Marie Tihanyi Gräfin Sturza
Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau
Marie Tihanyi Gräfin Sturza

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III.

Stella wurde zum Ball in der Präfektur angezogen, dem großen, jährlich stattfindenden Feste, zu welchem alle Familien der Stadt, die zur Gesellschaft gehörten, eingeladen waren. Der Adel war durch diejenigen seiner Mitglieder vertreten, die das meiste Interesse hatten, mit der offiziellen Welt auf gutem Fuß zu stehen. Der ärmere Bürgerstand drängte sich herzu, um auf diesem günstigen Boden seine Heiratsjagd nach einem der großen Industriellen fortzusetzen, die ihrerseits eine Ehre dareinsetzten, in der müßigen Gesellschaft zu verkehren und sie zu blenden. Lange vorher schon wurden die Toiletten zusammengestellt. In den alten schweigsamen Häusern bemühten sich Hausschneiderinnen heimlich, die abgetragenen Sachen nach Bildern der Modeblätter wieder aufzufrischen. Das Ergebnis war nicht immer glücklich, und viele reizende junge Mädchen verloren ihre Anmut in einem stil- und geschmacklosen Aufzug. Aber erst unter dem Glanze der Luster gewahrten sie ihre Niederlage neben den aus Paris bezogenen Toiletten. Dadurch gekränkt, verscheuchten sie mit ihren unzufriedenen Gesichtern die Tänzer. Neid und Haß entbrannten bei solcher Enttäuschung; Bitterkeit stieg auf die Lippen der Mütter; das Geplauder wurde zum Klatsch, und der Abend zeitigte Nachträgereien, die die ganze Stadt auf ein Jahr mit Streit versorgten. Auch bereitete man von langer Hand her die Revanche vor.

»Welche Farbe werden Sie tragen, meine Liebe?« fragte man mit honigsüßer Stimme.

Und je nach der Antwort, ob blau, ob rosa, oder weiß, richtete man sich ein, anders und besser gekleidet zu erscheinen.

Stella kannte diese Art von Sorge nicht. Ihre Kleider kamen aus Paris, und obgleich sehr einfach, hoben sie ihre angeborene Grazie durch unbestreitbare Eleganz. Übrigens stand sie noch ganz im Anfang ihrer gesellschaftlichen Laufbahn. Erst seit ihrem siebzehnten Jahre war sie nicht mehr auf »Lämmerhüpfen« und »weiße Bälle« beschränkt; das heißt: an diesem Abend kleidete man sie zu ihrem zweiten großen offiziellen Feste. Das erste Mal hatte sie nach Provinz- Sitte in schneeweißen Gazewolken erscheinen müssen; für diesmal wählte sie eine reizende Zusammenstellung aus hellgrünem Surah mit silbergetupftem Tüll. In ihren Haaren trug sie nur einen Tuff Flughafer, aus dem sich, schlank und zart wie Flaum, ein Zweig wilder Clematis hervorhob.

Nachdem sie aus den Händen der für etwaige Änderungen so notwendigen ersten Schneiderin entlassen war, hatte sie sich den geschickten Fingern der Friseurin überliefert; der Friseurin, die die Bräute frisiert und mit dem Ernste eines Folterknechts die verschiedengestaltigen Brenneisen handhabt.

Vergebens, daß Stella rief: »Au! Sie brennen mich! Reißen Sie doch nicht so stark!«

Die Künstlerin hatte kaum ihr Werk vollendet, als Stella, empört, die Frisur mit einem Stoß zerstörte, um sich nach eigenem Geschmack, auf weniger banale Art, das Haar zu richten.

Nun überzeugt, nicht allen andern zu gleichen, lachte sie laut auf, berauscht von der jugendlichen Freude sich so reizend zu sehen. Mit dem Fächer in der Hand lief sie unter dem Rauschen des Flitters, der wie Regentropfen ihr grünes Kleid bedeckte, aus ihrem Ankleidezimmer, wie eine Najade aus dem Bade, und stürzte in den Salon ihrer Stiefmutter.

Frau von Ellissen hatte sich darauf eingerichtet, in der Erwartung von Stellas Rückkehr einen langen Abend an ihrem Kamin lesend zu verbringen. Sie hatte sich's bequem gemacht und ein hellblaues Morgenkleid angelegt, das ihre herrlichen Formen zur Geltung brachte und sich der zarten Blässe ihres Gesichts prächtig anpasste.

Frohe Heiterkeit flog über ihre Züge als sie Stella erblickte, die ihr beim Eintreten zurief:

»Bin ich schön, was!«

»Blendend,« erwiderte sie und bedeckte zum Scherz die Augen mit den Händen.

