Hermann Sudermann
Die Magd
Hermann Sudermann

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VIII.

Im nächsten Frühling bekam die Marinke einen Knaben. Der sollte einmal die Enskyssche Wirtschaft erben, denn außer weitläufiger Verwandtschaft war keiner als Erbe da.

Die Marinke war den Winter über im Haus geblieben und durfte um den Ertrunkenen trauern, als ob ihn der Pfarrer ihr angetraut hätte. Und niemand in der Gegend nahm Anstoß daran, denn die Hochzeit war ja schon bestellt gewesen. – Bloß daß nun ein Begräbnis daraus wurde.

Und die Enskene, die beinahe ihre Schwiegermutter geworden wäre, ehrte sie wie ihres Sohnes leibliche Frau, ja selbst der Alte war immer gut zu ihr, aber das geschah um des Enkelsohnes willen, den er von ihr erwartete.

Vor den Gerichten hatte er keine Angst mehr, denn er fühlte sich durch den Eid, den er dem Sohn abgenommen hatte, hinreichend gesichert auch über dessen Tod hinaus.

Der Jozup war während des ganzen Winters nur dann im Haus zu sehen gewesen, wenn er die Milch abholte, und Marinke hatte sich wohl gehütet, ihm zu begegnen.

Aber einmal geschah es doch. Sie kam gerade vom Melken, da stand er breit in der Stalltür. Hinter ihr ging mit den Eimern die Magd. Um derentwillen mußte sie tun, als ob nichts vorgefallen war.

Er bot ihr die Hand und sagte: »Ich halte mich fern von dir, aber wenn die Zeit gekommen ist, wirst du ja wissen, wo du hingehörst.«

Und ohne Widerspruch ging sie an ihm vorüber, denn daß sie ihm verfallen war, daran zweifelte sie nicht.

Und so sehr hatte sie sich an den Gedanken gewöhnt, daß sie die alte Wilkene, die das Haus bisweilen besuchte, bereits als zukünftige Schwiegermutter betrachtete.

Aber freundlich war die durchaus nicht mehr.

Wenn sie an ihrem klappernden Stock über den Hof gehumpelt kam, gab es der Marinke stets einen Stich durch das Herz, und sie dachte in ihrem Innern: »Bin ich erst in dem Wolfsnest drin, dann werde auch ich das Hemd auf den Schultern mit meinen Tränen waschen.« Denn so heißt es in dem alten Lied.

Manchmal kam ihr wohl der Gedanke, sich nach der Entbindung ins Elternhaus zurückzubegeben; aber wie man sie aufnehmen würde, wenn sie mit dem Kind auf dem Arm um Unterkunft bat, daran gab's nicht den mindesten Zweifel. Im übrigen wäre auch das vergebens gewesen. Der Jozup hätte sie auch von dorther geholt.

So neigte sie sich also in Demut vor dem kommenden Schicksal, und nur die bösen Augen der Alten machten ihr Angst.

Eines Tages sagte die Mutter zu ihr: »Was will die alte Wölfin immer von dir? Du willst ja nichts von ihr.«

Aber was der Jozup wollte, davon ahnte sie nichts.

Und eines späteren Tages – der kleine Jurris mochte acht Wochen gewesen sein –, da kam er in Sonntagskleidern zu ungewohnter Stunde und setzte sich neben die Wiege, die gerade ohne Aufsicht neben der Haustür stand.

Die Mutter, die heraustrat, erschrak sehr, denn beim ersten Blick hatte sie den Mann, der sich tief über das schlafende Kleine beugte, gar nicht erkannt.

Er richtete sich auf und sagte: »Der Tote ist mein Freund gewesen, und ich habe sein Kind bis heute noch nicht gesehen.«

Und die Mutter sagte: »So sieh es dir ordentlich an.«

Aber er tat nichts dergleichen, sondern fragte sogleich: »Habt ihr auch schon daran gedacht, ihm einen Vater zu geben?«

»Sein Vater liegt im Grabe«, sagte die Enskene, »und einen anderen braucht es nicht.«

»Nun, da wird seine Mutter wohl auch noch ein Wort mitzusprechen haben«, entgegnete er, »Oder glaubt ihr, daß ihr sie ihr Leben lang als Magd bei euch behalten könnt?«

»Das Kind in der Wiege«, sagte sie, »wird künftig einmal Herr auf diesem Hof sein, und die du meinst, halt' ich wie meine Tochter. Im übrigen glaube ich nicht, daß dich dies alles was angeht.«

