Marie Tihanyi Gräfin Sturza
Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau
Marie Tihanyi Gräfin Sturza

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II.

Die Stadt mit ihren modernen Bauten folgte der Linie des Flußes. Ihre engen Querstraßen mündeten auf den Hauptplatz, der das Arbeiterviertel von der alten Stadt trennte, deren weiter auseinanderliegende Häuser meistens von Gärten umgeben waren oder sich um einen mit Linden bepflanzten Rasenplatz gruppierten.

Einige dieser kleinen Squares sahen klösterlich aus mit ihren stillen, fast immer verschlossenen Häuschen. Diese Viertel dienten dem erbgesessenen Bürgertum als Zufluchtsstätte. Durch die Entwicklung der Industriestadt, die Teuerung aller Lebensmittel schon halb ruiniert, wurde sie noch durch die wachsende Entwertung des Geldes ganz zu Grunde gerichtet. Manche Familie, die früher gut leben, ein Haus machen, Pferd und Wagen halten konnte, war nun in die bescheidene Existenz einer kleinen Beamtenfamilie eingeengt. Die Töchter mit aufgeschürzten Röcken, die Hände in alten Handschuhen, kochten selbst, bürsteten bei geschlossenen Türen den Boden, wischten den Staub von den Möbeln und modernisierten ihre abgetragenen Kleider. In seinem Bettelstolze rächte sich dieses Bürgertum an der neuen offiziellen und industriellen Welt, von der es in den Schatten gestellt wurde, durch herausforderndes Benehmen. Schon an der Kopfhaltung konnte man dies leicht erkennen, wenn diese Familien Sonntags nach der Kirche ihre Töchter der alten Sitte gemäß auf dem Ringe spazieren führten, nicht weniger auch an dem Reden, an ihren anmaßenden verächtlichen Blicken, die sich schnell wie empört abwendeten, wenn sie auf Leute fielen, die nicht aus ihrer Kaste waren, die nicht, wie sie, dem alten Bürgertum entstammten, das nur von seinen Renten lebte und noch lebt. Das hinderte sie aber nicht, eifrig nach vorteilhaften Heiratsverbindungen mit dieser anderen Welt zu streben und zur Erreichung dieses Zieles alle Hebel in Bewegung zu setzen.

Diese Familien fanden ihre natürlichen Verbündeten im niederen Adel, der gleichfalls von der Verarmung betroffen, sich in seine alten Herrensitze und Schlößchen zurückzog. Letzterer sandte seine Söhne zur Armee, seine Töchter ins Kloster und verkehrte selten in den offiziellen Kreisen, gerade nur so viel als nötig, um hie und da eine Begünstigung beim Avancement der Söhne zu ergattern. Wenn man die Stadt verließ erblickte man am Hang eines Hügels oder in einer Talniederung Häuser mit verfallenen oder roh beworfenen Giebeln, inmitten von altem Hochwald, Wiesen oder üppigen Feldern, welche diese Landedelleute sorgfältig in stand hielten, da sie ihre Einnahmequelle ausmachten. Die dazu gehörigen Meierhöfe bildeten da und dort rund um die Stadt her kleine Dörfer, auf welche das alte Schloß mit gleichsam oberherrlicher Protektion herabsah.

Den Fabriksbesitzern und Arbeitern machte es immer einen Hauptspaß, Sonntags mit der neuen Pferdebahn in die Umgebung dieser alten, von Efeu malerisch überzogenen Mauern zu fahren: der langsame Ansturm der arbeitenden Klasse auf die letzten Spuren eines nach und nach besiegten, aus seinem Besitze vertriebenen und bald aus seiner letzten Zufluchtsstätte verjagten Adels; Teil um Teil wurden die erobernden Arbeiter Erwerber des zerstückelten Grundbesitzes.

So kam es, daß zur alten Abtei, dem Schlosse des Baron Seuriet, nur noch eine moosige Wiese, einige Gärten und eine mit Taxus bepflanzte Terrasse gehörte, in deren Schatten die letzten Rundbogen des einstigen Benediktinerklosters vermorschten, Denkmäler einer Baukunst, die im Verschwinden begriffen war. Alles, was früher zur Abtei gehört hatte, Wiesen, Weinberge, Felder, war gegen eine geringe Rente abgetreten worden, von welcher der einzige Sprosse der unter dem ersten Kaiserreich baronisierten Militärfamilie Seuriet kümmerlich lebte.

