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Elftes Kapitel

Allerlei Geschehnisse

 

Der nächste Morgen brachte eine Überraschung.

Tatjana Trubakow war wieder zurückgekehrt. Um acht Uhr früh klopfte Ileana an meine Tür, um es mir zu melden. Im ganzen Hause herrschte große Bewegung. Die Dienstleute vergaßen ihre Arbeit und besprachen das Ereignis. Wladimir Panin hatte Mühe, sie auseinanderzubringen. Als ich hinunterkam, in der Hoffnung, Tete begrüßen und zu ihrer Rückkehr beglückwünschen zu können, warteten bereits zwei Gendarmen, die mit der Fürstin sprechen wollten.

Aber Tatjana schlief noch. Und niemand wagte, sie zu wecken.

Mitten in der Nacht, gegen zwei Uhr, als ich gerade im süßesten Schlummer lag und ausnahmsweise nicht von Tete, sondern von den hübschen Grübchen Ileanas träumte, soll sie gekommen sein. Ich hatte nichts gehört. Wladimir Panin, der ebenfalls im Schlosse schlief, allerdings in einem anderen Trakt, übrigens auch nicht. Ileana noch weniger. Sie verließ erst um sieben Uhr mein Zimmer. Hoffentlich hatte die Fürstin nicht nach ihr verlangt! Schließlich – nun ja.

Also die Fürstin war wieder da! Der Nachtwächter von Pelteanu – es gibt nämlich einen solchen in diesem Dorfe – hatte sie auf dem Wege getroffen und ihr mit seiner Laterne ins Schloß geleuchtet. Von ihm wußte man es. Er hatte von Tatjana ausdrücklich den Befehl erhalten, keinen Menschen ihretwegen aufzuwecken. Fünfhundert Lei sollte er sich für seinen Dienst von der Gutsverwaltung abholen. Und deshalb war er da. Aber Wladimir Panin wollte ihm den Betrag nicht aushändigen, bevor er mit der Fürstin gesprochen hatte. Nachtwächter lügen so viel! Vielleicht kommt es daher, daß in der Dunkelheit die Dinge so unklar und verschwommen erscheinen.

Der Nachtwächter von Pelteanu trank allerdings auch etwas viel, da bei den kühlen Nächten eine innere Wärme not tat. Wladimir Panin, der jeden Alkoholiker getreu seinen lipowanischen Grundsätzen als einen vom Teufel Besessenen verabscheute, glaubte dem braven Manne anfangs gar nicht, daß er der Fürstin heimgeleuchtet hatte. Er ging ungläubig die Treppe zum Gemach Tatjanas hinauf, pochte leise an der Tür und trat ein, weil sich niemand meldete. Aber im nächsten Augenblick stürzte er mit dem Ausdruck größter Bestürzung wieder hinaus. Er hätte es nie gewagt – – aber die Fürstin lag tatsächlich in ihrem Bette und schlief friedlich und tief.

Sie mußte ausnahmsweise vergessen haben, ihre Schlafzimmertür abzusperren. Vielleicht war sie zu müde gewesen – vielleicht, dachte ich, wollte sie einem Balaban den immerhin etwas schwierigeren Weg durch das Fenster ersparen ...

Aber richtig – Balaban?!

Ja, seinetwegen wären sie hier, sagten die Gendarmen, die unten in der Vorhalle auf Tatjana warteten und nicht müde wurden, zu warten, denn die Fürstin schlief noch immer.

Mein fragender Blick veranlaßte sie, weiterzusprechen.

»Wir haben nämlich heute kurz vor Morgengrauen Balaban festgenommen,« sagte der eine, »er sitzt augenblicklich im Arrest der Gemeinde und soll noch heute weiter an das Gericht transportiert werden. Der Herr Kommandant hat ihn einem Verhör unterzogen, aber Balaban verweigerte jede Antwort. Und darum sollen wir die Fürstin bitten ...«

Ich erschrak.

Zwar wußte ich noch immer nicht ganz genau, was zwischen Balaban und Tatjana vorgefallen war, obgleich ich nicht an der Richtigkeit von Ileanas Kombinationen zweifelte, aber eines stand fest: Balaban durfte nicht dem Gerichte übergeben werden! Aus einem kleinen Abenteuer konnte auf diese Weise ein peinlicher Skandal erstehen.

