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Gibt's eine wesentliche Schönheit? – »Fragt die Kröte«, sagt Voltaire, »was schön ist, oder den Teufel oder einen Mann von Guinea; alle unterrichten euch sehr bestimmt; denn sie haben ihr ôï ?áëïõ. Fragt den Philosophen; dieser allein wird euch durch ein Galimathias antworten.« Es ist wahr, die aufgeklärtesten Köpfe haben vergeblich nach einem deutlichen Begriff der wesentlichen Schönheit gerungen, und ihre schwankende Meinung ist oft witziger als gründlich in tönende Worte gekleidet. Homer allein, der es immer darauf anlegt, sich in seinen Urteilen selbst zu verstehn, wagt den unmöglichen Begriff nicht, sondern geht von einem richtigen Gefühl aus, das uns jedoch, wie alle Gefühle, wieder in die Verlegenheit setzt, unter den vielartigen Gefühlen zu wählen. Wenn alles schön ist, was einem wohlorganisierten Beobachter gefällt, warum fliegt das Schnupftuch auch unter Männern von Geschmack oft nach den Roxelanen? und warum sucht der gute Künstler seine Modelle unter den Elmiren?
Übereinstimmung der Teile kann darum nicht Schönheit sein, weil die Frage übrigbleibt, welche Proportion unter so viel vorhandenen Proportionen die schönste sei. Die Teile eines Kamtschadalen stimmen so gut als die Teile des Antinous überein, und überhaupt ist Proportion nichts weiter als Maß. Man kann alle Verhältnisse des Polyklets beobachten und jede Figur in ihre richtige Kopflängen teilen, ohne daß sie dadurch zu einer schönen Gestalt wird.
»It is not measure but manner, that creates
The beauty, which belongs to the shape.«
Burke
Noch weniger ist Schicklichkeit (Aptitudo), vollkommene Brauchbarkeit jedes Teils zu seiner Absicht, Schönheit. Polyphems Aug ist so gut als Apolls Auge zum Sehen geschickt; ein häßlicher Mund kann oft vernehmlicher sprechen als ein zierlicher; und weder das Stachelschwein noch die Fledermaus sind schön, so zweckmäßig auch ihre Teile gebildet sind.
Hogarths Linie ist scharfsinniger als unterrichtend und nicht fruchtbar genug. Sie findet sich zwar immer bei der Schönheit, aber sie kann auch ohne Schönheit gedacht werden, in einzelen Teilen eines unförmlichen Ganzen; und immer bleibt die Frage übrig: warum ist diese Linie schön?
Nach Burkes Grundsätzen, die, im Vorbeigehen gesagt, mehr ein Spiel seines Witzes als sein Ernst Burke, der sich oft damit belustigt, Paradoxen mit Sophisterei zu verteidigen, würde sehr darüber lachen, wenn er hörte, daß man es zuweilen recht ernsthaft mit seinem System in Deutschland nimmt. Softness, smoothness und smallness sind ihm die einzigen Grundbegriffe der Schönheit. Es ist deutlich, daß er Niedlichkeit mit Schönheit verwechselt. sind, war Bebe, der Zwerg des Königs Stanislaus, die schönste menschliche Gestalt, und der Kolibri, den Menschen nicht ausgenommen, das schönste Geschöpf in der Natur.
Allerdings gibt es für die Menschengestalt einen Maßstab der Schönheit; er ist aber nicht wie die Tugend durch eine Offenbarung bestätigt, nicht wenig prädestinierten Kennern eingeschaffen, nicht vom Himmel, sondern aus Griechenland geholt, wo die Natur in einem gemäßigten Erdstrich, wie Winckelmann sagt, nicht mit ihren äußersten Enden kämpft, keine Formen überzeitigt: und keine unreif lassen muß; und würklich gelingt jedes ihrer Produkte nur in einer Zone höchst vollkommen, also wohl die Menschengattung auch. Wir Deutschen kannten den Maßstab noch nicht, als wir unsre Irmensäulen, unsre Rolande auftürmten; und die Barbaren, welche auf dem Bogen Konstantins griechische Überbleibsel der Kunst mit ihren Ungeheuern paareten, haben ihn aus Dummheit verachtet. Als aber die Vernunft: aus den Ruinen der Möncherei wieder aufstieg, veredelten sich auch Empfindung und Urteil, und wir fingen an, den Geschmack des Perikles dem Geschmack der Chilperiche und der Dagoberte vorzuziehen.