Der Vater Friedrich Seuriet's hatte, noch jung an Jahren, infolge einer erhaltenen Wunde seinen Abschied genommen und mit der Zerstückelung der Herrschaft begonnen, auf welcher seine Vorfahren länger als ein Jahrhundert gelebt. Witwer geworden, gab er seinem Söhnchen ein in irgend einer Garnisonsstadt aufgelesenes Mädchen zur Erzieherin, eine verschwenderische schlechte Person, die Freds Jugend zu einem langen Märtyrium gestaltete. Um ihrer Launen willen wurde Stück für Stück, beinahe die ganze Herrschaft, verkauft. Und als der Major Baron Seuriet endlich starb, war sein Sohn nahezu ruiniert und ohne jede Möglichkeit, sich sein Brot zu verdienen, denn seine ganz oberflächliche Bildung machte ihm sogar unmöglich, gleich seinen Vorfahren, die militärische Laufbahn zu ergreifen. Im Alter von fünfzehn Jahren wäre er beinahe in bitterer Verzweiflung untergegangen, hätte ihn nicht Herr von Ellissen in sein Haus genommen. Stella war damals im Sacré-Coeur.

Als Frau von Ellissen Witwe wurde, bemühte sie sich um die Rettung des schwermütigen jungen Mannes, dessen Unglück sie schmerzlich berührte. Mit Hilfe ihres Rechtsfreundes brachte sie Ordnung in seine Vermögensverhältnisse, verkaufte die letzten zur Abtei gehörigen Grundstücke gegen eine Leibrente und verschaffte auf diese Weise Fred ein Einkommen, welches ihm gestattete, zwar nur bescheiden, aber ohne Sorge für den anderen Tag zu leben. Dann zog sie ihn in ihre Nähe, nicht nur um ihn zu trösten, sondern zu sehen, nach welcher Richtung hin seine ungeschulten Fähigkeiten zu verwenden wären. Es zeigte sich, daß er nicht die geringsten Anlagen für Handel oder Industrie hatte, was Frau von Ellissen auch sehr Recht war. Aber fast war es ein Schreck für sie, die künstlerischen Neigungen des jungen Mannes, seine Leidenschaft für Musik und die Geige, zu entdecken.

Sobald sie allein waren, setzte sich Fred ans Klavier oder griff zur Geige, die zu spielen ihn niemand gelehrt und entlockte ihnen stundenlang mit intuitiver höchst persönlicher Kunst die seltsamsten Melodien. Er wäre unfähig gewesen, seine Musik niederzuschreiben, denn er kannte die Notenschrift nicht, selbst nicht den Namen der Töne, die er anschlug. Aber seine Hände eilten mit unerklärlicher Sicherheit über die Tasten, die Akkorde unter seinen Fingern, die Rhythmen, die ihnen entströmten schienen der Ausdruck höchster Kunst.

Frau von Ellissen gab schließlich der hinreißenden Gewalt dieser Entdeckung nach und, logischerweise faßte sie den Entschluß, Fred mit aller Macht zum Studium der Musik anzueifern. Dies wurde ihr umso leichter, als Fred schon nur noch durch sie und an sie dachte: seine solange zurückgedrängte kindliche Liebe war mit der wilden Leidenschaft seines vierundzwanzigjährigen Herzens übergeströmt. Alles, was sie wollte, wollte auch er, und welche Mühe es ihm auch kostete, in seinem Alter noch mit dem ABC der Musik zu beginnen, fügte er sich dennoch, voller Freude ihr zu gefallen und in der Hoffnung, sich damit einst zur Erfüllung seiner geheimen verliebten Wünsche zu erheben.

François Deaken förderte mit wahrer Aufopferung Freds musikalische Ausbildung. Ohne Zweifel gehorchte auch er dem unwiderstehlichen Wunsche Mira's. Aber vor allem selbst Künstler, war er voll aufrichtiger Bewunderung für das ursprüngliche Genie seines Schülers und half ihm nach besten Kräften eine höhere Stufe zu erklimmen, als ihm selbst je gelungen war. Er fühlte sich für seine Mühe durch das stolze Bewußtsein belohnt, an der Ausbildung eines zu großem Ruhme berufenen Genies mitzuwirken und sich an dem herzlichen Triumpfe Frau von Ellissen's erfreuen zu können. Es war ihr Werk; gemeinsam hatten sie es vollbracht. Und dieses sie einende ideale Band, das Frau von Ellissen zur Nachsicht mit seiner verliebten, wenn auch immer ehrerbietigen Manie stimmte, tröstete ihn auch, wenn er mitunter des Trostes bedurfte, ob der zwar uneingestandenen, dennoch ihm aber nur zu wohl bewußten Minderwertigkeit seines eigenen Talentes im Vergleich mit der künstlerischen Macht und Höhe dessen, dem er die Anfangsgründe seiner Kunst beigebracht hatte. In der Abtei lag neben einem Saale, genannt das »Abteizimmer«, eine Art von runder Kapelle. Halbsäulen hoben sich im Relief von der Stuckmauer ab, mit seinen Kannelierungen, zierlichen Kapitälen in zartem, etwas theatralischen Stile gehalten, und das Ganze erinnerte an die Muttergotteskapelle, die wie ein Juwel hinter dem Chor einer Kirche in Calais versteckt ist. Der Altar war verschwunden und durch eine Orgel ersetzt; einige Lehnsessel, Stil Ludwig XVI., in fahlem Atlasüberzug, mit eingewirkten ländlichen Szenen, standen in der Runde. Die lichten Scheiben hoher schmaler Fenster reflektierten das wechselnde Farbenspiel des Himmels.