Daher zögerte ich nicht einen Augenblick mehr, lief in das Zimmer Tatjanas und weckte sie auf.

Das heißt: ich verweilte vorerst an ihrem Bette und sah sie eine Weile verzückt an, blieb in der Betrachtung dieses unendlich schönen, fein modellierten Gesichtes versunken, das im Schlafen fast noch reizvoller erschien als im Wachen.

Der Mund war halb geöffnet, ein Mund, der schon in seiner Stummheit einen herrlichen, berauschenden Ausdruck hatte. Und dieser köstliche, schwellende Arm, der aus der Decke hervorlugte! Mir war es, als träumte ich.

Es bereitete mir einen physischen Schmerz, sie aus ihrem süßen Schlummer zu reißen. Stundenlang hätte ich so dastehen und ihren Schlaf, diesen keuschen, sanften Schlaf einer Frau, deren Wesen mir die größten Rätsel aufgab, belauschen wollen.

Aber ich besann mich meiner Pflicht und weckte sie.

Sie schlug die Augen auf. Ein erstaunter Blick, noch müde und versonnen, der sich aber bald verlor und einem strahlenden Glanze wich.

»Nicule – Sie?!«

»Ja, Fürstin! Seit vierundzwanzig Stunden bin ich schon Ihr Gast – und Sie wissen es nicht. In Bukarest ängstigt man sich Ihretwegen zu Tode, die Polizei des gesamten Königreiches sucht Sie an allen Ecken und Enden – und Sie haben wahrscheinlich keine Ahnung!«

Sie lächelte. Dann sagte sie mit einer Weichheit, die mich bezauberte: »Nicule – Sie sind ein ganz unverschämter Bengel! Wer gab Ihnen die Erlaubnis, ungefragt in mein Zimmer einzudringen? Was würden Sie sagen, wenn ich Sie mit Applomb hinauswerfen würde?«

»Sie fragen mich zuviel, Tatjana,« entgegnete ich, »die Sehnsucht trieb mich zu Ihnen – und die Angst um meinen Schützling, um Ihren getreuen Balaban.«

»Balaban? Wie meinen Sie das?«

»Man hat ihn verhaftet, Tete!«

Sie fuhr in die Höhe.

»Nicule – woher wissen Sie das? Was wirft man ihm denn vor?«

»Daß er Sie entführt hat.«

»Lächerlich! Wie kommt man denn bloß auf eine so unsinnige Idee?«

Ich erließ es mir, das zu erklären.

»Unten warten zwei Gendarmen,« sagte ich, »die Bescheid haben wollen!«

Mit einem jähen Ruck warf sie die Decke von sich.

»Lieber Freund – reichen Sie mir meinen Morgenrock! Die Leute sind wahnsinnig. Den guten Balaban zu verhaften ...«

»Sie sind also mit ihm noch immer sehr zufrieden, Tatjana?« fragte ich überrascht.

Allerdings war diese Überraschung nicht ganz echt.

»Sehr!« sagte sie und nickte.

»Ist er noch immer so dumm oder hat er sich, wie Sie hofften, hier in Pelteanu zu seinem Vorteil entwickelt?«

Der Ton meiner Frage schien ihr nicht zu passen, denn sie blickte mich schief von der Seite an. Ich lächelte. Sie lächelte auch. Wir verstanden uns.

»Er ist ein ganz famoser Junge,« erklärte sie schließlich, »ein Prachtkerl, Nicule! Ihr könnt euch alle hinter ihm verstecken!«

Es blieb mir nichts übrig, als eine tiefe Verbeugung zu machen.

»Süße Tete,« sagte ich, »Sie kennen mich doch gar nicht so genau und wollen dennoch Vergleiche anstellen?«

Sie schlüpfte in den entzückenden Mantel, den ich ihr reichte.

