Marie Tihanyi Gräfin Sturza
Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau
Marie Tihanyi Gräfin Sturza

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IX.

Mit fieberhafter Ungeduld erreichte Fred den heimatlichen Boden.

Er bereute damals, abgereist zu sein... aber hätte er denn bleiben können?

Hätte er nicht in Zukunft seine Besuche einschränken müssen, auf das geringe Glück, Mira täglich einen Augenblick zu sehen, verzichten müssen, ihre zarten Hände nicht mehr heimlich küssen dürfen?

Was blieb ihm anderes übrig, als den Schmerz zu ertragen, und in der Einsamkeit zu leben, da seine Liebe und der Wille von Frau von Ellissen ihm das auferlegten?

Wäre es nicht besser dieses ferne Land zu verlassen, wo er doch keinen Trost finden konnte?

Wenn Mira wenigstens mit gewesen wäre, um ihn zu trösten. Er hatte sich so sehr daran gewöhnt, alles von ihr zu empfangen, Mut, Hoffnung, die Richtung jeder seiner Handlungen! Er hatte bei ihr so gern auf sein eigenes, so schwaches Wollen verzichtet! Ihm fehlte die Erfahrung um nachzudenken, zu urteilen und selbst zu entscheiden. Seine traurige Kindheit, seine dahin geopferte Jugend hatten ihn stets gehindert, seine Willenskraft selbstätig auszuüben. Er war unfähig – ohne seine Retterin – mit seinen entfalteten seelischen Kräften zu handeln.

Fred, fühlte sich, fern von ihr, sich selbst überlassen, und begann zu sinken, wie ein Mensch, der mit geschlossenen Augen und verschränkten Armen sich verzweifelt ertränkt.

Aber Mira konnte ihn nicht verlassen.

So gleichgiltig sie gegen sich selbst war, hatte sie sich nicht, was ihn betraf, zu heroischer Tapferkeit aufgeschwungen?

Gewiß, keine übelwollenden Auslegungen und auch kein ungerechter Zorn, besonders nicht von Stella, konnten ihn erschrecken, aber konnte er erlauben, dulden, daß sie seinetwegen Qualen erleiden mußte? An ihm war es, das notwendige Opfer zu bringen.. sich von ihr zu trennen!

Er verzweifelte bei diesem Gedanken. Sein Gang war unsicher auf dem weiten Weg nach Hause.

Wie grausam war das Leben! Dieses Leben hatte sich so ganz anders gestaltet, dieses zusammenhangslose unordentliche Leben, verächtlich wie ein Glückspiel! Dieses Leben von dem man sagt: O! wenn man es doch noch einmal beginnen konnte! Aber man kann es nicht wieder beginnen. Man lebt es zu Ende wie eine Maschine, feig oder heroisch, je nach dem Maß von Kraft, über welches man verfügt. Und er zeigte sich feig, feig, immer gleich bereit ein Ende zu machen. Anstatt die Ereignisse herauszufordern und zu bekämpfen, erwartete er sie und ließ sie über sich ergehen.

Bei diesem Punkt seiner inneren Betrachtung wuchs seine Verzweiflung bei dem Gedanken, daß seine Kunst infolge seines Charakters fortwährend im Sinken war.

Weit entfernt davon, von der verzweifelten Energie erfüllt zu sein, welche allein zum angestrebten Siege führt, war er Zufällen preisgegeben, äußeren Einflüssen, dem Übelwollen der Neidischen und seiner eigenen Entmutigung. Aus sich selbst heraus konnte er nicht vorwärts kommen. Und doch fühlte er die Flamme schöpferischer Inspiration in sich glühen. Er wußte es, daß er in sich die Möglichkeit trug, einen neuen und machtvollen künstlerischen Ausdruck zu schaffen! Manchmal erfaßte ihn ein brennender Wunsch mit seiner genialen Sprache die erwartete Formel hinauszurufen.

Langandauernde Schauer erschütterten ihn, als ob eine unsichtbare Hand sein Wesen in seinen Grundfesten aufrütteln würde, ihn vorwärts schleudern würde, gleich einem Thyrsusstab, und ihn gleich einem Gotte dem Rythmus übermenschlischer Harmonien unterwerfen würde.

In diesen heiligen Minuten, die schmerzhaft und göttlich zugleich waren, unterwarf er sich dem Aufwallen seiner Seele, und stürzte sich in die eigensinnigste Arbeit, ohne die jede Inspiration vergeblich ist.

Wenn ihm aber irgend ein materielles oder moralisches Leid in den Weg kam, sanken gleich die versengten Schwingen leblos, kaum zitternd im Todeskampfe, zurück. –

»Ich bin ein Unglücklicher« murmelte er dann.

Ich kann nur in einer Atmosphäre von Liebe leben, schaffen, bestehen. Und ich bin einsam ... so einsam!

Er küßte den Brief von Frau von Ellissen wie wahnsinnig. Der Inhalt des Briefes verwirrte ihn. Zum ersten Male rief sie ihn zu sich, – – am Abend – – , und in welchen Ausdrücken! »Unauffällig« .... zu welcher Stunde immer! ... Er las und las wieder, und ein Gedanke faßte Wurzel in ihm. Sein Herz schlug freudig, mannigfache Bilder jagten ihm von Schwindelanfällen unterbrochen durch den erregten Kopf.

Mit einem Schlage verwandelte sich seine Hoffnungslosigkeit in schwärmerische Freude.

Wenn dies alles eine Entscheidung Miras bedeuten sollte, einen schnell gefaßten Entschluß, endlich der Stimme der Liebe nachzugeben? Wenn sie ihn annehmen würde, wenn sie ihm die erhabenen Worte sagen würde: »Fred ich liebe dich. Ich werde die deine sein!«

Da sich Mira entschlossen hatte, ihn in der Nacht zu empfangen, ... allein! Konnte er daraus eine andere Absicht ersehen?

Er empfand plötzlich das Gefühl, als ob seine Brust an dem liebeglühenden Körper Miras, die sich ihm hingab, ruhen würde. Er breitete rufend die Arme aus, und preßte sie, als er wieder zu sich kam, auf sein Herz.

Endlich entströmten Tränen der Freude und Wollust seinen Augen und benetzten ihn wie der Morgentau.

Und er kehrte tatsächlich nach Hause zurück; seine Stunde war gekommen. Seine lebhafte Einbildungskraft räumte alle bangen Sorgen mit einem einzigen Schlag aus dem Weg.

Als er in der Stadt ankam, traf er Frau von Kannenberg. Sie bat Fred zum Tee zu kommen. Sie war erfreut, ihn nach so langer Zeit wiederzusehen.

Fred nahm an. Was wollte er auch von 4 Uhr Nachmittag bis zum Einbruch der Nacht beginnen? So verging wenigstens die Zeit schneller!


Die Rouleaux waren herabgelassen. Weit weg von dem Fauteuil, in dem Frau von Ellissen ruhte, stand die kleine Lampe mit dem rosa Spitzenschirm. Sie verbreitete einen schwachen Schein, ähnlich der Helligkeit der Nachtlampe eines Krankenzimmers. Diese Beleuchtung war einladend zu sanftem Hindämmern, zum Stillsitzen, ohne sich zu regen, zum Dämpfen der Stimme, zum Flüstern halb zu erratender Worte. Kein lautes Geräusch schien hier möglich, ebensowenig als man es sich einfallen ließe, im Halbdunkel einer Kapelle zu schreien.

»Ich werde ihm sagen ... ich werde ihm sagen, ja, daß mein Herz mein ganzes Wesen ihm gehört,« wiederholte sich Mira. Er wird mir antworten, daß ich grausam bin.

Plötzlich ertönten scharf markierte Schritte auf den Fließen des Vorzimmers und die Türe wurde leise geöffnet.

Frau von Ellissen erschrak heftig und stieß einen Schrei aus.

»Ich bin es, falle nicht in Ohnmacht!« sagte Stella während sie eintrat.

»Ach!« sagte die junge Frau, und sah das Mädchen mit erschreckten Augen an.

Stella sprudelte gleich los:

»Fred ist angekommen ... aber frage nur nicht, wo er ist! ... Fred ... ja, wo ist Fred? Ich habe ihn eben zu Kannenbergs hinaufgehen gesehen ... ah das ist also sein erster Weg, ... und nicht zu uns?«

Die junge Frau wußte wohl, daß sie ihn geschrieben hatte, er solle in der Nacht kommen, daß Niemand davon wissen solle, damit er ohne Aufsehen kommen könne!

»Sie doch, Stella, überhäufe mich nicht gleich mit Vorwürfen. Er wird schon kommen. – Und übrigens ist es denn meine Schuld?«

»Doch, ja, es ist deine Schuld! Ach! das machst du gut! Hättest du nicht so lange gezögert! ... Hättest du mit ihm gesprochen, als ich es dir gesagt habe! Dann wäre er da! Ich wäre schon verlobt, und unser Leben wäre schon im ruhigen Geleise. Jetzt aber ist er vielleicht für mich schon verloren, und ich muß vielleicht einem Anderen nachlaufen. Denn ich will unbedingt jetzt heiraten. Wer weiß, ob nicht eine von den Kannenbergs jetzt auch in Italien war und für mich jetzt alles verloren ist. Du siehst, daß sein erster Weg zu ihnen war.«

»O, mein Gott!« stöhnte die junge Frau, das Gesicht in den Händen verbergend. Wenn es wahr wäre, daß Fred ... von ihr zurückgestoßen ... sich an ein anderes Herz geklammert hätte? ... daß er sich aus Ärger, um sie zu verletzen, zu quälen, in ein Abenteuer verstrickt hätte, das ihn von ihr auf ewig trennte? ... Wie entsetzlich! Ihn zu verlieren ohne den bitteren Trost, ihn wenigstens durch die Fesseln der Pflichten, ... mütterlicher Pflichten .... wiederzufinden! So grausam diese auch wäre, ein Schimmer von Freude war doch am Grunde des Leidenskelches .... Aber ihn vollständig verlieren! ... Ihn niemals wiedersehen! ...

Sie regte sich wahnsinnig auf. Trotzdem sie geglaubt hatte, daß sie niemals von einer tieferen Trauer hätte ergriffen werden können, wurde sie jetzt inne, daß ihr früheres Leid nur eine Freude war, im Vergleiche zu den Schrecknissen, die sie nun kommen sah –

Ein instinktiver Gedanke bemächtigte sich ihrer. Sie mußte mit Stella vereint kämpfen, um Fred für sie beide zu erlangen. Sie rief fast in Tränen ausbrechend:

»Was tun? Sage es mir, mein Gott!« –


Während Fred zurückkehrte, zügelte er seine Sehnsucht, unaufhaltsam vorwärts zu eilen. Nein, er wollte nicht, daß andere von der köstlichen Stunde, die Mira ihm versprochen hatte, erfahren sollten. Er würde warten, bis alles schlief, und sie allein wäre, ganz allein mit ihm, dem Liebenden, dem Gatten ....

Lautlos, im Verborgenen wollte sie ihn treffen, bei flüsternden Worten, Lippe ... an Lippe!...

Wie die Zeit lang wurde! Er füllte sie in etwas kindlicher Weise damit aus, daß er sich ankleidete, wie für ein Fest. Sogar ein Jasminsträußchen steckte er sich ins Knopfloch.

Dann dachte er daran, daß er immerhin schon um den Park herumstreifen, dem Spiel der Lichter, die allmählich ausgelöscht würden folgen konnte, um dann schließlich hinter den Scheiben von Miras kleinem Salon das Licht der verschleierten Lampe aufflammen zu sehen, welches ihm sagen würde, daß sie da wäre.

Er ging fort. Die dem Hause zunächst liegende Tür des Parkes ... die Türe beim Eichenrondeau hatte er geschlossen, aber nicht zugeriegelt gefunden. Er ging und schlich zwischen den Schatten umher, die der große noch tief am Himmel stehende Mond längs den Hecken verbreitete. Er verbarg sich hinter dem Gebüsch, erschreckt durch das leise Geräusch von Schritten, lauschte mit nervöser Angst, daß er von den Spaziergängerinnen, die sich manchmal verspäteten, gehört werden könnte. Vorsichtig erreichte er so den Rand des Gehölzes und blieb dort regungslos im Schutze eines Baumes. Noch niemals hatte er die Sensationen einer so romantischen Ankunft zu einem nächtlichen Rendez-vous empfunden; er genoß sie als prickelnde ganz ungewohnte Freuden, in seinem so sittsamen Leben. Eine köstliche Erregung verzehnfachte seine Erwartung. Sein junges Blut pochte in seinen Adern, da es nun das leidenschaftliche Glück physischer Erregung empfinden sollte. Er war außer sich vor Freude über das sanfte Dunkel des Abends.

Das Fluidum des Mondes durchdrang ihn durch den Blättervorhang mit einem bis dahin unbekannten Gefühl eines unaussprechlichen Geheimnisses ..

Nicht einen Augenblick zweifelte er an den Wonnen, die ihm zuteil werden sollten. Nicht aus Ungeduld zählte er die Stunden, welche die Glocken des alten romanischen Turmes dort oben langsam von Viertel- zu Viertelstunde verkündeten. Er hätte von der Sehnsuchtswonne eines sicheren Wartens nichts verlieren wollen. Doch ließ er seine Blicke dahin und dorthin schweifen, um den Veränderungen der Lichter im Hause zu folgen. –

Die Fenster leuchteten in der Abendluft, die ganz von dem berauschenden Duft der Maienblüte erfüllt war und drin wurden die Vorschriften getroffen, um zur Ruhe zu gehen.

Bald erhellte sich Stellas Zimmer und eine schmale Silhouette mit wallendem Haar stützte sich mit den Ellenbogen auf das Fensterbrett und sah hinaus. Nicht lange. Sie entfernte sich, kam dann wieder, ging auf und ab, ging an dem Fenster vorbei und zeigte eine Aufregung, die sich nicht beruhigen wollte.

Dann trat langsam ein dichter Schatten da zwischen.

Fred erriet, daß Mira Stella veranlaßt hatte zur Ruhe zu gehen. Sie selbst kam ans Fenster, schloß die Fenster und er glaubte zu sehen, daß sie sich vorher ein wenig verneigte um die Alleen des Parkes auszuspähen. Er murmelte in großer Erregung: »Mira, Mira! ... ich bin hier!«

Endlich erschien sie am Fenster ihres Zimmers. In diesem Augenblicke schlug es zehn Uhr. Sie zählte die Schläge, unbeweglich. Dann bei dem letzten verklingenden Schlag sank sie in einen nahen Fauteuil und Fred bemerkte, wie der nachdenkliche, abgewendete Kopf sich nicht bewegte, so als sie versuchen würde zu schlummern.

Wie ruhig sie in einem solchen Augenblicke ist, dachte Fred, enttäuscht, daß Mira sich nicht ebenso erregt zeigte, wie er. Er hörte sogar auf, sie anzusehen, denn diese Ruhe konnte er nicht ertragen und er begann wieder zwischen den geneigten Brettchen der Fensterläden hindurch, bei Stella die Bewegungen ihres Schattens, der sich noch immer nicht beruhigen wollte, zu verfolgen.

Eine unbestimmte Traurigkeit trübte seine Freude, er seufzte; er trug einen Groll im Herzen gegen all die Dinge die in seinem Leben so unharmonisch waren. Er fühlte etwas von der Enttäuschung, die ihm zuteil wurde, wenn er zu dem Text einer heiteren Melodie nur eine dumpfe, schwere, matte Begleitung hörte. Das, was an diesem Abend mit dem Frühlingslied, das in ihm klang und ihn bis in die Fingerspitzen erheben ließ, harmoniert hätte, wären köstlich verlaufende, gewandt gegriffene Arpeggien, bis in die höchsten Stimmlagen hinauf gewesen. Und Mira ... so unbeweglich ... schlummernd? Endlich erlosch das Licht in Stellas Zimmer.

Jetzt war die Fassade des Hauses ganz dunkel, ausgenommen das viereckige helle Fleckchen, daß Miras abgewendeten Kopf umrahmte.

Das Schweigen wurde tiefer, als die große Mondscheibe hinter den Hügeln verschwand.

Fred verließ seinen geschützten Platz, und ging um das Gebüsch, das ganz von blühendem Flieder eingefaßt war, herum.

