Hermann Sudermann
Die Magd
Hermann Sudermann

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XI.

Nun folgten vier Ehejahre, die konnte man glücklich nennen.

In Marinkes Herz wurde das Bild des Jurris allmählich blasser und blasser. Da nun eine Aufpasserin nicht mehr vorhanden war, hätte sie manches liebe Mal nach seinem Grab sehen können, aber es drängte sie nichts mehr dorthin.

Der Kleine wuchs zu einem kräftigen Strampler heran, der sich die Butter vom Brot nicht nehmen ließ und seinen Willen vom Morgen bis zum Abend in die Welt hinauskrähte.

Der Jozup konnte nicht satt werden, ihn darin zu bestärken, und wenn der Junge recht unartig war, sagte der Vater: »So ist's gut, mein Lümmelchen. Pech und Teer sind Verwandte.«

Er lehrte ihn Schweine treiben und die Kühe zur Weide führen und setzte ihn jedem Tier auf den Rücken, das gerade zur Hand war. Mit vier Jahren ritt er bereits auf der bockigen Schimmelstute, und die war auch sonst nicht die frömmste.

Von Monat zu Monat wurde das Leben inniger zwischen den beiden, und als der fünfte Frühling herankam und die künftige Schulzeit schon drohte, da nahm der Jozup ihn morgens sogar auf das Feld mit. Er ließ ihn die Lenkstange der Pflugschar anfassen, er gab ihm einen Zipfel des Sälakens zu tragen und meinte: »Das muß das erste sein, was ein Wirtssohn erlernt, sonst nützt ihm kein Schreiben und Rechnen.«

Ein Glück war's – ein unaussprechliches und nie besprochenes –, daß noch immer kein Zeichen sich meldete, der kleine Jurris werde ein Brüderchen oder ein Schwesterchen kriegen. Es war geradeso, als ob der Himmel selbst darüber wachte, daß in dieses ängstliche Wohlsein Bestand und Ruhe allmählich einkehrte.

Im Enskysschen Haus aber lagen allabendlich zwei alte Leute auf ihren Knien und flehten zum lieben Gott, er möge sie davor behüten, einsam in die Grube zu fahren, und ihnen den Großsohn und Erben zurückgeben.

Und endlich, endlich wurde ihr Gebet erhört. Die Marinke mochte sich noch so sorgsam verstecken, die Dienstleute trugen es doch hinaus, und bald wußte das ganze Dorf, daß sie gesegneten Leibes war.

Der Jozup ging umher wie ein Wüterich und erklärte, wer ihm den Knaben nehmen wolle, den schieße er nieder.

Aber als die beiden Enskys von seinen Reden hörten, da lachten sie nur, denn sie hatten es schriftlich.

Und eines Tages waren sie dreist genug und erschienen beide im Hoftor.

Die Marinke, die im achten Monat war und nur noch leichte Gartenarbeit verrichten konnte, saß hinten in den Zuckerschoten und ließ die Alten unbemerkt an den Staketen vorbeiziehen. Die aber hatten sie wohl gesehen und wollten gerade in den Garten einbiegen, da stießen sie auf den Jozup, der eben aus dem Haus trat.

»Ihr wollt wohl, daß ich den Hund losmache?« sagte er ihnen zum Gruß.

Die Großelternliebe war stärker in ihnen als jegliche Angst, und obwohl der Alte sich ein wenig hinter der Mutter verkroch, soviel Klugheit hatte er doch, um zu sagen: »Ich würde an deiner Stelle versuchen, dich mit uns zu verständigen, denn vor den Behörden bist du ja machtlos.«

Da dachte er nicht anders, als sie würden wohl mit sich handeln lassen, und lud sie ein, in die Stube zu treten.

Aber bald sah er ein, daß sie auf ihrem Schein bestanden und nur Gewißheit haben wollten, wann sie das Kind heimholen könnten.

