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Siebenter Brief.

Paris den 12. Nov. 1768.

Das Schauspiel der Moden belustigt in Frankreich mehr als irgendwo, weil es, wie die Bilder einer Zauberlaterne, abwechselt, und nie so einförmig wird, als unsre Nachahmung. Mancher deutsche Hof in seiner Gala sieht aus wie ein Assortiment Dresdner Puppen aus Einer Form und von Einer Glasur. Eine junge Französin ist ehrgeiziger; sie erfindet ihren Putz selbst, oder ändert die Mode nach ihrer Gestalt, und versteht mehrentheils ihren Vortheil. Auf einem Ball bei dem Prinzen Soubise sah ich alle junge Damen verschieden gekleidet; jede war auf eine eigenthümliche Art aufgesetzt, garnirt und verziert. Freilich wird ein neues Kopfzeug so ernsthaft untersucht, wie ein neues Drama; und wenn manche Erfindung ihre Jahrszeit durchlebt, so fallen auch andere am Tag ihrer Geburt.

Alles, was für den Nachttisch bestimmt ist, gehört hier ins Gebiet des Genies. Es gibt in Paris Artistes en fait de Jupes à baleine und Artistes perruquiers. Die Akademie der Wissenschaften untersucht nicht immer Maschinen, um Pfröpfe aus Bouteillen zu ziehen Siehe Hogarth's Marriage à la Mode.; sie erhebt sich oft zu gemeinnützigern Gegenständen, und ernennt Commissäre, um einen neuen Lockenbau zu prüfen. Mir ist folgendes ehrenvolle Zeugniß bekannt: L'académie ayant examiné les ouvrages du Sieur Garasse, Artiste coëffeur des Dames, elle atteste la solidité de son tissu, reconnoit l'élégance de ses formes etc. applaudit à son zèle ingénieux. Leider hilft das Brevet dem Künstler nicht immer; man appellirt von der Akademie an eine Tänzerin.

Ich ging gestern zu einer berühmten Modehändlerin, welche Puppen durch ganz Europa versendet. Hier sah ich mit Unmuth ein Heer Automaten, furchtbarer für uns als ein gallisches Kriegsheer, weil es uns schon Jahrhunderte lang brandschatzt. Eine Puppe kam mir vorzüglich abgeschmackt vor: ist sie verkauft? fragte ich. Oui, Monsieur, elle est destinée pour le Nord, où l'on aime les couleurs singulières etc. le merveilleux. Aber hat man sich in Paris je so gekleidet? Eh, mon Dieu, non, Monsieur! mais on a des magasins à vuider, il faux de la variété etc. il s'agit de satisfaire au goût de chaque nation. Ich ward erbittert bei dem Gedanken, daß vielleicht bald die Puppe im Putzzimmer einer deutschen Prinzessin anlangt; daß sie dann den Hof und die Stadt umbildet, und ganze Garderoben zum Trödel verurtheilt; daß sie manchem Ehemann heimliche Seufzer, mancher modesiechen Frau ihren Schlaf kosten wird; daß sie Freundschaften trennt und Gallenfieber ausbrütet, diese mißgestaltete Brut der Phantasie einer elenden Weibes, das, von ihrem Boden herab, uns plündert und verspottet.

Zum Theil sind wir durch die Anglomanie der heutigen Franzosen gerächt. Sie treffen überall auf wandelnde Riding-Coats, in deren Falten ein gebrechliches, übel ebauchirtes, halb wieder aufgelös'tes Wesen zappelt, oder auf englische Fuhrwerke, überhront von einem Kutscher aus der Titanen-Familie, der Streitrosse mit einer Donnerstimme lenkt; hintenauf haben sich noch ein Paar Riesen gelagert; nebenher springt nicht selten ein furchtbarer Hund, und in einer Ecke des Kastens werden Sie das einballirte Restchen einer alten Familie gewahr – es jammert Sie des mit Ungeheuern umringten Pygmäen.

Zu gleicher Zeit wimmelt's von Engländern hier, die durchaus Pariser Stutzern ähnlich seyn wollen. Nichts ist hudibrastischer, als ein nerviger Britte, wenn ihn sein Schneider französisch aufgezäumt hat, und er sich bäumt und sträubt im ungewohnten Zeuge, wie ein ungebrochnes Pferd im Schlittengeschirr. Sonderbar ist es, daß die Söhne der Freiheit sich knechtisch unter jede Mode bequemen, und daß der unterthänige Franzos immer eine National-Verzierung anbringt. Er steckt in seinem Reitknecht-Habit einen großen Blumenstrauß an die Brust, und hinter seinem Nacken schwillt der kleine englische Kadogan zur Größe eines Puddings. Wenn Miß ihren mit einer Rose geschmückten Chip-Hut auf die Mitte ihres braunlockigen Kopfs setzt, so hängt der Chapeau à l'anglaise schief auf der gepuderten Französin, und die Rose wird zur Guirlande. Auch die gerühmten Costüme-Trachten auf dem hiesigen Theater sind alle so durchfranzösirt, daß sie nicht mehr kenntlich sind.