Unsre höchste Schönheit hat also mit der Göttin der Liebe ein gemeinschaftlich Vaterland; erleuchtete Völker haben ihr gehuldigt, aber noch ist sie nicht durch die Mehrheit der Stimmen anerkannt.
Die Griechen waren ein Völkchen, und der aufgeklärte Teil von Europa ist es noch, gegen die Millionen, welche den Stumpfnasen, den kleinen, schiefen, eingesenkten Augen, den großen Ohren und den gemästeten Weibern hold sind.
Aber haben die Griechen das Ziel schon erreicht? Ist ihr Apoll das höchste Ideal der jugendlichen Götterschönheit? Wird es nie einem Künstler gelingen, den eine heilige Begeisterung erleuchtet, den Messias noch erhabener zu bilden? Verlangt Klopstock zuviel, wenn er uns auffordert, wir sollten die Götter der Griechen übertreffen und uns den großen Empfindungen der Religion überlassen, um des Menschen Sohn würdig vorzustellen? Ein solcher Gedanke war dem Dichter erlaubt, der die Griechen unstreitig in seinen Bildern zurückläßt; aber er fordert den Künstler über seine Grenzen heraus. Der Dichter schwingt sich auf Höhen empor, wohin ihm der Künstler nicht nachfliegen kann. Jener kann uns für das Wesen, welches erscheinen soll, stufenweise zu hohen Empfindungen stimmen; er kann es nicht allein fortschreitend handeln, er kann es reden lassen und selbst mitsprechen; sondern er stellt auch Eigenschaften und Vortrefflichkeiten dar, die ganz außer dem Gebiet der bildenden Kunst sind. Diese Folge vereinigter Empfindungen wächst endlich zum Totaleindruck eines hohen Ideals, das unsre ganze Seele, wie Jupiter seinen Tempel, füllt, aber ohne ein deutliches Bild; wir können die Erscheinung nicht haschen; sie zerfließt in ihrem eigenen Lichte:
»Poi nel profondo de suoi raggi si chiuse e sparve.«
Tasso
Was uns in den Gesängen des »Messias« für den Gottmensch mit heiliger Bewunderung einnimmt, ist keine Größe, die gemalt werden kann; denn was findet der Künstler in dem Stoff seiner Schöpfung, um den Dichter zu erreichen? er, der nur eine Sentenz sagen, nur einen Augenblick darstellen kann? Kann er durch irgend etwas des Menschen Sohn würdig charakterisieren als durch die edelste Menschengestalt? Wie kann er sie hervorrufen, wenn das Bild nicht in seiner Seele lebte? Und wie entstand es in seiner Seele, wenn er es nicht, entweder ganz oder teilweise lebendig, gemalt oder in Marmor, mit leiblichen Augen gesehen hatte?
Zwar begünstigen auch die Alten den Glauben an ein bloß geistiges überirdisches Ideal.
Das Schönste, was geschildert werden kann, ist gleichsam ein Bild von einem Gesichte; es kann nicht gesehen werden, sondern es schwebt nur in der Einbildung. Cicero, »De perf. oratore«.
Als Phidias den Jupiter formte, arbeitete er nach keinem Muster, sondern nach dem Bilde, das ihm aus dem Homer von dem Jupiter vorschwebte. Proklus in Platons »Timon«.