Es schlug elf Uhr. Er zitterte: Die Tür des Glasvestibuls öffnete sich unter dem langsamen Druck einer unsichtbaren Hand. Dann drang durch die Stores des kleinen Salons ein Licht hindurch.

Mit einem leichten Satz durchmaß Fred den Raum, der ihn von dem Hause trennte, trat durch die halboffene Türe ein, fand seinen Weg zwischen dem Grün, welches den Eingang umgab und schob leise die Portiere beiseite, welche die einzige Türe des Boudoirs sorgsam verhüllte.

Mira, die nicht gehört hatte, daß er sich näherte weilte hier. Sie saß in einem schwarzen geschlossenen Kleide ganz zusammengekauert, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Stirne in die Hände vergraben. Das hatte Fred sich nicht vorgestellt, daß sie ihn so erwarten würde! Ein erkältendes Gefühl hielt den Schwung seiner Gefühle zurück. Er rief sich den Brief ins Gedächtnis, in der schrecklichen Angst, sich vielleicht getäuscht, vielleicht schlecht gelesen zu haben.

Seine Hoffnungen verflogen, alles brach zusammen. Er erwachte aus seiner trügerischen leidenschaftlichen Aufwallung mit jenem Stich im Herzen, der den Unglücklichen eigen ist, die sich falschen Hoffnungen hingeben und die, wenn die scharfen Krallen der Wirklichkeit sie anfassen, die früheren Leiden wieder empfinden.

Er flüsterte ganz leise, fast klagend:

»Mira!«

Die junge Frau richtete sich erschreckt auf, und erstickte einen Schrei.

Sie sahen sich sehnsüchtig, liebeglühend an, bestrebt die gegenseitigen Gedanken zu erraten. Aber Mira hatte sofort den Gesellschaftsanzug und das angesteckte Jasminsträußchen bemerkt.

So war es also wahr, was Stella gesagt hatte? Er kam von dort – – – von den Kannenbergs? Die Gefahr belebte sie. Sie machte ihm ein Zeichen. Er näherte sich um zu den Füßen Miras niederzuknieen, wie er es sonst immer getan hatte. Sie hielt ihn aber durch eine Bewegung zurück.

»Sie haben meinen Brief in Rom erhalten? Und Sie sind gekommen ... Fred! ...«

»Ja, und, ... und! ...«

»Und Ihr erster Gang war zu Kannenbergs Mädchen? Sie haben sie aber sehr bald verlassen; es ist erst elf Uhr?«

»Ja Mira, ich war dort, die Ungeduld, die Stunden bis zur Nacht, ... in der ich kommen durfte, ... schnell vergehen zu lassen, Mira.«

»Sie hätten wenigstens die Blumen entfernen können.«

Und sie deutete mit der Hand nach dem Aufschlag seines Rockes. Er nahm die Blumen mechanisch haben. Den zarten und närrischen Grund, warum er sie so verklärt und so stolz angesteckt hatte, wagte er nicht zu gestehen: »Ich habe sie erst später genommen! Um meiner Liebe für Sie Ausdruck zu geben, der Freude Sie wiederzusehen, Sie, die mir Ihr zusagendes Wort gegeben hat!«

Die junge Frau schüttelte den Kopf:

»Ich stehe Ihnen doch wie mir scheinen will, nahe genug, daß Sie mich ein wenig zur Vertrauten hätten machen können?«

»Was hätte ich Ihnen anzuvertrauen, daß Sie nicht ebenso gut wüßten als ich?« antwortete er traurig. »Ich war so unglücklich ohne Sie. O, so unglücklich,... so unglücklichI« sagte er, den Kopf senkend.

»Kommen Sie zu mir, Fred, ... ganz nahe zu mir, damit ich Sie ganz ... so ganz bei mir habe... daß ich Ihre Augen sehe!«

Fred stürzte vor ihr auf die Knie und breitete die Arme aus, um sie zu umschlingen; aber sie faßte seine kühnen Hände und hielt sie fest in den ihren.

»Fred ... Sie haben mich nicht mehr lieb?«

»O Mira! ...« Er barg seinen Kopf an Miras Brust und begann zu schluchzen. –

Die junge Frau wurde rot; ihre Nasenflügel bebten; ihre traurigen Augen bekamen wieder einen freudigen Glanz.

Fred war noch der Ihre! Man würde ihr ihn also nicht wegnehmen. Aber er war am Ende seiner Kräfte, der arme Fred ... gequält durch die lange Dauer seiner keuschen Liebe. Also vorwärts! Sie brauchte nur ein wenig Mut in diesem letzten Kampf, damit der Geliebte, der in ihren Armen weinte, sich wiederaufrichtete ...... als ihr ...... Schwiegersohn!

Ihr Sohn! Sie versuchte sich von dieser unbefleckten Zärtlichkeit gefangen nehmen zu lassen; sie drängte ihre liebeglühenden Triebe heftig zurück; sie legte dieses Wort wie ein Siegel auf ihre Lippen um ihnen zu befehlen ihr Zittern zu beruhigen, das sie bei der Berührung mit diesem lieben weinenden Gesichte empfand, das auf ihrer Brust ruhte und über die Lauheit dieser Wiederbegegnung erblaßte. Sie rief sich zu, daß sie ihn nicht lieben dürfe ... trotzdem umschlangen ihn ihre Arme mit unbewußter Heftigkeit, und umarmten ihn mit wahnsinnigem Druck, wie sie es sich erträumt hatte.

»Oh! Mira, hab' Erbarmen! Hab' mich lieb ... rief Fred. Wenn du nicht mein sein willst, so jage mich fort, töte mich, aber mache mich nicht wahnsinnig! Du mußt mein sein ... Mira ... du mußt endlich mir gehören!« ... Nnd er stürzte sich über den erblaßten halbgeöffneten Mund der jungen Frau! Sie sträubte sich, stieß ihn weit von sich weg und erhob sich mit einer Bewegnung, wie um zu fliehen. Aber er versperrte ihr den Weg. Überreizt, wie er war, von ihr heftig zurückgestoßen, zitterte sein ganzer Körper vor Begierde und vor Wut. Er schrie mit heiserer Stimme, er weinte und zeigte dabei die Zähne, als ob er sie beißen wollte!

»Sie sind grausam, Sie sind widerwärtig! Ich hasse Sie! Was wollen Sie denn? Warum haben Sie mich diesen Abend gerufen, diese Nacht, allein, zu Ihnen? Warum haben Sie mich mit Ihren Armen umschlungen?«

Beleidigt, verwundet, aber auch erschreckt stammelte sie; wahrend sie sich an die Wand lehnte:

»Also Sie haben geglaubt?!! ... O! Fred ... Sie haben glauben können?«

»Ja, ich weiß, ich hätte es wissen sollen, daß Sie eine von jenen Frauen sind, die von der Liebe alles wollen ... ausgenommen die Liebe selbst! ... Ich habe genug daran gelitten während dieser langen Jahre! Verrückt, dumm war ich, mein Leben, mein Herz zu verlieren, um zu Ihren Füßen hinzukriechen wie ein Hund, dem man schmeichelt und den man mit dem Fuß zurückstößt, wenn er es wagt Ihnen die Hände zu lecken. Aber noch einmal, da Sie doch wußten, daß ich Sie liebe, warum haben Sie mich heute Abend kommen lassen?«

»O Fred! Sprechen Sie nicht so mit mir! Ich erkenne Sie nicht wieder!« murmelte Mira ... während sie sich in ihrer Schwäche mit ausgebreiteten Armen an die Wand klammerte wie an ein Kreuz. »Sie töten mich! ...« Ich wollte Ihnen ...... ich wollte dir......

Er beruhigte sich, da er sie so bedauernswürdig stehen sah und schon wand sich sein weiches Herz vor Reue. Aber er blieb vor der Türe in der früheren wilden Haltung stehen.

»Fred« sagte sie ihm, »da ich sprechen muß, weil Sie mich zu einem Geständnis verpflichten, das die Furcht auf meinen Lippen zurückgehalten hat, und das ich Ihnen mit halben Worten zu verstehen geben wollte, ohne es mit fester Stimme aussprechen zu müssen .... wissen Sie also ...«

Fred stürzte sich zu ihr hin, da er sie so schwach, fast sterbend glaubte. Aber vor Schreck über seine Berührung beendete sie den angefangenen Satz, während sie die Hände abwehrend von sich streckte, und ihre Augen voll Tränen standen:

»Stella liebt Sie!«

Dann sank sie mit geschlossenen Augen, und schlaffen Armen in einen Stuhl. Sie hatte den Abgrund überschritten, der sie auf immer von ihrer einzigen Liebe trennte. Nun, da das Werk vollendet war, brach sie zusammen, wie um ins Grab zu sinken, nur noch von einer ewigen Ruhe träumend.

Während Fred, der starr vor Schrecken, wie ein vielfaches Echo den Wiederhall der Worte hörte, die sie ihm eben gesagt hatte, erbebte jede Faser seines Wesens:

»Stella liebt Sie!«

Ein instinktives Zittern überfiel ihn. Dann dachte er über die Wahrscheinlichkeit dieses Geständnisses nach. Sein Herz schwoll, als ob er ersticken müsse und er glaubte zu leiden.

»Mira« murmelte er »welche Worte haben Sie ausgesprochen? Und, wenn Sie aufrichtig sind warum müssen Sie mir dies dann sagen?«

Sie regte sich ein wenig, wollte erklären, machte Bewegungen die ihre Sprache nicht ausdrücken konnte. Dann nickte sie mit dem Kopf, und erwiederte: »Ja, Stella liebt Sie!«

»Nun wohl!« antwortete er ungeduldig »wenn das der Fall wäre ....«

Sie sah ihn an.

»Verstehen Sie den nicht? Sie müssen Stella heiraten!«

»Ich!!!« Strahlende Bilder glitten an seinem geistigen Auge vorbei. Er erwiderte:

»Sie denken doch nicht daran?« Sie antwortete entschieden: »Sehen Sie, Sie wollten doch heiraten! Sie haben mir gesagt, daß Sie so nicht weiter leben könnten, daß Ihr Herz der Zärtlichkeit bedürfe, daß die Einsamkeit in der Sie leben, dem Fluge Ihres Genius hinderlich wäre.«

»Gewiß!« sagte er feurig.

»Nun wohl?«

»Nun wohl, aber Sie sind es, die ich zu meiner Gattin, meiner einzigen Liebe ersehne!«

»Sprechen wir nicht von mir Fred ... die Pflicht ... das Alter ... haben mich von Ihnen getrennt.... ich darf für Sie nicht mehr vorhanden sein.«

»Mira!«

»Lassen Sie mich für immer!«

Ein Schweigen folgte. Die junge Frau sank mit gefalteten Händen auf ihre Knie, sie dachte auch, daß es sinnlos sei, sich so das Herz zu zerreißen, da es ihr doch frei stand ihre Leiden in innigen Umarmungen zu lindern. Sie begriff weder, warum sie sich opfern mußte, noch, daß sie machtvoll ihre Pflichten fühlte, gegen die sie sich, wenn nicht aus instinktiver Erregung, so doch wenigstens mit dem Wunsch der Hingabe, auflehnte.

Tief in ihrem Inneren trug sie ihre Liebe eingegraben, die sich all ihren Handlungen aufdrängte. Weil sie liebte, fügte sie sich in die Leiden. Das Glück anderer begeisterte sie. Dem Aufruhr ihres Herzens zum Trotz, gehorchte sie ihrem Pflichtgefühl. Ihr Eigensinn in diesem Punkte beharrte unbeugsam auf den scheinbaren Eingebungen ihrer instinktiven Gefühle. Trotz ihrer Schwäche ging sie mit gesenktem Kopfe gegen das Ziel los, das sie als das beste erkannt hatte, und war sich wohl bewußt zu straucheln wenn sie sich vergaß.

Sie antwortete ihm:

»Ich kann und darf Ihnen nicht angehören, ich bin eine Frau von dreißig Jahren... meine Pflichten gegen Stella... verstehen Sie... und meine Zärtlichkeit für Sie gebieten mir dies. Stella hat diese Verbindung erträumt!.. Ich betrachte Sie wie meinen Sohn... so wie Stella meine Tochter ist!......... Stella ist schön, jung,... Sie brauchen eine Gefährtin... und Sie gefallen ihr.... Sie werden sie lieben. Ich muß für Sie tot sein... aber ich will Ihnen die Hand drücken, Fred.. Ich wende mich an Ihre Ehre. Sie müssen Stella lieben, wie Sie mich geliebt haben... Sie müssen Sie lieben... das ist eine Ehrenpflicht. Das ist die Aufgabe unserer Seelen. Sehen Sie mich an, erheben Sie sich, über alle Kleinigkeiten!... Seien wir groß, der Unendlichkeit der Liebe gegenüber!!! Das muß sein!...«

»Mira... also niemals werde ich die Worte hören: »Ich bin Dein«... »auf immer«?«

»Nein« sagte sie mit erstickter Stimme.

»Hören Sie... Stella will morgen Antwort!... Also Morgen Abend... erwarte ich Sie zum Verlobungsdiner.«

»Und wenn ich nicht komme?«

»Dann...« murmelte die junge Frau. Wortlos stürzte Fred hinaus, Mira ganz verstört zurück lassend.

Ganz plötzlich dachte sie, daß er entfloh, daß er ihr entwischte, daß er nicht wiederkommen würde, daß alles zu Ende wäre. Aber er hatte gesagt:

»Lassen Sie mich nachdenken!«

Sie stürzte ihm nach, rief ihn, leise erschrocken... ihm zu sagen... ich liebe dich, ...ich bin dein! Aber im Dunkel des Parkes sah sie keinen Schatten; im Schweigen der Nacht hörte sie nicht den leisesten Hauch!

»O!« seufzte sie von neuem mit ausgebreiteten Armen die leer waren wie ein offener Käfig:

»O Fred... Fred!« Die finstere Nacht hüllte sie ein, wie in ewige Finsternis. –


Drei Monate waren vergangen! – Die Wagen durcheilten die Straßen um die Gäste aufzunehmen. Die alten Arbeiter der Fabrik hatten die Nacht hindurch gearbeitet um Zweige abzuschneiden und damit das Gittertor des Hauses und das Tor der Kirche zu bekränzen, ihre Frauen entblätterden dii weißen Rosen, welche sie abgeflückt hatten um die Wege zu bestreuen. Die Junisonne brannte herab.

Als Stella Ellissen dem Wagen entstieg und zwischen das Spalier neugieriger Köpfe trat, war sie verwirrt. Ihre kunstvolle Frisur, ihrer eigenartigen, persönlichen jede Banalität ausschließende Kleidung, ihre einfache und stolze Haltung, ihr offenes Gesicht von idealer und vollkommener Anmut, ließen sie hervorragend geeignet erscheinen, um unwiderstehlich zu verführen und zu herrschen. – Keinerlei Kritik ließ sie aufkommen. Man blieb erstaunt vor dieser Erscheinung. Keine Unbeholfenheit, nichts Linkisches, keine Schüchternheit. Hinter ihrem Schleier war sie rosig, von jugendlicher Frische, und nicht infolge der Erregung. Ihre hellblauen Augen leuchteten unter den halbgesenkten Wimpern. Die leicht in die Höhe gezogenen Mundwinkel schienen zu ihrem natürlichen Ausdruck zu gehören, und drückten fast ein Lächeln aus; aber sie lächelte nicht. Stella ging ohne Hast, jedoch rasch genug, um das gewohnte Ungestüm ihrer Bewegungen durchblicken zu lassen. Sie war kindlich und königlich... jedoch nicht jungfräulich. Herr Deaken führte sie, denn sie hatte keinen Verwandten, der diese Pflicht hätte erfüllen können. Sie zog so sehr die Blicke auf sich, daß man trotz des Zuges auserlesen eleganter Frauen, der ihr folgte, nur sie sah. Mira, die den Zug schloß, wäre unbemerkt geblieben, wenn man sie nicht so sehr verehrt hätte. Aber die Leute wurden traurig, als sie sie so blaß mit einem wild entschloßenen Ausdruck sahen, den man an ihr nicht kannte.

Die unglückliche junge Frau, die gezwungen war, ihre Hand auf den Arm Freds zu stützen nahm sich mit äußerster Willenskraft zusammen, aus Angst, daß der junge Mann das unaufhörliche Zittern, das sie durchlief, bemerken könnte. Sie allein eilte, so schwach sie sich fühlte, und die Schleppe ihres Kleides knisterte unter der Hast ihrer Schritte. Man fand sie sehr schön in ihrer Toilette aus lichtblauen Crepe de chine mit schwarzen Margueriten und reicher Spitzengarnierung. Tapfer, mit grausamer Anstrengung, hielt sie sich aufrecht.

