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Über Linguets Verteidigung der Todesstrafen

In dieser aufgeklärten freundlichen Zeit tritt doch zuweilen ein Biedermann auf, der dem andringenden Strom der Menschenliebe steuert; Linguet nimmt sich des Henkers wie ehmals Wolkenkragenius des angefochtenen Teufels an.

Als der Kardinal Richelieu nach Lyon reiste, um sich mit der Hinrichtung des Cinq-Mars und des de Thou zu belustigen, erfuhr er unterwegs, daß der Scharfrichter das Bein zerbrochen hätte; »welch ein Unglück!« rief er aus, »nous n'avons point de Bourreau!« Ein Ausruf, den nur ein Kapellmeister lebhaft empfindet, wenn der primo Soprano in seiner Oper krank wird, den aber Linguet nachempfinden kann, der den Tiberius, den Nero und Chalotais' Verfolger verteidiget hat.

»Was ist«, meint er, »am Leben einiger Schurken gelegen, da der Krieg doch ganze Völkerschaften wegfrißt?« Freilich ist's um nichts besser, auf die Autorität eines Manifests oder nach dem Text der Halsgerichtsordnung zu morden; aber wenn auch keine Heldentugend gezähmt werden kann, so gelingt es uns vielleicht, ein veraltetes Gesetz verdächtig zu machen. Da es nicht in unsrer Macht steht, die Pest zu vertilgen, soll darum auch kein Fieber geheilt werden? Die Erde ist mit Menschenopfern bedeckt, und darum eben verlohnt es sich der Mühe, auch nur einige unsrer Brüder zu retten. Beccaria bestimmt den Fall treffend und deutlich, wann es notwendig wird, ein brandiges Glied vom gesunden Staatskörper zu trennen, nämlich wann der Verbrecher ein Friedensstörer ist, wann sein Anhang Empörung unterhält, wann sein Leben der Tod guter Bürger werden kann. In jedem andern Fall ist die Todesstrafe eine überflüssige Grausamkeit, weil die Erfahrung aller Länder und Zeiten bestätigt, daß Verbrechen nicht durch gelinde Strafen vermehrt und nicht durch strenge gemildert werden. Ist man darum in Marokko seines Eigentums sichrer, weil man die Räuber mit Säbelhieben zerstückt, oder in Algier, wo man sie vom Turm herabschleudert und mit eisernen Haken auffängt? Nirgends gibt es blutdürstigere Übeltäter als in Italien und Frankreich, wo man am meisten rädert und köpft; nirgends wird mehr auf der Landstraße geraubt als in England, wo kein Räuber dem Galgen entrinnt; und nirgends reist man unbeleidigter als in Dänemark und Holstein, wo man keine Diebe mehr hängt. Die Ursache liegt nicht allein im Klima oder im eigentümlichen Charakter der Nationen; denn die russische Kaiserin herrscht von Kamtschatka bis nach Astrachan, fast unter allen bewohnten Himmelsstrichen, und dennoch gelingt es ihr, nach dem Beispiel ihrer Vorgängerin, Ordnung und Sicherheit ohne Todesstrafe bei hundert ungebildeten Völkern zu erhalten. Rußland hat uns früh verfeinerte Europäer in Wissenschaften und Künsten erreicht und an Menschlichkeit übertroffen. Gelinde Strafen und Eigengewalt sind eine seltene Erscheinung in der Geschichte. Als der erste Mensch im gerichtlichen Pomp auf dem Rade zerschmettert ward, bebte gewiß vor Entsetzen und Abscheu die ganze Versammlung der Zuschauer; aber wir gewöhnen uns endlich an den blutigen Aufzug. Jede Exekution wird ein Schauspiel für den Pöbel, bei welchem auch mancher feine Mann eine Erholungsstunde zubringt. Vor wenig Jahren ward in Paris ein diebischer Abbé aufgehangen, und ein wohldenkender, freundlicher Gelehrter lud den Verfasser dieses Aufsatzes mit den Worten dazu ein: »Allons, Monsieur, faire un tour à la place de Grève, pour voir danser Monsieur l'Abbé.« Acht Tage vor d'Amiens' huronischer Zerfleischung war kein gutes Fenster mehr zu mieten, elles étoient toutes prises pour les dames. Das andächtige Schauspiel unsrer Hinrichtungen wirkt oft so sehr dem Endzweck entgegen, daß es zu Übeltaten reizt. Es darf einem Schwärmer nur einfallen, daß ihn der Tod vielleicht unbereitet überfällt, um ruhig eine Kehle abzuschneiden, damit er Zeit gewinne, sich selig zu beten; andere sind eines elenden Lebens müde und drängen sich durch ein Verbrechen zum Tode. Für beide ist nur das Leben eine Strafe. – Ist Verhältnis zwischen Strafe und Verbrechen, wenn ein Elender aufhören soll zu sein, weil er am Überfluß des Reichen ein wenig genagt hat? Fürchtet ein philosophischer Spitzbube den Strang, der die Arbeit hasset und das Vergnügen liebt, der die Ungleichheit des Eigentums tadelt, der erwägt, daß uns allen ein mannigfaltiger Tod droht und daß jede Krankheit ärger als ein flinker Henkersknecht martert? Wird ihn eine schlimme Viertelstunde mehr als ein mühseliges Leben unterm Prügel abschrecken? Ich glaube mit Voltairen, daß ein gehenkter Schelm zu nichts taugt, anstatt daß er an der Kette noch etwas zum Vorteil der Gesellschaft erwirbt.

