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Sechzehntes Kapitel

Amerika mobilisiert!

 

Tatjana hatte eben das Haus verlassen, als ein Auto vorfuhr, aus dem mit allen Zeichen höchster Ungeduld ein Herr heraus stürzte. Ich traute meinen Augen kaum. Mr. Stoping! Obgleich ich auf seine Ankunft vorbereitet war, schien es mir, als sei er vom Himmel gefallen. Er war es tatsächlich. Denn vor zwei Stunden hatte ihn ein Flugzeug nach Bukarest gebracht.

»Schreckliche Reise gehabt, Mister Bracu,« brüllte er mich an, »zweimal mußten wir notlanden. Erst war eine Düse verstopft, dann ging uns der Betriebsstoff aus. Mußten drüben in Ungarn in einer gottverlassenen Gegend frisch tanken. Nie wieder Nonstopflug! Und diese entsetzlichen Luftlöcher über den Karpathen! Nein, diese Luftlöcher! Daß da die Luftpolizei nicht ein bißchen auf Ordnung sieht. Was wir zusammensackten – die reinste Berg- und Talbahn, 'rauf und 'runter! Meine Gedärme haben gewimmert. Und jetzt suche ich Sie seit einer Stunde in der ganzen Stadt. Nirgends konnte man mir Bescheid geben. In der Redaktion waren Sie nicht, im Café Capsa ebenfalls nicht, aber jetzt müssen Sie mir Rede und Antwort stehen! Also was gibt es? All right? Hören Sie – die neue Regierung, die Sie sich hier zugelegt haben, paßt mir gar nicht. Die Zusicherungen, die mir seinerzeit gegeben wurden, müssen gehalten werden. Ich war bereits im Ministerium, aber ich konnte keinen von den maßgebenden Herren erreichen. In fünf Tagen trifft der erste Transport in Constantza ein. Alles gewichtige Leute, die für ihr gutes Geld was sehen und hören wollen. Ich brauche eine Gesellschaftsaudienz bei Ihrem kleinen König. Wir zahlen fünf Dollar für jeden Teilnehmer extra. Unsere Ladies und Misses haben sich eigens dafür Hoftoiletten anfertigen lassen. Auch einen Besuch bei der Königin-Witwe Maria haben wir im Programm vorgesehen. Ebenso die Besichtigung eines landesüblichen Kerkers. Aber bitte das Schauerlichste vom Schauerlichen! Unsere Ladies und Misses sind abgehärtet und wollen doch noch einmal gern in Ohnmacht fallen. Ich habe es ihnen versprochen, Mister Bracu. Ich muß mein Versprechen halten! Wir sind ein reelles Unternehmen, das seine Kunden prompt bedient. Gibt es in den nächsten Tagen vielleicht irgendwo in der Nähe eine Hinrichtung? Es kann auch eine standrechtliche Erschießung sein. Zahle drei Dollar extra. Wenn nicht anders möglich, muß sich irgendein armer Teufel freiwillig aufhängen lassen. Wir verpflichten uns, seine Witwe und etwaige Kinder lebenslänglich zu versorgen. Aber unsere Ladies und Misses wollen Sensationen – verstehen Sie mich: Sensationen! Sonst kriege ich keine fünfzigtausend Köpfe in dieses gottverdammte Land, wo man vor lauter Luftlöchern das Gleichgewicht verliert.«

»Sie sollten erst die Löcher auf den Straßen sehen ...«

»Was gehen mich die Straßenlöcher an? Haben Sie mein Telegramm erhalten? Warum erwarteten Sie mich nicht am Flugplatz? Weshalb muß ich soviel Zeit verlieren, bis ich Sie erwische? Und vor allem das Wichtigste! Wo steckt eigentlich dieser Balaban? Ich verlange seine Auslieferung! Ich werde mich an unsere Gesandtschaft wenden!«