Miß, welche dem Zuge vorausgegangen war, um ihn nicht aufzuhalten, sah sie herankommen, und suchte ihre Blicke, um sie mit frischer Kraft und Mut zu beleben. Als Frau von Ellissen von Fred befreit in ihrem Lehnstuhl niedergesunken war, atmete sie auf.

Hörbar entströmte der Atem ihrer zusammengepreßten Kehle. Das Geräusch verlor sich im brausenden Orgelklang. Jetzt wagte sie es, die Augen zu Fred der vor ihn kniete zu erheben, und sie versenkte sich in eine letzte und schmerzliche Anbetung.

Fred war bleich... er frohlockte, sein Herz zitterte vor Entzücken und Gewissensbissen und plötzlich trieb ihm eine Blutwelle fieberhafte Röte auf die Wangen.

Seine Aufregung verriet sich durch nervöse Bewegungen. Er wäre am liebsten fortgestürzt, um das Weinen Miras nicht zu hören. Manchmal war es ihm, als ob der stoßweise Atem der unglücklichen Frau bis zu ihm hindrang und ihn streifte und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Als der Geistliche die Hand Stellas in die seine gelegt hatte, vergaß er alles. In der Sakristei blieb die junge Frau zurück und begleitete Fred mit einem letzten Blick.

Von Miß unterstützt, von den Gästen umringt zeigte sie sich gerührt, ohne ihren inneren Schmerz zu zeigen. Als sie ermüdete, unterbrach Miß die Gespäche und antwortete für sie.

Indessen erfüllte Stella mit viel Anmut ihre gesellschaftlichen Pflichten als Neuvermählte. Vollkommen in Allem, traf sie den richtigen Ton, und blieb vertraulich und heiter mit ihren jungen Freundinnen, mit denen sie ihre Herzensergüsse austauschte.

»Ihr werdet auch an die Reihe kommen, meine Kleinen,« sagte sie »und ich werde euch helfen. Ihr werdet schon sehen! Wenn ich erst wieder zurückkomme... aber erst müßt ihr mich abreisen lassen. Ich muß doch jetzt den Schleier ablegen, der mich überall zieht und spannt! Sehe ich nicht dumm aus, was?«

»Du bist anbetungswürdig! Aber, sag' uns, bist du zufrieden?« fragten sie, lüstern nach einem Geständnis, neugierig wie sie in ihrer Unschuld waren.

»Das werde ich euch sagen, wenn ich zurückkomme,« antwortete sie mit geheimnisvoller Wichtigtuerei, die Nase in ihr Bouquet steckend.

»Übrigens,« fragte sie Alice, die selbst zu viel wußte, als daß sie sich für Stellas Gefühle interessiert hätte: »Werdet ihr lange wegbleiben?«

Eine andere flüsterte ihr in's Ohr:

»Du! Wie lange wird deine Reise dauern? Fernand hat nur einen Monat Urlaub, meine Liebe.«

»Du möchtest mehr haben, du Unbescheidene!«

»Wo ist denn Fernand? Ich habe ihn noch nicht gesehen.« Sie log. Versteckt hinter einer Gruppe von Herren, war er seit dem Eintritt in die Sakristei damit beschäftigt, ihr leidenschaftliche Blicke zuzuwerfen. Und mit seinen feinen, weißen Zähnen an seinen Handschuh beißend, warf er ihr gleichsam rasche Küsse zu, die sie mit halbgeschlossenen Augen, leise nickend, empfing.

»Wahrhaftig« rief Alice aus, »warte doch! Ich werde ihn dir suchen.«

Aber während sie in das dichte Gedränge der Ärmelbauschen und der raschelnden Schleppen glitt, näherte sich Fernand, der seine Braut hatte verschwinden sehen Stella. Er beugte sich nieder, als ob er die kleine Hand, welche er in der seinen festhielt, an seine Stirn pressen wollte und murmelte:

»Wann kommen Sie wieder?«

»In fünf Wochen, denke ich« antwortete Stella:

»Oh wie ich Sie sehnsüchtig erwarten werde!« sagte er leiser. »O Stella, Sie sind schön! Schön zum Verrücktwerden!«

»Finden Sie?« sagte sie ein wenig erfreut.

»Sie wissen es recht gut! Aber ich habe ihr Bild in mein Gedächtnis eingegraben und behalte Sie so in Erinnerung, für immer. Das dürfen Sie nicht vergessen!«

»Auf Wiedersehen« sagte Stella etwas verwirrt.

»Auf baldiges Wiedersehen .... später .....«

»Zu spät, vielleicht!«

Sie wendete sich um, Alice kam herbei.

Das Lunch war auf der großen Terrasse in den Parterr-Salons vorbereitet worden und die kleinen blumengeschmückten Tische standen bis zur Mitte der großen Alleen im Park unter dem grünen Dom, durch welche wie Sternengefunkel die Sonnenstrahlen durchschimmerten, entfalteten sich die hellen Toiletten, wogten hin und her, und veränderten ihre Farbenwirkungen, je nachdem sie zufällig zusammentrafen. Dort erstrahlte eine Gruppe blau, das plötzlich durch darauffallende Schatten dunkler wurde, oder sich von düster gefärbten Toiletten heller abhob. –

Und all das war entzückend in der hellen durchsichtigen Luft. Stella hatte Kranz und Schleier abgelegt. Unbekümmert ließ sie ihr langes Kleid schleifen. Schlank und weiß schritt sie dahin mit dem Sternenglanz ihrer goldigen Frisur, die der Luftzug ein wenig zauste und sie wie mit einem Glorienschein umgab.

Die Freundinnen begleiteten sie in einiger Entfernung wie ein respektvoller Hofstaat, wie eingeschüchtert durch die königliche Haltung der Jungvermählten.

Die Mütter waren erstaunt über die ruhige Dreistigkeit der neuen Baronin Seuriet. Man sagte mit halblauter Stimme: Es fehlt ihr ein wenig an Bescheidenheit...«

»Ach nein,« antworteten die Wohlwollenden, »daß ist ihre allzugroße Unschuld, die sie so dreist erscheinen läßt. Ein junges Mädchen, daß errötet.... gesteht.«

Und Mira, noch so jung, kaum dreißig Jahre alt, würde sie nicht schon die sonst ihrem Alter eigene Unruhe an einem kritischen Tage dazu drängen ein neues Leben, eine neue Sommerzeit der Liebe herbeizusehnen? Ob sie wohl daran dachte?

Herr Deaken richtete sich zu einer verliebten, stillschweigend geduldeten Pose stolz auf. Als er einen Augenblick mit Frau von Ellissen allein war, erkühnte er sich sogar sanft ihren Arm zu drücken und ihr eine seiner schmeichelhaftesten Phrasen zuzuflüstern. Aber sie unterbrach ihn mit einer fast zornigen Bewegung.

»Nein, nein, jetzt ist's genug, Herr Deaken! Bis heute habe ich dieses Spiel geduldet, weil.... weil ich noch nicht so alt war, als daß mir ein wenig harmlose Galanterie mißfallen hätte... Aber heute...«

»Nun wohl, heute? Niemals sind Sie schöner gewesen, niemals begehrlicher.«

»Spotten Sie nicht, mein Freund, das heißt lügen Sie nicht, um mich zu trösten.«

»Ich lügen...! Sie trösten! Worüber?«

»Ich meinte« sagte lebhaft Frau von Ellissen »mich trösten, weil ich heute in die Kategorie der Schwiegermütter und der... Großmütter eintrete. Ich tue es sehr gerne, und nichts hält mich zurück. Ach... nichts, nichts! Als daß ich die alte unbedeutende Dame sein werde, die man »die gute Mama« nennt und die man sich mit ganz weißem Haar... und mit trippelnden Schritten vorstellt. Ja, ja, so geht es, so werde ich bald sein! Ja... mit meinen dreißig Jahren!«

»Sie gestatten mir also nicht, Sie zu lieben?« seufzte Herr Deaken.

»Nein mein Freund, ich will kein Wort mehr darüber hören.«

»Sie verzichten also auf daß Leben... so schön und so jung?«

»Jung!« sagte die junge Frau leise.. »ach wenn ich noch jung wäre! Von heute an kommt mir das weiße Häubchen und die Brille zu... ich fühle mich auch schon so matt... daß ich mich am liebsten zurückziehen würde.«

»Darf ich Sie hinauf führen... Sie Grausame?«

»Nein, ich danke... aber ich sehe Stella nirgends..... und meine beiden Kinder wollen ja bald abreisen ... O wie sehne ich mich nach dem Alleinsein ... das ist alles, was ich wünsche!«

»Ich werde Ihnen dazu verhelfen!«

Mira ging in ihr Zimmer ... da kam Stella ihr schon im Reisekleid entgegen.

»Ist es schon zu spät?« fragte die junge Frau, während sie sich krampfhaft an dem Treppengeländer festhielt.

»Ach, wir kommen sicher nicht zu spät« antwortete Stella unwillig »wie dumm mich so zu eilen ... doch Fred zittert vor Ungeduld ... ja Fred .... er eilt so sehr ... Aber Mira, fasse dich doch ... du bist ja ganz verstört ... ich komme ja wieder .... du irrst, wenn du denkst, daß es mir leicht wird, dich so zurückzulassen ..... lache doch ein wenig!«

»Bist du jetzt glücklich ... Stella ... sag' mir's schnell! O bitte sag' es mir!«

»Gewiß, ja ... gehe aber in dein Zimmer, wir kommen gleich, um dich zum Abschied noch zu küssen. .. Fred kommt auch!«

»Nein er braucht nicht zu kommen« schrie Frau von Ellissen beinahe ... »sorgt euch nicht um mich« Ich will euch lieber nicht sehen!« Stella war schon fort, sie flog die Treppen hinab und rief: »Fred! Fred!«

Mira, durch die Angst vor den Abschiedsküssen angespornt, schleppte sich längs des Treppengeländers hinauf und ging ganz verstört in ihr Zimmer. In diesem Augenblick hätte sie sterben, verückt werden mögen, um ihren Schmerz nicht mehr zu fühlen.

Nur die Angst, sich Fred zu verraten, war während der Todeszuckungen ihres Herzens in ihr lebendig. Sie rief jammernd aus:

»Nur noch eine Minute Mut! Noch eine einzige Kraftanstrengung! ... Dann ist es vorüber ... ich werde befreit sein ... ich werde endlich weinen können!«

Sie ermahnte sich, wie der Kranke unter den Händen eines Operateurs, nicht zu weinen so lange die Qual ihre Seele zerfleischte. Die Hände auf ihrer Brust schienen das Rieseln des Blutes aufhalten zu wollen. Sie drückte ein mit Äther befeuchtetes Tuch gegen ihr Gesicht und atmete den Geruch heftig ein. Sie suchte die Schmerzlosigkeit. Jedes Geräusch, das sie vor ihrer Tür hörte, ließ sie in einem langen Schauder erheben.

Stella trat ein.

»Arme Mira« sagte sie, sie an den Schultern fassend und sie an ihr stolzes Herz drückend. Und zum ersten Mal wieder zärtlich: »Ich habe dich ja so lieb ... hörst du mein Kleines? Willst du, daß ich hier bleibe?«

»Ach nein ... gehe ... sei glücklich ... reise! Oh, ich will es ... gehe, laß mich ... es ist gut.«

»Wirklich? Also auf Wiedersehen ... bald. Ich werde sehr bald schreiben.«

»Ja, ja, ... gehe nur rasch ... glückliche Reise!«

Stella lief die Treppen hinunter. Der Wagen stand im Hofe schon bereit. Unten traf sie Fred.

»Nun gehe noch rasch zur Mama ... zu Mira ... schnell ... schnell ... Gib ihr einen Kuß von mir.«

Er zögerte. Sie drängte ihn ein wenig derb:

»Das würde sich nicht schicken!«

Er schien sich beeilen zu wollen. Aber auf der Treppe blieb er stehen. Seine Knie zitterten. –

»Nein, er würde nicht den Mut dazu haben. Aber was würde Stella, die jetzt seine Frau war, davon denken? Umsomehr als Mira ihn erwartete. An der Türe angekommen wandte er sich ab, seine Hände zitterten, wenn sie am Ende beide laut aufschrieen, wenn sie sich umarmten!«

Stella rief von unten:

»Mache schnell, wir werden den Zug versäumen, beeile dich!«

Er glaubte, daß Stella noch einmal heraufkomme und klopfte an die Türe. Niemand antwortete. Er dachte. »Mira ist vielleicht nicht mehr drin. Oder sie muß sich eingeschlossen haben!«

Er öffnete die Türe.

Frau von Ellissen hatte sich wieder aufgerichtet. Mit ausgestreckten Armen wehrte sie sein Näherkommen ab. Auf ihrem Gesichte konnte man aus den geschlossenen Augen die Tränen fließen sehen. Schmerzlich betroffen wich er zurück. Oh! wie sie litt! Wenn er das zu glauben gewagte hätte, das geahnt hätte, ... niemals ... nein niemals ..!

Aber sie rührte sich nicht, streng und eigensinnig blieb sie bei ihrer Abweisung. Eine Ehrfurcht ergriff ihn. Mit verwirrtem Blick trat er vor dieser schrecklichen Erscheinung zurück, fühlte sich durch die abwehrenden Hände zurückgestoßen, hingestoßen zum Glück, durch diese Frau und Mutter, die in der Apotheose ihres Opfers zu tragischer Erhabenheit und Größe emporwuchs.

»Auf Wiedersehen ... Mira ... Mutter« sagte er im Hinausgehen.

Als der Wagen davon rollte senkte die junge Frau ihre Arme; und als das Gittertor krachend geschlossen wurde, warf sie sich nieder, als ob sie ihres Lebensinhaltes beraubt sei, und preßte ihren Körper in die Kissen. Eine Weile blieb sie so in der Trägheit ihrer jetzt unnützen Kräfte; nur die fließenden Tränen verrieten, daß sie noch immer an ihr Schicksal dachte. Dann ließ sie eine Berührung, ein Murmeln neben ihr, die Augen öffnen. Miß beugte sich über sie, mit gutem mitleidsvollem Gesicht und energischen suggestiven Blick stolzer Tapferkeit.

»Nun, meine Liebe, Kopf hoch! Sie leiden, aber Ihr Leid ist edel und rein. Seien Sie stolz darauf.«

Mira schüttelte kläglich den Kopf.

»Ich kann nicht getröstet werden!«

»Weil Sie es nicht wollen. Aber man muß es wollen, um seinen Weg weiter zu gehen.«

«Alles ist zu Ende ...«

»Alles beginnt. Niemals mehr als heute. Ihre Kinder haben Sie nicht mehr nötig ...«

»Oh! nein ... sie genügen sich gegenseitig.«

»Heute noch, vielleicht! Aber die Zukunft wird nicht leicht sein. Fred ist schwach, ... er wird leiden. Was würde daraus werden, wenn Sie, die Tapfere, die Ergebene, nicht über ihn wachen!«

Die junge Frau hatte sich erhoben.

»Die Liebe drückt sich nur durch die Ergebenheit aus,« fuhr das alte Fräulein fort. »Sie werden sehen, daß Sie nicht das Recht haben auf Ihren Leiden auszuruhen wie auf einem Ruhebett, das zwar ein wenig hart ist, aber auf dem man schließlich doch einschläft. Kopf hoch, meine liebe Freundin, jetzt mehr als jemals! So lange man geben kann und noch gibt, muß man sich aufrecht halten, bereit zu jedem Sühnopfer. Das ist Ihre Aufgabe, die Sie sich hienieden erwählt haben und für die Sie der Gott, den Sie nicht lieben konnten, dem Sie aber nach seinem ewigen und geheimnisvollen Willen dienten, mit unbeschreiblichen Freuden belohnen wird. Ach, wenn Sie ihn lieben würden, den Bruder der Menschheit, der sein blutiges Opfer gebracht hat, der Ihre liebende Seele geschaffen hat, der unbekannte Gott, der von flammernder Liebe erfüllt, durch die erhabenen Seelen der Menschheit leuchtet! Wie glücklich Sie sein werden! ... Ja sehr glücklich, so wie ich es bin, ich, die ebenso gelitten hat wie Sie, mehr als Sie, denn ich habe keine Freude auf der Welt kennen gelernt und ich sterbe mit einem Herzen, das zum Lieben und zur Mutterschaft geschaffen war. Aber ich habe den göttlichen Willen erkannt, und ich habe denjenigen geliebt, der der Welt die Liebe gegeben hat, als Offenbarung seiner Existenz. Ich habe ihn geliebt und ich habe mich ihm angeboten. Er hat mich ganz hingenommen. Ich glaube ihn manchmal in mir zu tragen, wie man ein Licht trägt, das man mit den Händen schützen muß, damit der Hauch der Leidenschaften es nicht auslösche, während man geht...