Stella aber, plötzlich verstimmt:

»Du bist allein?«

Die junge Frau schmiegte sich tief in ihren Sessel und sagte:

»Köstlich allein.«

»Nun gut! Ich bin schön!« Mit einem Ruck ihrer Büste streckte sie den langen Hals, der mit kühn emporstrebendem Kinn eine feine schlanke Linie bildete. Die Züge ihres zarten Gesichtes waren fein aber unregelmäßig, der Mund schmal, die Augen nach den Schläfen hin gehoben, die Nase gerade und beweglich: es war ein wahrhaft anziehendes, erregendes, wenn auch nicht regelmäßig schönes Gesicht. So geschmückt, besaß sie den Reiz eines Kunstwerkes, das seltsam und fein, ja sogar interessant erschien durch die Originalität seines unbestimmbaren Stiles.

»Bald wird dich eine Schar von Bewunderern umringen,« sagte Frau von Ellissen ein wenig ernsthafter.

»Darum ist mir nicht bange,« antwortet sie trocken.

Eine Sorge flog über Frau von Ellissen's Stirne und die sagte leise:

»Immer frivol, kleine Maus!«

Das junge Mädchen erwiderte:

»Möchtest du mich vielleicht ernst und sentenziös wie du selbst?«

»Ich glaube, ich ermüde dich nicht allzusehr mit meinen Sentenzen. Weniger aus Vergnügen, als aus Pflichtgefühl predige ich dir manchmal.«

»Als wenn ich das nötig hätte!« versetzte Stella.

»Wir haben das alle nötig, liebes Kind, besonders die Jugend, die das Leben und seine Verpflichtungen noch nicht kennt.«

»Diese Wissenschaft lernt sich von selbst, durch die Gewohnheit. Was die Verpflichtungen betrifft, so erduldet man nur jene, die man sich selbst schafft.«

»Du irrst dich gründlich: der Instinkt ist egoistisch, und die Moral lehnt sich gegen den Instinkt auf.«

»Ich sehe den Nutzen nicht ein.«

»Deshalb eben bemühe ich mich, dich verstehen zu lehren, – vor allem die Pflichten gegen andere.«

»O, Mama, ich bitte dich, keine Predigt heute abend! Dazu ist jetzt nicht die Zeit. Und dann bin ich etwas nervös.«

»Bist du nicht wohl?« rief Frau von Ellissen schon beunruhigt.

»Aber nein, rege dich doch nicht so auf, um nichts! Ich bin nervös, weil ... du bist schön, Mama, noch nie habe ich dich so schön gesehen, wie heute abend. Gut, daß du nicht mit mir gehst, niemand würde mich beachten ... ich bin nervös, weil ...«

»Nun, weil?«

»Ich langweile mich, wenn du es durchaus wissen willst.«

»Du solltest dich langweilen?«

Frau von Ellissen riß ihre zarten Augen vor Entsetzen weit auf und rief:

»Großer Gott! was könnte dir denn fehlen, um glücklich zu sein!«

»Du willst es wissen? So höre. Es fehlt mir an Freiheit der Bewegung, an Freiheit, nach meinem Geschmack zu handeln, zu arbeiten wann es mir gefällt, mich zu unterhalten wie es mir paßt. Du, aber, durchkreuzest alle meine Ideen. Sieh mich doch nicht so an, als ob ich da etwas Ungeheuerliches sagte! Und doch, schau, ich bin ja ganz vernünftig. Was verlange ich denn? Ein etwas weniger blödes Leben, als man es uns hier zu führen gestattet, worin man uns bis zur Ehe leitet, wie eine Herde blöckender sorgfältig gepferchter, gehüteter Lämmer ohne unserer Initiative der freien Entwickelung unserer Persönlichkeit den geringsten Spielraum zu lassen. – Nun weiß ich aber, daß die amerikanische Erziehungsmethode, das gerade Gegenteil der unserigen, sich auch hier, wenigstens bei uns, nach und nach Bahn bricht. Die jungen Mädchen werden nicht mehr den Blicken verhüllt wie Odalisken. Sie besuchen sich ohne Zwang, schreiben sich, empfangen einander, ohne daß sich eine aufreizende Aufsicht zwischen sie schöbe, mit der Anmaßung, ihr Urteil umzustimmen, ihre Neigung zu lenken. Glaube mir, wenn man mich noch so gut bewachte, so könnte ich, ich bin gewiß, meine Wächterin täuschen, wenn ich wollte! Die jungen Frauen sind ihre mächtigen Helferinnen bei dieser Emanzipation, die Gott sei Dank, immer mehr an Boden gewinnt. Man fängt an, sie anders zu betrachten als ein Spielzeug, als Gänschen, die von der Wiege bis zum Grabe im Käfig gehalten werden müssen. Und sie gewinnen dem Leben einen neuen, individuellen Reiz ab, der ihren Geist erweitert.«

»Und sie verderbt macht!« rief Frau von Ellissen entsetzt aus. »Stella, wenn dich dein Vater hörte!«

