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Ein Rangstreit

Es ist doch ein wichtiger, verwickelter Streit, der neulich bei einem Gastmahl entstand, ob die Frau eines Doktors der Heilkunst über oder unter einer Doktorin der Rechte sitzen müsse. Unsere Stadt ist darüber in Parteien geteilt, aller freie gefällige Umgang gestört, Freundschaften sind auf ewig vernichtet, und das Feuer der Zwietracht glimmt und lodert, ohne daß ein Biedermann Wasser herbeiträgt; denn die Sache, versichern unsere Genies, betrifft ein leeres Weibergezänk und ist unter der Würde der Weisen.

Hohn über alles, was vormals ehrwürdig war, Ekel an aller Untersuchung sind Hauptzüge unserer philosophischen Zeit. Wir haben so tief in das Wesen der Dinge geforscht, daß wir endlich auf tauben Sand geraten sind; alles ist so glücklich zum Vorurteil, zum Betrug unserer Vernunft und unsers Gefühls, zum Nonsens und Wortkram herabgespöttelt, daß nichts mehr der Mühe unserer Betrachtung verlohnt. Der Zirkel unserer Ideen zieht sich schneckenartig, immer in engere Kreise, nach einem unmerklichen Punkt hin. Wir haben alles zugrunde vernünftelt und brüsten uns nun auf den Ruinen unserer Glaubens-, Denkens- und Lebenssysteme.

Rang ist nicht, was die Grübler versichern, Erfindung der verkünstelten Gesellschaft, Stolz der Toren, eitle Repräsentation, sondern ein ewiges Grundgesetz der ganzen Natur. Ist es nicht allgemeine Eigenheit der Materie, ihren Platz zu behaupten? nicht das erste Gesetz der Bewegung, andere Wesen aus ihrem Platz zu verdrängen? Alle Weisheit der Newtone und Kepler ist Kenntnis des Ranges unter den Substanzen und Sphären; sie waren die Heraldiker der Natur; sie haben das Wirkungsvermögen der verschiedenen Körper, wie noch jetzt in blühenden Republiken geschieht, nach dem Inhalt ihrer Massen berechnet. Auch die dem Menschen über andere Tiere verliehene Herrschaft war eigentlich nichts als ein Vortrittsdiplom.

Außerdem ist es auch in großen und kleineren Staaten so gleichgültig nicht, welche Stelle mir unter meinen Mitbürgern zukommt. Es ist nicht einerlei, ob ich bei einem festlichen Mahle neben einem Vater der Stadt oder einem Zollschreiber sitze; ob meine Ehrfurcht, mein beifälliges Lächeln gemerkt wird und wuchert oder in der Ferne verlorengeht; ob meine Hand gelegentlich an dem weichen Arm der Frau Bürgermeisterin hinstreift oder auf eine grobe Summarie stößt; ob ich, mit einer Kennerzunge, Nachbar eines unbedeutenden Zwischengerichts oder eines seltenen Wildbratens bin; ob mir der erste Geist des Champagners oder die trübe Neige der Flasche gebührt. Auch der starrende Blick des gaffenden Haufens, auch die Demut der Aufwärter schmeichelt, und es ist immer ein ehrenvolles Recht, im Angesichte seines Vaterlandes zuerst bedient und gefüttert zu werden.

Der Streit zwischen den beiden Doktorgattungen ist auf den ersten Blick ein ungleicher Streit. Gegen die einzige Heilkunst ziehen ein paar handfeste Kämpfer, das Zivil- und kanonische Recht, zu Felde; aber desto rühmlicher ist auch der Triumph, wenn der einzele siegt. Es wird darauf ankommen, welche von beiden Künsten älter, nützlicher, allgemeiner, welche mehr geehrt und mächtiger in ihren Wirkungen ist. Alter hat ein Recht auf die Achtung der Jugend; selbst die blinden Heiden zürnten, si iuvenis seni non assurrexit, und es war eins von Lykurgs Gesetzen, dem Alter ehrfurchtsvoll zu begegnen. Ich will dadurch den edlen Stolz meiner jungen Freunde nicht tadeln; ich weiß, daß ohne Gefühl eigener Kraft, ohne Verachtung aller Vorgänger und Zeitgenossen kein Drang und Sturm entsteht, kein Adlerflug des Geistes gelingt; aber wenn es auf Rang unter Wissenschaften, auf die Etikette vor der Welt ankommt, so geht doch die ältere vor. Nun aber ist die Heilkunst bekanntlich eine Zwillingsschwester der Sünde und nur wenige Tage jünger als das menschliche Geschlecht. Die Schlange ist noch das Symbol des epidaurischen Gotts, weil sie mit der ganzen Geschichte vom Moses, der nach der neuen Gelehrsamkeit Bacchus ist, in die griechische Mythologie geriet. Im Paradies gehört also die Heilkunst zu Haus. Adam war der erste botanische Arzt und verordnete ein Feigenblatt gegen die Wallung im Blut; aber in keinem Paradies von einigem Ruf, weder in Rudbecks schwedischem Eden noch im Eden von Schottland, wovon Edinburgh abstammt, wird man eines Doktors der Rechte gewahr.