Die junge Frau murmelte:

»Ich kann nicht beten, ich habe verlernt zu beten.«

»Doch, weil Sie lieben können. Jedes Gebet entspringt der Liebe und jeder Liebesakt ist ein herrliches Gebet. Was fehlt Ihnen um die Freude in Ihren Leiden zu erkennen und zu genießen? Nichts, als zu wissen, daß Sie ihm sie darbieten, ... ihm..., dem Gott der sie von Ihnen fordert. Glauben Sie mir, liebe Mira, breiten Sie Ihre leeren Arme gegen die große wärmende Sonne aus und Sie werden eine wundervolle Ernte idealer Glückseeligkeiten empfangen, die wie Frühlingsblüten Ihres ergebungsvollen Lebens sind. Auf! Erheben Sie sich sich und gehen Sie Ihren Weg. Ihre schönsten Tage kommen und Sie müssen die Kräfte zur Vollendung Ihrer Aufgabe wiederfinden. Gott entfernt sich von denjenigen, die ihn verlassen, aber er nähert sich jenen die zu ihm kommen ... tun Sie den Schritt.«

»Ich bin sehr erschöpft, Miß.«

»Er wird Sie stärken.«

»Ach wenn er mir nur helfen würde!« murmelte die unglückliche Frau, fortgerissen von dem kühnen Wollen dieser stolzen Seele. Und schon hörte sie auf zu weinen. – –


Ein Jahr war vergangen.

Stella, die junge Baronin Seuriet war in guter Stimmung, sie amüsierte sich. Einer ihrer Verehrer, ein junger Leutenant richtete täglich wohlgeformte Verse an sie, sehr leidenschaftlich in sehr zarten Ausdrücken, welche ihren Stolz und auch ein leises Prickeln erregten. Der Autor war ein sehr junger Mann mit unbedeutendem Gesicht, schüchtern, ungefährlich. Seine zarte Anbetung gefiel Stella; sie füllte eine Leere aus; es war ihr amüsant, in dieser Weise geliebt zu werden; das war doch eine Abwechslung gegen die stürmischen Angriffe Fernands und die friedliche Begehrlichkeit Freds. Sie hatte ihren Dichter: »Die kleine blaue Blume« getauft und ihre Koketterie pflegte diese Blume nicht ohne Ergötzen.

Sie kam zu Mira, schön geputzt, strahlend, sonnig mit dem Auftreten einer jungen sieghaften Königin, der sich Alles und Alle zu unterwerfen haben.

»Was gibt es? Du bist krank? Wie siehst du aus, Liebe?«

»Ach Stella! Du bist unvorsichtig, meine Liebe. Ich habe es dir ja gesagt, daß das schlecht enden würde, antwortete die junge Frau.

»Gott! ..... immer dieselben Geschichten! ... Ich sage dir, daß ich nichts davon wissen will ... alles ist in schönster Ordnung, wenn ich mich amüsiere, und das genügt mir.«

»Du mußt mich trotzdem anhören, Stella.«

»Dann gehe ich ... auf Wiedersehen!«

»Aber Unglückliche!« rief die junge Frau aus, indem sie ihr den Weg versperrte.

»Ach was, Gott, wie langweilig! ... Beeile dich, sage schnell, was du willst; ich muß zu Alice gehen, sie ist krank, wie ich höre!«

»Gehe nicht hin!« sagte Mira erschrocken.

»Warum sollte ich nicht hingehen ... was denkst du denn?«

»Weil ... weil ... du gewiß nicht empfangen wirst.«

»Nun, das möchte ich doch sehen ... warum nicht ... aus welchem Grunde nicht?«

»Alice sprach über dich ... es ist ... wegen ihres Mannes...«

Stella lächelte nervös, wahrend eine leichte Blutwelle ihre Wangen färbte.

»Mit wem sprach Frau von Eulenburg darüber? Mit dir?«

»Nein ... mit ihrer Schwiegermutter.«

»Der Witwe? nicht möglich!«

Mira schüttelte schmerzlich den Kopf ... sie dachte an Fred. Dann wurde sie ernst.

»Sie war hier...«

»Hier bei dir?«

»Ja, bei mir, sie kam, um mir davon Mitteilung zu machen, daß sie sich, falls du deine Koketterien und Intimitäten mit ihrem Sohn nicht aufgeben würdest, an deinen Mann wenden wird.«

In Stellas Zorn mischte sich eine gewisse Unruhe. Sie hatte, wenn sie zu lange fort gewesen war, an Fred öfter mürrische, manchmal auch eifersüchtige Stimmungen bemerkt. Diese Angelegenheit konnte sein Vertrauen erschüttern und in ihr Zusammenleben jene Wortgefechte und Kämpfe bringen, die ihr so widerwärtig waren. Sie wollte Frieden haben und so sehr sie noch die Kraft in sich fühlte ihn zu erhalten, konnte doch ihre unbedingte Freiheit, die sie forderte, darunter leiden. Eine kalte Wut darüber, daß man ihrem Willen entgegentrat, spiegelte sich in ihrem Gesicht und ließ jede Anmut daraus verschwinden. Nach kurzer Überlegung wandte sie sich entschlossen nach der Türe.

»Wo gehst du hin?« frug Mira ängstlich.

»Dorthin gehe ich, wohin ich dir eben sagte, zu Alice. Mache dir keine Sorgen, ich werde mich schon mit ihr auseinandersetzen. Wenn sie es war, die diese Geschichte heraufbeschworen hat ... werde ich sie nicht wiedersehen.... Ich zweifle daran, aber sollte es doch so sein, so wird sie es noch bereuen.«

»Und ihre Mama?« frug Mira, entsetzt über Stellas Antwort.

Schon an der Türe, kehrte Baronin Seuriet um:

»Ich habe weder das Recht noch die Lust und die Absicht mich mit Fernand von Eulenburg zu entzweien. Er ist ein liebenswürdiger und charmanter Kamerad, der mir gefällt, der mich unterhält und den ich mir bewahren werde. Da hast du die volle Wahrheit, und die bitte ich dich auch seiner alten mürrischen Mutter zu sagen. Auf Wiedersehen Mira!...«

Und so wie sie es gesagt hatte ging Stella zur Präfektur, wo Alice mit ihrem Manne wohnte. Stella kannte sie gut. Tückisch und falsch, wie Stella war, sehr nachgiebig, fähig sich entzückt zu zeigen und dabei die bösesten Hintergedanken zu haben, spielte sie seit lange dieses Spiel, und hielt es durch die Überlegenheit ihrer Kraft und ihres beherrschenden Willens auch aufrecht. Sie fühlte, daß Alice sich fürchtete, ohne jedoch noch zu wagen genau anzugeben wogegen sich ihre Befürchtigungen richteten.

Naiv wie Alice übrigens war, ließ sie sich leicht überzeugen und war durch einen Rest romantischer Gefühle leicht in Rührung zu versetzen. Mit einem Herzenserguß war sie schnell zu erobern. Ihre Nerven gaben selbst bei einer banalen Umarmung, wenn diese nur mit der nötigen Leidenschaft ausgeführt wurde, so schnell nach, daß sie, wenn jemand ihr nur Liebe heuchelte, sich ihm ganz unterwarf.

Auch ihr Mann gab sich nicht viel Mühe mit ihr, denn er war sicher, mit Liebkosungen, denen er den Anschein leidenschaftlicher Wärme gab, über ihre eifersüchtigen Launen Herr zu werden. In seiner Gegenwart unter seinen Küssen vergaß Alice ihre Leiden; aber sie wurde wieder von ihnen ergriffen, sobald er fortging. Dann litt sie und beklagte sich. Ihre Mutter hatte sie gleich nach den ersten Worten verspottet, und setzte ihren Liebeswunden gewöhnliche Scherze entgegen.

Dann ging sie zu Frau von Eulenburg. Sie war sicher, daß sie Stella dadurch keine brennendere Wunde zufügen konnte, denn die Witwe verstand in Konvenienzangelegenheiten keinen Spaß. Ihre hochmütige Strenge gab den geringsten Zeichen ihrer Ungnade eine Schärfe, die unerträglich war. Alice hatte in ihr, Fernand betreffend, eine Verbündete gefunden, und brauchte sich nun blos verteidigen zu lassen.

»Gewiß bin ich für die Baronin Seuriet zu Hause,« antwortete sie sehr laut, als man ihr Stella meldete, sodaß diese es hören konnte.

»Falsche« murmelte Stella, während sie ruhig und lächelnd eintrat. »Nun? Wie geht's meine Liebe?« frug sie und umarmte Alice.

»Ach du weißt, ich schleppe mich so weiter, aber es geht schon. Mit Bébé geht's gut und das ist das Wichtigste.«

»Arme Kleine! Was für eine Last so ein Kind ist, nicht?«

»Ach nein, ich beklage mich nicht.«

»Du hältst es aus. Ich, wenn ich so den ganzen Tag liegen müßte, würde ich wütend werden. Wenn ich Mutter würde, so wäre das so, wie man Fieber bekommt ohne es zu wollen.«

»Wie, du willst kein Kind?«

Stella unterbrach sie mit einer Bewegung.

»Alice, bring' mir nicht Pech! Male mir nicht den Teufel an die Wand! Kinder locken mich nicht, im Gegenteil. Das ist ein Hindernis im Leben, das ist alles. Wenn ich keine bekomme, was hoffentlich der Fall sein wird, so werde ich sehr glücklich sein.«

»Ach du ... du mußt immer in Bewegung sein, laufen, tanzen.«

»Ich muß mich amüsieren, ja. Das Leben scheint mir dazu da zu sein. Es wäre sehr langweilig, wenn man sich nicht zerstreuen würde.«

»Nun, mache es wie ich, sticke eine Wickeldecke; sieh einmal, ist das nicht hübsch, diese kleine Ausstattung?«

»Du möchtest damit am liebsten Puppe spielen. Machst du das alles selbst?«

»Ich muß mich wohl zerstreuen. Ich fühle mich jetzt so oft einsam.«

»Ach einsam! Du hast genug Menschen, die dir Gesellschaft leisten können.«

»Du irrst dich. Meine Freundinnen vernachlässigen mich ein wenig. Seit ich leidend bin, macht es ihnen keinen Spaß mehr mit mir zusammen zu sein. Mama sitzt nicht gern ruhig, sie kommt herein und geht wieder. Und mein Mann hat zu tun ... hat sich ... zu ... zu amüsieren.......................«

»Ja, was ich sagen wollte, wegen Fernand« sagte Stella kühn, »weißt du die neueste Erfindung deiner Schwiegermutter? Nachdem sie mich ohne Grund gequält hat, möchte ich es dir sagen, damit du etwas von dem unheilvollen Dasein, welches das Schicksal der alten Frauen und Gott sei Dank nicht das deine ist, kennen lernst. Sie fällt heute über mich her und will mich zwingen auf meine Vergnügungen, auf meine Bekannten zu verzichten.... Das ist wirklich Übereifer!«

»Was erzählst du mir da?« rief Alice aus, während sie sich bemühte die Augen groß aufzumachen, um ihre Lüge glaubwürdiger zu machen.

»Die Wahrheit, meine Liebe! Deine vortreffliche Schwiegermutter war darauf bedacht, sich bei Mira zu beklagen ... errätst du ein wenig, weshalb?«

»Ich habe keine Ahnung ... sag' rasch!«

»Wegen zu häufiger Besuche, ja, so sagte sie, wegen zu häufiger Besuche deines Gatten bei mir! Sie ist wirklich köstlich!«

»Nicht möglich ... du machst Spaß!«

»Das scheint so, aber es ist die volle Wahrheit. Sie fügte noch hinzu, du hättest sie beauftragt?«

»Ich! ... Das glaubst du doch nicht!« rief Alice erregt.

»Nein und deswegen bin ich hier« antwortete Stella ruhig und zuckte die Achseln. Ich weiß, daß du weder so dumm bist, noch so falsch, um dir so etwas in den Kopf zu setzen, und es dann für gut zu finden, diese Launen, an welchen dein Zustand Schuld tragen würde ... wie das vorkommen soll ... diese Träume einer Kranken zu einer Anklage aufzuwerfen, die in ihrer Angeberei ebenso häßlich als heuchlerisch wäre. Nein, ich kenne dich ja! Du bist solcher Gemeinheiten nicht fähig. Deshalb spreche ich offen mit dir, als Freundin, anstatt ärgerlich zu sein.«

»Und du tust recht daran, ich schwöre dir!«

»Schwöre nicht, das ist überflüssig. Aber bitte deine Schwiegermutter, sich nicht mit mir zu beschäftigen. Wenn sie das quält, daß ihr Sohn mich auch jetzt, da du verheiratet bist, sieht, so soll sie ihm selbst Vorstellungen machen, sie soll aber so freundlich sein, Miras Ruhe nicht zu stören. Diese Sorte alter Frauen weiß nichts anderes als Erfindungen zu machen, womit sie die Jugend quält. Ich frage dich nur, wo ist die große Unschicklichkeit an seiner Freundschaft, die durch dich, durch unsere intime Freundschaft veranlaßt wurde, und die sich offen, frei vor den Augen aller fortsetzt!«

»Ganz sicher« murmelte Alice, die durch Stellas aufrichtigen Ton verwirrt war. Außerdem fing sie wirklich an zu zweifeln. Fernand hatte sie heute nachmittag verlassen, trotz ihrer Bitten, trotz ihrer Tränen und sie war überzeugt gewesen, daß er fortging, um sich mit Stella zu treffen. Aber Stella war hier. Eine unbefangene Freude ließ ihr Herz höher klopfen.

»Hör zu!« sagte sie »es ist möglich, daß meine Schwiegermutter zu Mira gekommen ist, weil sie bei einer Szene dabei war, die ich, ... ich kann ... es ja gestehen ... vor ein paar Tagen mit Fernand gehabt habe. Unter uns, nicht wahr? Fernand vernachlässigt mich sehr, seit ich leidend bin.«

»Das bildest du dir ein ... hänge nicht solchen Gedanken nach ... höre auf mit diesen Dingen ... du wirst dir und deiner Umgebung damit schaden ... ohne es zu wollen...«

»Nein, nein, das sind nicht blos Gedanken, Einbildungen ... es ist wirklich so! Glaubst du, daß er je auf einen Ball, auf eine Gesellschaft verzichten würde, um bei mir zu bleiben, mich zu pflegen oder zu zerstreuen?«

»Aber liebe Alice, wenn du von einem Manne sentimentale Zartheit verlangst, wenn du dich an diese Kleinigkeiten hängst ..... dann bist du schon verloren! Fernand ist kein rücksichtsvoller Mann ... er hat dich sicher sehr lieb ... aber ich glaube kaum, daß er der Charakter ist, der sich an das Rockband seiner Frau hängt und daran zappelt. Dazu ist er piel zu lustig und zu temperamentvoll. Ganz zufrieden dich hier wiederzufinden, so brav bemüht, ihm eine Vaterschaft zu bereiten, auf die er stolz sein kann, ist er aber auch erfreut, ein wenig entschlüpfen zu können, seine gute Laune zu genießen. Und ich würde dich für sehr ungeschickt halten, erlaube mir, dir das zu sagen, wenn du die Zügel zu straff anspanntest. Vollblut geht leicht durch. Habe eine leichte Hand, lasse nach, so lange du in diesem Zustand bist, damit er nicht bemerkt, daß du stärker wirst, und daß ihn der Gedanke an deine Bürde nicht beeinfluße. Wenn du ihn aber den Zaum fühlen läßt, wird er sich bäumen und Purzelbäume machen. Deine Schwiegermutter hat dadurch, daß sie so eifersüchtig ist, eine besondere Ungeschicklichkeit begangen. Paß nur auf, daß dein Mann nichts davon erfährt.«

»Du hast vielleicht Recht« antwortete Alice, die zu der vollen Unschuld und Aufrichtigkeit der Baronin gelangte.

