Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Zwölfter Brief.

Paris den 4. Dec. 1768.

In dem Hause des Herrn Necker, Residenten der Republik Genf, versammelt sich Sonntags eine gemischte zahlreiche Gesellschaft, welche eben darum nicht merkwürdig ist. Menschen, die sich wenig kennen, haben sich auch wenig zu erzählen; Alle schwatzen, Niemand unterhält sich. Man ist nirgends einsamer, als im Gedränge.

Aber jeden Freitag finden Sie daselbst di Francia il fiore, einen engern Zirkel, der Ihre Aufmerksamkeit verdient. Hier erscheint, im Verstande des Worts, der Schatten Colardeau, mit erloschenem Blick, ganz erschöpft durch Seelenwollust, Barthe, ein Feuerwerk im Witz, le gentil Bernard, der leise Sänger der Liebe, Dorat mit Guirlanden en falbalas, der so gerne buhlte mit der Natur, und dafür ein Opernmädchen erwischt hat, Suard, der in Perioden cimbelt; Thomas, jetzt abwesend, gehört mit dazu, ein Philosoph im Purpurmantel, dessen Rede Posaunenton ist.

Dieses Kränzchen ist in Paris, was, in einem mannigfaltigen Garten, ein holländisches Blumenstück ist; es sind kleine, geschnörkelte Felder, eine Minute für das Auge blendend, durch den Widerschein von Scherben und Glas. Hier wird nichtiger Stoff, scharfsinnig, durch üppige Kunst aufgestutzt; man arbeitet Blumen aus Federn und Stroh, baut Triumphbögen aus Zucker, schneidet Alpengegenden aus Postpapier, und ergetzt sich an den Farben – einer Seifenblase. Ihre Meisterstücke sind elektrische Bildchen, mit Feuerfunken gezeichnet. Aber alle dergleichen Kampfspiele des Witzes, wo man sich in Prosa und Versen, flache, klingende, honigsüße Dinge sagt, sind, wie sich Pope irgendwo ausdrückt, ein Gastgeboth aus lauter Brühen, ewiges Kitzeln ohne Genuß, Wohlgerüche, welche die Nerven ermüden; nichts artet zu Nahrung und Kraft. Die Dame des Pallasts hat die Colonie aus Lilliput in ihren Schutz genommen; aber sie ragt unter ihnen merklich hervor. Es ist eine verständige, würdige, Frau, die bescheiden urtheilt, richtig fühlt, und in einer kalten Untersuchung mehr gefällt, als im Epigrammengefechte. Mir kommt's vor, als ob sie, bloß zur Ehrholung, ein Mal in der Woche, so ein Schattenspiel liebte.

Nichts contrastirt mehr in dem Kreise, als der weise, tiefsinnige Necker, der, wie eine hohe Eiche unter Maienblümchen, da steht. Dieser seltene Mann kam ohne Mittel nach Paris; durch Glück und Fleiß im Handel, vorzüglich aber durch seine Einsicht in die Symptomen des öffentlichen Credits, durch seine Würdigung der Staatspapiere in verschiedenen Zeiten und Umständen, hat er ein großes Vermögen erworben; endlich erhob ihn sein Ansehen zur ehrenvollen Stelle eines Ministers seines Vaterlandes. Wenige kennen, wie er, die Verfassung dieses Staats, wenige reden so unterrichtend über den Gang seiner Thätigkeit, über den Umlauf und die Erneuerung innerer Kräfte. Man hängt an seinem Munde, wenn er, lichthell, die Systeme verschiedener Minister entfaltet, sie aus ihren Epochen heraushebt, alsdann nach dem Bedürfniß ihrer Zeiten schätzt, und ihre Fehler und Vorzüge abwiegt. Alles ruft jetzt schwärmerisch nach Handelsfreiheit; Necker, unbetäubt, zieht die Linie der Wahrheit zwischen Unordnung und Finanztyrannei, zeigt, wie man plündert, und wie man erntet, und das alles kalt und ruhig, ohne zu widerlegen, oder zu streiten, immer karg an Worten, und reich an Geist.