»Ich flehe Sie an, Tatjana – verraten Sie mir, wo Sie die letzten beiden Nächte verbracht haben?«

»Nicule – ich glaube, Sie markieren Eifersucht? Ich kenne Sie von dieser Seite noch gar nicht. Ich habe einen Ausflug unternommen.«

»Einen Ausflug? Mitten in der Nacht?«

»Ja – mitten in der Nacht! Haben Sie daran etwas auszusetzen?«

»Nichts, verehrte Fürstin, Sie sind Herrin Ihrer Entschlüsse. Ich fragte bloß, um den Bukarester Lesern eine Erklärung für Ihr plötzliches Verschwinden zu geben.«

»Sie hören doch – es war ein Ausflug! Ich habe dem Kloster Madragani einen Besuch abgestattet. Übrigens war ja Balaban bei mir.«

»Eben«, sagte ich.

Diese durchaus nichtssagende Antwort schien sie zu erbittern. Denn ich fühlte ihre Hand auf meinem Gesicht.

»Nicule,« rief sie mit gespielter Entrüstung, »ich verbiete Ihnen, mich weiter zu inquirieren! Sie sind ein unverbesserlicher Taugenichts. Marsch, aus dem Zimmer! Sie werden draußen warten, bis ich angezogen bin.«

»Tete,« bat ich, »Sie würden mich auszeichnen, wenn Sie mir gestatten würden, Ihnen bei der Toilette behilflich zu sein.«

Aber sie schüttelte nur den Lockenkopf, faßte mich an der Hand, die ich rasch noch mit Küssen bedeckte, und drängte mich durch die Tür.

»Man darf nicht allzu unverschämt sein, lieber Freund,« flüsterte sie mit gespitzten Lippen, auf denen sie kaum das Lächeln verbergen konnte, »Sie sollten sich beglückt fühlen, bei meinem Lever anwesend gewesen zu sein. Die Fortsetzung dieses Genusses haben Sie sich durch Ihre Keckheit verscherzt.«

Und schon schlug sie die Tür vor meiner Nase zu. Dann schellte sie Ileana, die wie immer mit spitzbübischen Augen an mir vorüberhuschte. – Man weiß, wie lange die Frauen im allgemeinen zur Beendigung ihrer Toilette benötigen. Bei dieser Beschäftigung hört für sie die Welt auf, sich zu drehen. Die Zeit wird zeitlos. Den Männern scheint sie unendlich. Ganz bestimmt hat ein verheirateter Mathematiker als erster den Unendlichkeitsbegriff aufgestellt. Welche Symbolik verrät doch die liegende Acht, durch welche die Unendlichkeit ausgedrückt wird! Man gibt acht, man wartet und legt sich schließlich nieder vor Ungeduld.

Die Frauen unseres Landes sind Meisterinnen in der Kunst des Anziehens. Aber sie werden nie damit fertig. Bei dieser heiligen Handlung unterdrücken sie alle Temperamentsanwandlungen, denen sie sonst nur gar zu rasch nachgeben. Es könnte ein Feuer ausbrechen und die Decke ihres Zimmers bereits in hellen Flammen stehen, sie werden dennoch nicht eher aus dem Fenster springen, bevor sie nicht ein letztes Mal noch vor dem Spiegel die Frisur zurechtgezupft haben.

Es muß schon etwas Besonderes sein, was sie zur Eile anspornt. Solch ein besonderer Anlaß schien Tete beflügelt zu haben. Denn bereits nach zehn Minuten erschien sie in der Halle, in einem hellen Kostüm, das einen Dichter zum Schneider hatte, ein Bild des Entzückens.

Die Gendarmen erhoben sich stramm und salutierten. Die Fürstin würdigte sie kaum eines Blickes. Sie befahl Panin, den Wagen anspannen zu lassen, übernahm dann selbst die Zügel, lud mich ein, an ihrer Seite Platz zu nehmen, dirigierte mit einem Blick die beiden Gendarmen auf den Lakaiensitz und trieb die Pferde an.

Während der kurzen Fahrt zum Gemeindearrest sprachen wir kaum ein Wort.

Aber dort angelangt, entlud sich ihr Zorn.

Dem Gendarmeriekommandanten des Ortes, der ahnungslos ihr entgegentrat, um sie geziemend zu begrüßen, versetzte sie eine schallende Ohrfeige.

»Idiot! Warum hast du Balaban in Haft genommen?!«

Der Angeredete starrte sie entgeistert an. Seine Wange glühte. Der ganze Körper schwankte. Tatjana besaß zweifellos einen guten Schlag.