»Aber es ist doch bitter zu sehen wie er sich eilt, von mir fortzukommen, um den Vergnügungen nachzulaufen, an denen ich nicht teilnehmen kann. So habe ich heute alles getan was möglich war, um ihn zurückzuhalten. Ach ja! Bei Kannenbergs wird Tennis gespielt. Glaubst du, daß es wirklich so notwendig war, daß Fernand hinging um sich bei ihnen zu unterhalten?«

»Du lieber Gott! Da oder wo anders, das ist um Bewegung zu machen,« antwortete Stella, die an das Rendez-vous dachte, das Fernand und sie sich bei den Kannenbergs gegeben hatten. Aber gleichzeitig beschloß sie, nicht hinzugehen, um Alice endgültig zu überzeugen. Sie konnten sich ein anderes Mal treffen. Sie nahm eine winzige Nippfigur, eine Sängerin im Halbtrikot auf ihre Fingerspitzen, drehte sie nach allen Richtungen, und tat, als ob sie sich dafür interessieren würde.

Dann zog sie rasch ihre Handschuhe aus.

»Wenn du ein wenig Zeit mit mir verbringen willst, da du heute allein bist, so gib mir die Nadeln, ich mache dir das herzige kleine Ding fertig, willst du?«

»O! Wie lieb du bist!« rief die junge Frau deren Argwohn gänzlich schwand und in der Schwäche ihres Zustandes schlang sie ihre Arme um Stellas Hals und umarmte sie schluchzend.

»Aber, aber, beruhige dich doch, arme Kleine! Umso besser wenn es dir Freude macht!«

Und mit ihren feinen Fingern arbeitete sie mit den Nadeln, zwar nicht sehr geschickt, aber eifrig, und mit gesenkter Stirne, um das Triumphieren ihrer entarteten Augen nicht zu zeigen.

Nun plauderte sie in kindlicher weise. Alice beruhigte sich. Nur leise Seufzer begleiteten von Zeit zu Zeit ihre Worte. Während sie auf die Uhr sah, konnte sie sich nicht zurückhalten zu sagen:

»Jetzt beginnen sie zu spielen. Fernand ist sehr geschickt und er liebt es zu glänzen.«

»O und er entfaltet beim Spiel einen Eifer,« antwortete Stella. »Ich richte es immer so ein zu seiner Partie zu kommen. Es ist eine wahre Lust an seiner Seite zu spielen.«

»Nicht wahr? Du bist auch eine gute Spielerin. Fernand wird es heute bedauern, daß du nicht mit von der Partie bist.« Spuren von ihrer vorgefaßten Meinung bekamen wieder die Oberhand.

»Aber die kleinen Kannenbergs spielen auch recht gut« entgegnete Stella. »Es ist nur schade, daß sie so eine schlechte Haltung haben. Ihr Mangel an Grazie zeigt sich in ihrer Art wilden Herumzuspringens. Und dann hat ihre Mutter die Manie sie in langen Kleidern spielen zu lassen!«

»Das tut sie schamhafterweise, um ihre Füße nicht sehen zu lassen,« fügte Alice hinzu.

»Klugerweise,« ergänzte Stella. »Freilich verhindert dies nicht, daß sie Verehrer gefunden haben; die beiden de Ressace machen es gut. Sie sind finanziell ruiniert, wie man es ärger gar nicht sein kann, und zu nichts zu gebrauchen. Dabei sind sie anspruchsvoll, übertreiben jede Mode, als ob sie dafür bezahlt würden, möglichst grotesk zu erscheinen. Und die Unglücklichen halten sich für elegant. Ich habe mich nie entschließen können, mit ihnen zu tanzen.«

»Ich auch nicht« sagte die Baronin laut auflachend. – Alice begann wieder:

»Gehst du zum Verlobungsabend zu Kannenbergs?«

»Ich werde dort gewiß nicht fehlen, denn das Schauspiel wird unbezahlbar sein. – Und du?«

»Oh, ich, mir wurde verboten, mich zu rühren, bis neue Befehle erfolgen werden.«

»Das ist schade. Wir hätten uns halbtot gelacht.«

»Fernand ... wird dort sein.«

»Das ist etwas anderes. Fred wird auch kommen. Aber er kann nicht lachen, er ist immer ernst. Er findet an den Menschen und Situationen nie die komische Seite heraus. Alles gipfelt bei ihm entweder in Harmonien, die ihn außer sich bringen oder in Mißlauten, vor welchen er sich hütet, und sich in seine inneren lyrischen oder tragischen Entzückungen zurückzieht.«

»Was willst du meine Liebe, das ist seine geniale Natur. Aber du, du hast ihn wenigstens!«

»Besser gesagt, das Haus bewahrt ihn. Was mich betrifft, so weißt du, daß ich weder für das Amt einer Kerkermeisterin, noch zur Gefangenenen die Anlage habe.«

»Du bist ein Schelm, der nichts ernst nehmen kann!«

»Ach Gott! nein... Und du glaubst nicht, wie wahr du sprichst. Es gibt nichts Ernstes, siehst du!«

»Doch, die Liebe ist es. Ja wahrhaftig, die Liebe, die wie eine Krankheit kommt und verschwindet, die man mit erfahrungsgemäßen Mitteln pflegt, und die für gewöhnlich nicht nachläßt, ehe sie ihre normale Wandlung durchgemacht hat. Sie ist eine Krankheit, welche sich durch Widerspruch verschlimmert. Man muß sie, glaube ich, ruhig ihren Weg verfolgen lassen. Das ist das beste Mittel, sich ihrer schnellstens zu entledigen.«

»O du profanes Wesen! Du wirst davon ergriffen und sehr zufrieden sein.«

»Du machst es rasch!« antwortete Stella. Plötzlich öffnete sich die Türe und Fernand erschien. Die beiden Frauen wandten die Köpfe, beide mit derselben Überraschung. Alice war plötzlich erblaßt und eine lebhafte Unruhe bemächtigte sich Stella. »Ei« sagte er. Und ungeschickter Weise sah er fortwährend die Baronin Seuriet an.

Alice hatte begriffen, was vorging. Fernand hatte das Spiel verlassen, weil Stella nicht dort war, das war klar. Er verfolgte sie also. Aber sie?

»Du hast mir angekündigt, daß du den ganzen Tag über fort sein würdest«, sagte sie scharf zu ihrem Gatten, »Was für ein Zwischenfall führt dich denn wieder zu mir?«

Fernand machte sich nichts aus dem bitteren Ton seiner Frau; was ihn erregte, war die Stille Stellas, die bei ihm in der Wohnung war, während er sie, wie verabredet, anderswo erwartet hatte.

Er brummte:

»Ich habe mich gelangweilt. Ich glaube, daß dir das genügt.«

»Es muß mir genügen, weil du mir keinen anderen Grund angeben kannst; ich nehme ihn also an.«

»Nimm an was du willst, meine liebe Freundin, aber vor allem verschone mich mit einer Szene, wenn es dir möglich ist. Übrigens siehst du, daß sich Stella keineswegs gelangweilt hat. Ich muß ihr den Vorwurf machen, daß sie nicht gekommen ist.«

Zwischen ihren vor Zorn zusammengepreßten Zähnen zischte Stella:

»Dummkopf!«

Sie erhob heftig den Kopf und sagte hochmütig:

»Sie irren sich, mein lieber. Ich war fest entschlossen zur Tennispartie zu gehen; aber ich fand Alice hier allein, betrübt, traurig, und da habe ich es vorgezogen, ihr Gesellschaft zu leisten, da Sie doch nicht bei ihr bleiben.«

»Was ist mit Stella, daß sie so spricht?« fragte sich Fernand im Stillen.

Aber Stella fiel nicht aus ihrer Rolle.

»Und ich versichere Ihnen, daß Alice sehr, sehr gut ist, daß sie Sie gar nicht anklagt. Wenn Sie glauben, daß Alice sich glücklich fühlen kann, wenn sie mit ansehen muß, wie Sie allen Vergnügungen, nachjagen, und sie allein auf ihrer Chaiselongue mit einem Knäul Wolle zurückbleiben muß ... so irren Sie sich. Schämen Sie sich, Fernand.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Lehre,« erwiderte er kalt.

»O bitte, steigen Sie nicht allzu hoch aufs Roß, zwischen uns ist das nicht nötig.«

»Und jetzt, da Sie gekommen sind, verabschiede ich mich ..... es ist schon spät ... guten Abend, Kinder .... auf Wiedersehen!«

»O meine Liebe, wie gut du bist!« sagte Alice. Eine neue Vermutung erwachte in ihrer eifersüchtigen Seele. Stella liebte Fernand nicht, aber er begehrte Stella. Die Gefahr war geringer, wenn auch die Demütigung die ihr Stolz und ihre Liebe erlitten, nicht weniger schmerzhaft waren. Sie stand auf. Trotz ihres entstellten Körpers noch immer geschmeidig umarmte sie ihre Freundin. Diese flüsterte ihr ins Ohr:

»Jetzt söhne dich wieder aus, ja ... gleich! Du mußt wissen, ich habe vor Fernand ganz das Gegenteil gesagt von dem was ich mir dachte. Aber die Männer wollen betrogen sein. Auf Morgen, mein Kleines!«

»Ich habe dich sehr lieb, wirklich!« murmelte die junge Frau gerührt.

»Und ich dich auch!« antwortete Stella, »Auf Wiedersehen« sagte sie, als sie an Fernand vorbei ging, ohne ihn anzusehen.

Aber er eilte auf sie zu, um sie hinaus zu begleiten. Sie blieb plötzlich stehen und sagte kurz:

»Bitte, machen Sie mir das Vergnügen, hier zu bleiben. Ich weiß wo die Türe ist. Guten Abend!«

Sie ging, er blieb unbeweglich stehen, ungeheuer erstaunt. Dann höhnte ihn Alice:

»So gehe doch, mein Freund; geniere dich nicht, begleite sie!«

»Gewiß!« rief er wütend. Sie mußte die Treppe hinuntergelaufen sein, denn er erreichte sie erst auf dem Vorplatz, den man von oben durch das gläserne Vordach sehen konnte. Stella vermutete, daß Alice ihr aus einem Fenster mit den Blicken folgen würde. Sie ging also, ohne sich umzusehen so rasch, daß er sie nicht erreichen konnte; sie sprach deutlich ohne eine Miene zu verziehen:

»Ungeschickter Mensch!«

»Stella!«

»Bitte, schweigen Sie! Verstehen Sie denn gar nichts? Alice hat sich über Sie und mich bei Ihrer Mutter beklagt. Ich habe sie, was mich anbetrifft, von ihrem Irrtum überzeugt, tun Sie für Ihren Teil das Ihrige, gehen Sie rasch zurück!«

»Wann sehe ich Sie?«

»Morgen ist mein Empfangstag!«

»Nein, außerdem?«

»Morgen , ... sage ich Ihnen, ... spät!«

Dicht am Gitter tat sie, als ob sie bemerken würde, daß er da war, winkte mit der Hand gleichgültig zum Abschied und ging längs des Trotoirs in der Platanenallee, stolz und ruhig wie eine junge Königin.

»Verteufelt!« murmelte Fernand, während er die Treppe zu seiner Frau hinaufstieg, »das wäre dumm, wenn mir da etwas dazwischen käme!«

Die Baronin Seuriet ging oft allein aus, zu Fuß. Huldigungen ließen sie nicht gleichgiltig; und sie hatte das Gefühl den Tag nicht verloren zu haben, wenn sie einige neue Bewunderer auf ihrem Wege gefunden hatte. Sie hatte es gern, wenn man ihr folgte, sie blieb dann lange aus und kehrte angenehm ermüdet nach Hause zurück.

Sie verschmähte es auch nicht, elegant angezogen und in koketter Haltung, durch die Straßen zu schlendern, und vor den bescheidenen Schaufenstern kleiner Läden, die wenig besucht werden, und ihren Angestellten Muße lassen, stehen zu bleiben.

Diese versäumten die Gelegenheit nie, sie anzusehen und ihre flammenden Blicke belustigten die leichtsinnige junge Frau. Das war ihr Lieblingszeitvertreib, da sie nichts Besseres zu tun hatte. Und an diesem verlorenen Nachmittag bot sich wieder die Gelegenheit dazu. Es war jetzt zu spät um zu den Kannenbergs zu gehen und da Fernand nicht dort war, hatte sie auch keine Lust dazu. Dieser einzige Grund veranlaßte sie zu Mira, zu ihrer Mutter, hinaufzugehen.


Der Empfangstag der Baronin Seuriet war besonders angeregt, laut und heiter. Der Grund dazu war die Anwesenheit vieler junger Männer und der Mangel an ernsten Frauen; der Ruf ihrer Leichtfertigkeit ging doch schon so weit, daß man sich von ihr fernhielt.

Die Menschen, die sich »achteten«, zogen sich allmählig zurück; nur die leichtfertigsten ihrer Freundinnen blieben ihr treu, entschuldigten sie sogar, und zogen aus dieser Entschuldigung ebenso Vorteil, als sie ihre Vergnügungen ausnützten.

Und sie fühlten sich freier »unter sich« diese jungen Frauen, in Flirts, die die Grenzen des Erlaubten oft überschritten.

Stella hatte für diese Empfänge besonders geschmückte Kleider eingeführt. Sie selber strahlte in einem weißen Kleid, unter der Brust gegürtet, eng an die Hüften anschließend, über dem Mieder lose, ein wenig ausgeschnitten, die Arme nackt bis zu den Ellenbogen. Mit frischen Blumen parfümiert . . . das war das Geheimnis ihres lebhaften, berauschenden Duftes ... verbreitete sie eine bestrickende Lieblichkeit. Jede ihrer Bewegungen verbreitete die Düfte eines Buketts. Sie hatte Treibhäuser für ihren eigenen und intimen Gebrauch. Die Blumen waren in die Falten ihrer Röcke genäht oder wurden auf ihrer warmen Haut zerdrückt. Der zarteste Geruch anderer Frauen wirkte störend; der ihre erweckte einen wahren sinnlichen Rausch. Der junge Leutnant fragte sie, während er ihren Duft gierig einsog, in welchem Hyazinthenbeet sie im Morgentau gelegen sei.

Gegen Abend, als man schon etwas warm geworden war, wirkte sie auf die Schüchternsten verwirrend bis zur Besinnlosigkeit, besonders wenn sie sich darin gefiel, die Naive zu spielen, oder eine fast kindliche Arglosigkeit inmitten all der flammenden Wünsche die sie entfesselte, zu heucheln.

Fernand war, zur Zeit des allgemeinen Aufbruches, den sie beschleunigte, noch nicht gekommen.

Auch der junge Offizier blieb hartnäckig zurück, er enthielt ihr die gewohnte tägliche Ration poetischer Anbetung vor, indem er forderte ihr seine Verse persönlich vorlesen zu dürfen.

Und als sie sich mit einer Wendung ihres schmiegsamen Körpers auf den Rand eines Sofas niederließ, die Ellenbogen sanft aufstützte und durch ihre schneeigen Arme den jungen Poeten blendete, wurde er so verwirrt, daß er nur auf den Knien zu ihr sprechen konnte.

Stella hielt die Verse für mittelmäßig, weil ihr Autor pockennarbig, schlecht gewachsen war, und ein unbedeutendes Gesicht hatte. Sie lächelte kaum, ärgerlich, daß er ihr sein Gedicht verdarb, und mit Verdruß dachte sie daran, daß sie diese Verse ohne Zweifel wundervoll gefunden hätte und geeignet, sie zu einer verliebten Narrheit hinzureißen, wenn Fernand, ganz nahe bei ihr, und in derselben Stellung, sie ihr vorgelesen hätte.

