Hermann Sudermann
Die Magd
Hermann Sudermann

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VI.

Am nächsten Morgen benahm sich die Marinke fast wieder so wie gewöhnlich.

Sie küßte der Mutter den Ärmel und gab dem Jurris die Hand. Aber warum er sich gestern versteckt hatte, danach fragte sie nicht. Sie fragte überhaupt nichts mehr, sondern ging still an die Arbeit.

Die Tage verflossen. Der Roggen kam trocken herein, und Erbsen und Gerste nicht minder. Es war ein Jahr, gesegnet, wie wenige sind. Keine Trespe und kein Brand, nichts Ausgewintertes und nichts Enthülstes.

»Die Laumen meinen es gut mit uns«, sagte die Mutter, »seit das Kind bei uns wohnt.«

Und der Vater sagte: »Wenn nur nicht –«. Aber das weitere verschwieg er.

Zwischen der Marinke und dem Jurris wurde es nie mehr so, wie es gewesen war. Sie gingen wohl freundlich nebeneinander her und sprachen auch, was der Augenblick brachte, aber zusammen allein zu sein, das suchte der eine nicht und auch nicht der andere.

Und jeder grämte sich auf seine Art.

Wenn die Marinke sich unbeobachtet glaubte, dann hing sie mit fragenden und ängstlichen Blicken an seinem Angesicht, und er wieder ging um sie 'rum wie ein Dieb und scheute sich, sie zu berühren.

Auch von der kommenden Hochzeit war nie mehr die Rede. Höchstens, daß die Mutter einmal von der Aussteuer sprach und zu wissen begehrte, was das Elternhaus ihr wohl mitgab.

Der Jozup kam Tag für Tag. Wenn der Feierabend nahte, dann war er da. Und beide Freunde saßen vorm Pferdestall und rauchten oder aßen unreife Äpfel.

Einmal, als die Marinke das Rindvieh von der Weide heimtrieb, tauchte der Jozup neben ihr auf und begann ein Gespräch.

»Hast du auch schon den Schwiegereltern das Stück Brautleinwand geschenkt«, sagte er, »und Rautenblüte hineingelegt?«

»Warum sollt' ich das?« fragte sie. »Ich bin die Magd hier und sonst nichts.«

»Das hast du mir schon einmal gesagt«, erwiderte er. »Es ist Zeit, daß du freundlicher zu mir wirst, denn ich bin drauf und dran, dir die Hochzeitsgäste zusammenzubitten.«

»Ich weiß von keiner Hochzeit«, erwiderte sie.

Er stieß ein Gelächter aus. »Aber im Leib sitzt sie uns schon, als hätten wir Tollwasser gesoffen. Ich lieg' bis zum Morgen und denk' an die Braut und die Brautnacht und soll doch bloß der Brautführer sein. Vom Jurris red' ich nicht, der schwitzt Öl vor Angst, wenn er daran denkt, die Junggesellenschaft zu verlieren, aber du, mein Tausendschönchen, du siehst mir nicht danach aus, als ob dir sehr davor graute, über ein Heunetz geworfen zu werden. Bloß, er tut es nicht, der ehrbare Bräutigam. Vielleicht nimmt er sich einen Vertreter.«

Der Weg war schmal, darum mußte sie das lästerliche Gerede anhören, und als sie es ihm gerade verweisen wollte, da kam ihr mit eins der Gedanke: »Vielleicht weiß er mehr von mir, als mir gut ist; sonst könnte er gar nicht so dreist sein.«

Und sie fürchtete sich so sehr vor ihm, daß sie nur den Kopf senkte und ihn reden ließ, was er wollte.

Auch dem Jurris sagte sie nichts, obwohl sie innerlich wünschte, er möchte ihn mit der Peitsche vom Hof hinunterjagen.

Und bald darauf kamen Tage voll neuer Herzensangst. Die drückten noch härter als alles, was vordem gewesen war.

Sie lief von der Arbeit weg und versteckte sich in der Scheune, um in den Garben nach Brandkörnern zu suchen, sie irrte im Dorf umher, ob nicht irgendwo ein Sadebaum sich über den Zaun hinstreckte, und ihre Füße waren verbrüht von kochendem Wasser.

Nachts lag sie auf den Knien und betete, aber bei Tag machte sie freundliche Augen. Mit denen täuschte sie alle, nur die Schwiegermutter täuschte sie nicht.

Die legte eines Tages die Arme um ihren Hals und sagte: »Mein Täubchen, du bist nun bei uns schon bald sechs Wochen, und ich habe dich wohl geprüft. Wenn ich dir sage, daß ich dem Jurris nichts Besseres wünsche als dich, so weißt du, wie ich gesonnen bin. Aber uns Frauensleuten spielen die Männer oft so schlimme Streiche, daß wir ins Unglück kommen und wissen nicht wie. Darum, sollte es dir vielleicht ebenso gegangen sein, nimm deinen Mut zusammen und suche gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt. Auf etwas Täuschung kommt es dabei nicht an, nur muß man den Knaben liebhaben, wenn man ihn täuscht.«

Wie die Mutter diese Worte gemeint hatte, vermochte Marinke nicht zu ergründen, aber gute Wirkung taten sie doch. Denn nun hörte sie auf, in Verzagtheit am Boden zu knien, und sann darüber nach, wie sie dem Jurris wieder nahkommen könne. Leicht war das nicht, denn in den Garten ging er zum Feierabend nie mehr, und nie mehr wollte er einen Gang mit ihr machen.