Sie verlangen mein allgemeines Urtheil über die Franzosen. Ich kann nur Außenlinien zeichnen, nach der Gesellschaft, die ich besuchte; wer eine Nation darstellen wollte, in ihrem Wesen und Seyn, müßte, mit mehr Menschenkenntniß, auch länger forschen, als ich, aber auch nicht zu lange, weil sich endlich das Auge verwöhnt. Er mußte wenig Reflexionen liefern, sondern Rede, Handlung, Leidenschaft, unter Verliebten, Kindern, Vätern, Gatten, unter Fürsten und Knechten, Gruppen aus der wallenden Natur, so würde anschaulich, wie sie mit einander das Leben genießen, oder ertragen, wie sie leiden, wie sie sich freuen. Wir haben freilich ihr Theater und ihre Romane. Collé's Lustspiele, der Frau Riccoboni Schriften sind Gemälde der heutigen Franzosen, und treu, wie Fielding's Bilder, aber nur für ihren Gebrauch. Dem Eingebornen fallen andere Züge und andere dem Ausländer auf; jener übersieht alltägliche Seltsamkeiten, welche diesem äußerst merkwürdig sind. Fehler werden aus Vaterlandsliebe verschleiert. Finden Sie, zum Beispiel in ihren Schriften ihrer Gleichgültigkeit gegen alles Fremde gedacht, ihrer Unwissenheit ausländischer Sachen? Dennoch ist dieß ein charakteristischer Zug, der, wenig seltene Männer ausgenommen, die ganze Nation unterscheidet. Ich war arg in meiner Erwartung getäuscht, als ich, auf das Wort unserer Kunstrichter, glaubte, daß wir in Paris wenigstens eben so berühmt, als in Leipzig seyn. Sie kennen unsere Naturkundiger, unsere Meßkünstler, unsere Mineralogen, wohl verstanden, wenn sie lateinisch schreiben, sie verehren Leibnitz und Hallern, sie versichern, daß Monsieur Gaucher (Gottsched) ein großer Mann gewesen sey; aber von unserer Literatur, von unserm Theater, von unsern Dichtern und Prosaisten wissen sie wenig, oder nichts. Unser trefflicher Rabener macht, in seinem gallischen Kleide, eine abgeschmackte Figur. Satyrischer Witz ist nicht zu verpflanzen; er ist geheftet an die Zeit, oft an die Provinz, wo er zu Hause gehört. Was in Sachsen tobendes Lachen erregt, wird Unsinn in der Übersetzung. Z. B. in den Hofmeisterbriefen: Nota bene raucht Bremer. Il fume du Tabac de Brême, was soll da ein Franzos bei denken? Geßner's Idyllen haben, wie die Stimme der Natur, unverdorbene Mädchen und Jünglinge erweckt, die sie mit Thränen der Empfindung lesen; für die Meister vom Stuhl malt er zu fleißig: Son travail, sagen sie, est trop leché; ce sont des détails trop minutieux; il n'a pas le coup d'oeil de l'ensemble, et il ne saisit point ces traits frappans qui transportent l'ame, et intéressent le génie. Und das klingt gut im Munde der Franzosen, wenn man ihre Verslein gelesen hat. Lessing ist als Fabeldichter bekannt, aber man führt von ihm nichts anders als seine Furien an. Wieland würde unstreitig gefallen; unter seinen dünndrapirten Mädchen, wär' es möglich die Malerei à la Gouache so leicht und luftig überzutragen, aber das will nicht gelingen; es kommt wie die bunten Kupferdrucke nach colorirten Zeichnungen, heraus; alles ist überladen und wird Sudelei. Dorat hat es mit der Selima versucht:

                   

Son teint est animé du plus frais coloris
Et présente au Zéphyre, heureux de s'y méprendre,
La pourpre de la rose et la blanche ur du lis.

So stellt sie sich dem Zephyr dar, und der Glückliche weiß in Verlegenheit nicht, ob er eine Rose, oder eine Lilie, gewahr wird? für den Deutschen ist sie ein geschminktes Ding, das wenig Neigung einflößt.

Klopstock's Ruf verbreitet sich zwar, nur sein Name macht ihnen bange; keine französische Kehle würgt ihn heraus. Einige haben seinen Adam gelesen, wenige gefühlt und erreicht. Sa manière, sagen sie, est noire et sombre. Il peut être sublime, mais il est trop abstrait. Il s'est formé sur les Anglais. Ich kenne den einzigen Diderot nur, der sich Gesänge aus dem Messias mühsam dolmetschen läßt, und, durch das trübe Medium, die stille Erhabenheit des Dichters entdeckt.

überhaupt ist ihre Meinung von uns, wir wüßten alles, was Andere wissen, aber wenig aus uns selbst, unser Geschmack sey ganz unbildbar, unsere Sprache zu rauh für die Dichtkunst. Um es zu beweisen, haben sie irgend ein hartes Wort in Bereitschaft, und geberden sich dabei als im Kinnbackenzwang. Viele glauben ernsthaft, der König von Preußen schreibe darum allein in ihrer Sprache, weil es nicht möglich sey, sich im Deutschen en homme d'esprit auszudrücken. Seitdem Huber übersetzte, und in einer edlen reinen Sprache Nationalgepräg zu erhalten wußte, kennt und beurtheilt man die Deutschen besser; dennoch wird man noch nicht viel mehr von uns, als von den Chinesern, wissen.