»Verderbt macht!« erwiderte Stella verächtlich. »Was ist denn verderbt? Was ist es nicht? Du wärst wohl in Verlegenheit, mir das zu sagen. Es ist ein konventionelles Wort, das Ihr alle, hier, mit entsetzter Miene immer anwendet, sobald die neue Zeit an den althergebrachten Sitten das geringste zu ändern versucht. Alles was nicht in die Überlieferung eurer engherzigen Moral paßt, ist verderbt, und damit ist die Sache begraben: »Nur nicht dran rühren!« Das ist viel leichter, als die Frage selbst zu untersuchen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen.«

»Verzeih', Stella, wir Frauen würdigen schon die Fragen, auf die du anspielst – wenn auch nicht alle Frauen auf die gleiche Weise – ich gebe die Beschränktheit der Provinzlerinnen zu. Viele sind wohl ehrlich und klug genug, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist für unser Ziel – das heißt, für unser Glück – und für das der andern. Ich denke, das ist ein Prüfstein, den die gesunde Vernunft anerkennen muß.«

»Es wäre vielleicht einer, wenn ihr über das, was ihr Glück nennt, eine Ansicht hättet, über welche wir uns verständigen könnten. Aber willst du mir erklären, welche Art von Glück du hienieden angestrebt hast? Du bist ungefähr wie ich erzogen worden, weniger liebevoll, ich weiß es, aber nach derselben Methode. Du hast dich mit meinem Vater verheiratet, der schon nicht mehr jung war und ein Kind auf dem Halse hatte. Er war ein guter Mann, ich muß es zugeben, aber ziemlich brummig, herrschsüchtig, der mit dir, wie ich mich wohl erinnere, immer schonungslos umgesprungen ist. Er gestattete dir gar nichts ohne seine ausdrückliche Erlaubnis, und du weintest vom Morgen bis zum Abend über seine Zurechtweisungen, ohne die Kraft zu finden, dich aufzulehnen, ihm deinen Willen des gleichberechtigten freien Wesens entgegenzustellen. Du hättest dich wohl gehütet!«

»Gewiß,« murmelte die junge Frau, die ein schmerzlicher Schauer überfuhr.

»Und warum das?«

»Ich verdankte deinem Vater alles, was ich besaß, ich war allein, Stella, ganz allein! – Und um Frieden zu finden. . .«

»Das ist's wohl: du hast aus Feigheit nachgegeben, um dir die Anstrengung des Kampfes zu sparen und auch weil du aufrichtig und naiv glaubtest, deine Pflicht zu erfüllen.«

«Ja.«

Und dein Glück, bitte? Dieses unser Ziel, von dem du vorhin sprachst, wo hast du es gefunden?«

»Ich denke nicht mehr an Glück! Ich war zufrieden mit dem Guten, das ich tun durfte, mit meiner Schreiberei, meinen Büchern – –«

»Und das hat dir genügt?«

»Es scheint so,« sagte Frau von Ellissen leicht verwirrt.

»Das ist eben das Unglück, daß eine solche Milchsuppe von Glück meinen Appetit gar nicht stillen würde. Ich brauche kräftigere Kost.«

»Es ist aber doch ein großes Glück, liebes Kind, sich selbst für das Wohl seiner Nebenmenschen aufzuopfern.«

»Nach deiner Meinung sollte also das ganze Leben nur dazu verwendet werden, sich mit den andern und nicht mit sich selbst zu beschäftigen?«

»Gewiß!«

»Nun, diese Philosophie liegt meinem Verständnisse gänzlich fern. Wenn ich nur leben sollte, um mich für das Wohl anderer zu begeistern, dann wollte ich, ich wäre nie geboren.«

»Ach, Stella, ich hoffe, daß das Leben deine Ansichten ändern wird.«

»Ich denke nicht.«

»Und das du den himmlischen Trost des Selbstvergessens kennen lernen wirst.«

Damit einen die andern auch vergessen, nicht wahr? Selbstbetrug. Immer nur geben, nie empfangen. Opfer ohne Ende. Schönes Schicksall Das wähl' ich mir nicht. Und darum will ich frei sein, zunächst, um mich zu orientieren und mich dann der besten Seite des Gebens zuzuwenden.«

»Und die wäre?«

»Tun können, was mir gefällt, wie ....«

»Vollende!«

»Wie die Männer, siehst du!«

»Ah, das ist dein Traum?«

»Nichts anderes.«

»Warte doch, bis du weißt, was sie tun, ehe du sie beneidest.«

»Ich weiß genug von ihnen, um zu merken, daß wenn sie sich das uneingeschränkte Recht angemaßt haben, die Herren ihrer selbst und obendrein auch noch die unseren zu sein, dies das beste Mittel zur Sicherung ihrer vollständigen Glückseligkeit war. Also ...«

»Also erklärst du dich für frei und emanzipierst dich?«

»Ich erkläre gar nichts, ich bin kein Dummkopf. Aber so bald als möglich, werde ich mich emanzipieren.«

»Wirklich? Und wieso?«

»Ach, du hast mich ganz gut verstanden!«

Frau von Ellissen blickte Stella an, dann sagte sie plötzlich bewegt:

»Wie? Du denkst schon daran, dich zu verheiraten?«

»Ich bin neunzehn Jahre alt! Nicht?«

Frau von Ellissen sagte traurig:

»Du willst mich verlassen, Stella?«

»Ach, wenn du sentimental wirst, dann werden wir uns nie verständigen.«

»Ja, ja, ich weiß, du bist nicht empfindsam. Aber du bist dir schon selbst bewußt, daß es eines Tages dahin kommen muß.«

»Und du möchtest mich zurückhalten, während es mich drängt, fortzufliegen. Ich sträube mich!« und mit einer reizenden Bewegung ließ sie alle Flitter ihres Kleides in die Luft fliegen.