»Fürstin ...!« stammelte er.

»Wer hat dich dazu befugt, frage ich dich?« herrschte sie ihn an.

»Man hat dich vermißt, Fürstin! Die Staatsanwaltschaft – der Richter – man sagte, Balaban ...«

»Blödsinn! Wo hast du ihn eingesperrt?«

»Im Keller! Er ist stark – er könnte ausbrechen!«

»Trottel!«

Sie stieß ihn zur Seite und stürzte in das Haus, die Kellerstiege hinab. Ich folgte ihr. Die Gendarmen blickten sich verlegen an. Der Kommandant rieb sich die Wange.

Da blieb sie plötzlich knapp vor der untersten Stufe stehen. Und lauschte. Gesang tönte durch die verschlossene eiserne Tür, an der ein Polizist Wache stand.

Ich erinnerte mich an die Fischer vom Donaudelta, wenn sie nach reichem Fischfang heimwärts ziehen und dem Himmel zum Lobe ihre Stimmen erheben. Ich erinnerte mich an die uralten Lieder unseres Volkes, die das eintönige Rauschen des Wassers, das Flüstern des Windes im Schilfrohr, die müde Sehnsucht eines verklingenden Sommerabends widerspiegeln.

Aber der Gesang, der aus dem Keller kam, war fröhlicher, jubilierend, fast übermütig. Die Stimme klar, rein und von einem Schmelz, der überraschte.

»Wer singt hier?« fragte Tatjana, nachdem sie eine Weile wie versunken dagestanden war.

»Der Räuber Balaban!« entgegnete der Gendarm.

Ich blickte verwundert die Fürstin an. Sie zuckte leicht mit der Achsel. Dann drehte sie sich um und stieg die Treppe wieder empor.

»Kommandant,« befahl sie, »bringe Balaban sofort hinauf! Du hast ihn frei zu lassen. Ich stehe für ihn ein! Verstehst du?«

Wir warteten draußen vor dem Haus, bis Balaban kam. Der Gendarmeriekommandant bemühte sich indessen, Tatjana begreiflich zu machen, daß er sich zu der Festnahme berechtigt gefühlt habe. Es sei ein Steckbrief gegen den Räuber erlassen worden. Aber er wagte nicht, zu erklären, daß er sich wegen der Ohrfeige beschweren werde. Er hätte daraufhin wahrscheinlich noch eine bekommen.

Die Fürstin hörte ihm gar nicht zu, sah in eine andere Richtung, hieß ihn schließlich den Mund halten.

Wir nahmen Balaban in die Mitte und gingen die Straße nach dem Schlosse zu. Ein Gendarm blieb bei den Pferden stehen. Die Dorfleute stürzten aus ihren Hütten und blickten uns neugierig nach. Keiner verstand, was da vorging.

Balaban stampfte zwischen uns einher, schweigend, in sich versunken.

»Seit wann singst du,« fragte Tatjana auf einmal, »ich habe dich früher doch nie gehört?«

Da hob er den Blick.

»Seit zwei Tagen singe ich wieder, Kukunitza,« sagte er, »denn mein Leben hat einen neuen Glanz bekommen. Und darum bin ich froh. Seit ich Mariora erschlagen habe, war das nicht mehr der Fall.«

Tatjana senkte still das Haupt.

Ich kam mir neben den beiden völlig überflüssig vor. Und so schritten wir weiter, bis eine Wegkreuzung erreicht war.

Die Straße führte weiter zum Schloß, ein Pfad bog seitwärts ab, nach dem Walde, in das Gebirge hinauf.

Wir schlugen selbstverständlich die Richtung der Straße ein.

Da stand Balaban plötzlich still, wies mit der Hand auf die Berge und sagte schwer, als müsse er sich seinen Entschluß ertrotzen:

»Kukunitza – nun muß ich gehen!«

Ihre Augen flackerten.

Etwas wie Angst durchzitterte ihre Stimme, als sie rief: »Was willst du?! Gehen? Wohin? Du kommst natürlich mit mir ins Schloß! Es bleibt alles beim alten.«

Balabans mächtiger Schädel neigte sich zur Seite.

