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Vierter Brief.

London den 15. Sept. 1768.

Unsere Landsmännin, Angelica Kaufmann, fand ich heute mit dem Messias in der Hand, und Pope's Homer lag in der Nähe. Sie lies't beide mit Entzücken: aber der Deutsche ist näher mit ihrem Herzen vertraut; er veredelt ihr Gefühl, und erhebt sie bis zu seiner Schöpfung Wie hoch sie diesen Dichter schätzt, erhellt aus folgender Stelle eines ihrer Briefe an mich vom 29. Mai 1769.
  = = »Daß der große Klopstock an mich denkt,
»auch sogar mit seinen Werken beehrt, hab' ich
»Ihnen zu verdanken. Ich werde mich erkühnen
»an ihn zu schreiben, und ihn meiner Hochach-
»tung versichern. Ich will nun Ihrem Rathe
»folgen, und bin entschlossen, einige Stellen
»aus dem Messias zu wählen; aber daß ich
»doch fähig wäre, das Grosse, das Göttliche,
»so darin ist, mit dem Pinsel auszudrücken.
»Ich werde einen Versuch machen, und wenn
»er geräth, so soll Herr Klopstock das erste Stück
haben.« – Sie hat ihr Wort gehalten, und Klopstock besitzt nun ein vortreffliches Stück, welches die Episode von Samma vorstellt.
.

Sie ist, wenn ich mich recht erinnere, in Bregenz geboren, und kam jung nach Italien. Hier ward ihr empfänglicher Geist, unter Kunstwerken, und in der guten Gesellschaft, ganz zum platonischen Wohlklang gestimmt. In ihrer Gestalt und in ihren Gemälden, in ihrer Rede und ihrem Wandel, ist überall nur Ein Ton herrschend: nämlich sanfte jungfräuliche Würde. Sie ist jetzt ungefähr 27 Jahre alt, keine vollendete Schönheit, aber dennoch einnehmend in ihrer Form und ihrem ganzen Anstand. Der Charakter ihres Gesichts gehört zur Gattung, welche Dominichin gemalt hat, der in seinen Köpfen den Raphael erreichte: edel, schüchtern und bedeutend, anziehend und mittheilend. Man wird sie nirgends flüchtig gewahr, sondern sie hält den Blick des Beobachters fest; ja es gibt Augenblicke, wo sie tiefere Eindrücke macht. Wenn sie, vor ihrer Harmonika, Pergolesis Stabat singt, ihre großen schmachtenden Augen, pietosi a riguardar, a mover parchi, gottesdienstlich aufschlägt, und dann mit hinströmendem Blicke dem Ausdruck des Gesanges folgt, so wird sie ein begeisterndes Urbild der heiligen Cäcilia. Welcher Beruf, mein Freund, mit so vielen Talenten glücklich zu seyn! – Aber Angelica ist es jetzt nicht. Ihre sichtbare Schwermuth ist eine Frucht mißlungener Liebe, die sich mit einer unglücklichen, jetzt wieder getrennten Heirath endigte. Aller Genuß des Ruhms und des Lebens wird durch das Leiden des Herzens verbittert.