Frau von Ellissen sah sie an:

»Also gut, ich werde daran denken.«

»Woran, bitte?«

»Dir den weißen Raben auszuhecken, der dir natürlich im Kopf steckt.«

»Ich! Ach Gott nein! Es gibt keine weiße Raben. Oder vielmehr, der wird der weiße Rabe sein, der mir gefällt.«

»Wenn du vielleicht sagtest: der uns gefällt.«

»Wirklich? Er soll auch dir gefallen? Alte Mode, liebe Mama. Aber sei getrost, derjenige, den ich dir vorstellen werde, wird dich nachsichtig finden.«

»Den du mir vorstellen wirst? Bist du verrückt, Stella?«

»Deshalb, weil ich, ich für mich, denjenigen aussuchen will, mit dem ich die Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit haben werde, vielleicht für mein ganzes Leben zusammen zu hausen? Ich wäre in der Tat verrückt, wenn ich anders dächte!«

»Weißt du, daß sich mir der Kopf dreht, wenn ich dir so ruhig zuhöre!«

»Das glaub ich gerne. Du siehst mich an, als hättest du mich noch nie gesehen. Beruhige dich, ich bitte dich. Ich bin ein ganz vernünftig denkendes Mädchen.«

»Stella! – Stella!«

»Ich würde nie etwas Anstößiges tun.«

»Nur das fehlte noch!«

»Aber ...«

»Aber?«

»Aber würde von meinem Rechte Gebrauch machen, wie es mein Verstand und mein Instinkt diktieren. Du kennst jetzt meine Anschauungen über das Leben.«

»Sag, wo hast du nur all das Zeug her?«

»Aus der Luft, meine Liebe; man fängt seine Lebensanschauungen wie die Schmetterlinge in der Luft. – Hopp! – und ich hab's!«

»Ja, du machst dich noch lustig über mich, über Menschen, die anders denken, über Frauen, die ihre Pflicht kennen!«

»Nein, mein liebes Stiefmütterchen, ich mach' mich nicht lustig – ganz besonders nicht über dich – ich bedaure dich! Ich schäme mich beinahe, vom Leben schon so viel zu wissen, was du als Frau, im Glanze deiner Frauenschönheit und -würde, bei Seite lässest, was du nicht kennst. Es ist nur das, daß ich mir weder die Augen verbinde noch die Ohren verstopfe, wie man es mir eigentlich zu tun befiehlt, wie du es auch getan, als du Mädchen warst und auch jetzt noch tust. Nicht wahr, ich wette, du würdest mir nicht erlauben, Romane zu lesen, die auf dem Index stehen?«

»Stella! – du darfst und sollst doch nicht von solchen Dingen sprechen. Ich habe die Pflicht, als Gattin deines verstorbenen Vaters, dich daran zu hindern und dich aufmerksam zu machen!«

»Siehst du, ich war dessen gewiß! Also warum läßt du in deinem Arbeitszimmer Zeitungen, Romane Schriften aller Art herumliegen? Ich verschlinge sie, die Kritiken darüber. Ah! Die modernen Romane und Zeitschriften! Das sind unsere wahren Erzieher. Ihr spielt uns Revüen für junge Mädchen in die Hände und bildet euch ein, daß uns die interessieren. Welcher Schwindel! und wie pfiffig, ihnen einen Titel zu geben, der schon an sich eine Warnung für uns ist, ja keinen Blick hinein zu werfen: wir würden nichts daraus lernen. Aber es ist so leicht, eine Zeitung mitgehen zu lassen: man zerknüllt sie, wickelt sie um ein kleines Paket und trägt es ruhig unter dem Arm fort. Und dadrinnen, siehst du, findet man alles: von der romantischen Novelle, der leidenschaftlichen Erzählung, der Studie über das Weib, den Enthüllungen über die Kämpfe des Herzens, über Familien-Tragödien, bis zum Ehebruchsprozeß, den lehrreichen Lokalnachrichten, den kleinsten Einzelheiten aus dem bunten Leben gewisser Damen... Geh! Man müßte schon sehr vernagelt sein, um nicht einen deutlichen Begriff des Lebens zu erhalten, wenn man in diesem täglichen Erzieher geblättert hat.