Dies war Freds Arbeitszimmer, sein Lieblingsaufenthalt zum Träumen und Arbeiten.

Als Stella mit ihren flatternden schwarzen Flügeln und fliegendem zerzausten Haar im Parke verschwunden war, hatte er sich eilig nach Hause begeben, im Bedürfnis allein zu sein, in seinem Heim sich vor irgend einer Unannehmlichkeit zu retten, dessen Vorgefühl ihn plötzlich und unerwartet überfallen hatte. Sein sensitives Zartgefühl, seine große Empfindsamkeit zwangen ihn oft, im Alleinsein, wie hinter einem Schilde, Schutz zu suchen. Da erst gab er sich dem bis dahin bezwungenen Eindruck hin, den seine Nerven von irgend einer Erregung empfangen hatten.

Bei geschlossenen Türen ließ er seine Seele alles wieder aufs neue erleben, leiden oder genießen, da horchte er, wie sich der Reflex seiner Erregung in einen Schwarm von Tönen verwandelte. Denn alle Erschütterungen seines Wesens endeten in einem Widerhall von Schallwellen, die seinem Herzen oder seinem Gehirn entsprangen und den tönenden Wandungen seiner Künstlerseele zustrebten. Sobald sie diese erreicht hatten, kehrten sie durch den Rückprall zum ausführenden Mechanismus zurück. Dann legte er träumerisch die Hände auf die Tasten oder griff zur Geige und ließ seine Gefühle in verwandten, grandiosen, übermenschlichen Klängen sich ergießen.

Diese Art diente ihm auch zumeist, wenn er sich über seine Wünsche Klarheit schaffen wollte. Oft erhielt er erst durch das Thema, das ihm sein Genius zuflüsterte, genaue Aufklärung über sein Wollen und Streben.

Sobald er die Abtei erreicht hatte, schloß er sich in die Kapelle ein und eilte zur Orgel. Mit kindischem Herzklopfen dachte er:

»Was werde ich hören?«

Aber nach den ersten Arpeggien, die unter seinen Fingern perlten wie ein Regen von Küssen und Tränen, stürzte Fred mit ausgebreiteten Armen auf sein Instrument nieder, schlug mit der Stirne auf das Elfenbein der Register und schluchzte:

»Was mir fehlt ... was mir fehlt?! ... Ich sterbe vor Liebe!«

Ein wahnsinniger Schmerz schüttelte ihn. Seit langem schon hatte er das unausweichliche Unheil, die entsetzliche Gewißheit nahen sehen, daß Frau von Ellissen nie die Seine würde. Solange aber Mira sich nicht ausgesprochen, hatte er nicht verstehen wollen. Er war mit seinen Schmerzen vorwärts geschritten, immer weiter, wie ein Mondsüchtiger dem Ziele zu, das er seit vielen Jahren, seit jeher, wie es ihm schien, verfolgte. Er hatte sie so geliebt, daß er sich einbildete und vielleicht war dem auch so, daß er sie noch immer so begehrte wie in den ersten Tagen der Leidenschaft, in denen seine erwachenden Sinne sich ihr zugewandt. Er sah nicht ihre dreißig Jahre herankommen, in seinen Liebesträumen erschien sie ihm schöner als je, frisch, schlank, mit ihren großen Kinderaugen und ihrem naiven Mund. Und immer wieder kehrte er zu ihrer Schönheit zurück, als der Quelle seines ersten Sehnens, ohne zu bedenken, daß diese Quelle nun in voller Reife, in sommerlicher Fülle prangte, aber nicht mehr in der ersten Blüte des Lenzes.