»Ja, wissen Sie denn nicht ...?«

»Was soll ich wissen? Gestern bin ich in London eingetroffen. Vier Stunden später weiter geflogen. Bis morgen muß alles in Ordnung sein. Ich habe sämtliche Zimmer im Athene-Palace und im Hotel Continental ab Mittwoch in acht Tagen mit Beschlag belegen lassen. Cookfiliale versprach, zwei Original-Zigeunerkapellen mit je einem ausgesucht schön gelockten Primas zu engagieren. Drei Nackttänzerinnen suche ich noch. Wegen einer Festvorstellung in der Königlichen Oper zu Ehren der amerikanischen Reisenden habe ich Verhandlungen eingeleitet. Man wird › Cavalleria rusticana‹ geben, und zum Schluß den › Yankee doodle‹ singen. Well! Und nun komme ich zum Wichtigsten – ich sagte Ihnen schon – Balaban! Schaffen Sie mir den Mann her! Ich muß mit ihm sprechen!«

Gegen solchen Redesturm war nicht anzukämpfen. Ich ließ ihn zu Ende rasen. Dann versuchte ich, so gut es eben ging, ihm die allgemeine Lage auseinanderzusetzen.

Aber der kleine, dicke Mr. Stoping wollte kein Einsehen haben. Heftig wehrte er alle meine Einwände ab. Er riß mich in sein Auto. Wir fuhren los, von einer Stelle zur anderen, wo er seine Geschäfte zu erledigen hatte. Während er in mich hineinsprach, dachte ich an Tete. Es war verabredet worden, daß wir uns am Bahnhof noch einmal treffen sollten. Aber der Gedanke, von Tatjana endgültig Abschied nehmen zu müssen, wurde mir unerträglich. Eine heimliche Wut packte mich gegen Trabianu und Voinescu, die ihr die Pistole auf die Brust gesetzt hatten. Irgend etwas mußte geschehen!

Während Mr. Stoping in der Cookfiliale unterhandelte, stürzte ich in die Redaktion, um mich über den Stand der Dinge zu unterrichten. In einer knappen Stunde wollte mich der Amerikaner abholen und mich zur Prinzessin Pizzicatino schleifen, auf die er große Hoffnungen setzte. In der Redaktion herrschte eitel Freude. Gute Nachrichten waren gekommen. Balaban siegte auf allen Linien. Die Polizei sei in die Flucht geschlagen worden. Eine kurze Regierungserklärung teilte mit, daß der Kampf gegen die aufrührerischen Banden in größerem Umfang aufgenommen werde. Alle Vorbereitungen seien getroffen. In wenigen Tagen werde Balaban zur Strecke gebracht sein. Ich wußte, was diese Erklärung bedeuten sollte. Man rechnete auf Tatjana. Doch ich war an mein Ehrenwort gebunden. Ich durfte meinen Kollegen und Parteigenossen nichts verraten. Sie schwelgten im Siegestaumel und waren überzeugt, daß die Regierung schließlich den kürzeren ziehen würde. Dieser Taumel riß mich mit. Aus dem Unterbewußtsein reckte sich eine Idee empor, eine Idee, die mich berauschte. Ich brauchte mein Ehrenwort nicht zu brechen. Aber wenn Balaban in so kurzer Zeit derartige Erfolge erringen konnte – denn die gesamte Bevölkerung hielt wie ein Mann zu ihm und sabotierte alle Unternehmungen der Polizei – dann war es ein Unding, ihm die Flucht ins Ausland zu ermöglichen. Nicht fliehen – siegen mußte er! In sieben Tagen sollte die Wahl stattfinden. Diese Wahl mußte im Zeichen Balabans stehen! Durch den Belagerungszustand, den die Regierung über sämtliche Provinzen verhängt hatte, war die Bevölkerung verhindert, ihrer Sympathie für Balaban lauten Ausdruck zu verleihen. Unter dem Terror der Behörden würde sie am Wahltag der Regierungsliste ihre Stimme geben oder es zumindest ruhig zulassen, daß die Wahlurnen gefälscht oder ausgetauscht würden. Unsere Partei mußte aus ihrer Passivität heraus! Terror gegen Terror!