Am nächsten Sonntag, so um die Dämmerstunde, hörte sie, wie er zum Alten sagte: »Ich bin schon lange nicht mehr am Ufer gewesen, ich muß einmal nach dem Kahn und dem Schuppen sehn.«

Wäre alles zwischen ihnen gewesen wie früher, so hätte er jetzt zu ihr gesagt: »Komm mit!« und wäre mit ihr an der Hand durch das Hoftor gegangen. Aber statt dessen schlich er sich um die Scheune herum und kroch durch die Zäune und blickte verstohlen zurück, ob es auch niemand bemerke.

Da sagte sie sich: »Ich tu's.« Und ging ihm nach. Aber sie ließ eine weite Entfernung, so daß seine scharfen Augen sie nicht erkennen konnten, sonst hätte er womöglich einen anderen Rückweg genommen.

Als sie wohl eine Viertelstunde gegangen war, setzte sie sich auf den Grabenrand und wartete.

Die Dunkelheit fiel herab, und rings um sie sangen die Heimchen. Da schämte sie sich sehr, daß sie mit schiefen Gedanken im Kopf hinter ihm herlief. Wäre es wie früher aus großer und reiner Liebe geschehen, so hätte sie sich kein Gewissen gemacht, aber nun die Not sie zwang, kam sie sich als eine Betrügerin vor. Dabei fühlte sie wohl, daß ihr Liebe zu ihm nur noch größer und reiner war. Aber es hätte ihr keiner geglaubt. Und auch sie selber glaubte es kaum.

So verging eine geraume Zeit, da hörte sie seine Schritte näherkommen. Beinahe wäre sie jetzt noch weggelaufen, aber sie zitterte so sehr, daß sie die Kraft zum Aufstehen nicht finden konnte.

Er blieb vor ihr stehen und fragte: »Wer ist da?«

Und sie fragte: »Wie kommst du hierher?«

Da erkannte er sie und sagte: »Es wird dir zwar keiner was tun, aber Sitte ist es nicht, daß die Mädchen am Sonntagabend allein in den Wiesen herumlaufen.«

Sie erwiderte: »Was soll ich machen? Eine Freundin habe ich nicht, und der, der sich um mich kümmern sollte, der unterläßt es.«

Er fragte: »Meinst du mich?«

Und sie erwiderte: »Nein, ich meine den Jozup.«

Da setzte er sich neben sie und sagte: »Du hast recht, Marinke, daß du mir Vorwürfe machst. Ich weiß, ich habe nicht gut an dir gehandelt, aber was sollte ich tun? Der Vater verlangt es so und hat mir einen schweren Eid abgenommen.«

Sie zuckte die Achseln und sagte: »Was ist ein Eid? Für dich schwör' ich fünftausend, und wenn sie zufällig falsch sind, dann lach' ich.«

Er antwortete: »Dies war kein gewöhnlicher Eid, wie man ihn etwa vor Gericht schwört. Der ging um meinen Tod und um deinen Tod, und zwei Lichter brannten rechts und links vom Gesangbuch.«

Sie sagte: »Dein Vater könnte auch was Besseres tun, als zwei Liebesleute zu ängstigen.«

Und dann fragte sie ihn, ob es darum gewesen war, daß er sich bei jener Fahrt nach Augustenhof vor ihr versteckt hatte.

Er sagte: »Ja«, und sie legte den Kopf auf seine Knie und schluchzte. Sie dachte nicht mehr an das, was sie mit ihm vorhatte, nur sattweinen wollte sie sich.

Dem Jurris kostete es große Mühe, sie wieder in die Höhe zu kriegen, und dann küßte er ihr die Tränen von den Backen und weinte mit ihr.

Sie wollte ihm wehren, denn sie dachte: »Ich taug' ja nichts mehr«, aber sie war so glücklich, wieder bei ihm zu sein, daß sie den Mut dazu nicht fand.

Als sie heimgingen, hatte jeder den Arm um des anderen Hüfte gelegt, und der Jurris sagte: »Jetzt ängstige ich mich nicht mehr vor dir, denn ich weiß, es kann nichts Böses geschehen.«

Das gab ihr einen Stich durch die Brust, denn es mußte ja was Böses geschehen.

Heut' oder nächstens. Und ob es auf Tod oder Leben ging – gleichviel.

Von neuem hub sie an, den Eid ins Lächerliche zu ziehen. Diesmal aber tat sie's mit guter Berechnung. Und sie küßte ihn wieder und wieder und merkte mit Freuden, daß er schwindlig wurde und wankte.

Als sie auf den Hof gelangten, war alles schon dunkel und still.

Er konnte sich nicht von ihr trennen, und sie dachte bereits, er würde bitten, ihn mit sich zu nehmen in die verschwiegene Stube, aber da riß er sich los und floh ins Haus, als säße der Böse ihm auf den Hacken.

Sie kniete vor ihrem Bett nieder, wie sie schon manche Nacht gekniet hatte. Und betete und rang mit sich und horchte ab und zu, ob die Klinke sich nicht bewegte.

Die Taglöhnerfrau schlief fest, aber selbst wenn die sie hörte, was tat ihr das noch?

Und dann stand sie auf. Und da er noch immer nicht kam, trat sie den schweren Gang an nach seiner Kammer.


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