»Aber eure Sklaven«, fährt Linguet fort, »sind doch zum langsamen Tode verurteilt; sie schmachten nicht lang im dumpfigen Kerker bei ekelhafter Kost, und so ein trauriges Leben ist ein armselig Geschenk.«

Für gesunde Nahrung und reine Gefängnisse muß die Obrigkeit wachen; und Menschen darum zu schlachten, weil sie doch nicht lange mehr leben werden, gehört zur jurisprudence vétérinaire, nach welcher es freilich vernünftiger ist, ein krankes Pferd lieber totzustechen. Heil also der scharfsinnigen Obrigkeit einer guten kleinen Stadt, die vor wenig Jahren einen Dieb, der zu kränklich zum Brandmarken schien, aus Mitleiden aufgehängt hat! Noch abgeschmackter ist die Klage über die Kosten des Unterhalts und der Aufsicht der Sklaven. Aus Ökonomie ist es doch wohl nicht zu töten erlaubt? Sonst mag es in Ländern, wo noch Leibeigenschaft herrscht, zuweilen haushälterisch sein, eine Bauernklopfjagd zu halten.

»Aber wie wollt ihr eure Ducs und Pairs im Zaume halten«, fragt Linguet im triumphierenden Ton, »wenn auf grobe Verbrechen kein Tod mehr steht? Werden sie nicht in eure Häuser fallen, eure Weiber und eure Töchter schänden und jede geringe Beleidigung mit einem Pistolenschuß rächen? Denn nur solange die Übeltat neu ist, erstickt der Abscheu und die Stimme des Volks das Flehen der Familie; der Richter kann nicht retten, so sehr er auch Hofmann sein mag; die Gerechtigkeit wird versöhnt und der Tote vergessen. Aber wenn der Verbrecher seine Strafe: überlebt; wenn er, zur Schande seines Hauses, gefesselt unterm Pöbel der Übeltäter herumgeht, so vereinigen alle Verwandte ihr ungestümes Anhalten wieder, ihre Freunde am Hofe dringen durch, und ein vornehmer Bösewicht kann keine Strafe mehr fürchten.« Ich denke doch, daß es nicht ganz unmöglich sei, über weise Verordnungen unverbrüchlich zu halten; ich vermute nicht, daß überall Hofintrige des Richteramts spottet. Vor wenig Jahren wurden in einem großen Reiche zwei Brüder von Familie wegen einer schändlichen Handlung zur Bergwerksarbeit verdammt, die noch bis diese Stunde nicht losgebeten sind. Nur die Schande des Urteils, wenn es auch nicht vollzogen würde, ist schrecklich genug für Leute von Rang und Erziehung, ja empfindlicher als der Tod selbst, weil man bei ihnen Begriffe oder doch Vorurteile von Ehre voraussetzen darf. Also wollten Sie alle Todesstrafen aufgehoben wissen? auch bei vorsätzlichen Mördern, die der Gesellschaft den Krieg angekündigt haben? – Solche Wollüstlinge wie der sächsische Hirt, der aus Gourmandise Kinder fraß; Wirte, die mit kaltem Blut ihre Gäste ermorden und ihre Schinken in Rauch hängen; Meuchelmörder, Vergifter – wenn ihr die Unmenschen nicht festhalten könnt, so macht Jagd darauf, wie aufs Tier von Gévaudan; aber an einer starken Kette sind doch Mörder ebensowenig gefährlich als