»Dies geht mich nur insoweit was an«, erwiderte er, »als die Marinke demnächst meine Frau werden soll.«

Die Enskene erkannte sogleich, wie wenig Macht ihr über die einstige Braut ihres Sohnes gegeben war. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen, und darum sagte sie zu ihm: »Deine Werbung ist mir so willkommen, daß ich Lust hätte, meinen Mann zu rufen, damit er dich von dem Hof weist.«

»Ich habe gar nicht geworben«, entgegnete er, »denn ihr Vater wohnt ja woanders.«

Da gab sie sich drein, setzte sich ihm gegenüber und weinte.

Und er wartete schweigend, bis die Marinke vom Feld kam.

Die Mutter ging ihr entgegen und sagte: »Schick ihn fort, so daß er nie wiederkommt.«

Sie getraute sich nicht, ihn anzublicken, wünschte ihm kaum »Guten Tag« und nahm dann das Kind aus der Wiege, um es zu stillen.

»Da hast du ja ein schönes Kind«, sagte er, »und ich will hinfort sein Vater sein.«

Sie neigte den Kopf und entgegnete leise: »Kannst du nicht wenigstens warten, bis die Trauerzeit um ist?«

Da rang die Mutter die Hände und schrie: »Du ermunterst ihn ja!«

Sie antwortete nichts, sondern hakte die Wiste auf und reichte dem Kind die Brust.

»Pfleg es mir gut«, sagte er mit einem Lachen und schritt nach dem Hoftor.

Von nun an gab es trübe Tage im Haus. Die Mutter weinte, der Alte schalt, und beide verlangten, sie solle nicht von ihnen gehen. »Hier hast du's wie eine Prinzessin, aber dort in dem Wolfsnest werden die Wölfe dich fressen mit Haut und mit Haar.«

So ging das Lied immerzu.

»Oder glaubst du, sie werden dir jemals verzeihen, daß das Kind dem Jurris sein Kind ist? Jetzt wird ja offenbar, warum die Alte dich anglupt, als schlepptest du ein ganzes Gehetz von Bankerts mit dir herum.«

So ging eine andere Weise.

Die Marinke sagte nur immer: »Habt Geduld, bis die Trauerzeit um ist.«

Der Alte aber war nicht faul, sondern fuhr zum Rechtsanwalt zweimal in der Woche, denn er wollte den Enkelsohn in den Händen behalten.

Als der Todestag des Jurris sich eben gejährt hatte und sein Grab von frischen Blumen noch voll war, erschien der Jozup von neuem auf dem Hof. Diesmal hatte er es so einzurichten gewußt, daß er die Marinke allein sprach.

Sie kam mit einem Wäschekorb von der Bleiche und lief ihm gerade in die Arme.

»Ich habe deinem Willen nicht entgegengestanden«, sagte er, »und Geduld bewiesen ein Jahr lang. Aber nun ist sie zu Ende, und darum frage ich dich: Wann wirst du mir das Jawort geben?«

Sie schaute um sich, wie sie der Antwort entgehen könne, aber niemand war weit und breit.

»Deine Mutter ist mir böse gesinnt«, sagte sie. »Und du wirst zu ihr stehen gegen mich.«

»Meine Mutter ist dir böse gesinnt«, entgegnete er, »weil sie sich ärgert, daß du ein fremdes Kind ins Haus bringen wirst. Daß es mein eigenes ist, darf sie nie erfahren, sonst würde sie's ausschreien bis hinter Prökuls.«

»Es ist auch nicht dein eigenes!« rief sie. »Das weißt du, und wenn du es nicht weißt, dann schwör' ich es dir.«

Aber er lachte sie aus. »Der gute Jurris ist tot«, sagte er. »Darum will ich so tun, als hättest du recht. Wenn du aber denkst, ich würde zu ihr stehn gegen dich, dann kennst du mich falsch. Ich bin nach dir ausgewesen wie ein Verrückter, seit ich dir auf Augustenhof die erste Kanne vom Wagen gab. Ich habe mit meiner Mutter die Sache beredet bei Tag und bei Nacht, aber die verfluchten Enskys sind fixer gewesen als ich. Ich hab' ihnen den Hof anzünden wollen über dem Kopf – ich habe den Jurris – na, nun ist egal, was ich wollte mit deinem Jurris. Aber hast du dir nie gedacht, warum ich da saß Abend für Abend neben ihm auf der Deichsel? Hast du geglaubt, daß ich ein Augenschmeißer bin und weiter sonst nichts? Ich hab' kein Wort von meinem Zustand zu dir geredet, denn schales Bier lieb' ich nicht, und den Bettler beißen die Hunde. Aber das hättest du wissen müssen, daß du mich entzweischneiden kannst mit dem Hackmesser, und ich würde noch nicht den Finger heben gegen dich. Ich sollte zur Mutter stehn gegen dich? Ja, Marjell, was dachtest du von mir?«

