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Achter Brief.

Paris den 16. Nov. 1768.

Madame Geoffrin, die ihr großes Vermögen gastfrei und edel genießt, gibt wechselweise an Gelehrte und Künstler zwei Mal die Woche, eine Tafel von mehr als zwanzig Gedecken, und bittet jedes Mal Fremde dazu; diese müssen ihr aber durch alte Freunde empfohlen seyn.

Hier wird man mit merkwürdigen Männern bekannt; Alembert, Helvetius, Marmontel, Mariette, Cochin, Souflot-Vernet, sind ihre gewöhnlichen Gäste. Es ist Sitte, daß jeder für seine Zeche eine Neuigkeit mitbringt; da trägt man Verse und Prose, Manuscripte und Bücher, Gemälde, Vasen und Büsten zusammen. Wir haben gestern Hamilton's Hetruscische Gefäße, la Chappe's französirtes Siberien, Dieser tiefsinnige Mann reis'te auf einem Schlitten in wenig Monathen durch Siberien, und lernte nicht allein Sitten, Gebräuche, Verfassung und Gesetze kennen, sondern beschrieb auch die Erdschichten einige Klaftern tief, in einer Strecke von viel tausend Wersten, und ließ, nach seiner Erzählung, in Frankreich russische Figuren stechen. ein Blumenstück von Bachelier, und einen Frauenskopf von Pigalle gerichtet. So eine Ausstellung wird Reiz und Nahrung des Geistes, man entfaltet und berichtigt die Begriffe des Schönen, der Kenner wird durch das Urtheil einer solchen Versammlung geübt, so wie ihr Beifall den Künstler belohnt; ein Fremder erntet hier Unterricht, ohne Verschwendung und Ciceronen, im Genuß der gesellschaftlichen Fröhlichkeit.

Von der Wirthin macht man sich in andern Ländern ein seltsames Bild. Eine silbergraue Dame, die ohne Geburt, und ohne Bücher zu schreiben, Genies und Fürsten an sich zieht, muß, denkt man, entweder der erste Geist in der Nation, oder vielleicht ihr Koch der größte Künstler seyn. Allgemein glaubt man doch eine hochtrabende Pretieuse zu finden, die für ihre Gerichte Weihrauch begehrt, und in einem Kreise von Schmarotzern, durch flache Witzeleien, den Ton gibt. So schildert sie wirklich eine Legion erzürnter Scribenten, die niemals eingeladen werden; denn es gibt eine Gattung witziger Köpfe, welche Andern lieber Unsterblichkeit, als ein gutes Mittagsessen, gönnen. Ich erwartete wirklich etwas dergleichen, und ward nicht wenig betroffen, als mich eine gutmüthiggrämliche Matrone empfing, die sich weder ziert noch zurecht setzt, ihr Gespräch mit keiner Redensart anhebt, und gleich durch ihre runde Höflichkeit einnimmt. So bleibt sie im Umgang mit Bekannten und Fremden, und man wird nicht den entferntesten Anspruch auf Gelahrtheit gewahr.

Bloß aus Neigung zum Schönen und Guten hat sie, von Jugend an, die Gesellschaft verdienstvoller Männer gesucht; ihr aufgeklärter Verstand wird von ihren Freunden nicht höher, als ihre Tugend geschätzt; sie hat zwar viel geforscht und gelesen, aber nicht in der Absicht, um Systeme zu bauen, und Blumen für den Vortrag zu sammeln; sondern Kraft und Geist, Philosophie des Lebens hat sie aus ihren Büchern geschöpft. Noch schweigt sie lieber, als sie mitspricht, und spottet oft selbst über ihre Unwissenheit, wenn sie Namen und Zeiten verwechselt, und Kunstwörter unrichtig anbringt. Ihre Sprache hat sich allerdings im Kreise scharfsinniger Menschen verfeinert; dennoch ist ihr Ausdruck weder erborgt, noch gesucht; sie urtheilt immer mit heller Vernunft, nimmt Theil, begreift und übersieht verwickelte vielseitige Fragen; oft hört sie einer tiefen Untersuchung mit scheinbarer Gleichgültigkeit zu, sagt dann ihre Meinung mit wenig Worten, und man findet die Sache erschöpft. Sie scherzt mit einer ernsthaften Miene, hadert zuweilen mit einer launigen Wendung, und versteht es, Verweise so anzubringen, daß man sie dafür noch lieber gewinnt. Neulich sagte sie dem Prinzen E. einem dreizehnjährigen muntern Knaben, und Sohn der noch immer schönen Madame de Saches, weil er muthwillig war: »que lorsqu'on est Prince, il faut être aimable, ou vous auriez tort d'être né dans ce rang.«

»Mais comment faire, Madame?«

»Soyez aussi poli et aussi sage, que votre »Mère est belle, et nous vous aimerons.«

Folgendes Urtheil von dem schlüpfrigen Crebillon wird Ihnen gewiß nicht mißfallen. Es war die Rede von seinem neuen ehrbaren Roman, den Briefen de la Duchesse de R. die niemand lies't; weil sie langweilig sind, obgleich alles züchtig und tugendhaft zugeht.