Hätte sie sich ihm zu dieser Stunde hingegeben, so hätte er gewiß die unaussprechlichen Wonnen des Besitzes im Triumpf genossen. Aber Mira hatte ihn abgewiesen, und er wußte wohl, daß es jetzt zu Ende sei. Es schien ihm wie beim Zusammenbruche jeder Leidenschaft, als sei sein Herz nunmehr abgestorben, als habe er sein ganzes Leben auf diese Liebe aufgebaut, wie ein Spieler sein ganzes Vermögen auf eine Karte setzt. Versagte sie, so war er verloren. Verloren, denn sein Durst nach Liebe blieb ungestillt; und wenn er auch mit aller Macht seiner Seele lieben wollte, – er würde nicht mehr lieben können.

In seiner Verzweiflung schrie er wild auf, aus Schmerz und aus Zorn gegen Mira, aus unterdrückter Leidenschaft, aus verletztem Instinkt, als wäre er körperlich verwundet worden.

Er verließ das Instrument, das stumm und ohne Atem, wie mit entflohener Seele, gefühllos gegen seine kindischen Schläge dastand und schleppte sich auf die lange Terrasse, die das Dach des Kreuzgangs bildete. Von ihr aus überblickte man die von Moos und Unkraut überwucherte Wiese, auf der sich ein bunter Teppich von Krokus, zarten Gänse- und stolzen Butterblumen bis zum beschatteten Bächlein hinzog, das den Garten der Abtei teilweise begrenzte. Jenseits der schlanken Pappeln, auf denen das erste Frühlingsgrün zitterte, erstreckte sich welliger Boden bis zu den Abhängen der mit schwarzen Fichten gekrönten Hügel. In hellen, regelmäßigen Flecken breiteten sich die Wiesen zwischen den glänzenden Feldern und dem bläulichen Schimmer des sproßenden Getreides aus. Abendlicher Friede senkte sich nach und nach herab, von den verlassenen Feldern flohen die letzten Geräusche, durchbrausten noch einmal das Laub der Bäume und erstarben.

Schweigen – und Nacht.

Fred badete sein Gesicht, seine fieberheißen Hände im frischen Abendwinde, atmete tief die reinen Düfte ein und unterdrückte seine Seufzer, als ob er den erhabenen Schlummer der nach ihrem Tagewerk ermattet ruhenden Erde nicht hätte stören wollen.

Oft, wenn er sich so seinen Träumen hingab, die in der Nacht vorüberschwebten wie ein unsichtbarer Schwarm von Nachtvögeln und die Stirne streiften, die sich dem Grenzenlosen zuwendet, in dem die Welten kreisen, kam ihm vor, als ob er in einer Reihe von Trugbildern seine geheimsten Wünsche an sich vorüberziehen sähe. Es waren Wunder an plötzlich erfüllten Freuden; die Hindernisse schwanden, in kleinen zerflatterten Wölkchen trieb sie der Wind hinweg; und er blieb allein mit seinem vollendeten, entschleierten Traum, der wie das Gestirn leuchtete, das ihn mit seinem bleichen Strahle umhüllte. Dann verdichtete sich das Bild und verkörperte sich zu der so heiß ersehnten Menschengestalt; und die angebetete Mira schien plötzlich vor ihm zu erstehen, endlich besiegt, endlich seinem leidenschaftlichen Rufe folgend. Und ihm unter den wallenden Schleiern die Arme entgegenstreckend, wie eine Mutter Gottes über den großen Chören, sprach sie:

»Da bin ich, ich will deiner Liebe dienen, dein Wille geschehe!«

Da wandte er sich um und eilte nach seinem Zimmer und suchte und wollte sie dort finden, wollte, daß seine Vision kein eitler Traum sei.

Und wieder, als er diesmal, vor Kälte zitternd, nach langen auf reifbedeckten Feldern verbrachten Stunden des Vergessens, sein Heim aufzusuchen sich entschloß, überraschte ihn an der Schwelle seines Zimmers der gewohnte Traum und erfüllte ihn mit Wahnsinn einer plötzlich neu geweckten Hoffnung.

Wie wenn auch sie unter ihrer grausamen Weigerung gelitten hätte? Wenn sie ihn hätte trösten wollen? Wenn sie, da alles in tiefem Schlummer lag, sich mutig auf den Weg gemacht, um als Engel der Barmherzigkeit ihm den Hunger seines Herzens, den Durst seiner Lippen zu stillen!