Wie er das sagte, geschah es zum ersten Male, daß sie ihm recht in die Augen sah. Und es war, als spritze Feuer daraus, und es war, als sei eine Wendezeit gekommen und jage sie auf unbetretene Wege.

Ihre Seele wand sich vor ihm und konnte seinem Willen doch nicht entweichen.

»Die Eltern werden es nicht zugeben«, sagte sie, um doch etwas zu sagen.

»Welche Eltern? Deine oder dem Jurris seine?«

»Meine sind froh, wenn sie mich los sind«, entgegnete sie, »aber diese hier lassen mich nicht mehr weg.«

»Wenn der Habicht kommt, fliegt selbst die Krähe vom Nest, und um zwei solche Grasmücken sollt' ich mich kümmern?«

»Sie haben das Kind zum Erben bestimmt. So ein Glück kommt nicht wieder.«

»Ich habe ihm auch einen Hof zu vererben, wenn ich das will.«

»Hier geht es nicht nach deinem Willen, das weißt du sehr gut. Denn eigene Kinder kommen zuerst.«

Der Jozup war rasch von Begriffen. Er sah gleich ein: Wenn er nicht drohte, kam er zu nichts.

»Na, gut«, sagte er, »dann muß ich doch wohl meiner Mutter erzählen, was zwischen uns passiert ist an jenem Sturmtag, als dem Jurris sein Kahn koppheister schoß. Was weiter geschieht, dafür wird sie dann schon sorgen.«

Die Marinke sah vor sich nichts als Schmach und Beschmutzung. Und auch des Jurris' Andenken würde beschmutzt sein bis in die Ewigkeit. Darum wurde sie stark in ihrer Schwäche und sagte: »Ein Eid gilt dir nichts« – daß er auch ihr einmal wenig gegolten hatte, daran dachte sie nicht –, »und so schwör' ich erst gar nicht. Aber was ich jetzt sage, das ist so wahr, wie daß der Jurris nicht wiederkommt. Wenn du mich heiraten willst, so werd' ich nicht widerstehen und werd' auch das Kind bei mir behalten, bis wir beide ein eigenes kriegen. Dann muß es zu denen zurück, die es beerben wird. Sagst du aber deiner Mutter oder sonst einem auf der Welt, was du mir angetan hast, dann nehm' ich mir am selbigen Tag den ersten besten Kahn von denen, die am Ufer stehen, und fahre hinaus und komme nicht anders wieder, als einstmals der Jurris kam. Nun weißt du's.«

Damit hob sie den Wäschekorb auf und schritt an ihm vorüber dem Hofraum zu.

Er aber hatte seinen Willen. Und was heute noch daran fehlte, das mußte die Zukunft ihm bringen, wenn die Marinke erst ganz in seiner Gewalt war.

Am nächsten Vormittag kam die Alte auf Freischaft.

Sie sah noch böser, noch verdrossener aus, und als sie die Marinke küßte, war's ihr, als gösse der blankzähnige Mund ein Gift über sie aus.

Aber sie widerstand nicht mehr.

Mochte die gute Mutter ihr auch weinend Rücken und Hände streicheln, mochte der gnitschige Vater ihr ein Viertel von seinem Vermögen versprechen – sie blieb fest. Und auch was mit dem Kind werden sollte, bestimmte sie nach ihrem Willen.

Der alte Enskys hatte schon alles besorgt, was nötig war, um den Enkel an eigener Kindesstatt anzunehmen, aber das durfte nun erst in Kraft treten, wenn Marinkes Leib von neuem gesegnet war. Bis dahin sollte der Kleine bei seiner Mutter verbleiben, und der Jozup durfte die Vaterrechte ausüben, wie jeder Stiefvater es tat. So wurde es festgemacht, und niemand sagte mehr Nein.


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