Bis jetzt hatte sie niemand anderen getroffen, der ihre Phantasie so beschäftigt hätte, auf den sie es so abgesehen gehabt hätte, wie der kühne braune Kamerad, der allem im Stande gewesen war sie zu erregen. Ihre lasterhaften Vorstellungen hatten ihr vorgeschmeichelt, die flatterhaften Galanterien der Männer nachzuahmen. Sie hatte gehofft, daß sie im Umgange mit mehreren Anbetern die Wonnen unbeständiger Wünsche, den Stolz so vielfacher Verehrung fühlen werde. Und nun blieb sie kühl gegen alle, ausgenommen den Einzigen. Jedoch auch ihn, der ihre erwachende Sinnlichkeit beherrschte, liebte sie nicht. Ihr Herz blieb frei ... als ob es im Schlafe liege. Selbst in ihren Träumereien mußte sie sich gestehen, daß sie für ihren Mann nur eine Art Zärtlichkeit fühlte, die ohne Zweifel aus einem außerordentlichen Mitleid für dieses schwache Wesen hervorging, daß sich der Liebe, die er sich erträumte, hingab. Es war ein eigenartiges Gefühl, daß sie niemand anderem gegenüber hatte, und das ihr Herz, das sie so sicher zum Schweigen gebracht zerstört zu haben glaubte, ein ganz klein wenig ergriff.

Der Beweis dafür war ihr das Wohlgefallen, das sie der aufwallenden Liebe Freds entgegenbrachte. So freimütig wie sie war, hätte sie ihn zurückgestoßen, wenn sie ohne Begehren gewesen wäre, wenn sie nicht diese Art Zärtlichkeit gefühlt hätte, die sie zur Sanftheit ihm gegenüber geneigt machte. Übrigens gab sie zu, daß er reizend war, und wenn er sie auch nicht anzog, so erregte er in ihr auch keine Abneigung. Aber ihr ganzes Wesen war von Fernand unterjocht, stand unter dem Einfluß seiner starken Anziehungskraft, erbebte vor seiner Begehrlichkeit.

Sie dachte also an ihn, als sie den flammenden hinreißenden Versen zuhörte, die der junge Offizier, gleich einem Sklaven, zu ihren Füßen hinhauchte.

Stella seufzte, kokett schmachtend:

»Das ist alles wunderschön, lieber Herr, aber mein Mann wird gleich kommen, und Sie müssen schnellstens eine andere Stellung annehmen. Also vorwärts, stehen Sie auf und ....... guten Abend!« ...

»O, gnädige Frau, Sie jagen mich fort! Und ich sterbe vor Liebe!«

Sie fand ihn so jämmerlich, daß sie sich vor Lachen schüttelte. Sie sah diabolisch aus, wie sie ihren geschmeidigen Körper hintenüberbeugte.

»O! Sie töten mich ...« sagte er.

Er umschlang, ganz den Kopf verlierend, ihre Knie und küßte sie.

Die junge Frau sprang auf, stieß ihn so heftig zurück, daß er im Aufstehen wankte; er war ganz bleich, seine Augen waren verstört, seine Hände zitterten. Ein Gefühl von Entrüstung erfaßte Stella. Diese Berührung brachte sie wieder zu sich selbst... erfüllte sie mit Besorgnis um eine Seelenreinheit von deren Besitz sie bisher selbst nichts wußte, und die plötzlich in ihr unter einem Schauer von Abscheu erblühte.

»O!« murmelte sie in ihrem Ärger. Sie sind merkwürdig kühn, mein Herr!«

»Entschuldigen Sie« flüsterte der junge Offizier, »ich liebe Sie so sehr! Ich hoffte ...«

»Was? Weil ich Ihre Verse lese und Ihnen manchmal einen freundlichen Blick zuwerfe und sie anhöre, ... da setzen Sie gleich voraus .....«

»Ach! Ja! Ich hoffte, Ihnen nicht allzu sehr zu mißfallen, gnädige Frau!«

»Als Dichter ... das ist möglich ... aber als ... Liebhaber?«

»O Sie sind grausam!«

»Und Sie sind sehr waghalsig, daß Sie mich behandeln, wie ein alter Haudegen eine eroberte Festung. Nein!.. Ich verbiete ihnen, sich mir zu nähern ...«

»Ach ... ich sterbe vor Liebe!«

»Nun mein Herr trachten Sie sich zu sammeln. Guten Abend .... nun so gehen Sie doch.«

Als der Offizier endlich fortgegangen war, setzte sich Stella wieder nieder. Ihre Knie zitterten.

»Da haben wir die Geschichte!« sagte sie sich, ebenso überrascht über ihren Zorn, als über den Angriff des Leutnants. »Wie dumm ich bin, so zu poltern! was geht mir denn dabei so nahe? Ist es etwa die saubere Geschichte da? Nein, ich glaubte mich ganz einfach nicht genug Lucretia in diesem Punkt!«

Sie dachte ein wenig nach; dann lächelte sie. »Ich wette, daß ich weniger Skandal gemacht hätte, wenn es Fernand gewesen wäre. – Aber er kommt nicht, die Zeit ist vorüber. Er wird nicht kommen. Welche Katastrophe ihm wohl zurückgehalten hat? Er scheint mir im Grunde genommen Angst zu haben, seine Frau zu sehr zu kränken, der Ehrgeizige!!!«

»Ich hielt ihn für beständiger in der Liebe! Das ist schade! Ich hätte ihn heute Abend wirklich gern hier gehabt!« ^

Ein leichter Schritt wurde hörbar: die Portiere öffnete sich und Fred trat ein.

»Allein! Und traurig? Wirklich? Was drückt dich, meine Liebe? Bist du zu schön? Nicht? O... du bist schön! Ein Märchen. Ich traue mich nicht, dir nahe zu kommen ... du blendest mich!«

Mit leisem Rauschen ihres Kleides, dessen mit Perlen besetzter Stoff glitzerte, stand sie auf und ging auf ihren Mann zu, schlang ihre nackten Arme um seinen Hals und legte langsam ihren Kopf an dieses zarte schwache Herz, ... das ganz ergriffen war ... das vor Freude stärker pochte ... weil er sich endlich geliebt wähnte! ...

Dann murmelte sie, fast kindlich:

»Ich langweile mich!«

Er umarmte sie:

»Aber sei doch glücklich ... du beglückst mich so sehr ... so ...«

»Gewiß« dachte Stella, »wenn ich es könnte! Aber ich kann es nicht ... das Glück der anderen ist mir gleichgültig .... Gott, wie ich mich langweile!«

Sie hätte beinahe geweint bei den innigen Liebkosungen, die er ihr zu Teil werden ließ. Dieser Abend wurde sehr stimmungsvoll. Ihre Melancholie harmonierte mit Freds sehr trauriger Seele.

»Wenn sie ernst würde ... dachte er ... so könnte sie wie Mira werden ... o wie schön das wäre ... Ich glaube, das würde mir Kraft geben zu arbeiten...«

Er arbeitete wohl, doch es schien ihm, daß sie ihm nie zuhörte, wenn sie auch scheinbar aufmerksam war .....

Er spielte Violine.

Dann fragte er:

»Gefällt dir das, Liebste?«

»Reizend« antwortete sie, »aber sorge dich nicht um mich ... gehe ... spiele ... arbeite.«

Dann fing sie wieder an zu träumen. Und Fred fühlte, wie die Flügeln seines Genius sich schlossen, erlahmten. Es war ihm nicht möglich, seine Frau zu sich zu ziehen, mit fortzureißen, aber er wollte öoch bei ihr bleiben, und so stieg er wieder zur Alltäglichkeit des Tebens herab ... zu kraftlos, um stolz und schmerzerfüllt in der einsamen Welt allein zu stehen.

Am nächsten Tag brachte die erste Post Stella einen Brief von Fernand, datiert aus einem vom Sitz der Präfektur entlegenen Arondissementshauptort. In korrekten Ausdrücken aber mit Worten, die zwischen den Zeilen zu lesen erlaubten, entschuldigte er sich, daß er den vergangenen Abend nicht kommen konnte; die Wahlen stehen vor der Tür. Man hatte ihn in aller Eile fortgesendet. Er würde mehrere Tage abwesend sein. Und er drückte seine Verzweiflung, seine Ungeduld in Worten aus, welche sich auf den Kummer beziehen konnten, daß er von seiner Frau fern bleiben mußte, die er so sehr liebte, die sein Leben bedeutete.

Stella beruhigte sich, aber sie erkannte, welche leere Fernands Abwesenheit in ihrer Tagesbeschäftigung verursachte.

Gewöhnt daran, sich fast täglich zu sehen .... , gewöhnt viele Stunden bei ihr oder auswärts mit ihm zu verbringen, sich gegenseitig mit ihren unbefriedigten Wünschen anfzuregen, ihre Blicke in einander zu versenken, ihre Hände zu drücken, gemeinsam die Spiele zu spielen, die für sie nur Interesse hatten, wenn sie zufällig oder verabredet zusammen waren, suchte sie jetzt nach einem Mittel um die Stunden zu verkürzen, diese Leere die ihr unermeßlich schien, zufüllen, ohne es zu fünden.

Das Leben, wie sie es sich eingerichtet hatte, machte sie unfähig zu irgend einem geistigen oder seelischem Genuß.

Ihre Einbildungskraft hatte alle anderen Fähigkeiten vernichtet. Sie lebte in einer fortwährenden Überreiztheit ihrer Gedanken. Und wie ihr Gehirn sich durch ungewöhnliche Vorstellungen abnormal ernährt hatte, so machte ihr nichts Freude, als die Verwirklichung dieser Vorstellungen, so wie es für einen Dichter der einzige Genuß ist, die in seinem Kopf gleich einem Bienenschwarm vor dem Ausflug aus dem Bienenkorb summenden Reime in volltönende Verse zu ordnen.

Stella beging die Unvorsichtigkeit eine der vergnügten Nachmittagszusammenkünfte im Rondell ihres Parkes abzusagen. Die Unzufriedenen erkundigten sich nach der Ursache, errieten sie und man war entrüstet. Die Baronin war in ihren Launen wirklich zu weit gehend.

Nur der junge Leutnant ergriff ihre Partei. Er glaubte sie so ernsthaft gekränkt zu haben, daß er sich zum Rückzug verurteilte, aus Scham und vielleicht aus Angst.

Trotzdem traf sie ihn bei der Verlobungssoireé bei Kannenbergs, tanzte mit ihm und ließ sich verehren.

Der junge Mann, der glaubte in Gnaden wieder aufgenommen zu sein, wurde wieder mutig. Aber sie hörte ihn nicht an, war mit ihren vom Fieber des langen Wartens erregten Gedanken abwesend.

Die Tage vergingen.

Jetzt festigte sich in ihr der Entschluß, sich Fernand hinzugeben, weil sie erkannte, wie unentbehrlich er ihr war. Vielleicht glaubte sie so seinen Bestürmungen ein Ende zu machen und ihre Verachtung moralischer Bedenken ließ sie durch diese Bekräftigung ihrer Freiheit vor sich selbst höher erscheinen.

Stella hatte Alice nicht wieder gesehen; sie fürchtete jetzt, sich auf ein Terrain zu begeben, auf dem sie nicht sicher war, daß sich wie sie wußte, verändern konnte. Endlich erhielt sie Nachricht von der Präfektur: »Komme schnell, meine Liebe. Habe dir eine große Neuigkeit mitzuteilen.«

Stella eilte hin.

»Was für eine Nachricht? Ist das Baby zur Welt gekommen? Das ist aber unmöglich. Es wäre noch zu früh.«

»Ach natürlich! Aber wenn du wüßtest!«

Und indem sie ihr tief in die Augen sah, sagte sie:

»Wir verreisen.«

»Ihr verreist ... eine Reise in deinem Zustand? Bist du von Sinnen?«

Stella war bleich geworden, aber behielt ihre gewohnte Selbstbeherrschung.

»O, die Doktoren haben es mir erlaubt ... mit aller Vorsicht natürlich ... und übrigens ist es ja keine Reise ... sondern eine Versetzung meines Mannes. Er wurde zum ersten Sekretär des Ministers des Innern ernannt. Was für ein Avancement! Nicht wahr? Es ist Frau von Eulenburgs Verdienst, die, ohne uns etwas zu sagen, in dieser Angelegenheit vorgearbeitet hat. Fernand war auf einer Dienstreise begriffen. Man berief ihn telegraphisch ein. Ich erwarte ihn heute Abend zurück, und morgen sollen wir schon abreisen. Du kannst dir vorstellen, was für eine Unordnung und Aufregung wir jetzt im Hause haben.«

»Das glaube ich dir!« erwiderte Stella ruhig. »Die Großstadt, dein liebe Großstadt! Jetzt bist du doch zufrieden ... endlich?! ....«

»O ja, gewiß,« entgegnete die junge Frau erfreut.

»Du Undankbare! ... Denkst du denn gar nicht an deine Freundinnen? Du verläßt uns ohne den geringsten Schatten von Traurigkeit!«

»Glaube das nicht, Stella! Ich bedauere dich sehr, meine liebe Stella, aber was ist da zu machen?«

»Ich sehe, wie leid es dir tut.«

Alice entgegnete lebhaft:

»Aber du wirft uns recht, recht bald besuchen, und ich werde auch wiederkommen. Dann schon mit dem Baby! So werden wir uns ja doch wiedersehen.«

»Ich hoffe es ... aber auch wir sind nicht darnach geschaffen unser Leben in der Provinz zu verbringen. Sobald das lyrische Drama Freds fertig ist, wollen wir ... und zwar wird das sehr bald fein ... nach Sauron, wo wir die große rote Villa gemietet haben. Ich hoffe, wir treffen uns also bald in der Großstadt für immer.«

»Umso besser!« murmelte Alice mit vor Ärger zusammengebissenen Zähnen.

Nachdem sie sich gegenseitig bemüht hatten ruhig zu bleiben, umarmten sie sich. Aber ihre Blicke trafen sich, hart und drohend.

Bei diesem raschen Stimmungswechsel beherrschten sie sich nicht mehr so wie früher, und Stella wich instinktiv zurück, als ob sie sich ertappt fühlen würde. Alice ging auf sie zu um sie hinauszubegleiten. Sie ging mit schlangenartigen Bewegungen, furchtbar in der Niedertracht ihres Lächelns.

»Das wirst du mir büßen, meine Kleine,« dachte Stella, während sie wie gejagt fortging, »Ah! Du entführst mir Fernand! Nun gut, wenn noch etwas zu meinem Entschluß gefehlt hätte ... das entscheidet jetzt. Ich werde dich lehren mir zu trotzen!«

Sie kehrte in voller Eile nach Hause zurück, da sie ahnte, daß wenn Fernand bei sich zu Hause erwartet wurde, er zuerst zu ihr kommen würde. Er kam in der Tat. Er hatte, um am Bahnhof nicht erkannt zu werden, die Post genommen und kam nun staubig, seinen schönen schwarzen Bart zerzaust und mit zerdrückten Kleidern zu Stella.

Diese schloß mit kühnem Griff die Türe hinter ihm zu und während sie sich an die Mauer lehnte, zitternd vor Begehren, sah sie ihn an.

»Wie sehen Sie denn aus!« sagte sie, nun schon ruhiger, indem sie ihn prüfend ansah, während er heftig und stoßweise atmete, da er, um nicht gesehen zu werden, die Treppe in großen Sätzen hinaufgelaufen war.

»Verzeihen Sie ... ich hatte kein anderes Mittel Sie zu sehen, als mich so zu zeigen. – Fünf Stunden Wagenfahrt im sausenden Galopp. Ich bin gerädert. Und welchen Kummer ich habe! Wenn Sie wüßten!....«

»Ich weiß es schon. Alice hat es mir geschrieben, ich komme eben von ihr. Nehmen Sie Ihre Versetzung an?«

Er antwortete sehr überrascht.

»Aber es ist ganz unmöglich abzulehnen ... meine ganze Zukunft wäre verloren.«

»Ach! Sie ziehen vor ... wie es mir scheint ... etwas anderes zu verlieren ...«

»Sie? Niemals! Ich weiß genau, daß der Streich gegen Sie, von Alice und meiner Mutter geführt wurde, die mit vereinten Kräften dahin gewirkt haben ... uns zu trennen.. Aber nichts, o nichts auf der Welt kann uns trennen, nicht wahr, meine innigst geliebte Stella?«

»Wenn es nur die Entfernung von hier zur Hauptstadt sein soll, das gewiß nicht.«

»Sie werden kommen ... Sie müssen kommen und auch dort wohnen.«

»Glauben Sie, daß das so leicht ist, daß es allein in meiner Macht steht?«

»Sie müssen kommen. Kann ich denn ohne Sie leben? Und wir sollen uns so ... so ... trennen; ... ist das nicht entsetzlich! Ich bin elend, krank vor Verzweiflung. Wenn ich Sie mit mir nehmen könnte, so an meiner Brust, ... so ganz nahe bei mir, ... an mich gepreßt ... endlich mein ... Stella!«

Sie wurde ironisch, ohne zu wissen warum, und während sie ihm ihre Hände überließ, die er leidenschaftlich drückte und sie heranzuziehen versuchte, streckte sie die Arme von sich, um ihn von sich fernzuhalten.