Phidias entwarf sich in seiner Einbildung das Bild der Götter. Seneca, »Controversae«.
Die Phantasie ist ein klügerer Künstler als die Nachahmung. Philostratus.
Selbst Raffael bestätigt ihre Meinung in einem Briefe an den Grafen Castiglione, wo von seiner Galathee die Rede ist: »Essendo carestia di belle Donne, io mi servo di certa idea, chi mi viene alla mente.« »Mémoires pour servir à la vie de Petrarque«. Hier kommt sie freilich, die Idee, wie die Nymphe Egeria, und erleuchtet ihren Vertrauten. Aber Redner, Kenner und Künstler sind nicht immer strenge Philosophen, und der Graf durfte sich die Frage erlauben, wie eine solche Idee wohl in Raffaels Seele hineingekommen sei. Ein sinnlicher Gegenstand nicht durch die Sinne? Eine Gestalt für das Gesicht nicht durch die Augen? Allerdings dadurch. Die geistige Galathee ist noch vorhanden, und ein Alltagsgesicht.
Begeistre dich, junger Künstler, durch die hohen Gesänge des »Messias«, werde, wenn es möglich ist, seines ganzen Dichterfeuers voll, denn es erzeuget dir hohe Wünsche; aber nichts von dem, was dich so mächtig durchströmte, artet in deiner Vorstellungskraft zu irgendeinem vollkommenern Auge, einer schönern Nase, einer feineren Stirne; du wirst ringen nach edler Gestalt, nach Hoheit im Ausdruck; du wirst alle deine Versuche verwerfen und doch nichts Bessers als die Phidiasse hervorbringen, wenn dir nicht angenehmere Erscheinungen verliehen sind.
Setzen Sie, Pu Qua, ein chinesischer Maler, wäre ein Christ; er hätte den »Messias« mit Rührung gelesen und sich ganz in die Empfindung des Dichters hineingedacht; seine Michaele und Raffaele würden immer Chinesen ähnlich sein, mit Katzenaugen und großen Ohren. – Vater Attiret malte im Palaste zu Peking Weiberfiguren nach Boucher; aber der Kaiser, ein Herr von Einsicht und Geschmack, fand sie abscheulich und ließ sie durch einen Chineser nationalisieren.
Es ist eine richtige Anmerkung des Vasari: hätte Albrecht Dürer jenseits der Alpen gelebt, er hätte so gut als Raffael gemalt. Nun aber, da er in Nürnberg blieb, wurden auch seine Gestalten dürftig und kalt. Wie zeichnen sich Poussins und Bouchardons Gestalten, die beide lang in Italien lebten, unter den Formen ihrer Landsleute aus! Rubens, mit dem feurigsten, erhabensten Genie, konnte sich nicht über flamländische Formen erheben; er sah Rom zu spät und gestand es selbst in einem seiner Briefe; ja er klagt, an einem andern Ort, in seinem Verdruß die Natur und die Kunst seiner Zeit an: »Nam quid in hoc erroneo saeculo degeneres possumus!« (beim »De Piles«). Dahingegen war Raffael unter den Überbleibseln der griechischen Schönheit erzogen, und das Resultat seiner Beobachtung war das Ideal, wovon er spricht. Aber fragt man: Waren die Formen der griechischen Künstler nicht schöner als selbst die griechische Natur? Allerdings schöner als eine individuelle Gestalt. Wenn Phryne oder Kampaspe zur Venus Anadyomene saß, so wählte doch Apell nur die edelsten Züge der Mädchen und vereinigte sie mit andern, die ihm sein Gedächtnis wiedergab. Die schönste Göttin hatte nie unter den Sterblichen gewandelt, sondern sie war ein Geschöpf des Künstlers, der sie rief aus dem Ozean der Natur.
