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Über deutsche Kunstrichterei

Kritik, die erst bei den Alten entstand, als die guten Schriftsteller aufhörten, ist auch unter uns, was man die Partie honteuse von unsrer Literatur nennen möchte. Denn wer hat des Quidams Stimmlein begehrt, wenn ein guter Schriftsteller gelobt wird? Und ist's nicht niedrige Büberei, wenn man ihn verhöhnt und lästert? Beschimpft alsdann der Kritikus, wenn er auch bei Standespersonen diente, nicht die Livree seines Herrn?

Warum bringt nicht jeder auf den Markt, was auf seinem Boden gedeiht, ohne sich um das Wie und Warum seines Nachbarn zu bekümmern. Gute Frucht wird dankbar genossen, schlechte Spreu vom Winde zerstreut. Ein Sündengeld ist's, was man für kritische Artikel dem Publikum imponiert, eine Art Gabelle für aufgedrungenes, kraftloses, unreines Salz.

Man müßte selbst ein Kritikus sein, um zu begreifen, wie mancher, noch im Rücken gelähmt von Bücklingen vor Kammerdienern und Zofen, sich zu der Wichtigkeit aufträumen kann, die gröbsten, dreistesten Machtsprüche über Bücher und Menschen zu tun, oft mit einem Federzug über große verdienstvolle Menschen. Wenn man das Völklein von ihrem Entstehen, vom Ei bis zum Käfer, verfolgt, so kann man vor Lachen nicht zürnen. Erst, wie sie aus dem Konviktorium kriechen – dann einem Junker seine Pfarrstelle abzuwinseln versuchen – dann sich vermieten in eine Druckerei für den halben Lohn des Setzers – dann an ihrem Pult emporschießen – jetzt schwingen ihren Richterarm über alle Geburten des Geistes – jetzt ihren Maßstab aufhängen und messen Helden und Weise – Colberts und Sullys. – Alles das nennen sie dann Rezensentenberuf – Beruf, für Insolenz ein Mittagsessen zu kaufen.

Wie es wohl dem Tropfe zumute sein würde, wenn er manchem verdienstvollen Mann begegnete, den er unter seinem Schlapphut gelästert hat? Nicht viel besser als dem Referenten des Achtprozesses gegen Herzog Moritz von Sachsen, der dem Fürsten in die Hände fiel und vor ihm auf allen vieren kroch.

Viele haben im reiferen Alter ihre tollkühne Minorennität bejammert, und wären nur die Bekehrungsgeschichten mancher Kunstrichter gedruckt, so würden sie wie die Dying Speeches der Missetäter auf Tyburn oft rohe Knaben schrecken. Gray endigt eine bescheidene Kritik über Akensides »Freuden der Einbildungskraft« mit folgender Reflexion: »Und nun, dünkt mich, hab ich in wenig Worten ein Werk brav naseweis abgefertigt, das vielleicht einen scharfsinnigen Mann, der meiner fünfzig wert ist, viele Jahre beschäftigt hat.« »And so methinks in a few words I have very pertly dispatched what perhaps my for several years have employed a very ingenious man worth fifty of myself.« (»Poems of Mr. nbsp;Gray, with Memoirs of His Life and Writings by W. nbsp;Mason«, IV. nbsp;section, let. nbsp;2, p. nbsp;176) Wer noch erröten kann, der erröte; denn Gray war ein Dichter und ein Menschen- und Wissenschaftenkenner von dem sichersten, ausgebreitetsten Geschmack.

Vor einiger Zeit erschien in Frankreich ein bittres Ding, »Le Bureau d'esprit«, womit sich ein Genie an der Madam Geoffrin rächen wollte, weil er vermutlich kam und sich empfahl, als die samtnen Hosen Deren sie, nach der elend witzigen Dichtung des Verfassers, jährlich ein Dutzend unter Beaux Esprits verschenkt haben soll. schon ausgeteilt waren. Hierüber haben ein paar akademische Herren aus Mitleiden genickt, als hörten sie ein Pasquill auf ihre Kollegen. Madam Geoffrin war keine Preziöse, sondern eine edeldenkende, vernünftige Frau; und diese Herren sind freilich die beste Gesellschaft, unverschliffen durch ihre Urbanität der großen, feineren Welt; ja sie würden, unter den seichten Witzlingen, zwischen Helvétius und Marmontel, mit ihrem Bücherwitz eine sehr unterhaltende Figur gemacht haben, aber Richter des Lächerlichen in Frankreich sind sie darum doch nicht.

Rezension elender Skribenten ist vollends Abdeckerei, Öffnung des gestorbenen Viehes, um noch ekelhaft vorzudemonstrieren, was wir alle wußten, daß die Krankheit im Blattermagen saß. Wenn erst gute Köpfe diese Gesellen in ihren Buden nicht duldeten, so sänke das Gewerb zur gerechten Verachtung herab, und Rezensentenkinder müßten ehrlich gemacht werden, um ein zunftmäßiges Handwerk zu lernen. Voriges Jahr gefiel mir der Vorschlag im »Merkur«, Autoren ohne Geschwätz, nur durch ein Zeichen zu richten, unsterbliche Werke mit Schwabacher zu drucken, vergängliche mit einem Kreuz zu bezeichnen, wie die gestorbenen Freunde im Stammbuch. Jenes war das Goldene Vlies, dies der Lazarusorden der Autoren. Ich empfehle diese Methode allen Kritikern; sie kränkt und beleidiget niemand und befriediget eine harmlose Neugierde. Man erfährt, was für Leuten der Mann seine Bänder umgehangen hätte, wenn er ein großer Herr geworden wäre.


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