Es ist doch mißlich um den Ruhm, der von einem Pol zum andern fliegt. Wie viel unsterbliche gibt es nicht, die ihren Nacken an den Sternen reiben! fünfzig Meilen von ihrer Heimath nennt man sie nicht; zehn Jahre später sind sie vergessen. Ein Engländer hat berechnet, daß monatlich in Grossbritannien wenigstens dreißig große Männer sterben, die außer ihrem Kirchspiel der ganzen Erde unbekannt sind. Auch die Anglomanie wandelt leisern Schritts, als es manche Spötter versichern; man wird viereckige Kutschen, Cadogans und Reitknechtsüberröcke gewahr; man kennt die Schriftsteller aus der Zeit der Königin Anna; man erzählt, das brittische Theater sey ein ekelhaftes Blutbad, und ihre Verfassung ein anarchisches Volksregiment; alles Andere schränkt sich auf ein Paar Berichtigungen von Voltairens Formel ein.

Le Nord – ist das Fleckchen Land, von Hamburg bis Nova Zembla. Ein wohlerzogener Franzos, der sich eben nicht auf die Erdbeschreibung legt, stellt sich das ungefähr ein Paar Mal so groß als die Picardie vor. Viele haben mich hier so neugierig nach den Grönländern gefragt, als ob sie Haus an Haus bei uns wohnten. Darum hat Herr Tremarec de Kerguelen dem Journal seiner Reise auf die isländische Küste eine Nachricht von den Samojeden angehängt, (aus Müller's Sammlung russischer Geschichte parceque c'est un peuple du Nord, und müssen wohl dort herum wohnen. Der Nämliche fand, zu Bergen in Norwegen, ein Bild, das einen Bauer vorstellt, der einen Bären mit den Händen erwürgt (eine Fabel, die man den Kindern erzählt); er ließ es sauber in Kupfer bringen, und schaltete es mit der Erläuterung ein: Manière de prendre les ours en Norvèe. Ein Naturkundiger wollte Allerlei von Pontoppidan's Wasserschlange wissen, und von dem Kraken, der einige Meilen groß ist.

Gewöhnlich reisen die Franzosen nirgends hin als nach Italien; dort besehen sie Kirchen und Bilder, denn Alle schwatzen über Schönheit und Kunst; wenige besuchen England in der neuern Zeit; überall kommt man ihnen unterthänig mit ihrer Sprache entgegen; sie erfahren Alles durch die zweite Hand, jeder Gegenstand ändert Gestalt und Farbe. Außerdem sind sie der bescheidenen Meinung, daß sie, mit andern Völkern verglichen, ungefähr sind, was zu Perikles Zeit die Griechen waren. Sie finden bei sich Überfluß; es verlohnt ihrer Mühe nicht, fremde Weisheit zu sammeln; daher schätzen sie am Ausländer weniger eigenthümlichen Werth, als jede Eigenschaft, die sie mit ihm theilen. Es ist ein elendes Verdienst, ihre Sprache gut und geläufig zu reden, und nichts erwirbt hier schleuniger Freunde, als ce Talent, wie sie es nennen.

Also geht es langsam und beschwerlich mit dem Kreislauf der Wissenschaften zu; unter den Völkern tauscht sich Üppigkeit und Thorheit viel leichter als Weisheit um; alle Eingänge sind durch hohe spanische Reiter versperrt. Religion, Erziehung, Vorurtheile, lagern sich überall in den Weg; aber es ist eine Frage, mein Freund, ob ein Volk, das sich einschränkt in vaterländische Grenzen, nicht geschwinder seine Bildung vollendet, ob es nicht an eigenem Gehalt, an Intensität gewinnt, was es an Ausbreitung verliert?

Die gute Gesellschaft in Frankreich ist weichlich, sanft und gefällig. Wenn ein Mund sich öffnet in der größten Versammlung, so schweigen die andern und horchen, mit einem schmachtenden Blick. Selbst der Ton der Stimme ist leise, wie der eines wieder genesenen Kranken; man widerspricht nicht, man bitter um Belehrung; man entscheidet nicht, man vermuthet nur; freilich wird nichts untersucht, nichts abgehandelt, man übergleitet die Oberfläche allein, und faßt jedes Ding behutsam an, bei seinen äußersten Enden.