»Si Venerem Cous nunquam pinxisset Apelles,
Mersa sub aequoreis illa lateret aquis.«
Ovid
Die Fähigkeit zu finden, was in jeder Form vortrefflich und fehlerhaft ist, das letzte zu verwerfen, das erste zu wählen, sich (wie es niemand besser als Reynolds ausdrückt) über Eigentümlichkeit, Lokalität und Zufälligkeit zu erheben, mit einem Worte, nur die Art, keine besondere Gattung zu malen, das ist hohes Künstlergenie. Insofern also die griechische Natur überhaupt die Natur unter einem rauhern Himmel übertrifft, insofern wird auch ein griechischer Phidias immer einen niederländischen Phidias übertreffen, wären sie auch gleich mit einerlei Fähigkeit geboren. Wer aber unter den schönsten griechischen Statuen noch wählen, noch aus solchen ein Ideal zusammensetzen könnte, der würde mehr als Phidias sein.
Wir sind nicht auf dem Wege zu dieser Veredlung; denn wohin sich der Forscher der Schönheit wendet, findet er Abart der griechischen Kunst.
Es war eine Zeit, wo man die Formen übertrieb, wo Härte für Ausdruck, Krampf für Bewegung und Athletenkraft für edle Festigkeit galt, »firmosque per artus inclusa maiestas«. Michelangelo ist nicht frei von diesem Fehler; Giulio Romano hat so den Raffael übersetzt, und Bernini war der Held dieses Stils; aber doch hielt der Mißbrauch gute Verhältnisse fest, anstatt daß alles itzt in verblasenen Umrissen schwankt. In unserer rosenfarbenen, jungfräulichen Zeit sind wir fern, den Menschen zum Halbgott zu erheben, wir verniedlichen ihn lieber herab; unsere Venus liebäugelt wie eine Theaterkokette, und unsre Hebe hat ihr Lächeln vor dem Spiegel geübt. Seele sollte freilich jedes Kunstwerk atmen, aber nicht die wollüstige, manierte Heroidenseele, die aus unsern jugendlichen Köpfen schmachtet und welche die Entzückung der heiligen Therese eines französischen Meisters so zweideutig macht. Wollt ihr empfinden, wie edle Einfalt und Wahrheit den neuen Flittergeschmack demütigt, so weilt im Zimmer des Palastes von Luxembourg, wo die Raffael und Correggio hangen; tretet dann ins Gemach der französischen Schule, ob ihr nicht taumelt bei der Feerei des Aufzugs, ob ihr nicht aus der besten Gesellschaft unter Gecken, aus der Welt in die Opernwelt kommt?
Ich kenne nur zwei Maler – und einer ist ein Deutscher nbsp;–, die noch Strahlen auffingen aus der Abendröte der hohen Kunst, ehe sie ganz unsern Gesichtskreis verließ.
Nichts bezeichnet das Genie deutlicher als die unüberwindliche Tendenz nach dem Schönen, wo sie es trifft. Was Ben Jonson in seinem Play »Every Man in His Humour« vom Humor sagt, paßt mit mehr Richtigkeit auf das Genie. So sah Vernet mitten im Sturm, wo die Schiffleute zagten, nichts als den schönen Gegenstand eines Gemäldes, sah mit freudigen Mienen in die Schlünde des Meeres und rief in einer Art von Entzückung aus: »Ah, que cela est beau!« So hörte der junge Mozart in allen Tönen Akkorde und gab sie an usw.; so sieht der geborne Maler in der ganzen Natur nichts als Gemälde, er ordnet das Schöne, so wie er sieht, im Geiste auf der Leinwand und erniedrigt da einen Berg, erhöht dort einen Hügel, haut hier einen Wald ab, der ihm die Aussicht verdarb, führt jenen Fluß an und über ein Felsenstück, damit er malerisch ins Tal fallen könne, so bestimmt er sein Mädchen zum Bilde der Cythere, so findet er den wilden Sohn des Peleus oft fix und fertig hinter dem Pflug.