Als Malerin fehlen ihr gleichwohl wichtige Theile der Kunst: sie zeichnet nicht allerdings richtig, und must daher reiche, handlungsvolle Erfindungen meiden, selbst in der einzelnen Figur darf sie keine schwere Stellung und eine Verkürzungen wagen; sie deutet die Anatomie des Nackenden ungewiß und furchtsam an; wenn auch ihre Verhältnisse richtig sind, so sind doch ihre Umrisse, zumal an Händen und Füßen, nicht immer correct. Man findet ihr Colorit kalt und fremd, ihre Schatten eintönig, und über ihrer Carnation schwebt ein violetter Duft, dahingegen dringt die Farbe der Gewänder allzu blendend vor, und ist nicht mit der Haltung Neulich las ich: » die Haltung – ist auch in den Extremitäten eines großen Meisters so gewissenhaft angegeben." – Man sollte sich wenigstens selbst verstehn, wenn man über dergleichen Dinge schwatzen will. des ganzen Stücks vereinigt, auch versteht sie wenig Luftperspectiv, kein Beiwerk, keine Landschaft, und überhaupt keine Gründe; aber alle diese Fehler hat sie durch Schönheiten aufgewogen. Ihre Werke sind tiefen Sinnes, sensu tincta sunt; sie wählt, mit vieler Weisheit, eine leicht zu fassende einfache Handlung, und den Augenblick vor der Entscheidung, wenn das Interesse durch die Ahnung gesteigert wird, und die Einbildungskraft in einem weiten Spielraum schwärmt Ich will die Sache durch Hektor's Abschied von der Andromacha, eines ihrer Werke, erklären, welches Watson im Jahr 1772 in schwarze Kunst gebracht hat. Bei dem Skaischen Thore, wo Hektor (Ilias, sechster Ges.) die Gattin antraf, steht der Held, so nach dem Lager gewandt, als wär' er schon einen Schritt weiter gewesen, und träte nun, auf das Flehen des Weibes, noch ein Mal zurück; denn der linke Fuß ist los, hinter den rechten gezogen, und Hektor hält sich jetzt an der Lanze, die an dem Orte steht, wo der Fuß gestanden hat; aber nun weilt er, wendet liebevoll sein Gesicht nach dem gebeugten Weibe, welches hinschmachtet auf seine Schulter, ihren rechten Arm um seinen Nacken schlingt, und die andere bebende Hand dem Gatten überläßt, der sie fest in die seinige drückt. Sie hat eben vollendet:
  Edler, dich wird tödten dem Muth: du aber erbarmest
  Dich des Knäbleins nicht, und mein, der Elenden, auch nicht!
  Witwe werd' ich bald –
      – mir wäre das Beste,
  Stirbst du, in die Erde nach dir zu sinken –
  Aber erbarme dich nun –
  Daß dieß Knäblein nicht werd' eine Waise, dein Weib eine Witwe! –
Und nun schweigt sie. Fest verschlingt sie den Gram, nähert sich der Wange des Mannes, forschet furchtsam, mitleidfordernd, mit dem trüben, keuschen Auge – ob sie nicht ahnen darf – daß er sich erbarme. Er öffnet den Mund, spricht die heilenden Worte:
  Liebes Weib, bekümmre dich nicht zu heftig im Herzen!
  Gegen das Schicksal wird mich keiner hinab zu den Schatten
  Senden. –
              Stolberg's Übers.
Für den Beobachter ist der gerührte Hektor nicht ganz entschlossen: wird er bleiben? oder reißt er sich los? Diese Ungewißheit erschüttert die Seele, und ist der große Grundsatz aller Malerey für das Herz – Lessing hat ihn im Laocoon scharfsinnig ausgeführt. – Bei der Mutter, etwas im Vorgrunde, um, durch ihren Schatten, die lichte Hauptfigur der Andromacha zu heben, steht die Amme mit dem kleinen Astynax. Sie liebkoset dem Kinde, das ihr entgegen lächelt, weil es noch nicht erschrocken ist vor dem wehenden Federbusch.
; ihre Formen sind voller Anmuth, ganz in der griechischen stillen Würde hingestellt; und in ihren Frauensgestalten ist eine eigenes unnachahmliche Weiblichkeit, so ein Ansichhalten und Hinschmachten, so ein rührendes Ergeben, so ein Bewußtseyn der Geschlechtsabhängigkeit, die alle männliche Kenner einnimmt. Freilich geht von diesem Charakter auch etwas in ihre Männer über; diese stehen so züchtig und blöde, wie verkleidete Mädchen, da, und es wird ihr nie gelingen, Helden oder Verbrecher zu malen.

Man weilt nachdenklich bei ihren Werken, und geräth unversehens in die sanfte elegische Laune der Künstlerin.

Jetzt wird ihr Name bekannter; man fängt an sie brittisch zu belohnen. Eminent ist in diesen Lande ein ehrwürdiges fruchtbares Beiwort. Angelica ist zu bescheiden, sonst darf ein eminent artist in jeder großen üppigen Stadt ungefähr mit seinem Liebhaber, wie eine eigensinnige Kokette mit dem ihrigen, umgehn; er darf ihn plündern und mißhandeln, ohne einen Bruch zu besorgen, und kann so reich werden, als er Lust hat. Ja es ist einerlei, ob der Virtuos Künstler, oder Friseur, Farinelli oder ein Taschenspieler ist.

Angelica hat mir ein angenehmes Geschenk mit einem Paar radirten Blättern von ihrer Arbeit gemacht, die man in keinem Kupferladen findet. Unter diesen bin ich besonders mit unsers Winkelmann's Bildniß zufrieden; er sitzt mit der Feder in der Hand vor seinem Pult, und untersucht, oder umtastet vielmehr, irgend ein Kunstwerk mit dem Flammenblick, welcher in Apollo's Nase Götterverachtung, und den Herkules im Torso fand.


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