Hermann Sudermann
Die Magd
Hermann Sudermann

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VII.

Das war am Sonntag. Am Sonnabend darauf kam der Jurris zu dem Alten in die Stube und sagte: »Ich möchte dich in Gehorsam bitten, Vater, daß die Hochzeit etwas frühzeitiger stattfinden kann.«

Der Alte blickte von der Bibel auf , in der er las, und sagte: »Du hast wohl deinen Eid gebrochen?«

Und der Jurris erwiderte: »Ja, ich habe meinen Eid gebrochen.«

Da geriet der Alte in großen Zorn und rief: »Dafür strafe dich Gott!«

Der Jurris senkte den Kopf und sagte: »Gott wird mir vielleicht vergeben, denn es war gar zu schwer.«

Der Alte aber schrie: »Nein Gott wird dir nicht vergeben. Ebensowenig, wie ich dir vergebe, daß du mich in so große Ungelegenheit gebracht hast.«

Und er lief auf seinen Schlorren umher wie ein Rasender.

Nach einer Weile sagte er weiter: »Natürlich muß die Hochzeit früher stattfinden. So früh als möglich muß sie stattfinden, damit nicht vielleicht hinterher ein Stein auf mich geworfen wird. Aber das sage ich dir: Kummer und Drangsal werden mit euch zu Tische sitzen, und der Tod wird hinter euch stehen, weil du den Willen Gottes so wenig geachtet hast, und den Willen deines Vaters noch weniger.«

Da ging der Jurris traurig hinaus und sprach mit keinem ein Wort, nur daß er zur Marinke, die in Ängsten stand, im Vorübergehen sagte: »Er hat es erlaubt.«

Und alsbald erhob sich im Hause ein großes Rumoren, denn die Vorbereitungen zur Hochzeit sollten sogleich beginnen.

Das Aufgebot war bestellt beim Standesamt sowohl wie beim Pfarrer, und der Jozup erschien am hellen Vormittag auf einem mit Bändern geschmückten Pferd und selber mit Bändern geschmückt an Achseln und Hutrand. Dem reichte die Mutter eine lange Liste hinauf in den Sattel von allen den Gästen, die zu der Hochzeit zu laden waren.

Und die Marinke wurde geschickt, ihm den Festtrunk zu zapfen. Als sie das Glas zu ihm hochhob, packte er es so gierig mit seinen Händen, daß sie die ihren nicht lösen konnte. Und so hielt er sie fest und sagte: »Wenn ich nun losreite, dann mußt du mit und kommst nicht mehr frei bis ans Ende der Welt.«

Und sie sagte erschrocken: »Dann wärst du ein schlechter Hochzeitsbitter.«

Er trank und sprengte lachend davon, sie aber fühlte seine Hände brennen bis gegen Abend.

Es war gerade die Zeit der Hafereinfuhr und des ersten Pflügens, aber beides mußte hintangestellt werden, weil es im Haus so viel zu tun gab.

Und die Leute im Dorf wunderten sich und sagten: »Die Marinke ist doch erst so kurze Zeit hier; sollten die beiden schon vorher miteinander gekramt haben?«

Es war ein Glück, daß er Alte durch keinen erfuhr, daß er gerade das Gegenteil davon erreichte, was seine Absicht gewesen war; er hätte sich sonst vielleicht den Schlag an den Hals geärgert. Der Jurris aber erfuhr's. Dem steckte es der Jozup nur allzubald.

Und obgleich im Grunde ja nichts dabei war, so grämte er sich doch immer noch mehr und dachte in seinem Herzen: »Sollte so das Unglück bereits beginnen?«

Und der Jozup bestärkte ihn noch und warf immer neue Kohlen ins Feuer.

Die Marinke hingegen versuchte ihn zu trösten und sagte: »Wenn zweie sich liebhaben, für die gibt es kein Unglück und kein Verschulden, denen steht Gott zur Seite und nimmt den Eidbruch von ihrer Seele und noch viel Schlimmeres.«

Sie war nun wieder ganz obenauf, und wenn sie ihn heimlich im Arm hielt, vergaß sie alles, auch daß sie vor kurzem noch so große Angst gehabt hatte. Dabei arbeitete sie für drei, und Töpfe und Eimer und Garben und was sie zu fassen bekam, flog wie Spielzeug durch ihre dankbaren Hände.

Der Jurris aber hielt's mit dem Müßiggang. Sie mochte ihm noch so viel zureden, seine Arbeit wurde nur halb getan, und wäre nicht glücklicherweise ein Scharwerker zu mieten gewesen, wer weiß, ob der Hafer nicht ins Faulen gekommen wäre. Dafür trieb er sich um so mehr auf dem Haff herum. In einer Zeit, in der keiner, der Landwirtschaft hat, ans Fischen nur denken kann, machte er sich morgens und abends draußen zu schaffen.

Der Frühherbstregen setzte ein, und oft kam er naß bis auf die Knochen vom Ufer nach Hause. Aber im Käscher hatte er nichts. Nur auf das Draußensein kam es ihm an.

Die Marinke küßte ihm beide Hände und sagte: »Jurris, Jurris, es tut dir ja keiner was.« Aber auch das half nicht viel.

Eines Morgens wehte stark der »Aulaukis«, der Südwest, den die Fischer nicht mögen, besonders wenn Regen als Zugabe kommt.

Als die Marinke hinaussah, dachte sie: »Nun, heute wird er wohl nicht gefahren sein«, aber wen sie zum Frühstück nicht finden konnte, weder im Hof noch auf dem Feld, das war der Jurris.