Schönheit ist nur in dem Geiste dessen, der betrachtet und fühlet; ein jeder einzelne Geist empfindet andere Schönheit, so entdeckt dieser Häßlichkeit, wo jener Schönheit bewundert, und jeder sollte sich bei dem Zeugnis seiner Empfindung beruhigen, ohne die Empfindung anderer meistern zu wollen; eigentliche, absolute Schönheit zu suchen ist ein fruchtloses Beginnen, ebenso fruchtlos als aufzusuchen, was absolut gut oder übel schmeckt.
Der Mangel an Kennern und folglich an Liebhabern ist die Hauptursache, warum die Kunst bei uns so langsame Schritte macht, und niemand kann eigentlich Kenner sein, der nicht innige Wissenschaft von dem Mechanischen der Kunst hat. Es ist betrübend, in einem Kabinett die Urteile zu hören, welche über die Kunstwerke der großen Meister gefällt werden; hier erhebt einer in dem »Sturm« von Vernet den wohlgemachten Mast und das schön ausgespannte Segel und ist unempfindlich bei der Empfängnis des ganzen Werkes. Dort bleibt ein anderer bei der Miene eines Gesichts, die Arbeit eines Augenblicks ist, stehen, und wenn sie ihm kein Genüge tut, so mag an Ordnung, Zeichnung, Farbe das Ganze der Figur vortrefflich sein, er fühlt nichts übriges; es ist ein stetiges Schibboleth unechter Liebhaber der Künste, wenn sie nicht durch die Vortrefflichkeit des Ganzen, sondern durch jeden kleinen Übelstand frappiert werden, oder wenn sie, um zu loben, nach langer Betrachtung endlich bei einer Kleinigkeit in Erstaunen ausbrechen. Die Höhe der Kunst bei den Griechen war eine Folge der Erziehung der ganzen Nation, jeder Urteiler war beinahe selbst Meister.
Wie der Theseus des Parrhasius mit Rosen, nicht mit Fleiß gemalt (Cicero behauptet pro Caelio: »Ingenium etiam si industria non alitur valet tamen ipsum suis viribus« – daß oft das Genie auch ohne Fleiß durch eigene Kräfte geltend werde), so gilt dies weniger von der Malerei als von andern Wissenschaften; denn das Genie ist bei dem Maler ferne, außer der Gabe des Himmels, die Schönheit zu finden, überall Nahrung für Kunst anzutreffen, auch die durch eine lange Übung nur zu erreichende Fertigkeit, das in seinem Strahle geborne Bild durch mechanische Kunstgriffe darzustellen. »Der Künstler ist vollkommen, wenn die Hand dem Verstand gehorcht«, schrieb Mengs in das Stammbuch eines Künstlers, und dazu gehört bei allem Genie der Fleiß des halben Lebens.
Die alten Künstler pflegten ihre Werke auch von Unerfahrenen beurteilen zu lassen, und sie verbesserten und änderten sie nach dem Urteil des Publici, ja es gab noch welchen, der wollte so entscheidend über die Arbeit urteilen, daß der Künstler nach seinem Urteile entweder belohnt oder bestraft würde. Heutigestages dürfte das Urteil des Publici nicht einmal immer sich als Probierstein am Verdienste des Künstlers beweisen. Da die Unterweisung in der Zeichenkunst mit zur Erziehung gehörte, da war diese Methode so übel nicht; heutigestages, wo die Kunst und die Kenntnis der Künste nur allein im Atelier wohnt, wo wenige urteilen können und alle urteilen, wo zuweilen das Ansehen des Richters, zuweilen nur eine eigensinnige Mode den Ton angibt und über Regeln der Kunst und Natur spottet, in einer Zeit, wo wir die Affektation der Sitten, das Elegante, das Manierierte im gemeinen Leben auch in der Kunst schon finden, wo wir bunte Kleider und bunte Gemälde lieben, in dieser Epoche geht der wahre Künstler einen einsamen, ungebahnten Weg, wo ihm niemand nachfolgt, und wenn das Werk seiner Hände in der Versammlung des Volkes erscheint, so macht es eine Wirkung wie eine europäische Schönheit in Siam; haben wir denn nicht gesehen, daß Poussin, der größte französische Maler, verachtet in der Dürftigkeit lebt, daß Bouchardon, der sich bloß nach den Antiken gebildet hat, sich muß unter der Mode winden oder, vernachlässigt, nicht gebraucht würde? Ist nicht der Porträtmaler der Liebling des Volkes, der sein Bildnis mit Zieraten, mit Schmuck, mit Farben beladet, der lieber jedes Angesicht schön färbt, als das Auge des Nichtkenners durch dunkle Schatten zu beleidigen?