die Löwen im Tower. Unser Recht, den Mörder zu töten, soll sich auf das Recht der Wiedervergeltung gründen. Barkhausen hat deutlich das Ungereimte dieser Meinung gezeigt. Wenn ihr den Totschläger wieder totschlagen wollt, so muß auch der Ehebrecher gerichtlich angehalten werden, seine Frau in das Bett des Beleidigten zu führen; eine Art der Genugtuung, die oft schlimmer sein möchte als die Beleidigung selbst. Auch der Kindermord soll nicht mit dem Tode gestraft werden, der so leicht, so allgemein, so voll durchteufelter Bosheit, so ganz gegen alle Empfindungen der Natur ist? – Eine junge Kindermörderin redete ihre Richter folgendergestalt an: »Ich rede nicht für mein Leben, denn ich bin geschändet, und ich umarme den Tod als meinen Freund. Ihr strafet mich nicht; ihr erlöset mich nun von einer Reihe unleidlicher Qualen. Ich war blühend und glücklich, von allen Mädchen beneidet, von allen Jünglingen geliebt. Oh, verachtet mich nicht nach meinem Tode, ihr Ungefallenen! gedenket meiner, wenn ihr könnt, in der Stunde der Leidenschaft, wenn das Herz hoch aufschwillt und die Zunge stammelt, in der einsamen Laube, wenn ihr gegen den feurigen Mann, den ihr liebt, keine Waffen als ohnmächtige Tränen findet; rettet dann eure Unschuld, wenn euch ein Gott hilft! Ich rettete sie nicht, und nun war der Friede des Lebens dahin. Wie sie nun auf mich herabsehen, meines Stolzes, meiner Schande spotten werden! wie ich nun ein langes Leben hindurch für den Fehltritt einer Minute büßen muß! Nun bin ich keiner Freundin, keines Mannes, nicht der Achtung meiner Gespielinnen, nicht einer menschlichen Freude mehr wert! Der ehrwürdige Name Mutter ist ein ewiger Schandtitel für mich. Ha, Richter! alles das tobte in meiner Brust in der Stunde der Geburt. Kennt ihr den Zustand eines gebärenden, geschändeten Weibes? Wenn immer wachsende Marter wütet und hoffnungslose Verzweiflung zugleich, ist dann Licht im Verstande? Handle ich frei auf der Folter der Natur und des Gewissens? Oh, lebtest du nicht, Pfand des Unglücks! rief es tief aus der Seele. O Schöpfer, nimm es hin, dieses unschuldige Kind! Es entflieht den Mühseligkeiten des Lebens und rettet seine Mutter von der Schande, welche bittrer ist als der Tod, gewiß bittrer als sein Tod – und so erwürgte ich mein Kind. – Ach, ich hätt es gern erzogen und gebildet; aber mich einer endlosen Verachtung zu opfern, dazu war ich nicht verächtlich genug.« – Die Sache ward, nebst der Rede der Verbrecherin, an eine Juristenfakultät gesandt; und hierauf kam der Spruch zurück, daß Inquisitin, ihr zur wohlverdienten Strafe und andern zum Abscheu und Exempel, mit einem Hahn, einer Schlange und einer Katze, in Ermangelung eines Affen, lebendig in einen Sack getan und ertränkt werden solle.


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