Die Idee verdichtete sich, nahm Form und Gestalt an. Balaban mußte mit allen Kräften gehalten werden! Da kam mir Mr. Stoping wie gerufen. Die amerikanischen Reisenden sollten eine Schutztruppe für Balaban bilden! Sie würden die erwünschte, große Sensation haben! Man müßte die Amerikaner nur in die Gegend lotsen, wo Balabans Leute die Macht hatten, und sie von den Räubern mit Pomp und Ehren gefangennehmen lassen. Die Ladies und Misses würden vor Entzücken Hosianna schreien. Aber Balaban dürfte sie nicht früher frei lassen, bevor die gegenwärtige Regierung nicht ihre Ohnmacht bekennen und vom Schauplatz abtreten würde. Nötigenfalls war eine Intervention der amerikanischen Gesandtschaft herbeizuführen. Eine verrückte Idee – eine geradezu absurde Idee, die ich aber gleich meinem Direktor offenbarte. Der war begeistert und beriet sich sofort mit dem früheren Außenminister und anderen Führern unserer Partei.

Indessen kam Mr. Stoping. Auch er fand die Idee ausgezeichnet.

» All right,« rief er, »ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ganz Amerika auf Ihrer und Balabans Seite steht. Die jetzige Regierung Trabianu will unsere Pläne nicht unterstützen, meinen Landsleuten den ihnen gebührenden Empfang vorenthalten – well –, dann ist sie gegen uns! Wir Amerikaner werden diese Regierung stürzen! Viertausend Amerikaner landen in den nächsten Tagen in Constantza, darunter dreitausend Ladies und Misses. Ich werde sie für Balaban begeistern. Sie werden als mutige Amazonen diesem Kämpfer um Recht und Freiheit treu zur Seite stehen und dann im Triumph in Bukarest einziehen. Oh – ich schätze, das gibt einen Hauptspaß! Verlassen Sie sich auf mich, meine Herren! Im nächsten Jahr werden hunderttausend nach Rumänien kommen, um Balaban zu sehen. Wenn Amerika sein Gewicht in die Schale legt, dann dreht sich die Welt um. Aber ich werde unserem hiesigen Gesandten jetzt kein Wort von diesem Unternehmen sagen. Er könnte Bedenken äußern. Der einstimmigen Forderung unserer Landsleute wird er sich aber schließlich nicht widersetzen können und auf den Rücktritt Trabianus dringen, um uns frei zu bekommen. Und noch eines, meine Herren! Wir müssen Reklame machen! Reklame ist alles! Ich werde auf Kosten unserer Reiseagentur sämtliche ausländischen Pressevertreter in aller Heimlichkeit nach Constantza einladen, damit sie von dort über Balabans Unternehmungen schwungvolle Depeschen in alle Welt drahten können. In spätestens acht Tagen wird Ihre Partei die Regierung dieses Landes übernehmen. Mein Wort darauf!«

»Wir werden Ihre Tatkraft und Hilfe entsprechend zu belohnen wissen«, sagte der frühere Außenminister.

»Nicht nötig,« meinte Mr. Stoping trocken, »was ich tue, geschieht einzig und allein im Interesse unserer Weltfirma und unserer Kunden. Wenn Sie mir aber, sobald Sie wieder an der Macht sind, den höchsten rumänischen Orden als Erinnerung verleihen wollen, so will ich diese Auszeichnung gern annehmen. Denken Sie bei dieser Gelegenheit auch an unseren verehrten Generaldirektor Mister Columbus Samuel Levy, den Sie mit einem Verdienstkreuz besonders erfreuen könnten. Als Gegenleistung wird er Ihnen sicher eine große amerikanische Anleihe vermitteln, die man Ihrem Lande wegen mangelnder Kreditwürdigkeit bisher versagt hat. Und nun, meine Herren, auf zur Tat!«

*

An jenem Tage – man schrieb Ende Mai – herrschte eine Hitze, wie wir sie in diesem Jahre noch nicht erlebt hatten. In den ersten Nachmittagsstunden zeigte die Thermometersäule fünfundvierzig Grad im Schatten. Der Himmel schien zu glühen. Die Luft in den Straßen, unbeweglich und drückend, war zum Ersticken. In der Calea Victoriei dünstete der Asphalt und weichte zu einer geleeartigen Masse auf. Man blieb mit den Schuhen darin kleben. Die Klepper an den Wagenhalteplätzen dösten ermattet vor sich hin. Langsam und qualvoll wälzten sich die Benzindämpfe der vorbeijagenden Autos in stinkenden Wellen über das Pflaster.