»Die Götter haben es anders beschlossen,« sagte sie, sie war jetzt kaum gelockt dadurch, daß die Stunde ihr günstig war.

»Nicht die Götter, sondern Sie selbst, die Sie mich zurückstoßen ... jetzt noch und immer. Eigensinnige Närrin! Die unsere schönsten Tage der Freiheit vergeudet hat!«

»Das finde ich nicht,« sagte sie. »Und wer weiß. Die schönsten Stunden sind vielleicht jene, die wir schon durchlebt haben. Sie sind flatterhaft, mein Lieber. Ich fürchte Ihre Vergeßlichkeit, wenn Sie nichts mehr zu begehren haben.«

»O! Stella, die Plaudereien und Flirts sind vorbei. Jetzt ist es die Leidenschaft ... die Leidenschaft allein, die ihre Rechte fordert! Ich liebe Sie! Ich will, ich muß Sie besitzen! Seien Sie gut und aufrichtig ... und lieben wir uns!«

»Sie wissen es ja, daß ich nicht lieben kann!«

»O, es tut wenig zur Sache, was für einen Namen Sie dem Gefühl geben, daß Sie zu mir hintreibt. Denn das Vergnügen an unseren Zusammenkünften, den Schauer unserer gegenseitigen Berührung können Sie doch nicht leugnen!«

»Das hängt davon ab,« sagte sie, während sie sich mit ihren Armen, die er an sich riß, verteidigte. »Ja, das hängt davon ab ..... was ich gerade für einen Tag habe.«

Ein Schrecken erfaßte sie, ein wirklicher Schrecken vor dem heftigen Angriff, den sie in den funkelnden, drohenden Blicken Fernands las! Noch immer bewahrte sie die Reinheit ihres Fleisches vor der Lasterhaftigkeit ihrer Gedanken.

Plötzlich stürzte er sich auf sie los, und preßte sie so fest an sich, die Hand in ihrem Haar, um ihr Gesicht an seinen Mund zu beugen, daß sie über diesen zu heftigen Anprall ärgerlich wurde, und ihn mit ihren kräftigen Fäusten, mit einem Ausdruck des Ekels zurückstieß.

Der schöne Fernand war aufs Höchste überrascht, gab sie frei.

»O!« sagte er gekränkt, »wie es Ihnen gefällig ist. Ich wollte nur eine Umarmung, einen Kuß. Aber ich sehe, daß ich mich geirrt habe; Sie mögen mich allem Anschein doch nicht!«

»Nicht so,« sagte sie. »Es würde mir nicht zusagen, brutal behandelt zu werden!«

»Also was sagt Ihnen denn zu? Haben Sie die Gnade das einmal zu sagen!«

Wußte sie es denn? Das hätte sie sich selbst fragen mögen. Sicher war es, daß sie von einem komplizierteren, von einem romantischeren Laster geträumt hatte. Sie hatte für ihre Nerven auf den Rausch einer höchsten Begierde gerechnet. Die unfreiwillige Kälte machte sie bestürzt.

Sie murmelte naiv:

»Ich weiß es nicht.«

Er lächelte und näherte sich wieder. Dann begann er demütig gerührt:

»Stella, ich werde abreisen! O ich leide so sehr! Es ist ein wunderlicher Seelenzustand!«

Diese leichten Phrasen reizten sie.

»Nun gut,« sagte sie, »reisen Sie ab, da ich sie nicht zurückzuhalten vermag. Denn ich knüpfe eine Bedingung an das, um was Sie mich bestürmen. Wenn ich einwilligen würde, würden Sie mir Ihr Wort geben, die Stellung abzulehnen, die man Ihnen angeboten hat?«

Er wurde bestürzt, ungeheuer überrascht.

»Daran denken Sie doch nicht im Ernst, meine Liebe! Ist es denn möglich? Bin ich denn frei, ach Gott!«

»Man ist immer frei wenn man will!«

»Nein Stella, nein. Sie sind ein großes Kind, eigensinnig und hartnäckig. Sie wollen das Leben nicht begreifen; Sie glauben es sei so leicht sich von allem loszusagen ... und seine Existenz aufs Spiel zu setzen! Ja wenn ich reich wäre! Ach! dann, ich schwöre es Ihnen .... !«

»Schwören Sie nicht, mein Freund. Ich bin entschlossen. Sie wollen mich besitzen, aber ein Held sind Sie nicht.«

»Also nicht Liebe begehren Sie, sondern das Heldentum?«

»Vielleicht.....«

»Ich dachte nicht, daß Sie so phantastisch wären.«

»Ich dachte es auch nicht« sagte sie offenherzig. »Aber es scheint, daß alles möglich ist. Ja, es scheint mir jetzt... daß ich Sie lieben würde, wenn Sie eines großen Opfers fähig wären.«

»Sind das wirklich Sie, die so spricht?«

»Ich weiß nicht; nehmen wir an, daß das meine Laune ist.«

»Oder ihr Hochmut.«

»Nun also! Da ist der Hochmut doch zu etwas nützlich?«

»Ja, um mich zur Verzweiflung zu bringen.«

»Ach nein; Sie machen keinen verzweifelten Eindruck.«

»Weil ich noch hoffe, Sie Grausame!«

»Sie machen sich über mich lustig?«

»Ja oder nein; vielleicht« sagte sie ernst: »Ich langweile mich, sehen Sie! O wie ich mich langweile! Also mein Freund ... trennen wir uns!«

»Sie brechen mir das Herz.«

»Das ist ihre Schuld!«

»Also Stella, seien Sie vernünftig. Fordern Sie nicht unmögliches von einem armen Mann.«

»O, ich fordere gar nichts, mein Lieber. Ich fühle mich, ich gestehe es, ganz vereinsamt. Lassen sie mich. Sie erreichen heute nichts und wir könnten am Ende noch Zank miteinander bekommen. Gehen Sie; und wer weiß ... eines Tages vielleicht, an einem anderen Ort... der mich mehr beeinflußt... in einem glücklicheren Augenblick.... ich bin nervös seit einigen Tagen. Und wenn das über mich kommt, so weiß ich nicht mehr, was ich will. Die Krankheit des Willens. Ich werde mich bemühen, sie zu kurieren und hoffe, daß wir uns wiederfinden.«

Plötzlich dachte Fernand daran, daß bei ihm zu Hause die Minuten bis zu seiner Ankunft gezählt würden. An seinem unmerklichen Zurückweichen, und an seinem veränderten Blicken konnte man bemerken, daß er daran dachte.

Er seufzte:

»Also auf Wiedersehen! Meine schöne, vielgeliebte Stella! ... Ich trage Sie in meinem Herzen .... auf Wiedersehen!«

»Sie werden jeden Morgen Briefe von mir erhalten. Ich werde Ihnen schreiben, wohin ich Antwort erwarte... Bleiben wir gute Freunde!«

Er küßte ihr die Hände und die Handgelenke; aber er wagte nicht, seine Umarmung zu wiederholen. Dann, als sie ihn ruhig sah wurde sie wieder mutiger, bot ihm ihre Wange, welche sie, nach dem Kuß, den er darauf gehaucht hatte, ganz kühl wieder zurückzog.

So trennten sie sich.

Hinter ihrem Fenster stehend, sah ihn Stella fortgehen, staubig auf der staubigen Straße und eilig ohne sich noch einmal umzudrehen. Als er verschwunden war, fühlte sie sich sehr unglücklich.

»Ich bin dumm ... zum prügeln« murmelte fie, »nein dumm zum heulen^« »Was werde ich jetzt tun?«


Nach düsteren verstimmten Tagen, an denen sie sich nicht einmal bemühte, den Abglanz ihrer schlechten Laune, die sie um sich verbreitete zu verbergen, erhielt Stella den ersten Brief von Fernand. Er war nicht unterzeichnet und in einer unkenntlichen Schrift ... eine Vorsicht, die kindlich erschienen wäre, wenn es sich jemand hätte einfallen lassen die Korrespondenzen der Baronin Seuriet zu berühren. Aber der Briefträger hatte ihr die Post zuerst gebracht und niemand bekam den Brief früher als sie selbst zu Gesicht.

Dieser flammende stürmische Brief beruhigte sie. Fernand verzichtete nicht auf sie. Stella sollte ihm ins Ministerium schreiben mit einem verabredeten Zeichen auf dem Kuvert. Angeregt durch diese Art der Verführung auf Entfernung, tat sie es auch. In ihrem Zimmer eingeschlossen, in Sicherheit vor brutaler Verwegenheit, gefiel sie sich darin, diese durch jene weibliche Geheimtuerei herauszufordern, die Niemanden gleichgültig läßt. Einige Wochen vergingen für sie ganz angenehm in der Ausübung dieses Spieles, in dem sie Großartiges leistete. Die Antworten Fernands zeigten ihr, wie geschickt sie darin war, er schrieb wie irrsinnig. – Aber ihren Versprechungen und Drohungen zum Trotz kam er nicht sie aufzusuchen.

Vielleicht fürchtete er, daß die Ankündigung seiner Abreise schlecht aufgenommen werden würde. Vielleicht auch verpflichtete ihn das Verhältnis seiner Frau gegenüber zur Schonung.

Stella neckte ihn damit. Da teilte er ihr den Unfall mit, der Alice zugestoßen war. . . Infolge der Reife, welche sie, wie er eingestand, gegen den Willen der Ärzte unternommen, hatte ihr Zustand plötzlich zu ernsten Besorgnissen Anlaß gegeben. Und trotz äußerst sorgfälltiger Pflege hatte die junge Frau den Schmerz, vorzeitig ein totes Kind zur Welt zu bringen. Die ganze Familie war verzweifelt und verwünschte die Haupturheberin dieses Unglückes.

»Das ist gut! Jetzt habe ich ein Kind getötet!« brummte Stella vor sich hin, war aber doch ein wenig beunruhigt. Wenn es wenigstens zu irgend einem Zweck gedient hätte! Aber für einen Flirt und für das Wenige an brieflicher Unterhaltung, war das doch ein zu teurer Preis.

»Ba! Ich bin noch immer mehr zu bedauern, denn ich langweile mich.«

»Schon blasiert?« frug sie Mira eines Abends. –

»Ja« antwortete die Baronin. »Nicht eine Katze ist hier, für die es wert wäre, sich herauszuputzen und in Gesellschaft zu gehen. Und was für eine Gesellschaft. Geistig Zurückgebliebene, Naive und Dummköpfe.«

»Nun gut, mein Liebling . . »suche dir ein anderes Mittel, dich zu zerstreuen, dich zu beschäftigen.«

»Ich verstehe dich! Danke! Das Leben einer Provinzlerin führen, nicht wahr?«

»Ach nein, aber beschäftige dich mit etwas... und auch mit deinem Mann!«

»Über das sprechen wir wieder, wenn es Fred gefällig sein wird ernstlich zu arbeiten!«

»Er arbeitet also nicht?«

»Er? Er raucht... er träumt und das ist alles. Ich habe wirklich nichts von ihm für mein Geld!«

»Pfui! Stella« ... sagte Mira ... die für Stella errötete.

Wirklich verfiel die künstlerische Kraft Freds mehr und mehr; jede Flamme war erloschen. Und das Benehmen seiner Frau war nicht darnach angetan sie wieder anzufachen. Er... der träumte geliebt zu sein... er mußte leer ausgehen!

Nicht einmal jetzt, da sie tagsüber zu Hause blieb, sah er sie öfter als früher. Und wenn er sie nach einem langen einsam verlebten Tage aufsuchte, den sie einzig und allein damit verbracht hatte, in ihrem Sessel hingestreckt extravagante Pläne in ihrem Gehirn auszuspannen; in ihre ungesunden Träume versunken, wie stehendes Wasser in einem Abgrund, war sie nicht einmal so gefällig ihm das Almosen der Heiterkeit zu reichen, mit dem sie ihn in früherer Zeit erfreut hatte.

Er erriet an ihrer mißachtenden Schweigsamkeit, daß sie ihm darüber grollte, daß es ihm bisher nicht gelungen war den Ruhm zu ernten ... den sie sich binnen Kurzem erwartet hatte. Sie wandte den Kopf mit ungnädigem Lächeln ab, wenn er sich vergaß und in ihrer Gegenwart laut träumte. Und das ließ ihn vollständig in dem schrecklichen Nebel seines stummen Gehirnes versinken. –

Dieses oftmalige Sichwiederholen, daß er um jeden Preis ein Meisterwerk schaffen müsse, und die Furcht davor, daß er es nicht leisten könnte, lähmten ihn vollständig. Was sollte daraus werden? Wohin steuerten sie? Stella verzieh ihm auf keinen Fall. Ohne Zweifel fühlte sie sich betrogen, verraten, hintergangen.

Seine Qualen nahmen zu, aber sein Mut verringerte sich. Er fühlte sich manchmal unaufhaltsam jener Schwäche zutreiben, die damit endet, daß die Hand mit ihrer letzten Bewegung eine Waffe sucht, um mit einem Schlage eine langsame und grausame Agonie abzukürzen.

»Eines ist sicher,« dachte er, ... mein Leben ist verloren. Ich werde mich töten. Verflucht sei meine elende Schwäche. Sie wird meine Schuld tilgen, indem sie Stella von mir befreit. - Aber warum hatte sie das Verlangen meine Frau zu werden?!... Mira!... Mira!... Wie glücklich hätten wir sein können! Aber ich habe nicht mehr die Kraft zu arbeiten, sie heute anzurufen! Es scheint mir, als ob mein Herz seinen Platz verändert und die Stelle meines Gehirnes eingenommen hättet. Dort schlägt es nun, dort leidet es. Und der Liebesschmerz hat mein Genie verscheucht. Ich hätte geliebt werden müssen und ich wurde es nicht. Eine einzige Frau hatte ihr Herz an mein Herz gelegt ... und diese Frau hat mich einer anderen gegeben, denn sie glaubte mein Glück damit zu begründen. O! Mira! wenn sie mich behalten hätte! Ja, sie hatte Angst zu alt für mich zu sein ... und jetzt sind ihre Haare noch nicht gebleicht ... wie die meinen, ihre Stirne noch nicht getrübt. Mir wäre der Balsam der Liebe zuteil geworden ... o! Mira! Mira! ..... Du bist jung mit deinen dreißig Jahren, und ich bin ein Greis!

»Wahrlich,« sagte die Baronin ... mit erheuchelter Verlassenheit, »ich langweile mich sehr. Erfinde doch etwas um die blöde Existenz die wir führen zu ändern,«

»Aber sprich doch,« sagte er, »ordne an. Was willst Du, daß wir tun sollen?«

»Hast du keine Ideen ... Du? du glaubst, alles ist so am besten, wie es ist? Dir fehlt nichts?«

In einem plötzlichen Anfall von Aufrichtigkeit antwortete er:

»Wenn ich eine liebende Gattin an meiner Seite habe ... nichts!«

»Das ist ja sehr lieb von dir. Aber ich frage nicht nach deinen Gefühlen, ich frage dich nach einer Idee!«

Traurig lächelnd antwortete Fred: »Gib mir eine Idee, und ich werde eine haben.«

»Das ist alles was du an Phantasie aufbringst?«

»Ja«.

»Na, sieh doch Fred, denke doch ein wenig vernünftig nach ... willst du? Du mußt doch sehen, daß ich vermeide mit dir über gewisse Dinge zu reden. Da du sie aber auch vermeidest, muß ich mit der Sprache heraus. Was schlägst du vor zu tun? Du hast doch nicht die Absicht, nicht wahr, ewig in deinem Turm eingeschlossen zu bleiben und durch die Fenster zuzusehen wie die Schwalben vorbeifliegen, während ich in meinem Zimmer vergraben bleibe und damit beschäftigt bin, den Plafond mit einer Hartnäckigkeit zu betrachten, die ich anfange unerträglich zu finden. Wenn ich dich richtig beurteilt habe, so muß ich sagen, daß das Milieu in dem wir leben, – wenn man das »leben« nennen kann – deinen Inspirationen nicht günstig ist. Wir müssen also auf eine Einsamkeitsexistenz im entferntesten Provinzwinkel verzichten, wo dein Gehirn keine Nahrung, keine Anregung erhält. Ist das nicht wahr?«

»Das ist richtig« sagte er.