»Wie dürfte ich das,« gab er leise zur Antwort, »ich gehöre nicht hierher. Ich danke dir, daß du mich aus den Händen der Gendarmen befreit hast. Aber es war nicht notwendig, wirklich nicht. Es gibt überall Licht in der Welt, auch in den Gefängnissen, wenn man das Licht nur in sich trägt. Vielleicht soll ich büßen – und du hast mich daran gehindert! Ich weiß selbst nicht mehr, wie alles kam. Es kam, und es war da. Und es hat mich traurig und froh gemacht. Es strahlt eine große Sonne um mich. Und diese Sonne will ich mitnehmen in meine Einsamkeit. Mein Platz ist nicht mehr hier! Das sagte ich dir schon gestern, als ich von dir Abschied nahm, gestern in der Nacht, hier an dieser Stelle, als der Nachtwächter mit seiner Laterne auftauchte.

Ich wäre nicht mehr zurückgekehrt. Aber die Gendarmen fingen mich im Walde, als ich schlief. Immer nur im Schlaf überfallen sie mich. Doch ich wäre auch so mit ihnen gegangen, Kukunitza. Es ist nicht der Rede wert.«

Dann erhob er seine Arme und legte sie auf die Schultern der Fürstin, nicht wie ein Diener – gleich einem Priester, als wollte er sie segnen. Und Tatjana rührte sich nicht, wehrte ihn nicht ab, ließ sich von ihm auf die Stirn küssen, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Mein Erstaunen kannte keine Grenzen. Nicht ein Wort von dem, was hier gesprochen wurde, hatte ich verstanden.

Balaban reichte mir die Hand. Ich drückte sie mechanisch.

Er stülpte seine Bärenmütze tief über den Schädel und schritt stumm den schmalen Pfad entlang, der in die Berge führte. Wir sahen ihm nach, bis er hinter den Bäumen verschwand.

»Tete?« fragte ich, »Sie lieben diesen Balaban?«

Da wandte sie mir das Gesicht zu. Ein Nebel lag über ihren Augen. Und dieser Schleier löste sich und zerstäubte. Ein Tautropfen blinkte. Es war eine Träne.

»Ich liebe ihn,« sagte sie, »verdammen Sie mich deswegen, Nicu, wenn Sie nicht anders können! Denn er ist ja nur ein Räuber, ein Bauer, ein Verfluchter! Und dennoch liebe ich diesen Fluchbeladenen!«

Es lag mir völlig fern, sie zu verdammen. Aber ich benutzte diesen Augenblick, um das Versprechen, das ich einem Freunde gegeben hatte, einzulösen.

»Dann geben Sie doch Armand Dupré frei, Tatjana. Er bedeutet ja nichts mehr für Sie.«

Ein unwilliges Schütteln ihres Kopfes war die Antwort.

»Nie!« rief sie, »hören Sie, was ich Ihnen sage, Nicu: niemals! Sie sind sein Freund – ich weiß es – und ich würdige es, daß Sie sich für ihn einsetzen. Ihr Männer, ihr starken Männer stützt euch gegenseitig, helft einander, wir Frauen verstehen das nicht. Wir sind immer allein, wenn es gilt, Freundschaft zu erproben.«

Sie hing sich in meinem Arm ein und zog mich rasch fort. Ich fühlte, wie sie an allen Gliedern zitterte. Noch nie hatte ich sie so erregt gesehen. Mitleid erfaßte mich. Ich drückte sie an mich, glücklich, in dieser Stunde ihr Beistand sein zu können.

»Ich halte Sie für meinen Freund, Nicu,« sagte sie, »obwohl Sie ein unverschämter Bengel, ein Filou, ein Nichtsnutz sind.«

»Ihre Schmeicheleien beschämen mich, Tatjana!«

»Still! Fangen wir nicht wieder das alte Duett an! Seien Sie einmal ernsthaft! Ich glaube Sie nun zu kennen. Sie spielen mit den Worten, wollen den Eindruck erwecken, als wären Sie ein schrecklich raffinierter Halunke, ein Kerl ohne Rückgrat ...«

»Oh, aber bitte – Fürstin!?«

»Unterbrechen Sie mich nicht! Ich gestehe Ihnen, daß ich Ihnen nicht über den Weg traute. Sie können entsetzlich boshaft sein.«

