Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Neunter Brief.

Paris den 20. Nov. 1768.

Wer Lust hat einen Weisen zu sehen , unter diesem sibaritischen Volke, der nahe sich ehrerbiethig, wie man sich den Gängen der Akademie zu Platos Zeiten nahte, um fünf Uhr Nachmittags den Zimmern der Mademoiselle de l'Espinasse, wo, in einem auserlesenen Zirkel, Alembert erscheint. Dieß ist der Mann, der aus sich selber Fülle der Zufriedenheit schöpft, der, wie Cicero sagt, omnia sua in se posita esse, humanosque casus virtute inferiores putat.

Er hat über den Werth der menschlichen Dinge seine Prüfung vollendet, die Grenzen unserer Erkenntniß umwandel, und bestimmt, mit mathematischem Scharfsinn, wo Wahrheit und Träume sich scheiden. Wenn er, mit Bakon's hellem Blick, alle Wissenschaften durchschaut, überall entdeckt, berichtigt, aufklärt, so übertrifft er den Britten, durch seinen Geschmack, durch sein feines Gefühl des Schönen, und durch die Unschuld seines Lebens. Er ist eher kalt, als einladend; aber darum ist Gefühl eigener Würde nicht Stolz bei dem Mann, der sich auf der einmal erstiegenen Höhe fest hält. Strenge Wahl der Gesellschaft ist kein Eigensinn, wenn man das kurze Leben nicht vertändeln will, unter leeren Köpfen, die ein Compliment, wie ein Sonnenstrahl Mücken, herbeizieht. In dem Kreise seiner Freunde, unter Menschen, die er schätzt, ist er gütig, sanft, bescheiden; dann theilt er sich mit, hört sittsam zu, ergießt sich vertraulich, und nimmt alle Herzen ein. Um die Gunst der Mächtigen buhlt er nicht, ob er sie gleich nicht cinisch verachtet; aber er glaubt, daß ein wahrer Gelehrter klüger ihren Umgang meidet, weil sich Freiheit nicht mit der nothwendigen Ehrfurcht für ihre Launen vereinigen läßt. Einer lebt indeß, der in allen Kampfspielen der Tugend pulverem colligit olympicum, und Helden-, Bürger-, Dichter- und Weisheitskronen ersiegt hat. Friedrich schätzt ihn und schreibt ihm schönere Briefe, als Trajan dem Plinius schrieb, ohne dafür zu verlangen, daß er ihm eine Lobrede vorlese. Wenn Alembert von ihm, von seinem Aufenthalt in Sans-Soucy redet, so glänzt sein Aug, und sein Ausdruck erwärmt sich. »Man kennt,« sagt er, »diesen König allein durch seine Thaten; die Geschichte wird sie nicht verschweigen; aber was er für die Wenigen ist, die mit ihm leben, verkündigt sie nicht, wie er dann durch treffenden Witz entzückt, durch reine Vernunft unterrichtet, allen Gram und alle Wonne der Freundschaft theilt, zärtlich liebt und wieder geliebt wird. So ein König,« spricht er »steht, für die Menschen, und für die Menschenherrscher, wie die Regel des Polyklet für alle Künstler, da.«

Katharinens Ruf und sein Entschluß, ihn abzulehnen, verherrlicht sie beide. Es war ihrer Tugend gemäß, für ihren Sohn einen Erzieher zu wünschen, den das Urtheil von Europa, wie einst das Orakel den Sokrates, für den Weisesten erklärte; er aber überzeugt bescheiden, daß er nicht darein willigen durfte: »Warum sollt' ich,« fragt er freundlich, »die Vertrauten meines Herzens, den Himmel meiner Jugend verlassen, um mich in ein entferntes Land zu verpflanzen, das mir ewig fremde bleiben mußte? In meinem Alter hat der Geist schon unvergängliche Falten, der Geschmack wird unbiegsam. Ich würde nicht in Rußland gefallen; mir würde dort Alles zuwider seyn. Jetzt bin ich glücklich; soll ich's drauf wagen, ob ich's auch im Zwange der Höfe, unter tausend Gefahren, seyn kann? Überfluß ist äußerst beschwerlich, wenn man nur gebrauchen, und nicht verwalten mag. Pracht und Titel reizten mich nicht, oder ich hätte das Vertrauen der Kaiserin noch weniger verdient. Es ist wahr, die Philosophie ist alsdann nur schätzbar, wenn sie thätig wird; eigener Vortheil darf hier nichts entscheiden, und man sollte keine Neigungen hören, wenn's darauf ankommt, ausgebreitet nützlich zu seyn; aber ich habe meine Kräfte geprüft: Alles, was ich in meinen Büchern lernte, ist ein wenig Wissenschaft und Genügsamkeit, nicht die schwere Kunst Monarchen zu bilden.«