Die Ärzte zählen unter ihren Vorfahren Götter, die Chirone, die Apollen, die Äskulape; der einzige juristische Gott Minos dürfte ihrem Stolze wohl nicht schmeicheln, denn er war ein Gott der Hölle.

Aber nützlicher, ruft man, ist die Rechtswissenschaft doch, welche den bürgerlichen Frieden erhält, dem Laster steuert, die Habsucht bändigt, unser Eigentum und die Unschuld beschützt. Allerdings, aber nur, behaupten ihre Widersacher, in dem seltenen Fall, wenn der Text und die Glosse deutlich sind; auch sei es nicht sicher, wider Große zu klagen, ein freundloser Armer werde nicht immer gehört, man wisse nicht, ob der unter Zweifeln taumelnde Richter, wenn er um die Wahrheit würfelt, auch glücklich trifft.

Zwar beschuldigt man auch die Arzneiwissenschaft, daß sie oft mehr niederreißet als bauet, die Natur in ihrem Gange verwirrt und, einer kühnen Wahrsagerin gleich, auf zweideutige Kennzeichen Trugschlüsse baut, ja, um einen Einfall durch Versuche zu prüfen, zuweilen Menschenopfer erlaubt, nach dem alten Gesetze der Schule, fiat experimentum in corpore vili. Sie kann, wie man sagt, nicht geben, nur nehmen. Ihre Taten sind höchstens purgare, seignare und für die Dilettanti clysterium donare. Wer mäßig und der Natur gemäß lebt, kann den Arzt und seine Geheimnisse missen; und wenn die Natur nicht mehr wirkt, so wird die Kunst aus ihren Büchsen auch keine neuen Säfte mischen. Sie hat vielleicht in einzelen Fällen manches unnütze Leben gerettet, aber nicht die Sterblichkeit im allgemeinen vermindert. Die Kunst mag unsere Achtung verdienen, aber man kann sie ohne den Künstler nicht rufen. Dennoch haben vernünftige Ärzte viel würdige Männer der Welt und ihren Freunden erhalten, oft das Wohl ganzer Reiche durch ein Pulver gerettet, und Senftel Der große Blatternpraktikus. hätte durch eine Purgans die Ruhe von Deutschland befestigen können.

Wenn das Recht nur Geringere zwingt, wenn der Mächtige seiner Aussprüche spottet, wenn es wie ein Spinnengewebe nur Fliegen hält und Hornissen durchläßt, so entscheidet die Heilkunst gebieterisch am Thron; ein Sultan zittert vor seinem Arzt, der Fürsten und Knechte unter die nämliche Sprütze zu demütigen weiß.

Darum wurden auch immer die Ärzte von den Großen geschätzt. Als Julius Cäsar vor Pharmacussa sein ganzes Gefolg entließ, behielt er niemanden als seinen Arzt, Sueton im »Cäsar«. den Plutarch seinen Freund genannt hat. Plutarch, »Leben Cäsars«.