Vor seinem Sinn stand nur der eine Gedanke: wie sich den Sohn erhalten, an dem seine Seele hing. Für einen Augenblick stieg wohl der Wunsch in ihm hoch, das Heimliche zu offenbaren, das ihn mit dessen Leben verband, aber er warf ihn sogleich wieder von sich, denn er hatte inzwischen wohl erkannt, daß, wenn die Marinke, mochte sie sonst noch so weich sein, zu einer Sache entschlossen war, nichts auf der Welt sie davon abbringen konnte.

Und ihren Leichnam aus dem Haff fischen – das wollte er doch nicht.

In seiner wilden Ratlosigkeit suchte er hin und her, ob nicht ein einziger Grund sich finden ließe, mit dem er sein Fleisch und Blut sich für immer erobern könnte. Aber es fiel ihm kein anderer ein, als der, mit dem er sein Weib nun schändete.

»Jurris habt ihr ihn ja genannt«, sagte er, »aber was wißt ihr, ob er wirklich dem Jurris sein Kind ist?«

Die Mutter Enskys hob die gefalteten Hände zu ihm auf, als wollte sie ihn anflehen, den Schlag nicht zu tun, der ihnen die Hoffnung raubte. Der Alte aber tanzte um den Jozup herum und schrie immerzu: »Wer ist es? Wer ist es? Wer ist es?«

Und er – mehr aufs Geratewohl, als weil er sich eines bestimmten Verdachtes bewußt war – entgegnete dieses: »Nun – es kann ja zum Beispiel – der – Wieszpatis gewesen sein. Nicht umsonst hat er Kinder sitzen weit und breit – und sie ist drei Jahre lang bei ihm auf dem Hof gewesen.«

Die Mutter sank auf den Stuhl wie vom Blitz getroffen, der Alte aber rannte spornstreichs hinaus und in den Garten – dorthin, wo die Marinke vorhin gearbeitet hatte.

Erschrocken erhob sie sich von der Erde, denn sie dachte, der Jozup wolle dem Alten zu Leibe, da schrie er auch schon: »Nun ist es heraus, du Weibsbild! Dem Wieszpatis Seine bis du gewesen. Und das Kind ist von ihm. Gesteh, daß das Kind von ihm ist!«

In ihrer großen Überraschung dachte sie nicht anders, als es sei durch ein Unglück alles ruchbar geworden, was sie sich selber kaum eingestand, und den Kopf auf die Brust herabneigend, entgegnete sie: »Wenn du es weißt, warum fragst du mich erst?«

Da rannte er spornstreichs zurück und schrie es durch Garten und Hof: »Sie hat gestanden, daß der Wieszpatis der Vater ist. Sie hat es eben gestanden.«

Der Jozup, der aus dem Haus trat, wurde so gelb wie die Asche im Eimer. Er nahm den Alten beim Wickel und schleppte ihn vor das Hoftor. Dort gab er ihm noch einen Stoß mit dem Absatz und überließ ihn seinem weinenden Weib. Dann ging er der Marinke entgegen, die mit vorgeschobenem Leib mühsam aus dem Garten kam.

Sie dachte: Er sieht geradeso aus, als sei er der Henker. Aber da sie wußte, daß nichts auf der Welt sie aus seinen Händen erretten konnte, so gab sie sich drein.

»Geh ins Haus«, sagte er und blieb ihr dicht auf den Hacken.

Dann peitschte er die Mägde hinaus, die ängstlich um die Feuerstätte standen, und folgte ihr in die Stube.

Sie mußte sich niedersetzen, so beinschwach war sie geworden, und seine Augen stachen nach ihr wie grüne Lichter zur Nachtzeit.

»Also wie war das mit dem Wieszpatis?« fragte er ganz freundlich.