»Nur ich, Tete? Wirklich nur ich?«

»Seien Sie doch um Gottes willen einmal ruhig und fallen Sie mir nicht immer ins Wort! Ich habe meine Meinung über Sie geändert. Sie hätten mir fürchterlich schaden, ja, mich unmöglich machen können. Sie haben es nicht getan. Ob wirklich aus Zuneigung, wie Sie es darstellen, oder aus anderen Gründen, die ich nicht kenne, will ich dahingestellt sein lassen. Genug – ich vertraue Ihnen! Und darum schmerzt es mich, daß Sie gegen mich Partei ergreifen, um Armand zu helfen. Sie sind sein Freund. Aber Sie kennen ihn nicht! Sie ahnen nicht, was uns zwei zusammenkettet. Niemand weiß es als wir beide, Armand und ich. Und darum will ich Ihnen alles erzählen, jetzt in diesem Augenblicke, da ich Balaban ziehen lasse, um mein altes Recht auf Armand geltend zu machen.

Er gehört mir! Ich habe für ihn geblutet und gelitten, ich habe ihm alles geopfert!

Mir ist heute früh das boshafte Blinzeln Ihrer Augen nicht entgangen. Was die Leute von mir denken, ist mir einerlei. Ich habe mir nie darüber Sorgen gemacht. Sie mögen mich mit Schmutz bewerfen, ich verarge es ihnen nicht. Aber Sie, Nicu, sollen alles wissen! Einem Menschen muß ich mich anvertrauen!

Ich habe diesen Balaban, diesen einfachen, aber herrlichen Menschen in meinem Übermut, in meiner Raserei, in meiner ziellosen Sehnsucht, die Sie als Mann nie verstehen können, beschimpft, in seiner Ehre verhöhnt. Stellen Sie sich das vor, wie Sie wollen! Und da geschah es, daß sich dieser Mensch aufbäumte und mir als erster Mann bewies, daß er stärker war als ich.

Glauben Sie nicht, daß mein Ausflug in der vorvorigen Nacht freiwillig war. Balaban drang in mein Zimmer ein und riß mich aus dem Bett.

Ich wagte nicht, mich zu regen. Das Herz stand mir still vor Angst und Schrecken. Ich fürchtete, das Schicksal der Mariora zu erleben!

Aber er nahm mich, wie man ein Kind nimmt, mit seinen riesigen Tatzen, trug mich durch das Fenster in die Nacht hinaus, trug mich stundenlang durch den Wald, fest und wuchtig wie ein Bär – und als ich zu frieren begann, hob er mich von der Schulter wie eine Beute, die ihm nicht entgehen konnte, faßte mich mit seinen starken Armen unter, drückte mich an seine warme, keuchende Brust und trug mich vor sich her, stundenlang, stundenlang durch den dunklen Wald.

Und bei diesem gleichmäßigen, wiegenden Gang verlor ich die Angst. Er blieb stumm. Nur sein Herz hörte ich klopfen. Ein Gefühl der Geborgenheit beseligte mich. Der Rhythmus dieses Herzens, der Taktschlag dieses empörten Herzens lullte mich ein.

Irgendwo in einer Hütte warf er mich nieder. Und er nahm mich wie ein Sturmwind, der heranbraust – – genug, das Weitere wissen Sie! Ich liebe ihn, weil er stärker ist als ich, weil er meinen Hohn durch einen Feuerstrom hinweggeschwemmt hat, der mich heute noch in der Erinnerung beglückt, erschauern läßt – er, der dumme Bauer, der Räuber, die Naturgewalt, die ich bewundere – und ich ließ ihn ziehen, weil ich zu schwach bin, um ihn zu halten, weil meine Kraft nicht mehr ausreicht, ihn an mich zu fesseln, weil ich alles, was ich geben konnte, an Armand verschwendet habe ...

Oh, Sie kennen nicht Armand! Nicht so, wie ich ihn kenne!

Sie sollen begreifen, warum ich ihn nicht verlieren will, nicht verlieren kann, nicht einer anderen, einem Püppchen, einem nichtssagenden hübschen Lärvchen überlassen darf.

Sonderbar genug war unser erstes Zusammentreffen.

