niederließ.

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Er hatte ihre Hand gefaßt und schaute still vor sich nieder. Sie desgleichen; nur erschütterte von Zeit zu Zeit eine zuckende Bewegung – wie ein thränenloses Schluchzen – ihren Körper.

Sie brach zuerst das Schweigen. »Wie lange sind wir noch beisammen?« fragte sie. Es war eine sanfte, leis verschleierte Stimme, deren Klang dem Ohre schmeichelte.

»Noch fünfunddreißig Minuten,« sagte er, nach der Uhr sehend.

»O mein Gott!« sprach sie schmerzlich vor sich hin.

»Du bist abends mit Dunkelwerden in Berlin,« sagte er nach etlichem Schweigen.

»Und wann kommst du nach Zürich?« fragte sie.

»Morgen früh,« antwortete er. »Ja, und dann liegen wieder hundert Meilen zwischen uns.«

Sie preßte seine Hand fester. »Aber du schreibst mir oft, nicht wahr?«

Er nickte.

»Jeden anderen Tag, wie bisher?« fuhr sie fort.

»Gewiß, mein Weib,« erwiderte er leise und innig. »Wär's anders möglich? Und du antwortest dann sofort, wie bisher. Auch von den Kindern schreib mir viel, du weißt, wie sehr mein Herz an ihnen hängt.«

»Du Guter!« preßte sie leise hervor, sich an ihn schmiegend. Ihr ganzer Körper erzitterte bei seiner Berührung, und langsam sank ihr Kopf an seine Schulter in trauter, selbstvergessender Hingebung.

59 Und wieder saßen sie schweigend da, ganz ineinander versenkt.

Auf mich, den Zuschauer, achteten sie nicht. Wie sollten sie auch? Wenn zweien Gatten die Trennungsstunde schlägt, gibt's keinen Dritten mehr auf der Welt. Zudem war ich augenscheinlich so sehr in meinen Roman versenkt, – es war das Neueste und Großartigste von Guy de Maupassant, wie mir der fliegende Buchhändler auf dem Frankfurter Bahnhof versichert hatte, – daß von meiner Anteilnahme unmöglich etwas zu fürchten war.

Und nun schlug sie den Schleier zurück. Ein volles, aber blasses Gesicht mit einem interessanten Fältchen der Ermüdung ward darunter sichtbar. Die Augen, die sehr schön zu sein schienen, waren vom Weinen gerötet, die Lider geschwollen.

Arme Frau! – – –

Dann begannen sie wieder zu reden. Es war ein trauliches, inniges Geplauder, von dem ich leider – leider nur abgerissene Worte verstehen konnte; aber jedes dieser Worte war so, als ob ein übervolles Herz seinen ganzen Liebesschwall hineinpressen wollte.

Und nun pfiff der Zug. Die grotesken Türme der alten Bischofstadt Fulda wurden hinter dem Coupéfenster sichtbar.

Da brach sie in lautes Weinen aus, und während der Zug hielt, klammerte sie sich mit zuckenden Händen an seinem Halse fest und stieß Laute voll wahnwitzigen Schmerzes aus.

Er sprach tröstend und beruhigend auf sie ein; aber auch ihm, dem starken Manne, standen die Thränen in den Augen. Dann versuchte er mit sanfter Gewalt sich von ihr 60 los zu machen. Es war die höchste Zeit, denn die Schaffner begannen schon die Thüren zu schließen.

»Leb' wohl,« sagte er mit zuckenden Lippen und sprang auf den Perron hinaus; die Thür schlug ins Schloß. und fast in demselben Momente setzte der Zug sich in Bewegung.

Sie schaute ihm nicht mehr nach. Es schien, als ob die Kräfte ihr versagten. Zusammengekauert saß sie in einer Ecke und weinte leise vor sich hin.

Ich hielt es für unzart, sie irgendwie zu stören, und las mich nun wirklich in meinen Guy de Maupassant hinein, wiewohl die Lettern anfangs vor meinen Augen allerhand Reigentänze aufführten.