Was frommte ihre Güte, wenn sie sie nicht gegen einen Unglücklichen, wie ihn, übte? War sie es sich nicht selbst schuldig, zu geben und wieder zu geben, alles und mehr als alles: sich selbst!

Gewiß, sie würde nachgeben, ihre Großmut würde sich nicht auf materielle, gewöhnliche Gaben beschränken. Wäre es nicht krasser Egoismus, wenn sie ihm das einzige Almosen, das er von ihr begehrte, verweigerte? O, wenn sie erriet, wie ihn nach ihrer Schönheit dürstete, so daß er an entnervender Schwäche zu sterben fürchtete!

Und vielleicht war sie da! Wußte sie denn nicht, daß er bei offenen Türen wohnte, um sie zu erwarten?

Zitternden Schrittes schlich er in sein Zimmer und rief ganz leise:

»Mira! Mira!«

Im Dunkel streckte er die verlangenden Hände vor, wie in der Erwartung einer Berührung. Das Schweigen in der Finsternis reizte seine aufgeregten Nerven. Eilig machte er Licht. Und als er sich überzeugt, daß der Raum leer war, sank er gebrochen in einen Sessel.

»Allein! Immer allein!« murmelte er. »Ewig allein!«

Nach einer Weile schrie er auf:

»Ich kann nicht mehr, es übersteigt meine Kräfte. Mein verzweifeltes Verlangen ist schon zum Alp geworden. Das Bedürfnis nach Liebe packt mich, wie wütender Hunger. Alles gestaltet sich mir zu Bildern und Berührungen der Lust. Lange glaubte ich, mich mit diesem anormalen Leben eines ideal verliebten Klostermönchs begnügen zu könnnen, der sich mit der Erleichterung des Gebets, mit der Extase, der ewig überirdischen Anbetung bescheidet. Ich habe die Extravaganz bis zum Wahnsinn getrieben. Aber jetzt versagt mein Wille, etwas, das stärker ist als ich, drängt mich zum unmittelbaren Genuß sinnlicher Freuden. O, Mira, ich wollte dir mein Ich schenken, mein ganzes Ich! Und nun wird das von mir, was du verschmähst, zu entehrenden, weil liebelosen Genüssen herabsinken. Wenn ich glücklich gewesen wäre, glücklich, wie der Erstbeste, hätte ich ein geliebtes Weib an der Seite, dann würde ich die Sehnsucht meines Herzens in Umarmungen sättigen, die erschöpfen, aber neu beleben. Meinen Durst würde ich an Lippen stillen, mir dargeboten wie ein geheimnisvoller Kelch, und vergehen würde ich in der göttlichen Extase zeugenden Besitzes. Ich würde befruchten, wie die Erde befruchtet in dieser Frühlingsnacht – – – Und morgen – – da würde ich freien Geistes, stark in dem Bewußtsein betätigter männlicher Kraft, an meine künstlerische Arbeit eilen. Jetzt kann ich nichts, ich bin tot, ich bin wahnsinnig. Sobald ich meinen vergebens angeregten Nerven freien Flug lasse, zerstören abgerissene Akkorde den kaum erfaßten Rhytmus und jagen einander, wie dämonische Reiter aus irgend einer schändlichen Walpurgisnacht. Verloren!! – Verloren!! – Oder wie? Mira nicht mehr lieben? Aber ihre Schönheit allein erschüttert mich. Sie wagt es, sich alt zu nennen! Und sie ist doch so schön, so anbetungswürdig schön. Ihr Blick – ihr Lächeln! – Sähe ich nicht immer die Erhabenheit ihres Herzens hinter dem Welken ihres Körpers? Sie vermag zu lieben, sie allein, so wie ich die Liebe träume. Und ich habe immer nur sie allein geliebt; erst jetzt kenne ich die gewaltige Macht des Wortes »Liebe!« – Wenn ich sie verlöre, dann, glaube ich, könnte ich nicht mehr leben. Ja, ich weiß, die andern Männer würden mich verspotten. Sie leben anders. Mira hat recht, ich bin nur ein Kind.«

Und gerührt über sich selbst, begann er in seiner Schwäche zu weinen. Das rein sentimentale Bedürfnis war wieder in ihm erwacht, sich zu Füßen der Geliebten niederzulassen, die Stirne unter ihre mütterlichen Hände zu legen, die er andächtig küssen würde.

Nun sehnte er den Morgen herbei, um zu ihr eilen zu können. Und eine unklare Freude durchdrang ihn, als ob er sie fast verloren und ebenso zärtlich, ebenso ideal die Seine, wiedergefunden hätte.


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