Die Vormittagsstunden vergingen, und sie dachte: »Um Gottes willen, wo bleibt der Jurris?«

Und als er zum Mittagbrot noch nicht da war und auch die Mutter das Fürchten bekam, da hielt sie sich nicht länger, sondern sprang von der Mahlzeit auf und rannte hinaus und dem Strand zu.

Schon als sie quer durch die Wiesen lief, erkannte sie: Das war kein Wind mehr, das war ein Sturm. Und der Regen bohrte wie Hagelschlacken.

Die Tür des Schuppens schlug auf und zu, und der Handkahn war weg.

Vom Haffwasser ließ sich nicht viel erkennen, deren die Regenwolken strichen ganz niedrig darüber hin, aber die Strandwellen gingen so hoch, als wollten sie jeden auffressen, der ihnen zu nah kam, und das Rohr schrie, als hätte es eine Menschenstimme bekommen.

Die anderen Kähne waren alle zurückgeschoben, so weit, daß die Wellen sie nicht erreichen konnten, und die Marinke dachte bei sich: »Jetzt muß ich hinausfahren – muß ihm entgegenfahren.«

Aber wenn sie einen Kahn bis an das Wasser herangebracht hatte, dann schlugen die Wellen ihn sofort zur Seite, so daß er beinahe kieloben lag.

Da sah sie ein, daß ihr Wille voll Unvernunft war und daß sie davon nur den Tod haben würde.

Und sie warf sich im nassen Sand auf die Knie, wie sie es jüngst vor ihrem Bett oft getan hatte, und dachte es durch Beten zu zwingen.

Aber kein Kahn kam aus den Regenwolken gekrochen, und keine Menschenstimme rief: »Da bin ich.«

Ja, eine Menschenstimme war da. Ganz plötzlich schallte sie ihr in die Ohren und sagte: »Was machst du?«

Und diese Stimme gehörte dem Jozup.

Da vergaß sie alles, was sie gegen ihn auf dem Herzen gehabt hatte, und hob die gefalteten Hände zu ihm auf und flehte ihn an, er möchte mit ihr hinausfahren. Für sie allein sei es zu schwer. Aber zusammen würden sie ihn schon finden.

Der Jozup fragte: »Seit wann ist er fort?«

Und sie erwiderte: »Seit in der Frühe.«

Da lachte er bloß und sagte: »Dann ist er längst wieder an Land und sitzt verschlagen wer weiß wo.«

Aber sie glaubte ihm nicht. Und er fuhr fort: »Denkst du denn, daß Menschen sich acht Stunden lang in so'nem Wetter draußen herumtreiben können? Oder sich erst den Platz aussuchen zum Landen? Da ist es jedem egal, wo ihn der Sturm an den Strand wirft. Du aber kommst ins Trockene, denn dir klappern ja alle Glieder.«

Und er führte sie in den Schuppen und schlug die Tür hinter sich zu, so daß sie fortan im Halbdunkel waren.

An den Wänden hingen die Netze, und über das Heu, das im Winkel lag, war der Mantel des Jurris gebreitet. Da hielt er sich wohl öfters versteckt, wenn alle ihn suchten.

Und sie streichelte den Mantel mit ihren erklammten Fingern und küßte den Saum und sagte: »Komm doch wieder! Komm doch wieder!«

Aber weinen konnte sie nicht mehr, denn sie hatte schon alle ihre Tränen verschüttet.

Der Jozup stand daneben und biß sich die Lippen. Und dann sagte er: » Warum soll er eigentlich wiederkommen? Es sind ihrer genug da, die bloß auf dich warten.«

Da drehte sie sich um und spie nach ihm.

»Warum speist du mich an«, sagte er, »da ich doch einstmals dein Mann sein werde?«

Und sie sagte: »Laß mich hinaus. Ich habe schon lange gewußt, was du für einer bist.«

Aber er drückte sie auf den Mantel zurück, und indem er ihre Hände hielt wie in Klammern geschroben, sagte er folgendes: »Du betest da immerzu, er möchte doch wiederkommen, aber wenn ich jetzt als sein Freund mein Gebet mit dem deinen vereinigen wollte, dann würde es lauten: Er soll nicht wiederkommen. Und er wird auch nicht wiederkommmen. Wenigstens als Lebendiger nicht. Und darum gehörst du schon mir, und das will ich dir gleich beweisen.«

Sie rang mit ihm und schrie: »Vergreif dich nicht an mir, denn ich trage ein Kind von ihm.«

Aber er lachte sie aus. »Du willst ein Kind von ihm tragen? Hat er mir doch oft genug von dem Eid vorgeklagt, den er dem Vater hat ablegen müssen. Der Schlappschwanz kehrt sich an Eide! Ich aber kehr' mich an nichts und will tausend Tode sterben, wenn ich dich kriegen kann.«

Und sie rang weiter mit ihm und schrie: »Ich trage ein Kind von ihm!«

Und er sagte mitten im Ringen: »Wenn es die Wahrheit wäre, daß du ein Kind trägst, dann ist es nicht von ihm. Gott wird schon wissen, von wem es ist.«

Da brachen ihr die Arme mit einmal entzwei, und sie fiel hintenüber und wußte von nichts mehr.

Als sie sich wieder aufrichtete, stand die Tür offen, und niemand war da außer ihr.

Unter ihr lag noch immer der Mantel des Jurris. Den streichelte sie von neuem und küßte den Saum, aber sie dachte dabei: »Mir ist ganz recht geschehen.«

Und sie betete nun auch nicht mehr, er möchte wiederkommen. Hätte sie ein Gebet gehabt, so würde es gelautet haben wie das von dem Jozup: »Er soll nicht wiederkommen.«

So ohne Mut und so voll Scham war ihre Seele.


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