Dem Antonius Musa, einem Arzte des Augusts, ward neben Äskulaps Bilde eine Ehrensäule errichtet. Sueton, »Leben Augusts«. Mir ist nicht eine Bildsäule bekannt, die einem Doktor der Rechte gesetzt ward, und auch kein Kaiser, der einen Professor der Pandekten zu seinem Freunde gewählt hätte. Als die Griechen aus Rom vertrieben wurden, nahm zwar das Edikt die Ärzte, aber keinen Rechtsgelehrten aus. »Et cum Graecos Italia pellerent, excepisse medicos.« (Plin. Sect. nbsp;VIII.) Heil uns, wäre Friedrich des Dritten Edikt zum Glücke für Deutschland zustandegekommen! Daß alle Doctores der Rechten im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation am Kammergericht bei keinen Rechten und in keines Fürsten oder andern Räten mehr gelitten, sondern ganz abgetan werden sollen, weil ihnen das Recht mehr denn den Laien verschlossen ist, und kann ihrer keiner einen Schlüssel dazu finden, bis beide Teile arm werden oder gar verdorben seind. Sie seind Stiefväter und nicht die rechten Erben der Rechten, denn sie nehmen ihnen den Grund der Wahrheit und bringen durch ihren unordentlichen Geiz das Recht zu einem solchen Unglauben, daß kein Fromm sein Vertrauen darein mehr setzen kann. (Kaiser Friedrich des Dritten Reformation vom Jahr 1441. Beim Goldast in den Reichssatzungen) »Nam sine causidicis et legistis satis felices olim fuere futuraeque sunt urbes ac respublicae«, ruft der weise Columella hinter seinem Pflug aus. »De re rustica« L. 1.

In jeder Vergleichung gewinnt die Heilkunst; wenn die Rechtswissenschaft ihre Gesetze verdreht, so hat man nie einem Arzt vorgeworfen, daß er nur ein Gesetz der Natur verändert habe. Wenn der Fleiß eines ganzen Lebens den aufrichtigen Arzt belehrt, daß er nur wenig wisse, so nimmt es Cicero auf sich, in drei Tagen ein Rechtsgelehrter zu werden. »Si mihi homini vehementer occupato stomachum moveritis, triduo me iurisconsultum esse profitebor.« (Cicero, »Pro Murena«) Ja, die Arzneiwissenschaft gibt der Rechtswissenschaft Brot. Würde diese so viel Erbschaften teilen, wenn jene nicht für Erbfälle sorgte?

Beide sprechen ihr Urteil, aber die Heilkunde ohne Widerspruch, über Tod und Leben, ohne daß ein Rechtsmittel übrigbleibt; denn ihre Attentaten und Nullitäten bedeckt das verschwiegene Grab. Der Medicinae Doctor Ratcliffe wollte seine Pflasterer nicht bezahlen. »Du hast«, sprach er, »schlechte Arbeit gemacht und sie nachher mit Erde bedeckt«; »und das ist«, gab der schlimme Pflasterer zur Antwort, »meine schlechte Arbeit nicht allein, die mit Erde bedeckt wird.«

Also »cedat stylus gladio!« Cicero, »Pro Murena«. die Palme gebührt der Arzneiwissenschaft.

Ein Arzt tritt über einen Doktor der Rechte; ein Chirurgus über einen Lizentiaten; Okulisten, Dentisten über alle Notarien; ein kurierender Scharfrichter geht dem Winkelschreiber vor und jede Frau, die Pflaster verfertigt, jeder Frau, die für ihren Mann dekretiert.

Die Rechtsgelehrsamkeit wird sich zum erstenmal ein philosophisches Ansehn geben, wenn sie ohne Murren zurücktritt.

»Was ist nun der Sinn von diesem Geschwätze?« hat mich ein Bekannter bedächtlich gefragt. »Sie ziehen also den Arzt dem Rechtsgelehrten vor, oder vielmehr, Sie verspotten wohl beide?« – »Meine Absicht, Freund, war, durch ein Beispiel zu zeigen, wie leicht es sei, mit Quacksalberstolz allen Ständen entgegenzuspötteln, nur seiner Kaste, seiner Gattung Verdienst, seiner eigenen Innung Wert zu erhöhn.« – Es ist billig, daß jeder seine Salbe verkauft. Ich verzeih ihm auch das Glockengeläut, womit er Händeklatscher und Kunden herbeiruft; aber der unbefangene Zuschauer lächelt, wenn der Freigeist den Priester, der Dichter den Philosophen, der Arzt den Juristen, dieser den Literator, der flache Weltmann alle verachtet; es wird ihm schwer, gelassen zu bleiben, wenn der müßige Schöngeistler aus seinem Lehnstuhl dem nützlichen Geschäftsträger hohnspricht.