Bei dem allen ist der Umgang nichts weniger als tolerant. Eine ängstliche Furcht vor dem Lächerlichen herrscht despotisch über den Geist. Niemand wagt es ein eigenes Wesen zu seyn, Jeder sieht sich nach einem Vorbild um, das im Besitz ist, den Ton zu geben. Also stimmt sich Wendung, Witz und Sprache durchaus zum ermüdenden Einklang. Wahrheit gefällt nur im Putze des Tags; man erträgt ein zierliches Geschwätz ohne Meinung, aber keine Weisheit ohne Schmuck; täglich wandeln Wörter aus dem Pallaste zum Pöbel, täglich werden für die Genies andere gemünzt. Selbst die Gegenstände der Unterhaltung sind dem Eigensinn der Mode unterworfen; nun ist Staatsökonomie die Fabel im Drama, und für die Episoden, Wohlthätigkeit. Es klingt lustig, eine junge Dame über den einzigen Impot und die Kornsperre mit vieler Salbung lispeln zu hören; mit unter drängt sich eine Geschichte aus den Affichen hervor, wie ein Sohn seinen Vater nicht verhungern lassen wollte, oder wie ein Dorfpriester fünfzig Livres unter seine Gemeinde vertheilt hat.

Aber freilich sind wir gegenwärtig der Inhalt aller Gespräche. Ich höre täglich mit neuem Erstaunen, wie es in Dänemark hergeht, und was sich im Hôtel de York Wo der König von Dänemark logirte. zuträgt. Alles lauter gut gemeinte, wohl erzählte Begebenheiten. nur ist nicht eine Sylbe wahr. Ein Wort gibt vielleicht unmerklichen Anlaß, und das wuchert gleich in einem französischen Kopfe, die Anekdote geht von Mund zu Mund, spitzt sich zu und rundet sich ab, endlich wird es mit Reimen verziert, damit es auf die Nachwelt komme – durch den Merkur.

Gelehrte und Künstler von unstreitigem Werth werden ohne den Firniß der Welt nicht geschätzt; ihr Ruhm mag durch Europa erschallen, in Paris fragt man eher einen Haarbeutelschneider, als ihre Wohnung aus. Cet homme, sagen sie, a bien du mérite, mais c'est du baume dans un vilain vase. S'il est savant, tant mieux pour lui, mais non pas tant mieux pour les autres. Seine Achtung nimmt im Verhältnisse zu, als er viel oder wenig zum Vergnügen der Unterhaltung beiträgt. Wenn sie also von einem berühmten Ausländer hören, so entsteht unmittelbar in ihrem Gehirn der Begriff, daß es der beste Gesellschafter von der Welt seyn müsse. Bei der Gelegenheit kann ich Ihnen eine drollige Geschichte erzählen.

Als Hume in Paris erwartet wurde, ging ihm sein Name voraus; alle guten Köpfe harrten ungeduldig parceque, heißt es, c'est un homme d'un esprit infini. Kaum war er auf dem festen Lande, so kabalirte man schon in den ersten Cotterien, um ihn früher, gewisser an sich zu ziehn. Es gelang einer eleganten Prinzessin, daß sie ihn haschte, den Wundermann, da sie es war, die ihn in den Zirkel der Welt einführen sollte. Man veranstaltete ein Abendessen, Karten flogen nach allen bekannten Cailleten, pour les inviter à un souper délicieux ou se trouverait Monsieur Ume.

Nun erschien der trockne, launige Mann, der den Mund nicht aufthut, wenn ihn nichts interessirt, und freute sich wohl in seinem Herzen über diese Cerealien, wo alle Weiber über ihn herfielen, um auszumachen, ob er ein Weib sey. Nichts blieb unversucht, um ihn zu elektrisiren; man sprach de ses charmans ouvrages, die Niemand von ihnen lesen konnte, du génie profond de Messieurs les Anglais; umsonst, der Undankbare blieb einseitig und kalt, und gab nicht einen Funken von sich. Endlich zuckten sie betroffen die Schultern, blickten sich einander mitleidig an; den andern Tag flüsterte man sich in's Ohr:

Que Monsieur Ume n'étoit qu'une Bête.

Ein Erzspaßvogel setzte hinzu: Cet homme a fourré tout son esprit dans son livre.