»Man baut nicht ein Monument, wenn man nur den Grundriß dazu macht. Man braucht auch Marmor für den Aufbau. – Strebe doch der Laufbahn zu, die allen offen ist, der Quelle zu, aus der alle schöpfen. Lasse uns in der Hauptstadt leben! Dort wirst du mit berühmten Künstlern Verkehr haben, wirst ihre Ideen kennen lernen, und wirst daran deine Phantasie entzünden. Das kritische Betrachten schöner Kunstwerke wird deine schöpferische Kraft anspornen. Du wirst es anders machen wollen, und wirst es besser machen, und der Erfolg wird riesenhaft anwachsen. Es ist meine Pflicht dich mit der ganzen mir zu Gebote stehenden Energie auf den Weg zu drängen, der dich zum Ziel führt, und den du, magst du nun wollen oder nicht, gehen wirst. – Willst du mir antworten?«

»Wie gut du bist, solche Gedanken zu haben! Ich danke dir.«

»Ich habe dich nicht gebeten mir zu danken sondern mir bei dem, was ich unternehmen will, zu helfen. Denn, du weißt, so etwas hängt nicht ganz allein von uns ab. Da ist Mira! Es ist unerläßlich, daß sie uns hilft, wir sind nicht reich genug um in der Hauptstadt auf einem entsprechenden Fuß von unseren Revenuen zu leben.«

»Glaubst du?« sagte er plötzlich unruhig.

Stella zuckte die Achseln.

»Wenn du nicht immer in den Wolken wärst, würdest du schon bemerkt haben, daß wir sogar hier einen tüchtigen Biß in meinen Mitgiftkuchen gemacht haben, wie wird es erst dort sein! Und wenn der Rest dort zu Ende ist?!«

»Und wenn es mir nicht gelingt, ihr alles zurückzugeben?«

»Du? ... Zurückgeben?«

»Wir könnten unsere Ausgaben einschränken«.

»Danke! Der Meinung bin ich nicht. Das einzig Vernünftige ist, von Mira einen Zuschuß zu erlangen. Das ist nur richtig, sie ist reicher als wir; sie hat doch alles von meinem Vater ... und sie ist allein. Vraucht sie jährlich eine Rente von dreißigtausend Franks? Das ist beinahe schändlich... Sie ist eine Egoistin.« .

»O Stella sag' das nicht!«

»Warum nicht? Was sage ich denn Ungewöhnliches? Sieh mich doch nicht mit so jammernden Augen an. Ich kenne deine Bewunderung für Mira und ich teile sie auch, ich habe sie sehr lieb. Sie ist zu gut! Aber wenn es sich für mich darum handelt fortzugehen, wird sie aus Angst davor ganz wild. Wenn du wüßtest, was für Geschichten ich erzählen mußte, und was für Szenen ich ihr machen mußte um von ihr die Einwilligung zu unserer Heirat zu erhalten! Und alles das, um mich bei sich zu behalten ... ausschließlich bei sich...«

»Du glaubst...?«

»Unter diesen Umständen kannst du sie veranlassen, uns etwas Geld zu geben,« nahm Stella wieder das Wort.

»Ich!« rief Fred aus, ganz erschrocken. Ich soll sie um Geld bitten ... sie!«

»Nun ja ... warum nicht ... ist das denn nicht ganz natürlich?«

»Nie ... mals ... hörst du! ... Nie! ... Stella! Alles eher ... aber das nie ... nie!«

»O, o! wie zartfühlend du bist!« sagte sie, grausam in ihrer Frechheit. Und doch wirst du dich dazu entschließen müssen. Das ist mein Ultimatum. Verstehe mich gut ... und ich liebe es nicht zu warten. Wenn du in einigen Tagen bei Mira nicht Erfolg gehabt Haft, gehe ich allein fort ... ja ... ganz allein ...«

»Das wirst du nicht tun, Stella!«

Sie lachte ihr häßliches, gezwungenes Lachen.

»Du wirst dich davon überzeugen ... demnächst. Erinnere dich unseres Übereinkommens vor der Hochzeit. – Ich bin frei ... habe vollkommene Freiheit zu handeln wie ich will, bin ftei ebenso wie du. Wenn du fortgehen wolltest, würde ich dich nicht zurückhalten. Bemühe dich, mir gegenüber dasselbe Verhalten zu beobachten.«

Fred war dieses Mal nicht schwach gewesen. Stella hatte Schulden gemacht, und sie waren abgereist. Als Fred vor seiner Abreise bei Mira war, hatten sie sich nur zu gut verstanden. Ihre beiden liebenden Herzen schlugen im Gefühle unsagbarster Reinheit zusamme. Wohltätige Beruhigung sank sanft und traurig auf sie herab. Er tröstete sich fast, in dem Gefühle, von dieser großen Seele so herrlich geliebt zu sein. Sie genoß seine zarte Verehrung wie ein Glück, daß sie für alle Schmerzen ihres Lebens entschädigte.

Sie sahen sich zum ersten Mal seit Stellas Hochzeit tief und ernst in die Augen, als ob sie ihre geblendeten Blicke in übermenschlichem Verstehen in das Geheimnis unendlicher Weiten versenken wollten.

So sahen sie sich im gegenseitigen Verstehen an, ganz hingegeben dem Entzücken, daß ihre magnetisch sich anziehenden Augen sich wiedergefunden hatten, die doch von jeher für einander bestimmt waren. Es war wie eine bräutliche Entkleidung ihrer hohen Seelen. Eine physische Erregung konnte nicht mehr an sie herankommen.

Und künftig, wenn sie es wollte, sollte sie alles erfahren. Fred würde ihr alle seine Gedanken gestehen und sie trug Sorge in ihrer erhabenen Seele, daß sie in seiner unendlichen Liebe unpersönlich blieb. So ging die Zeit hin.

Zitternd hielt Frau von Ellissen einen Brief in ihrer Hand. .

»Nun also, meine liebe Mira, liebe Mama, höre zu: Alles ist zerstört. Wenn du diese Zeilen erhältst, habe ich unsere gemeinsame Wohnung verlassen, und wohne allein. Die Adresse wird sich aber noch ändern, ebenso wie der Name, den ich trage. Endlich bin ich frei!

Es würde mir leid tun, wenn du dadurch Unannehmlichkeiten hättest, aber ich kann nichts dafür. Jeder lenkt sein Leben so, wie es ihm paßt, das ist sein Recht. Ich mache ganz einfach von diesem Recht Gebrauch. Unter uns gesagt, Fred ist ein Dummkopf.

Ich hätte ihn lieben können, wenn er mich besser verstanden hätte. Und ich gestehe es ... einen Augenblick habe ich es gehofft. Ich habe mich geirrt. Das war eine Dummheit. Sprechen wir nicht mehr davon. Also, arme Mira, ein wenig Mut, alles wird sich früher oder später ausgleichen.

Wir waren nicht für einander geschaffen. Solche Entdeckungen kommen täglich vor. Nur wenn man vernünftig ist, schweigt man und fügt sich. Fred hat es vorgezogen, die Scheiben zu zerbrechen; wie er will. Es ist doch natürlich, nicht wahr, wenn man das Gitter des Käfigs zerbricht, daß der Vogel davonfliegt. Das ist doch nur logisch. Mein einziges Bedauern ist der Kummer, den ich euch beiden bereite. Aber schließlich, es ist zu spat für alles ... da ich in den Armen eines Anderen sein werde. Also, meine Liebe, ich umarme dich und sage dir adieu, auf Wiedersehen, wenn der Zufall es so fügt.

Stella.«

Mira stand stumm und totenblaß da. Da trat der Diener ein und reichte ihr auf einer kleinen Tasse ein Telegramm. Es enthielt nur die beiden Worte:

»Kommen Sie!

Fred.«

Herzzerreißend schrie das junge Weib auf:

»Er ruft mich – – – das heißt, daß er stirbt!«

Noch in derselben Nacht reiste Frau von Ellissen ab. Es war ihr unmöglich zu warten; wie verzweifelt stürzte sie sich in den nächsten Zug. Ihr ganzes Wesen konzentrierte sich auf diese eine Zeile, die sie in der nahenden Dämmerung noch lesen konnte. Unter den aufgetürmten Wolkenmassen glänzte noch ein grüngoldener Schein am Horizont. Dort war Fred, von dort aus rief er sie.

Sie litt qualvoll, von einer stets wachsenden Angst gemartert.

Ihr Herz schlug fast nicht mehr. Es war nur noch ein dumpfes Rollen das ihr in den Ohren klang, und das sie mechanisch, mit einer Bewegung, als ob es sie belästigen würde, vertrieb.

An der Vorderseite des Hauses war eine Tür in der niederen Mauer, welche Aussicht in einen schmalen Garten gewährte, der in voller Blüte stand; die Blumen strömten einen starken Duft aus, den der Wind ihr entgegentrieb als ob er sich über ihr Kommen freute.

Sie stürzte in das fremde Haus und rief mit aller Kraft:

»Fred! Fred ... ich bin es! Ich bin hier!« Sie ging mit ausgestreckten Händen, erschreckt über die Geräusche die sie beim Anstoßen an verschiedene Gegenstände erregte. Dann stürzte sie denselben Weg wieder zurück, wie wahnsinnig, wandte sich um, und glaubte fernes Ächzen zu hören, als wenn jemand seine letzten Seufzer aushauchen würde.

In den hellen Vorraum zurückgekommen, suchte sie sich zu beruhigen und sich mit Überlegung zurechtzufinden. Da hörte sie ....... ja ...sie hörte das einzige Wort »Mira«. Sie hörte ein Geräusch, wie das Aufklinken einer Türe, indessen war keine Türe geöffnet worden. Aber sie erkannte jetzt die Türe, welche ihr bezeichnet worden war. Sie ging mit schnellen und bestimmten Schritten bis zum Ende des Ganges, drehte ohne zu besinnen den Türknopf um, den sie in die Hand bekam und trat ein.

Es war richtig.

Da lag Fred, unbeweglich ... seine Haare und sein Schnurrbart waren weiß geworden wie seine Bettücher ...... er hatte das erhabene und verehrungswürdigste Gesicht eines Greises. Was war aus Fred in dieser kurzen Zeit geworden! Ein Leuchter mit drei Kerzen brannte auf dem Tische nächst seinem Bette, und ließ die Umrisse seiner so rasch abgezehrten Züge scharf hervortreten.

Von Schmerz ergriffen schritt sie vorwärts, die Hände gefaltet wie zum Gebet, und wiederholte einförmig klagend:

»Fred! Fred, ich bin da ... um Ihren Namen, Ihre Ehre zu retten!«

Als sie ganz nahe an ihn herangekommen war, beugte sie sich mit ausgebreiteten Armen über ihn, in zu später Erlösung ihres Herzens, das dem seinen zugeneigt war, ihrer Lippen, die sie auf seine Stirne preßte.– – –

»Hören Sie mich an, Fred. Ich werde fortgehen um Stella, die Ihrer noch würdig ist, zurückzubringen. Und ich befehle Ihnen, auf mich zu warten, Fred. Nur einige Stunden verlange ich von Ihnen ... von Ihrem Leben! Ich habe das Recht dazu .... weil ..... erwarten Sie mich Fred .... weil –!«

»Seien Sie barmherzig, bleiben Sie, um mir die Augen zuzudrücken!«

»Nein, nein .... noch nicht .... ich wende mich an Ihre Ehre. Ihr Name, Ihre Ehre müssen gerettet werden .... dann .... werden wir beide ..... dorthin gehen ..... dorthin .... wo wir uns lieben werden .... um uns niemals zu trennen.

Fast mechanisch ging sie nach der Türe und verschwand.

»Lange Sasse 420!« rief sie dem Kutscher zu. Vor dem hohen, neuen Hause angekommen, ging sie wie eine Nachtwandlerin an der Portiersloge vorbei, ohne zu fragen und schritt aufrecht dahin, die Blicke starr und durchdringend vor sich hin gerichtet. Der Portier kam heraus, doch sie erschien ihm so majestätisch und würdevoll, bis in die Falten ihres schwarzen Kleides, daß er es nicht wagte, sie anzurufen. Trotzdem hielt er es für vorsichtiger sie sich anzusehen und folgte ihr in einiger Entfernung:

»Irrt sich die Gnädige Frau nicht?« frug er.

»Nein, ich gehe zur Baronin Seuriet« antwortete Frau d'Ellissen kurz, wandte sich ein wenig um und ließ dabei ihr fahles Gesicht sehen. –

»Schön, schön,« sagte der Portier respektvoll und um zu erklären warum er ihr folgte, fuhr er fort: »Im Halbstock, die Türe links.«

Sie stieg hinauf.

Stella öffnete die Türe und wich erschreckt vor dem Anblick, der sich ihr bot, zurück.

Sie hatte geahnt, daß es Mira, ihre Muttsr sein würde.

»Ja, ich bin es« sagte Mira ruhig.

Und sie trat ein, während sie ihre Tochter sanft zurückdrängte. Der Ton ihrer Stimme befreite Stella von dem Schrecken ihres Anblicks; sie täuschte sich nicht; sie träumte nicht, es war wirklich Mira, die es wagte, sie bis hierher zu verfolgen. Aus Ärger, vielleicht aus Verwirrung wurde sie purpurrot.

»Was willst du hier?« frug sie trocken. »Da du den Weg hieher gefunden hast, mußt du auch wissen, daß du hier nichts zu suchen hast! Lasse mich in Ruhe, gehe! Ich bin für dich nicht mehr vorhanden, ebensowenig als für Fred!«

»Ich komme« rief Mira jetzt zitternd aus, »um Freds Ehre zu retten ......«

»Du kommst von ihm? ....«

»Ja.«

»Es ist zu spät .... gehe .... Fernand kann jeden Augenblick kommen ....«

»Elendes Geschöpf! ....« sie ging wortlos.

Sie eilte dem Lager zu, wo Fred im Sterben lag. Der kleine Revolver lag vor ihm auf dem Nachtkästchen. Mira warf sich auf ihn, preßte seine feuchte, warme Hand an sich. –

Sie nahm sein Antlitz zwischen ihre Hände, und hielt ihre Wange zu seinem Munde. –

Er atmete noch ... o! ... ganz leise.

Dann rief sie ihn mit all ihrer Kraft, mit ihrem ganzen Willen, rief ihn wieder ... vielleicht war seine Seele noch nicht ganz entflohen. Zu spät kamen die Wort, die sie ihm in ihrer Selbstvergessenheit nun zurief:

»Ich liebe dich ... höre mich an ... ich liebe dich ... nimm mich mit dir.«

Sie hatte es nicht zu hoffen gewagt ... seine Augen öffneten sich langsam, sein Blick der schon ganz abwesend war, irrte einige Sekunden umher, blieb dann auf ihr haften .... die Augen erweiterten sich .... seine Lippen erzitterten, und dann trat die endgiltige Ruhe ein. .......... Ein Schuß krachte, und Mira sank tot auf seine Brust.

Sie waren beide verschieden. Sie hatte seinen Brautkuß empfangen ... diesen Kuß, den die liebende Seele der geliebten Seele Auge in Auge, in erhabener Verzückung gibt. ............

Die Baronin Seuriet erhielt inzwischen ein Telegramm.

Sie öffnete es und las:

»Hm«, dachte Stella, »er kommt nicht, das ist schade.«

»Geliebte, welches Unglück. Alice weiß alles, sie hat uns beobachten lassen, Sie und mich! Sie weiß die Adresse dieser Wohnung, wo wir unsere Zusammenkünfte hatten. Entsetzlich! Um sie zu beruhigen, habe ich schwören müssen, daß ich abreise. Und ich reise noch in dieser Stunde nach London, wo sie mit mir zusammentreffen wird. Wenn ich anders handeln würde, wäre alles verloren. Scheidungsdrohung, Stellung verloren, Skandal unvermeidlich! Fügen wir uns ... und warten wir. Aber ich bin verzweifelt! Adieu, vielleicht auf Wiedersehen!

Fernand.«

»Der Feigling« murmelte Stella.


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