Segnender ist kein Menschenfreund als ein vorsichtiger Arzt, der die Träne des Vaters, des Freundes trocknet, oft, wie Herkules am Rande des Cocytus, die fliehende Seele einer zärtlich geliebten Gattin ergreift. Es ist wahr, in volkreichen Städten ist er für Reiche, die mit Krämpfen und Langerweile geplagt sind, oft bloß ein Bedürfnis der Üppigkeit; aber gleichwohl wird daselbst die Gesundheit mit so viel Scharfsinn verdorben, daß sie ohne Scharfsinn und Kunst nicht wieder gestützt werden mag. Und wenn eine giftige Seuche herumschleicht, wenn der tausendarmige Tod unter wehrlosen Opfern umher würgt, dann erhebt sich der Arzt zur Heldentugend, bekämpft wie Theseus den Minotaurus, wird gleich dem Curtius und weiht sich dem Vaterlande.

Als der persische König dem Hippokrates an seinem Hofe Achtung und Reichtümer antrug, war die Antwort nicht edel: ich bin mich meinem Vaterlande und nicht den Barbaren schuldig; die Tat nicht groß, daß er eilte, sich einzuschließen in dem leichenvollen Athen, zu ringen mit der schrecklichen Pest, die noch in Thukydides' Gemälde die Seele durchschauert?

Und der Wächter der Gesetze, bauet er nicht an der Wohlfahrt des Staats? Oder wollt ihr, daß Sicherheit und bürgerliche Ruhe wieder weiche dem ewigen Krieg aus der Jugend der Menschheit? Aber eure meisten Juristen, sagt ein grämlicher Mann, haben keine Einsicht in die Staatsverwaltung, keine Philosophie, keine Kenntnis der Welt, keine Geschichte, keine Literatur, auch nicht ein Scherflein echten Witzes – und ich vollende das Bild – sie verstehen auch weder zu singen noch zu flöten – sie tanzen vielleicht schlecht und malen erbärmlich – aber verlangt ihr von Mansfield einen schottischen Triller? Fodert ihr, daß Crébillon Regenten erziehe? Hat jemand Squire Fieldings Meinung in irgendeinem Staatsrat begehrt? Würdigt jeden nach dem Maßstab seiner Bestimmung! – Verdient ein Richter Lob oder Tadel, wenn er kaltblütig prüft, nicht schwärmerisch schwindelt? wenn er feierlich und ernsthaft spricht, nicht schöngeisterisch faselt? Erwartet ihr Urteile oder Epigramme von ihm?

Endlich der Priester, der alle wohltätige Pflichten als Gesetze eines Gottes der Liebe verkündigt, die Schauer seiner Allmacht verbreitet, Gefühle für die höhere Tugend und Ahndungen einer lohnenden Zukunft erweckt; was könnt er nicht sein? zum Troste der Leidenden, zum Schrecken des Lasters, zur Erhaltung aller Bande der Menschheit – wenn ihn jetzt noch die heilige Würde umstrahlte, welche ehemals mehr die Religion als ihn selber erhob? Aber man hat seinen Stand herabgewitzelt; er wird verlacht, wenn er an Geheimnisse glaubt, geschimpft, wenn er an alten Bekenntnissen festhängt; er will also streben gegen Verachtung, verbessert, erklärt, mäkelt und dingt, lehnt sich auf gegen die symbolische Knechtschaft, gibt vieles preis, um nur etwas zu retten; der ehrwürdige Gottesgeweihte sinkt zum menschengefälligen Schwätzer herab. Alle tätigen Stände streben und wirken im endlosen Kreislauf des Ganzen; jede Fertigkeit, jedes Talent ist wichtig, im Gleise, welches die Vorsicht beschreibt. Nicht allein wer am Ruder sitzt, bringt das Schiff weiter; andere spannen die Segel, andere richten das Tauwerk; wer im Maste wacht, entdeckt; wer den Anker wirft, rettet; entbehrlich ist vielleicht niemand am Bord, als eine Gattung munterer Genies, die Geiger und Pfeifer und Märchenerzähler. In langweiligen Windstillen hört man sie gern und jagt sie vom Verdeck in der geschäftigen Zeit; denn sie lärmen und stören und fördern die Fahrt nicht.


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