Dennoch ist diese Forderung nicht ohne Vortheil in ihren Folgen. Weil man von den Gelehrten Lebensart begehrt, so bilden sie emsiger an ihren Sitten, und lernen endlich die Manieren der Welt. Hier treffen Sie auf keine Carricaturen, die sich aus der Trödelbude verzieren, nicht auf cinische Gattung, die, von Großen ernährt, ungezogen auf höhere Stände schimpft, keine dreiste Schreier, keine blöde Tropfen, weder Gestalten mit Pallisaden-Anmuth, noch bewegliche kurzweilige Pantins. Hier verträgt sich leichter, einnehmender Anstand mit tiefer, ernsthafter Wissenschaft, und man kann Arabisch verstehen, wie Reiske, und dennoch unter den Hofleuten glänzen.

Lassen Sie uns gerecht seyn gegen dieses Volk. Es gibt würdige große Männer unter ihnen; sie sind ein freundliches, heiteres, gutmüthiges Menschengeschlecht. Wir sollten Manches von ihnen lernen; sie verdienen unsere Achtung und Liebe, und was auf diesem Erdenleben ein nicht geringes Verdienst ist, ein Verdienst, das wir nicht wieder vergelten – sie belustigen uns.

Ein Freund, dem ich vorstehenden Brief mittheilte, schrieb auf den Umschlag:

»Zu der Note Hubern betreffend.

O ihr künftigen Huber, übersetzt die Deutschen nicht mehr! weh' uns, wenn ihr die Fremden ladet auf unsere Thränenübung im Mondschein, auf den Veitstanz convulsivischer Leidenschaften, auf den stark seyn sollenden Unsinn, abenteuerlich aus Barden und Skalden geplündert, auf die Dramen, wo alle Helden Renommisten, und alle Bösewichter Scharwächter sind, wenn ihr absingt, mit dem Stab in der Hand, unsere Mord- und Gespenstergeschichten, oder gar den Geist und die Kraft der Nation aus Krügen und Herbergen – Volkslieder, die man nachzuleiern nicht erröthet, als wär' es ein schimmerndes Verdienst – so witzig als ein Handwerksbursch zu seyn. Wer Lessing, Mendelssohn, Zimmermann, den Agathon, und Sulzern gelesen hat, wer sich an Klopstock's himmlischen Gedichten, an Wieland's irdischen ergetzte, und nun, zehn Jahre später, eine sinnlose, zerhackte, holperige Prose, oder flache Knittelreime hört – muß er nicht von dem deutschen Genius glauben, daß sein männliches Alter vorbei ist; daß er wieder zur faselnden Kindheit herab sinkt? Auch die Alten hatten ihre Pöbeleien im Drama, in der Satyre, wenn es Zweck und Eigenheit forderte; sie verstanden es proprie communia dicere, aber es fiel ihnen nicht ein, sich niederzulassen in der leeren sumpfigen Gegend der Natur, dort allein Moor- und Heideblumen zu sammeln. Wenn der Strohfidelversler und der Bänkelsänger den Dichter bilden soll, so wird der spruchreiche Hochzeitbitter und der Kranz aufsteckende Zimmergesell auch bald den deutschen Redner unterrichten.

Durch solche Würfe sind wahrlich die Griechen nicht unsterblich geworden, sie, die, in der vollkommensten Euphemie, tiefen Inhalt in reizenden Ausdruck kleideten. Von ihnen, also von dem Genie, empfing Aristoteles seine Regeln, und gab nicht Gesetze dem Genie, die man jetzt so gerne verachten möchte, weil man sie nicht mehr ausüben kann.«

Ich erkläre feierlich, daß ich keinen Antheil an diesem Ausfall nehme, auch dünkt mich, daß die Furcht meines Freundes ungegründet sey. Viele unserer neuen Werke sind – unübersetzbar, und freilich keine gewürzte Leckereien, aber gesunde Kost für deutsche Magen – wie die Eicheln für unsere Väter.

Laßt die alten Herren immer zürnen, weil ihr Ansehn nichts mehr gilt. Nach dem allgemeinen Lauf der Dinge, wird der Ältere durch den Jüngern von der Bühne verdrängt. Wir sind der gefeilten Arbeit müde; es ist Zeit; daß endlich Mutter Natur einmal spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Warum soll denn allein ein ekler Kreis von Kennern belustigt werden? Wir lassen uns jetzt zu der unverdorbenen ehrwürdigen Menschengattung herab; sie ist erst durch Redner und Dichter, wie das athenische Volk, gebildet, so wird ihr Beifall Siegel der Vortrefflichkeit. Schon wandelt allmählig die populär gewordene Literatur aus den Zimmern, unter die Treppe, und mir ist eine Lesegesellschaft bekannt, zu welcher ein Paar Kutscher gehören.

 


 


 << zurück