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Über den Vaterlandsstolz

Du bist ein Deutscher. Wohlan, sei stolz auf deinen Hermann, auf den Helden Friedrich, auf Katharina, die Wohltäterin der Menschen! Nenne Leibniz, Klopstock und Lessing der Nachwelt! Nenne Deutschlands Erfinder, wenn England seine Darsteller neben Königen begräbt und Gallien seine Dekorateurs unter die Vierziger setzt! »Qui ont de l'esprit comme quatre«, sagte Piron. Uns fehlen zwar Geschichtschreiber und Redner, aber weder Dichter noch Taten. Dennoch laßt uns gerecht sein und nicht vergessen, daß kaum vor dreißig Jahren noch Gottsched der deutsche Addison war, daß itzt noch Laune, Witz und Grazie im deutschen Boden nur mühsam gedeihen und daß Vaterland und Freiheit in unsrer Sprache nicht viel mehr als Töne ohne Meinung sind. Wenn die Abenakis und die Mikimakis, die Chawanesen und die Cherokesen bei jedem Krieg ihrer Nachbarn die Axt gegen ihre Brüder erheben, kämpfen sie fürs Vaterland?

Wo ist der lebendige Geist, der uns allgewaltig, und zu einem Endzweck, ergreifen, der uns an einer Kette halten sollte, wie Jupiter die Schicksale hält? Wo ist Regulus' Tugend, Leidenschaft, ein Opfer zu werden fürs Vaterland?

Sprich den Fürsten nicht hohn, freiheittrunkner Jüngling, der du vielleicht als Mann zu ihren Füßen kniest! Und sie verdienen auch deinen Bardeneifer nicht, denn viele unter ihnen sind freundlich und gut und verleihen selbst den Fürstenhassern Brot. Aber träume nicht von Freiheit, solange noch an jedem Hof jeder Laut des Muts verstummt, solang unser Eigentum nur von einer Schatzverordnung zur andern sicher ist, solang unser Blut eine Lands- und Domänenware bleibt, solang wir auf jeden Wink wie Cäsars Kriegsknechte ausrufen:

»Pectora si fratrum, gravidave in viscera matris
Imperat, invita peragam tamen omnia dextra.«

Tröste dich damit, daß Freie nicht immer glücklich sind, daß es Sokrates und Phokion nicht waren und daß es Sklaven sein können unter Antoninen.


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