»Barmherziger Himmel! Wenn ich das je geahnt hätte...«

»Natürlich, liebe Mama, du konntest das nicht ahnen... Ich hab's ja ganz, ganz heimlich getan. O wie gerne möchte ich dir alles sagen können, was ich denke – alles, alles, – so wie ich zu einer guten Freundin sprechen würde. Du bist zu jung, um nicht zu verstehen, du bist so schön, so entzückend in deinen Reizen! O erlaube, daß deine Tochter dich nie mehr Mama nennt – sei mir eine liebende Schwester, eine treue, aufrichtige Freundin! Willst du?«

»Ja, Stella, nenne mich Mira!«

»Nie mehr, niemals mehr Mama? O ich habe in dir, nicht wahr, eine vergötterte Freundin? Siehst du, du darfst dir nicht vorstellen, daß die Engel in Strömen vom Himmel fallen. Nein, sie kommen tropfenweise auf die Erde, da einer und dort einer, und sie bilden nicht die Mehrzahl! Die Mehrzahl machen wir aus, die neugierigen, frühgeweckten, kleinen Mädchen. Wir sind schlau, weil man uns dazu zwingt, und wir behüten unsere Stück für Stück erworbene Erkenntnis mit frommen Mienen und gesenkten Blickes, bis zu dem Tage, an dem wir die hinter unseren weißen Vorhängen aufgespeicherten Theorien in die Praxis übertragen können.«

Das dumpfe Rollen eines Wagens wurde hörbar, und die Glocke ertönte. Und Stella, glücklich über diese Ablenkung, rief:

»Da ist die Miß ... Wenn ich nur auf meine Art glücklich werde – sind damit nicht alle deine Wünsche erfüllt?«

»Gewiß, Stella – aber du wirst das Glück finden, wenn du deine eigenen Wege gehst? Ich wäre trostlos, dich eines Tages unglücklich zu sehen, zu wissen, daß du leidest, Stella!«

»Aber nein, Mira, du wirst sehen. Hab' nur ein wenig Vertrauen zu mir. Ich bin nicht schlecht und liebe dich von Herzen.«

Die Zofe trat ein:

»Fräulein Deaken läßt um Entschuldigung bitten, aber sie wird wegen ihrer kranken Füße nicht heraufkommen, das gnädige Fräulein abzuholen. Wenn das gnädige Fräulein sich allein hinunter begeben möchte?«

»Arme Miß. Sie hat die Überwindung, sich dorthin zu schleppen, um uns gefällig zu sein.«

»Warum kommst du nicht mit, warum lässest du mich allein, ohne dich, hingehen? Schau, sei lieb, zieh' dich an!«

»Nein, mein Herzchen, ich halte meinen Schwur. In ein paar Tagen bin ich dreißig Jahre alt. An dir ist es jetzt, zu tanzen. Ich bleibe zu Hause, und glaube mir, ich habe das Bedürfnis, allein zu sein. Indes komm' nicht zu spät nach Hause. Grüße Fred recht herzlich. Also, vor dem Kotillion ...«

»Ja, Mira, abgemacht. Du wolltest mich erwarten?«

»Gewiß. Ich fühle mich heute so frisch, daß ich viel schreiben werde. Und dann wirst du von deinen Triumphen berichten. Ich bin schon so neugierig! Unterhalte dich gut! Geh, lasse Miß nicht warten. Auf Wiedersehn!«

Mit hochgehobener Lampe reckten die Dienstboten die Hälse und sahen dem Wagen nach. Frau von Ellissen kehrte zurück, zog die Vorhänge vor und setzte sich wieder an den Kamin. Aber sie lehnte sich nicht mehr so ruhig zurück, wie zu Beginn des Abends. Vorgebeugt, den Ellbogen auf's Knie, das Kinn in die Hand gestützt, saß sie da, überwältigt von besorgten Gedanken, lange starrte sie vor sich hin, regunglos, geisterhaft; die zurückgefallenen Spitzen ließen den blendend weißen Arm sehen, ihr Auge glänzte, und hie und da rollte eine Träne über ihre Wangen. Ein harter bitterer Kampf vollzog sich in dieser starken, edlen Frauenseele. Sie schien wie erlahmt. Müde legte sie ihr Haupt auf die Lehne des Sessels und schloß die Augen. Sie dachte an Fred, wie froh und heiter er wohl heute sein mochte. Doch sie – sie wird jede Gelegenheit meiden, ihn zu sehen, sich ihm zu zeigen. Ob er wohl ein einziges Mal an sie denkt? Er sagte ihr, daß er sie liebe, weiß denn ein Mann in seinen Jahren, was Liebe, wahre innige Liebe ist? Und wenn er später diese Liebe bereuen sollte, falls sie an seiner Seite bliebe: er jünger als sie; er in seiner besten Manneskraft, sie mit weißen Haaren an den Schläfen – was dann? Nein, niemals, Fred,« rief sie leidenschaftlich erstickter Stimme, »lieber sterben im Vollgefühl der Vorstellung: wie schön es hätte sein können, wäre er früher geboren!«