Unter dem Einfluß dieser mörderischen Hitze erlahmte auch die Unternehmungslust Mr. Stopings. Er verzichtete darauf, der Prinzessin Pizzicatino einen Besuch abzustatten, schluckte in einer der Redaktion benachbarten Konditorei ein Eis hinunter, setzte noch einige Depeschen auf und verabschiedete sich dann von mir, um, wie er sagte, sich für den Rest des Tages unter die Dusche seines Badezimmers zu setzen. Um sieben Uhr abends wollten wir uns am Nordbahnhof wieder treffen. Ich hatte im Klublokal noch eine Besprechung mit den Parteiführern. Während der Sitzung überbrachte mir Lajos einen Brief der Fürstin.

»Ich rechne bestimmt darauf, Sie heute abend vor Abfahrt des Zuges noch zu sprechen. Tatjana.«

Sie ahnte ja nicht, daß ich sie sogar begleiten würde! Um den Verdacht der Sigurantzaspitzel nicht zu erregen, hatte ich beschlossen, ohne Gepäck zu reisen. Meine Absicht, Bukarest gemeinsam mit Tete und Mr. Stoping zu verlassen, sollte solange wie möglich verborgen bleiben. Im letzten Augenblick wollte ich auf den Zug aufspringen.

Das dichte Gedränge, das sich in den Abendstunden auf dem Bahnsteig bildete, erleichterte mein Vorhaben. Ich ließ Mr. Stoping ein Abteil belegen und mischte mich unter die Wartenden und Abreisenden.

Es war ein Sonnabend. Was nicht durch Pflicht oder dringende Geschäfte in Bukarest zurückgehalten war, floh ins Weite, vor allem in das ländlich-parfümierte Tuskulum der eleganten Welt – nach Sinaia, in dessen unmittelbarer Nähe sich die königliche Sommerresidenz, das berühmte Schloß Pelesch befindet.

Auf den Geleisen stauten sich die Züge, da zwei eben eingelaufen waren und drei andere zur Abfahrt bereit standen, einer nach Kronstadt, der zweite nach Galatz und der dritte nach Jassy.

Die Flöhe und Wanzen in den gepolsterten Wagenabteilen rüsteten sich zum Festmahl. Im Wartesaal dritter Klasse ballten sich die Gerüche, der Schweiß des ganzen Landes, zu einem chaotischen Dunst zusammen. Reservisten, die zur Waffenübung einberufen waren – seltsam, daß dies gerade während der Wahlzeit geschah – beurlaubte Soldaten, die zu ihrem Truppenkörper zurückkehrten, unrasiert, mit verlausten Hemden und verschwitzten Uniformen tauschten noch eine letzte Umarmung mit ihren im Cismigiu-Park aufgefischten Bräuten aus. Dazwischen Bauern aus der näheren und weiteren Umgebung, die in der Metropole Einkäufe besorgt hatten, bloßfüßig mit schmutzstarrenden Zehen, manche in unförmig großen Schuhen, die meisten aber noch in den landesüblichen »Opinchen«, gegerbtem Sohlenleder, das mit dünnen Riemen an den mit Wollappen umwickelten Fuß gebunden wird. Stolz und feierlich schritten sie in ihrer Nationaltracht einher, die voll farbiger Reize ist. Das einstmals weiße Hemd mit roten, gelben oder schwarzen Stickereien fiel kittelartig über das Beinkleid. Um den Leib trugen sie die typische rote Wollbinde oder den bunten Ledergurt. Noch bunter, aber auch regelloser in der Tracht die Zigeuner mit tief in den Höhlen liegenden hungrigen und scheuen Augen, bündelbepackte Hausierer, magyarische Landmädchen, die wahrscheinlich in der Hauptstadt ihr Glück gesucht hatten und nun resigniert, gebrochen, enttäuscht und verwahrlost in die Heimat zurückkehren wollten. Dazwischen ein stämmiger Türke mit Zitronenwasser, der das schmierige, seit Jahren nicht mehr ausgewaschene Glas immer von neuem einschenken mußte. Ein Trupp blöde glotzender, in ihr Schicksal ergebener Auswanderer, von dem Agenten einer Schifffahrtsgesellschaft gleich einer Herde von Schafen in eine Ecke des Bahnhofsaales gedrängt und bewacht. Taschendiebe, die auf günstige Gelegenheit paßten, plärrende Kinder, keifende Weiber, Körbe, in denen Gänse schnatterten, dicker Qualm von Zigaretten und Pfeifen, Fuselgeruch, der Brechreiz erregte – und über allem ein Dunst von Schweiß, Elend und faulem Fleisch ...