Ich schweige von meinen Landsleuten; ihre Mißgestalten belustigen mich nicht. Es geht mir nahe, manchen mit dem Clinquant aller Nationen ausstaffirt zu sehen, wie einen von Europäern beschenkten Wilden; zu hören, wie man es belacht, daß ein ehrlicher Deutscher immer jede neue Thorheit auf sich pfropft. Viele sind mit einer allgemeinen Musterkarte drapirt, und tragen ihre Reisegeschichte auf sich herum; man kann ihnen, von ihrem Hut zu den Stiefeln, aus Italien, durch Frankreich, nach England folgen, und durch die bunte Lasur leuchtet oft eine herbe Grundfarbe von Studenten-Eleganz durch. Warum reisen wir nicht später, wann Kopf und Herz fester sind? Nun flattern wir in die Welt, wie ein weißes Blatt, dar jeder Thor mit seinem Wahnwitz bedeckt, und oft mit unauslöschlicher Schrift.

Ich preise unsre Landsmänninnen. Sie haben doch der Schminke widerstanden. Hier ist sie nicht mehr Coketterie, sondern nothwendiger Theil des Anzugs. Neulich entlief mir eine Dame im Begriff in den Wagen zu steigen, und rief mit aller Würde des tragischen Entsetzens: Ah grand Dieu! j'ai oublié mon rouge. Nur verächtliche Dirnen ahmen in Frankreich durch das Roth die Farbe der Natur nach, une honnête femme met le rouge à tranchant. Sie trägt nämlich unter jedem Aug' einen scharf abgeschnittenen carmosinfarbigen Fleck auf. Ich finde diese Flecken leidlicher auf einem lederfarbenen alten Gesicht, als auf jugendlichen Wangen, weil sich auf jenem die Nüance sanfter vereinigt. Welchen Unsinn man nicht aus Gewohnheit erträgt! Wer zuerst seinen Kopf in einem Mehlsack herumkehrte, und es wagte in einer ehrbaren Versammlung zu erscheinen, würde zuverlässig dem Arzt empfohlen; und wir lachen über die Römerinnen und ihren Puder aus Goldstaub, über die schwarzen Zähne in Indien, über die gelben Finger in Ägypten? Ich sah ein Bild einer bekannten Schönheit aus der Zeit Ludwigs XIV. als Göttin der Liebe in einem Wagen von Tauben gezogen – mit einer Fontange. Das ging an im großen Jahrhundert des Geschmacks. Wie sehr muß alles Gefühl abarten, eh der wespenartige Leib unsrer Mädchen gefällt, eh wir uns mit den Reifröcken aussöhnen, die ein englischer Schriftsteller ein verkehrt angelegtes Festungswerk nennt! Als die Frau eines dänischen Consuls die Gemahlin des Kaisers von Marocco besuchte, fühlte diese neugierig auf dem Reifrock herum, und fragte voller Erstaunen: »Bist du das alles selbst?« Unsere Mütter hatten ihre Außenwerke, nicht viel scharfsinniger, hinten angebracht. Es sind noch Strafgesetze gegen den widernatürlichen Prachtgeschwulst übrig. In Franz des Ersten Zeiten ließ sich jeder ehrbare Mann barbiren, und nur die Stutzer trugen Bärte. Ich finde in einer Stelle des Ben Johnson, daß eine Tabakspfeife damals unter die Nippes eines zierlichen Herrn gehörte, und daß man sie am weiblichen Nachttisch mit eben dem wichtigen Anstand, wie jetzt eine Riechflasche, herauszog. Als Madame de Motteville den Hof der Infantin und künftigen Gemahlin Ludwigs XIV. sah, war es Mode bei den spanischen Damen, die Brust zu bedecken und den Rücken zu entblößen. Es verdient bekannter zu werden, daß vor einigen Jahren eine Französin, auf dem Spaziergang des Pallasts von Orleans, mit lilasfarbener Schminke erschien, und es ist unbegreiflich, daß der Versuch ohne Nachahmung blieb.

Die Geschichte des Menschen ist oft dem Tageregister eines Bedlams ähnlich; sie erzählt die Visionen der Kranken. Was uns heut' als Triumph des guten Geschmacks vorkömmt, sinkt vielleicht morgen zum Unsinn herab. Wir gähnen bei dem Witz unsrer Väter; merkt's euch, ihr Lustigmacher des Haufens, die ihr von Ewigkeit träumt!


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