Frau von Ellissen erhob sich und streckte stehend die Hände nach seinem Bilde dort auf ihrem Schreibtisch. Da stand er vor ihr, so wie er ahnungslos in das Haus ihres Mannes gekommen war. Sie wollte das Bild umarmen, es küssen, sie preßte es an ihr Herz, das so weh tat, so weh! »Fred, Fred,« rief sie mit einem Blick auf das Bild, »siehst du nicht, welch bitterer Schmerz in meiner Brust wühlt? Wie elend krank mein Herz ist? Ja, Fred, ich liebe dich – ich liebe dich! Aber nie, nie wirst du von mir hören, daß ich dich liebe, ja, liebe, mehr wie alles auf der Welt! Ich wurde nicht zum Glücke geboren. Dein Weib sein zu können, dich die wahre einzige Liebe lehren zu dürfen, ich darf es nicht, nein – nie! nie! Und du, im Glanze deiner Jugend, darfst dich nicht an ein Weib binden, das dir im Alter vorangeht – nein, du sollst wählen, – eine, die jünger, die schöner ist, als ich alte Frau! Siehst du es nicht? Oder willst du es nicht sehen? Höre hier den heiligen Schwur, den ich mir vor deinem Bilde auferlege: Nie, nie werd' ich die deine! Nie sollst du von mir hören: Ich liebe dich! Das ist das heilige Gelübde meiner dreißig Jahre!«

Plötzlich griff sie an ihr Herz. Seit Monaten litt Frau von Ellissen daran. Nicht genug, daß es sie moralisch mit all den erschütterten Eindrücken gefoltert hatte, schlug es jetzt dumpf in ihrer Brust, raubte ihr den Atem und brachte ihr Erstickungsanfälle. Da sie Aether beruhigte, sagte man ihr, es sei »nervös«, es »bedeute nichts«, und nichts war ihr lieber, als dem zuzustimmen.

Um sich zu zerstreuen, schraubte sie die Lampe höher, schlug zum Schutze ihrer so übermäßig empfindlich gewordenen Augen den Schirm nieder und nahm ein Buch zur Hand. Aber sie fuhr zusammen und warf es ins Feuer.

»Welche Manie – dachte sie – haben denn alle diese Frauen, immer das ewige Lied von glücklicher oder unglücklicher Liebe zu wiederholen! Wie kann man sich so sehr für zumeist ehebrecherische Liebe begeistern! Dem Kommen und Gehen eines Pärchens nachzuspüren, das sich verfolgt, sich flieht, oder sich trifft, oder, wie hinter einem Vorhang versteckt, seine Gespräche, seine Küsse, belauschen? Wie schmutzig das alles doch eigentlich ist!

Manchmal, ja, da trifft man einen Autor, der, scheint's, nur eine Leidenschaft in sein Buch eingeschmuggelt hat, um als Bindeglied oder Lockspeise für den Leser zu dienen, damit er ihm in seiner ernsten Charakter- oder Sittenstudie folge. Da begegnet man Gedanken, bei denen man stehen bleibt, Auseinandersetzungen, die klarere, bestimmtere, neuere Ansichten über die entrollten Bilder erwecken. Das gibt ihm eine freudige Erleuchtung, mit deren Hilfe ihm neue, ohne sie unbekannt gebliebene Wahrheiten aufsprießen. Man vergißt leicht das Gerüst des Romans, um an der Entwicklung einer allgemeinen, dem Verfasser eigentümlichen Idee Gefallen zu finden, die sich nach und nach aus den Tatsachen auslößt. Wenn man solch ein Buch aus der Hand legt hat man etwas zu denken.

Aber wie selten sind sie, solche Autoren! Und gerade von diesen spricht niemand, sie werden weder gerühmt noch empfohlen. Die Buchhändler sagen: »Dieser Roman geht nicht«, und in der Gesellschaft wird er nicht gelesen. Den anderen aber bereitet man einen Erfolg, solchen, die dem dummen Klatsch, dem boshaften Geschwätz gleichen, an alle diese blöden Geschichten, die sich die Frauen gegenseitig in die Ohren tuscheln und die geschrieben sind, als hätte man ihnen dabei zugehört. Mein Gott! Vielleicht werfen sie sich deshalb so gierig auf dieses Futter!

Die Zeit verging; kurz nach Mitternacht erwachte Frau von Ellissen aus ihren Träumereien. Beim Rollen eines Wagens, der vor ihrem Hause stehen blieb, war sie plötzlich aufgefahren.

»Schon?« sagte sie mit einem Blick auf die Uhr. »Arme Stella! sie wollte ihren guten Willen zeigen mit der frühen Heimkehr.«

Sie erhob sich und eilte zur Türe, welche sie weit öffnete. Sie hörte die Stimme eines Mannes auf der Schwelle und trat näher.