Ce Polisson, sagte sie, vivoit autrefois dans une société de femmes libres, où il brilloit par la Catinerie de ses propos: ses ordures lui ont fait une reputation; mais on est bien à plaindre, lorsqu'on n'a que cette vilaine sorte d'esprit. Vous voyez, que dans un age plus mûr, il a voulu écrire comme un honnête homme, et il fait un plat ouvrage. Un chaste Roman de Crebillon est, comme une Epigramme sans pointe.

Ich sage nichte von ihrem moralischen Werthe. Sie wird von allen ihren Bekannten und Hausgenossen geliebt, von den Armen angebethet; ihre Casse ist allen Unglücklichen offen; sie unterstützt das bescheidene Verdienst, und weiß ihm Schamröthe und Dank zu ersparen. Ihre Wohnung allein verdient den Besuch eines lernbegierigen Fremden; sie enthält Meisterstücke französischer Künstler. Ihre Treppe wird von zwei marmornen Kariatiden von dem berühmten Saly getragen. In ihren Zimmern hängen die Gemälde der Korintherin und Athenerin, und die opfernden griechischen Mädchen von Vien, welche Flipart in Kupfer gebracht hat. Sie besitzt herrliche Landschaften von Vernet, unter andern die Schäferin der Alpen, nach einer Erzählung von Marmontel, verschiedene Stücke von Vanloo und Greuze und alle Original-Zeichnungen von Cochin's Profilen berühmter jetzt lebender Männer.

Unter den Fremden, welche man gewöhnlich hier antrifft, ist ein edler deutscher Prinz, der mich auf unsere Fürsten stolz machen wurde, wären mir viele von dem Gehalte bekannt. Seine bescheidene Tugend wird, ohne mein Lob, hervordringen und glänzen, zur Ehre des Vaterlands. Alle vornehme Polen besuchen die Freundin ihres Königes. Wir sehen hier täglich den Prinzen Adam Czartorisky, der von den besten Menschen in Europa geschätzt wird.

Einen beständigen Gast der Madame Geoffrin und meinen Liebling sondere ich mit Parteilichkeit aus; dieß ist der Abt Galiani, ein Neapolitaner und Gesandschafts-Secretär seines Hofes. Ich kenne Niemanden, dem man lieber begegnet, den man gieriger hört, der so unumschränkt herrscht in der besten Gesellschaft, ohne Mißvergnügte zu machen. Er hat wenig Damals nur ein statistisches Werk della Moneta. Nun sind sind seine Dialogues sur le commerce des grains bekannt; und ich kenne noch ein kleines theatralisches Stück, der neue Sokrates, das ohne seinen Namen herauskam. geschrieben; aber alles sollte man drucken, was seinen Lippen entfällt: denn es ist treffender Witz, Schlag auf Schlag, Spott, der nicht beleidigt, und Gelehrsamkeit und Menschenkenntniß, so leicht und spielend ausgegossen, als wär' es alltäglicher Hausverstand. Was er sagt, ist so einzig und eigen gestempelt, daß man über die allerbekanntesten Dinge etwas nie Gehörtes erfährt; in seinem wunderbaren Gedächtnis erhält sich alles ohne Wandel und Abgang; er hat alles gelesen und durchforscht, von den Kirchenvätern an, bis zu den Feenmährchen, und lies't jetzt nichts mehr, wie er drollig versichert, als den Almanach; denn es ist, nach seiner Meinung, das einzige Buch, welches unwiderlegbare Wahrheit enthält.

Von den Franzosen will ich ein andermal reden. Wer die Nation will schätzen und lieben lernen, muß dieses Haus nicht vorbeigehn. Die Hauptstadt vollendet den Mann von Geschmack, und hier ist die Auswahl der seltensten Geister, die Paris in seinem Umfang einschließt. Es ist nun schon allgemeiner Glaube, daß die Freundschaft der Madame Geoffrin den Ruf vorzüglicher Gaben bestätigt.


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