Unter den Neuern erinnert mich Niemand so lebhaft, als er, an die Weisesten unter den Römern. So stelle ich mir des Cicero Freund, den Q. Lucilius Balbus vor. Qui tantos progressus habebat in Stoicis, ut cum excellentibus in eo genere Graecis compararetur. Cic. de Nat. Deor. L. I. Er mag reden oder schreiben, immer ist es feste strenge Vernunft, Schlußfolge tiefer Untersuchung; nie wird man gewahr, daß er einkleiden will; er fällt nicht in den lehrenden Ton; er schimmert nicht, aber er leuchtet helle; sein Ausdruck ist männlich und stark; es ist immer der Styl, der sich genau zum Gegenstande schickt; er greift nicht nach den bunten Blumen, die man heutiges Tages über Gemeinsätze streut. Lesen Sie nur seine Vorrede zur Encyklopädie, wie er da, mit Adlerflug, alles Wissen überschwebt und vereinigt, zu der edlen Absicht, das Glück des Menschen zu erhöhn. Als unser König die Akademie besuchte, las Alembert, wie es die Gewohnheit fordert, einen an ihn gerichteten Aufsatz vor, nicht im frostigen Lobredner-Styl, sondern, unter der Wendung, seine Wißbegierde zu preisen, war es Xenophon, der die Regenten unterrichtet.

»Wahrheit,« sagt er, »ist allein unsers Fleißes, unserer Anstrengung werth; wenn ich eine neue Wahrheit in der Meßkunst finde, so vertausche ich sie mit keiner Freude, nicht mit der sinnlichen Wollust, nicht mit dem reineren Vergnügen, das ein Gedicht, oder ein vollkommenes Schauspiel, gewährt; denn meine Lust ist eine Täuschung; die Seele legt zu der Summe ihres Reichthums etwas Wirkliches hinzu. Wer mir,« fuhr er fort; »eine neue Pflanze zeigt, ist mir lieber, als alle Dialektiker, die über Wahrscheinlichkeiten vernünfteln; denn was ist ihre Philosophie? eine Meinung über Meinungen.«

Unter Männern dieser Gattung, und ihre Anzahl ist nicht klein, lernt man die Franzosen anders schildern, als es unsere schreiblustige Jugend gewohnt ist. Gesunde nervige Philosophie, aufgeklärte Menschenliebe erheben jetzt dreist ihre Stimmen. Die Nation thut Riesenschritte, und bebt, im Patrioteneifer, nicht vor der Geißel des Despotismus zurück. Freilich fällt es auf, daß die Regierung Wahrheit verträgt, und ihr nicht folgt, daß sie noch immer kleine Vorurtheile heiligt, und erkannte Rechte der Menschheit verletzt. Nach Voltairens, Alembert's, Diderot's und Helvetius Schriften, ist es sonderbar, daß man in diesem Lande die Calas rädert, die Chalotais peinigt, jedem Verbrecher vor seinem Tode noch die Folter als eine Ceremonie beibringt. Man begreift nicht, wie man nützliche Bürger, zwar staatsklug duldet, aber ihre Nachkommen gesetzlich für Hurenkinder erklärt, daß man immer noch Lettres de Cachet ohne Namen, Billete für die Bastille, wie Theaterbillete, an die Minister austheilt, und das Volk der Raubsucht der Finanz-Hermandad ohne Schutz überliefert. Aber die Aufklärung steigt nur allmählich empor; lange harrt sie in der niedern Gegend. Manche Staaten gleichen den Alpengebirgen; wohlthätige Fruchtbarkeit weilt in der Mitte, und die Gipfel bleiben kahl.

 


 << zurück weiter >>