»Ah, Sie sind's, Herr Deaken?« rief Frau von Ellissen verwundert.

»Ja,« antwortete dieser, »gestatten Sie mir, ein Wort mit Ihnen zu sprechen?«

»Ja, ja, kommen Sie mit Stella.«

Aber Herr Deaken kam allein; sein offener Überzieher ließ den Frack und im Knopfloch die weiße Blume sehen. Um seine riesige Glatze von vorne zu verbergen, pflegte er den Kopf hoch zu tragen und seinen noch blonden, langen spitzen Bart vorzustrecken. Selbst beim Grüßen bog er den Hals und hielt die Stirne hoch.

»Stella? Aber wo ist Stella?« fragte die junge Frau.

»Ich komme gerade, um Sie zu beruhigen und bin glücklich, gnädige Frau, aus diesem Anlaß bei Ihnen vorsprechen zu dürfen, das heißt ...«

»Gut, gut, aber wo ist Stella?«

»Sie sandte mich her, um Ihre Erlaubnis einzuholen, daß sie noch über den Kotillion bleiben darf...«

»O!« sagte Frau von Ellissen, »sie sprach doch davon, vor dem Kotillion fortgehen zu wollen....«

»Sie wollte auch, doch mußte sie den Bitten der Frau Werner nachgeben.«

»Ein schöner Grund! Sie können es ihr von mir ausrichten: Was man versprochen hat, das hält man!«

»Ich glaube, daß Fräulein Stella in der Tat nicht anders konnte. Es ist eine ganze Geschichte.«

»Wie? Was gibt's? Nehmen Sie doch Platz.«

»Ein herrlicher Ball,« fing Herr Deaken an, »die ganze Stadt ist dort, ein wahnsinniges Gedränge. Der Adel hat sich zahlreich eingefunden. Und das muß man ihm lassen, er versteht's, sich anzuziehen, sollte ich sagen.« Und er lachte, entzückt von seinem feinen Witz.

Aber das rote Pantöffelchen, das Frau von Ellissen trug, trommelte auf dem Teppich. Jeder weiß, was das bedeutet, und deshalb beeilte sich Herr Deaken fortzufahren:

»Sie wissen, daß der junge von Eulenburg...«

»Wer ist das?« fragte Frau von Ellissen.

»Der seit kurzem neuernannte Generalsekretär der Präfektur.«

»So. Und?«

»Den man den schönen Fernand nennt.« Hier seufzte Herr Deaken, der ehemals in der ganzen Stadt der »schöne Franz« hieß – jetzt nur mehr Herr Deaken. Da ihm aber seine Kleidung und das gedämpfte Licht gut standen, richtete er den Oberleib auf, lächelte fein und wiederholte mit einiger Ironie:

»Dieser Mann, den man, ich weiß nicht recht warum, den schönen Fernand nennt, wird als Freier des Fräuleins von Werner bezeichnet.«

»Dieser Fratz!« rief die junge Frau.

Eigentlich ja. Aber das Alter sagt anders, sie zählt zwanzig Jahre.«

»Es ist wahr,« entgegnete sie, indem sie an Stella dachte. »Wie schnell die Zeit vergeht!«

»Wem sagen Sie das, schöne Frau!« Herr Deaken seufzte abermals. Indessen vermochte er nicht das banale Kompliment zu unterdrücken: »Ich begreife, daß Sie es nicht merken, denn niemand, der Sie sieht, glaubt an Ihre dreißig.« Und er sang den Vers aus Lamartine's Gedicht »Le lac« vor sich hin:

»Ihr, die die Zeit verschont, ja selbst verjüngt...«

»Nein, nein,« widersprach die junge Frau, »manchmal sehne ich das Ende herbei.«

Dieser Ausspruch tönte wie eine Mahnung an Herrn Deaken's Ohr. Er ließ seinen Claque vom rechten Knie auf's linke gleiten, zog die Manschette hervor und fuhr fort:

»Kurz heute abend ging man so weit, von Fräulein Alicens Verlobung zu sprechen. Die jungen Leute walzten zusammen, plauderten zusammen. Auch sollten sie den Kotillion vortanzen.«

»Nun, und ...?«

»Nun, und plötzlich verschwindet Fräulein von Werner, und es geht das Gerücht, daß sie unwohl geworden sei und sich in ihr Zimmer zurückziehen mußte.«

»War es auch so?«

»Ah, das ist's eben. Die Damen tuschelten einander hinter den Fächern zu, daß Fräulein Alice einen kleinen Streit mit dem schönen Fernand hatte, infolge – aber, es ist zu dumm, wissen Sie!«

»Was denn, so sprechen Sie doch!«

»Na – Herr von Eulenburg, der schöne Fernand, hätte mit Fräulein Stella geflirtet.«

»Stella!« rief Frau von Ellissen. »Waren Sie dabei? Antworten Sie schnell, was hat Stella...?«