Sein Gegenstand muß ihm gegenwärtig sein, nicht wie dem Dichter irgendeine Leidenschaft, in die er sich selbst setzen kann. Das Bild muß in seiner Seele stehen und bleiben, solange er malt, mit seiner Farbe und allen Feinheiten der Konturen. Einige Künstler verlieren in der Ferne:
Bei den Alten war die Natur schöner; der Mensch erhob sich oft zum Ideal einer Gottheit, es mag nun Apelles die Venus Anadyomene nach dem Bildnis des Alexanders oder nach der Phryne gemalt haben. Wenn Clemens Alexandrinus recht hat, so war die Phryne mehr als einmal das Urbild der Göttin der Liebe, Merkurius war oft das Porträt des Alkibiades, und Praxiteles zwang die knidische Venus wie Kretien seine unerbittliche Schöne zum Lächeln (malte den Mund nach ihr).
... und so auf dem Wege zu dieser Größe, wohin sich der Liebhaber der Schönheit wendet, findet er abermals die griechische Kunst. Es war eine Zeit, wo man die Formen durch Größe übertrieb, wo man Athleten-Spannung für Ausdruck nahm, selbst Michelangelo ist davon nicht frei, Giulio Romano hat so den Raffael überboten, Berninis Arbeit ist der Triumph dieser Gattung. Man erniedrigt die Würde der Natur, es ist wie eine Theater-Konvenienz; jede Gebärde hat ihr Lächeln vor dem Spiegel. Wollte ich fühlen, wie Einfalt und Hoheit sich über den neuen Flittergeschmack hebt, so will ein Kenner im Zimmer, wo Raffaels und Correggios hängen, nun eine nbsp;...
Ich: Wie gefällt Ihnen die lyrische Blumenlese? Was halten Sie von der Art, wie R. unsre Dichter behandelt?
M.: Er verdient, dünkt mich, unsern warmen Dank. So übermalte Rubens die Werke seiner Schüler, und der Meisterstücke wurden mehr. Die Sprache aller Schriftsteller veraltet, ihre Farbe verbleicht; wenn sie im Fortgange der Zeit immer aufgefrischt würden, so wandelten sie, in ewiger Jugend, sicher nach der Unsterblichkeit.
Ich: Und ich würde mich für beschimpft halten, wenn selbst Mengs in mein Bildnis eine griechische Nase hineinkorrigierte. So haben sie Holbein aus seinem herrlichsten Gemälde weggepinselt und wegretuschiert. Gebt mir den Künstler mit allen seinen Fehlern, und vertilgt mir seine Eigenheit nicht. Ich zittre, wenn ich denke, daß R. mit der Feile vielleicht seinen eignen Werken noch droht. Der Künstler überlebt seine Periode früh und haucht im Alter Tod auf die Blume des Geistes. Tizian wollte auch die Werke seiner Jugend verbessern, aber ein Schüler, dem es die Nachwelt verdankt, rieb seine Farben mit schwer trocknendem Öl an und wischte die Entheiligung heimlich wieder weg.