Hermann Sudermann
Die Magd
Hermann Sudermann

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Hermann Sudermann

Die Magd

Eine litauische Geschichte


I.

Es war am ersten Juli und schon Feierabend, als die Marinke Tamoszus im Dorf einfuhr. Der Vater hatte sie in seinem Wagen selber gebracht. Trotzdem kam sie nicht aus dem Elternhaus. Sie kam von dem Gut des Herrn Westphal, wo sie erst ein Jahr im Haushalt gedient und dann zwei Jahre lang die Meierei verwaltet hatte.

Dort war sie dem alten Enskys aus Ussainen in die Augen gefallen. Er hatte beim Milchabliefern die fleißige Wirtin in ihr erkannt und erst seine Frau und dann auch seinen Sohn, den Jurris, auf sie aufmerksam gemacht. Hierauf, als beide freudig ja sagten, hatte er sich mit ihrem Vater verständig, und das Ende vom Lied war, daß sie dem Herrn Westphal kündigte und vom alten Enskys den Mietstaler nahm.

Aber nein doch, das Ende war es nicht! Es sollte vielmehr ein glücklicher Anfang sein.

Denn wenn man sich gegenseitig gefiel, so konnte nach den letzten Kartoffeln, um Mitte Oktober etwa, die Hochzeit gefeiert werden. Wenigstens war es mit dem Vater so abgemacht worden. Und sie, die Marinke, hatte sich nicht gewehrt. Denn nach Hause konnte sie nicht, weil dort eine böse Stiefmutter schaltete, und ewig auf dem großen Gut zu scharwerken, hatte erst recht keinen Zweck. Man kam schließlich bloß ins Gerede.

Sie saß in ihren Sonntagskleidern mit gründurchflochtenen Zöpfen und brauner Taftschürze, blond und rund und schüchtern neben dem dürrgearbeiteten Vater, der auf seine Gäule losprügelte, denn er wollte forsch vorgefahren kommen.

Er kannte die Enskyssche Wirtschaft schon, sie hingegen war noch niemals dort gewesen und fuhr ins neue Leben hinein, wie man aufs Meer hinausfährt.

Sie blickte nicht vorwärts und nicht in die Runde, und von freudiger Erwartung stand wenig auf ihrem Gesicht zu lesen. Sie fragte auch nicht: »Ist es hier? Ist es dort?« Aber wenn der Wagen an einem neuen Zugangsweg vorbeifuhr, atmete sie erleichtert auf, weil ihr noch eine Galgenfrist blieb.

Endlich bog er doch um die Ecke, und im Abendschein lag die künftige Heimat vor ihr. Vier schwarz-weiße Kühe weideten im Roßgarten. Daß die tüchtige Milchgeberinnen waren, das wußte sie schon von der Meierei her. Der Garten mit Blumen voll. Der Hofraum gepflastert. Der Stumpf einer Dreschmaschine vor der massiven Scheune. In ihrem Herzensbangen fiel ihr sonst nicht viel auf. Nur die braunen Netze, die zum Trocknen über den Staketen hingen, gewahrte sie mit etlichem Staunen, denn noch nie war sie in einer Fischergegend gewesen.

Vor der Tür standen die Alten mitsamt dem Jurris. Auch ein Knecht war da und eine Taglöhnerfrau. Um derentwillen durfte der Willkomm nicht allzu herzlich sein. Aber sie dachten sich doch ihr Teil, denn sie grieflachten heimlich zusammen.

Wenn ein junger Sohn im Haus ist, und die Magd kommt zweispännig angefahren, und der eigene Vater kutschiert!

Der Jurris war ebenso schüchtern wie sie. Man hätte es nicht von ihm glauben sollen, denn er war unlängst von den Kürassieren nach Hause gekommen, und die blau-weiße Mütze saß ihm noch auf dem linken Ohr. Aber als er ihr kaum die Hand gegeben hatte, machte er sich schon an dem Kasten zu schaffen, den er mit Hilfe des Knechts über die Sprossen hob. Nur um nicht mit ihr reden zu müssen.

Eigentlich wie ein Kürassier sah er nicht aus. Nach seiner Gestalt hätte man ihn eher bei den Ulanen vermutet. Lang und biegsam und von sinkendem Schulterbau. Die Augen blau und still. Viel von Bart noch nicht auf den Lippen.

Das Ausspannen verbat sich der alte Tamoszus. Denn bis nach Piktaten, wo seine Wirtschaft lag, sind es mehr als drei Meilen, und er wollte nachts schon zu Hause sein. Aber einen Bissen geräucherten Aal aß er doch und trank den Himbeer dazu, der nicht im mindesten kratzte. Er fühlte es mit Zufriedenheit: Die Marinke kam in ein gutes Haus, und die fünfhundert Taler, die er ihr mitgeben konnte, würden gut angewandt sein.

So fuhr er also von dannen, und die Marinke saß in der Kammer und weinte.

Aber da man bei fleißiger Arbeit eher ans Lachen als ans Weinen denkt, so war sie am nächsten Morgen schon wieder ganz fröhlich. Die Kühe standen über dem Melkeimer so still, als hätte sie sie schon seit Wochen geliebkost, und der Schweinetrank schwippte in weitem Bogen gerade unter die hungernden Rüssel.

Die Enskene ging ihr nach auf Schritt und Tritt, aber so, daß sie von ihr nicht gesehen werden konnte, und als das Frühstücksbrot kam, sagte sie leise zu ihrem Mann: »Wir haben gut gewählt. Sie ist eine Gesegnete.«

Der alte Enskys faltete die rissigen Hände und sagte noch zweifelnd: »Geb' Gott!«

Und beide dachten daran, wie sie nun im Herbst sich zur Ruhe setzen könnten, waren dabei aber erst um die Fünfzig.

Die Marinke tat, als merke sie nichts von dem Beobachtetwerden und dem Getuschel, und machte ihre Arbeit als eine, die das Arbeiten liebt und nicht nach rechts und nach links sieht.

Die Schwiegermutter gefiel ihr. Bequem und gütigen Herzens und nicht gewillt, sie ihre Herrschaft fühlen zu lassen.

Aus dem Schwiegervater war vorderhand noch nicht klug zu werden. Bescheiden im Wesen, als wär' er ein Instmann, aber pfiffigen Blicks und im kleinen ein Quengler. Denn er gemahnte sie zwei-, dreimal an etwas, was sie noch gar nicht wissen konnte. Aber das mochte auch Unvernunft sein.

Der Jurris saß steif neben ihr da und sprach sie nicht an. Und so blieb es Tage und Tage lang, so daß der Knecht und die Taglöhnerin ihren Verdacht bald wieder fahren ließen.

Der Marinke war es recht so, denn ihre Gedanken weilten ganz, ganz woanders als bei dem Jurris. Nur neugierig war sie auf ihn und wollte wissen, wie er es anfangen würde. Aber er fing es lieber gar nicht an. Und mit der Zeit begann sie zu fürchten, sie könnte wieder heimgeschickt werden. Und noch etwas Schlimmeres fürchtete sie, doch daran ging das Denken gern vorüber.


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