»Nichts ernstliches. Es ist wahr, Fräulein Stella sah heute ganz entzückend aus, sie war sehr umringt, tanzte fortwährend, aber beinahe immer mit dem schönen Fernand, obgleich die andern Tänzer auf sie warteten.«

»Es ist entsetzlich; und konnte Ihre Schwester das nicht verhindern?«

»Ja, wissen Sie, das geht schwer. Fräulein Stella tut ja doch nur, was ihr gefällt.«

»Sie haben recht. Aber gerade da hätte man sie nach Hause bringen sollen.«

»Meine Schwester war auch empört über das verstohlene Lachen der Damen, in diesen kleinen Städten ist man ja so bissig – es ist aber nur der Neid.«

»Darum soll man sich vor diesen Menschen hüten, sich ihrem Spott so wenig als möglich preisgeben.«

»Er aber schien sich darüber nicht zu kränken. Fräulein Stella tanzt gerne Walzer, er ist bekanntlich der beste Tänzer, und so gaben sich beide dem Vergnügen hin und – – auch um die beste Freundin zu kränken. Und Frau Werner ignorirte alles und bat sogar Fräulein Stella, ihre Tochter zu vertreten und den Kotillion vorzutanzen.«

»Mit dem Verlobten ihrer Tochter!«

»Nein der schöne Fernand hatte sich ins Spielzimmer zurückgezogen.«

»Und?«

»Und – raten Sie! Fräulein Stella antwortete, sie sei einverstanden, den Kotillion vorzutanzen, aber unter der Bedingung, daß der Baron Seuriet ihr Tänzer sei.«

»Fred?« sagte die junge Frau mit kaum merklichem Beben der Stimme, »Fred? Stella weiß doch, daß Fred nicht tanzt, wenigstens nicht gerne tanzt.«

»Vielleicht bis jetzt nicht. Aber heute hat er sich wie ein Rasender dem Tanze hingegeben.«

»Er!« wiederholte Frau von Ellissen. Ihr starrer Blick schien die Vision dieses unerhörten Ereignisses zu verfolgen: Fred tanzend. Sie suchte sich ihn vorzustellen, wie er sich einladend verbeugte, wie er den Claquehut auf den leeren Sessel seiner Tänzerin legte, wie er den Arm um eine zarte Gestalt schlang und sich in das Gewühl jener Walzer stürzte, deren Rhythmen er so haßte. Es gelang ihr jedoch nicht, sich Fred vorzustellen und sie schüttelte traurig das Haupt: »Nicht möglich!« sprach sie wiederholt leise vor sich hin.

Herr Deaken versicherte ihr nochmals, daß es wahr sei.

Die junge Frau fuhr fort:

»Und wenn auch – wie kann er den Kotillion vortanzen? Das ist ja eine Art Wissenschaft, die er nicht kennt.«

»Das war auch seine erste Antwort, als Frau von Werner ihn zu Fräulein Stella führte. Aber sie, seinen Arm nehmend, erklärte kategorisch: Das ist meine Sache. Und sie eilten fort, das Nötige zu holen.«

Nun wirbelten die verschiedensten Gedanken durch den Kopf der jungen Frau; sie konnte das Gehörte kaum glauben. Wie hatte er sich so schnell ändern können! Seine Ansichten über das Tanzen hatte sie ja noch gestern vernommen! Und heute – er selbst ein rasender Tänzer! Ein schmerzlicher Zug legte sich über das Gesicht der jungen Frau und sie seufzte laut auf.

»Ich versichere Sie,« erzählte Herr Deaken weiter, »es steht ihm ganz famos. Während Fraulein Stella mir einen blauen Schmetterling mitten auf das Herz steckte, sagte sie: ›Ach, Herr Deaken, eilen Sie doch zu Mama, nein, zu Mira, – wissen Sie, sie ist doch zu jung für die Anrede Mama – eilen Sie also zu ihr und teilen Sie ihr mit, welche Suppe mir da eingebrockt worden ist, und bitten Sie sie, nicht auf mich zu warten. Sie war so bleich, ich glaube sie ist leidend, die Arme. Sagen Sie ihr, daß ich ihr befehle zu Bett zu gehen, sagen Sie ihr, daß ich mit Fred tanze‹!«

»Da wird sie wohl spät nach Hause kommen?« fragte Frau von Ellissen.

»Sicher nicht vor fünf Uhr.«

Frau von Ellissen neigte traurig das Haupt mit dem Ausdruck solcher Müdigkeit, daß Herr Deaken, der seiner nachsichtigen Freundin herzlich zugetan war aufstand und ihr empfahl, ein wenig zu ruhen.

»Ich werde schlafen gehen,« erwiderte die junge Frau, und wie gewöhnlich reichte sie zum Abschied Herrn Deaken die Hand, der sie ehrfurchtsvoll an seine Lippen führte.

Frau von Ellissen läutete. Vom Diener gefolgt, zog sich Herr Deaken zurück.

In die Knie gesunken, lag das junge Weib vor ihrem Bett. Sie weinte.


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