Ein anderes Bild draußen auf dem Bahnsteig, von dem die Expreßzüge abgelassen wurden. Eine Unmenge Hutkoffer, elegante Gepäckstücke und Ledertaschen, zu kleinen Pyramiden aufgehäuft, viele Frauen im Reisekostüm, die Gesichter dick mit greller Schminke bedeckt, die breit umstrichenen Lippen im schreienden Rot, wie es die Mode gebot, umgeben von Offizieren, Zivilkavalieren, Verwandten und Bekannten. Einige Legationsräte der in Bukarest akkreditierten Gesandtschaften, verschiedene Deputierte, Senatoren, Politiker und Journalisten mit ihren Damen. Alle, die in Sinaia und Busteni ihr Wochenende zu verbringen gedachten. Man debattierte unbekümmert um seine Nachbarn mit lauter Stimme, scherzte, lachte, paffte Zigaretten, wechselte Grüße und Komplimente, brüllte nach den Hamals (Trägern) und versorgte sich mit Reiseproviant.

Ich hatte Mühe, mich durch die Reihen der Wartenden zu schlängeln, um den weit draußen stehenden Galatzer Zug, der als erster abfahren sollte, zu erreichen. Ein wahres Glück, daß Madame Constantinescu eben im Begriffe war, ihre drei aufgeputzten Töchter in den Kronstädter Wagen hineinzubugsieren und mich nicht sah. Sonst hätte sie mich sicher in ihrer geräuschvoll-zärtlichen Weise begrüßt und nach dem Wohin und Woher gefragt. Die vier Damen pflegten fast regelmäßig jeden Sonntag im Kasino von Sinaia zu verspielen, was sie während der Woche von den Bukarester Lebemännern als Liebessold eingenommen hatten.

Und hier spazierte mit rosigem Gesicht Herr Romulus Voinescu heran. Fast wäre ich ihm in die Arme gelaufen. Rasch drückte ich mich zur Seite. Wahrscheinlich war er gekommen, um sich persönlich von der Abreise Tatjanas zu überzeugen. Dort stand der Polizeipräfekt Nicoleanu im Gespräch mit dem jovialen General Mosoiu, dessen Beleibtheit in der weißen Sommeruniform noch üppiger erschien. Daneben blond und blauäugig ein sächsischer Abgeordneter aus Hermannstadt, der sich mit der Gattin des deutschen Gesandten unterhielt. Ganz Bukarest schien sich hier ein Stelldichein gegeben zu haben.

Da setzte sich auch schon der Galatzer Zug in Bewegung. Mit einem Sprung war ich oben. Hoffentlich klappte alles. Ich durchlief die Seitengänge der verschiedenen Wagen, bis ich Mr. Stoping erblickte. Er selbst bemerkte mich nicht, da er sich mit einem bekannten Getreidegroßhändler aus Braila in ein Gespräch eingelassen hatte. Schnell ging ich an seinem Coupé vorüber, um Tatjana zu suchen. Ich fand sie in einem Abteil erster Klasse. Sie war allein.