Da, als – eine Stunde später – der Zug in Bebra hielt, hörte ich plötzlich ihre verschleierte Stimme in sanfter Bitte sagen: »Ach, mein Herr, verzeihen Sie, mir ist nicht ganz wohl; darf ich Sie bitten, mir ein Glas Wasser zu besorgen?«

So wurden wir miteinander bekannt; und wiederum eine Stunde später war es mir wirklich gelungen, sie ihren schmerzlichen Gedanken zu entreißen. Sie hörte meinem Schwatzen mit etlicher Teilnahme zu, und von Zeit zu Zeit glitt sogar ein Lächeln über ihr Angesicht. Ja, noch mehr! Sie wurde selber mitteilsam und erzählte mir unter anderem, daß sie sich in Homburg ein Rendezvous gegeben, und daß er sie bis nach Fulda begleitet habe, um dann sofort nach Zürich zurückzukehren. Allerhand Geschäfte hielten ihn leider an die Schweiz gefesselt, während sie selber gezwungen sei, in Berlin zu leben.

»Wohnen Sie auch in Berlin?« fügte sie fragend 61 hinzu, während der Ausdruck einer plötzlichen Sorge in ihren Zügen aufflackerte. Und als ich die Frage bejahte, fuhr sie merklich zusammen.

Von nun an wurde sie einsilbiger, und eine Weile später sagte sie mir, daß sie sich müde fühle und versuchen wolle, ein wenig zu schlafen.

Und sie schlief wirklich, schlief mit kurzen Unterbrechungen volle fünf Stunden lang.

Die kleinen, zierlich beschuhten Füßchen gegen den jenseitigen Sitz gestemmt, den Kopf weit in die Kissen zurückgelehnt, so saß sie da. Der üppige Busen hob und senkte sich in tiefen, regelmäßigen Atemzügen, und von Zeit zu Zeit flog ein nervöses Zucken über ihr Angesicht.

In Halle bekamen wir zwei neue Passagiere – sie ließ sich nur wenig durch dieselben stören und schlief weiter; erst kurz vor dem Ende der Fahrt wachte sie endgültig auf.

»Ah, wir sind ja bald da,« rief sie, zum Fenster hinausblickend. Die Ruhe schien ihr wohlgethan zu haben. Ein rosiger Hauch lag auf ihren Wangen, und ein leises Lächeln spielte um ihren Mundwinkel. Mit vieler Lebhaftigkeit machte sie sich daran, ihre Siebensachen zusammenzuraffen, und je mehr wir uns der Stadt näherten, desto erwartungsvoller wurden ihre Mienen, desto heller leuchtete ihr Lächeln auf. Sie schien die Zeit nicht mehr erwarten zu können, bis wir in die Bahnhofshalle einfuhren, guckte alle Augenblicke zum Fenster hinaus, stand auf und setzte sich wieder.

Endlich waren wir da.

»Gott sei Dank,« sagte sie vergnügt und reckte sich ein wenig, wie man zu thun pflegt, wenn geheime Angst 62 und freudige Erwartung vereint einem das Herz beklemmen.

»Darf ich Ihnen vielleicht beim Besorgen der Droschke behilflich sein?« fragte ich.

»Ich danke Ihnen vielmals,« sagte sie rasch mit verwirrtem Lächeln, »aber mein Mann erwartet mich

Da, als wäre eine Feuersbrunst auf ihren Wangen entzündet, flammte ihr Angesicht in glühender Schamröte auf, sie starrte mich wie versteinert an und griff zweimal mit den Händen in die Luft, als wolle sie das entflohene Wort mit Gewalt zurückholen.

»O mein Gott!« sagte sie dann, sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlagend, und brach in demselben Augenblicke in lautes, krampfhaftes Schluchzen aus.

»Um Gotteswillen, gnädige Frau,« raunte ich ihr zu; aber sie hörte mich nicht.

Und nun wurden die Thüren aufgerissen.

»Rosa, Rosa,« riefen mehrere Stimmen. »Da bist du ja!«

Vor dem Coupé standen mehrere Damen, alte, auch junge, auch ein Herr mit zwei Kindern an der Hand.

Und – noch immer schluchzend – sank sie in seine Arme. – – –

Dann einige Monate später in einer Gesellschaft – – – Ach, da kommt die Lampe! 63

 


 


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