»Wie wird's gewesen sein?« sagte sie. »Er war doch der Herr, und ich war die Magd. Und wenn ich sonnabends zur Abrechnung kam, dann hat er gesagt, ich gefall' ihm.«

»Und das ging so die ganzen Jahre lang?«

»Solang' ich die Meierei unter mir hatte, wird's wohl gegangen sein.«

»Und als du merktest, daß du ein Kind von ihm trugst, da suchtest du dir den Jurris als Vater dazu?« fragte er immer noch freundlicher.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das war anders.« Und nun berichtete sie ihm der Wahrheit nach, wie der Wieszpatis sie noch einmal nach Augustenhof hatte hinkommen lassen – der Jozup selber war ja Vermittler gewesen – und wie sie allein hatte fahren müssen, weil der Jurris nicht war zu finden gewesen. Da hatte der Herr gesagt: »Wir wollen nun Abschied feiern, Marinke.« Und sie hatte gebeten und gefleht: »Ach lassen Sie mich doch gehn, Ponusze.« Aber er war ja der Herr, und hatte sie ihm schon so oft den Willen getan, daß sie meinte, sich ihm auch diesmal nicht weigern zu dürfen. Und von daher war alles Unglück gekommen.

Er sagte: »Ich habe das Gelöbnis getan, dich nicht zu schlagen. Und das ist dein Glück, sonst würdest du wohl nicht lebendig aus dieser Stube kommen. Auch sollst du mir zuerst einen Sohn zur Welt bringen, denn das bist du mir jetzt schuldig. Was ich dann aus dir machen werde, das weiß ich noch nicht. Aber ich rate dir, den Bengel, den du mir hergeschleppt hast, den schaffe mir aus den Augen. Denn Herrensohn ist Hurensohn. Und kommt er mir in den Weg, so schmeiß' ich nach ihm mit allem, was ich grad finde. Und wenn es der Schleifstein ist.«

Die Marinke hob die Arme nach ihrem Mann auf und weinte und bat: »Wo soll ich hin mit ihm in meinem Zustand?«

»Das geht bloß dich an«, entgegnete er und schritt aus der Tür.

Sie rannte, so rasch sie konnte, hinter ihm drein, um den Kleinen vor ihm zu sichern, der wohl irgendwo bei den Pferden im Gras saß. Und sie fand ihn auch glücklich und wartete ab, bis der Weg frei war, dann zog sie ihn rasch in die Klete.

»Hole mir Betten für mich und das Kind«, sagte sie zu der Hausmagd, »denn hier werd' ich wohnen, bis meine Stunde gekommen ist.«

Und der Kleine schrie nach dem Vater, er wolle hinaus und mit ihm spielen, wie er's gewohnt war. Und sie hielt ihm den Mund zu aus Furcht, der Jozup möchte eindringen und mit ihm tun, was er gedroht hatte.

In der Klete hielt sie sich mit dem Jurris wohl vierzehn Tage auf und traute sich nicht, sie zu verlassen. Und die Mägde sorgten gut für sie, denn sie war ihnen immer eine freundliche Herrin gewesen.

Der Jozup aber gab keine Ruhe. Wenn er an der Klete vorbeiging, schüttelte er die Faust nach dem Fenster und stieß Schimpfwörter aus, wie man sie sonst nur an schlechten Orten hört.

Er nannte sein Weib eine »Klorke«. Und »Szunjôda« und »Pajudêle« nannte er sie. Das sind Namen, die man am besten ins Deutsche nicht überträgt.

Und drohen tat er ihr auch und immer aufs neue. Sie konnte das Fenster noch so fest schließen, sie hörte und verstand ihn in allem. »Denke nur nicht, daß du straflos ausgehen wirst, mein Täubchen, weil ich das Gelöbnis getan habe, dich niemals zu schlagen. Ich werde mir jemand kommen lassen, der wird das alles statt meiner besorgen. Der wird dir mit der Bratpfanne den Rücken salben und wird dir die Beine mit Ruten streichen, so daß du das ganze Jahr über glauben wirst, heute feiern wir Ostern.«

Und die Marinke lag zitternd allnächtlich und dachte: »Wer mag es nur sein, den er meint?« Aber niemand fiel ihr ein, der den Willen haben konnte, an ihr zum Quälgeist zu werden.

Am allermeisten hatte sie Angst um den Knaben, dem der Jozup Tag für Tag ans Leben gehen wollte. Und in dem Maße, als ihre Zeit sich verkürzte, wurde die Unruhe größer in ihr, daß er, wenn sie nicht mehr auf ihn aufpassen konnte, dem Zorn des Vaters verfallen war.


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