»Nicule?! Ich dachte, Sie wären mir untreu geworden! Wo blieben Sie denn?«

»Aber Fürstin, glaubten Sie wirklich, ich würde es übers Herz bringen, Sie im Stiche zu lassen – ohne Abschied ...?«

»Wollen Sie mich etwa begleiten?«

»Natürlich will ich das. Und noch mehr!«

»Das ist rührend von Ihnen, Nicule!«

»Tatjana – ich liebe Sie! Können Sie es noch immer nicht begreifen?«

»Hoffnungslos, lieber Freund! Mein Leben gehört Balaban!«

»Sie werden mit ihm fliehen?«

»Ja! Es ist alles geregelt. Die Sigurantza wird eine Enttäuschung erleben. Seien Sie jedoch vorsichtig! In Ploesti steigt ein Beamter der Staatspolizei zu mir ein, der mir noch nähere Weisungen geben und mich bis Galatz begleiten wird. Man darf Sie nicht sehen!«

»Wissen Sie schon, wo sich Balaban zur Zeit aufhält?«

»Ja. Ich habe Ausweise, die mir das Passieren der Polizeikette gestatten.«

»Sie müssen mich mitnehmen, Tete! Ich bitte Sie flehentlich darum! Oder noch besser – Sie telegraphieren mir nach Galatz an eine Deckadresse, sobald Sie Balaban erreicht haben, wo ich mich mit Ihnen und Ihrem Schützling treffen kann.«

»Wozu dies alles?«

Ich setzte mich an ihre Seite und erzählte ihr meinen Plan. Zuerst wollte sie nichts davon wissen. Sie hatte die Absicht, Balaban zu bewegen, sich bis an die Küste des Schwarzen Meeres durchzuschlagen. Von dort wollte sie mit ihm zusammen auf einem Segelboot den nächsten bulgarischen Hafen erreichen.

»Fürstin! Das bleibt Ihnen doch unbenommen, wenn uns das Unternehmen mißglücken sollte! Aber ich rechne mit dem sicheren Erfolg. Kann es für Sie eine süßere Rache geben, als dem alten Trabianu ein Schnippchen zu schlagen? Wenn wir siegen, werden Sie die ungekrönte Königin dieses Landes sein!«

»Unsinn, Nicule, ich habe keinen anderen Ehrgeiz, als den Staub Rumäniens von den Füßen zu schütteln. Hindern Sie mich doch nicht daran! Sonst muß ich ernstlich an Ihrer Freundschaft zweifeln.«

Da holte ich Mr. Stoping und schleifte ihn zu ihr.

»Was wollen Sie mit diesem komischen Herrn?« fragte sie überrascht.

»Das ist der Oberkommandierende der amerikanischen Amazonen, die darauf brennen, Balaban ihre Hilfe angedeihen zu lassen.«

Sie lachte.

»Wie eine Operette klingt dies alles,« sagte sie, »ich finde, es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, Scherze zu machen.«

»Tatjana,« versicherte ich, »es ist fröhlicher Ernst! Ich habe mich überzeugt, daß Mr. Stoping ein Mann ist, der alles durchsetzt, was er verspricht. Vertrauen Sie ihm und schenken Sie mir Glauben! Wir wollen der Welt ein Schauspiel bieten, wie sie es noch nie gesehen hat. Mister Stoping wird sich sofort nach Constantza begeben und seine Heerscharen Balaban entgegentreiben.«

»Und Sie?«

»Ich werde als Pressechef Ihres Schützlings fungieren. Heutzutage muß auch ein Räuberhauptmann seinen Propagandisten haben, wenn er etwas erreichen will. Es bleibt also bei unserer Verabredung! Sie verständigen mich, wo und wie ich zu Balaban stoßen kann. Dann geben wir Mister Stoping nach Constantza Nachricht, welchen Weg er mit seinen Vergnügungsreisenden einschlagen muß. Alles Weitere ergibt sich von selbst. In Ploesti verlassen wir Sie und setzen uns in ein anderes Abteil. Vergessen Sie nicht, daß unsere Partei sich mit Balaban solidarisch erklärt! Vergessen Sie auch nicht, daß wir unter dem Schutze des Sternenbanners kämpfen werden!«

»Sie sind ein Filou«, sagte die Fürstin und reichte mir die Hand zum Zeichen ihres Einverständnisses.


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