Ich besaß bei Mentone, hart an der französisch-italienischen Grenze eine Villa, wo ich das Witwenjahr in aller Stille verbrachte.

Mein Mann, Fürst Trubakow, war General der zaristischen Armee – ein liebenswürdiger Trunkenbold – ein Ekel! Friede seiner Asche! Er starb in Konstantinopel auf der Flucht vor den Bolschewiken. Es war eine Erlösung für mich nach einer Ehe, die nicht länger als neun Monate währte.

Sprechen wir nicht mehr davon!

Reden wir lieber von Armand! Von Armand Dupré!

Eines Abends fielen Schüsse aus der Richtung von Ventimiglia, wo die italienischen Befestigungen liegen.

Ich saß auf der Terrasse und las.

Gerade als ich aufspringen wollte, um die Ursache des Lärms zu erforschen, kletterte ein junger Mann über die steinerne Brüstung, atemlos, erhitzt, am Ohre blutend.

Erschöpft fiel er vor mir nieder.

›Retten Sie mich!‹ keuchte er, ›man ist mir auf der Spur! Armand Dupré, Kapitän der französischen Armee!‹

Im nächsten Augenblick erscholl im Park wüstes Geschrei. Faschisten, Karabinieri, ein Bersaglierioffizier waren über die Kaktushecken gesprungen und stürmten auf die Terrasse zu.

Ich hatte keine Zeit, weiter zu fragen. Nahm Armand bei der Hand, stürzte mit ihm in mein Schlafzimmer.

›Verstecken Sie sich! Legen Sie sich in mein Bett! Ziehen Sie die Decke über den Kopf! Bleiben Sie still! Ich werde Sie schützen!‹

Schon war ich draußen, drehte im Schlosse den Schlüssel um und nahm ihn an mich.

Als ich wieder die Terrasse betrat, waren die Italiener schon da.

Die Schwarzhemden schrien mich an, brüllten wild durcheinander. Ich verstand kein Wort.

Sie verteilten sich sofort im ganzen Hause, besetzten die Ausgänge, holten meine Dienerschaft herbei, den Koch, den Gärtner und meine Zofe, bestürmten sie mit Fragen, die nicht zu beantworten waren, weil keiner wußte, was sich ereignet hatte.

Als erster fand der Bersaglierioffizier die Besinnung wieder.

›Signora,‹ sagte er, ›ich bitte um Verzeihung für die peinliche Störung! Aber wir erfüllen nur unsere militärische Pflicht. In unsere Festungswerke hat sich ein Spion eingeschlichen. Er flüchtete hierher in den Park. Wir sahen ihn die Terrasse emporklettern. Er muß sich also in Ihrem Hause befinden!‹

›Sie müssen sich irren, Herr Leutnant,‹ log ich, ›hier ist kein Fremder gewesen!‹

Der Offizier winkte ab.

›Das ist ausgeschlossen, Signora! Wir können uns nicht getäuscht haben. Er sprang auf die Terrasse. Sie haben ihn bestimmt gesehen! Bitte sagen Sie uns, wohin er sich gewendet hat?‹

›Ich versichere Ihnen, Herr Leutnant ...‹

›Signora! Sie lassen sich von einem falschen, völlig unangebrachten Mitleid diktieren. Ein Spion verdient kein Erbarmen. Seit Wochen suchen wir ihn. Seit Wochen treibt er hier sein Unwesen. Wenn er entrinnt, ist alles verraten. Heute haben wir ihn endlich ausgeforscht. Nun darf er uns um keinen Preis entkommen.‹

›Ich habe ihn nicht gesehen!‹ wiederholte ich.

Der Offizier lächelte nur. Er ließ sich von seiner Überzeugung nicht abbringen.

›Signora,‹ meinte er gelassen, ›Sie saßen doch eben auf der Terrasse. Wir haben Sie von unten bemerkt. Sie beugten sich sogar für einen Moment über die Brüstung. Wollen Sie das leugnen?‹

›Nein‹, sagte ich und fühlte das Blut in meine Wangen steigen.

›Kurz vorher sprang aber der Kerl über die Mauer. Sie müssen ihn also gesehen haben!!‹

Die anderen wurden schon ungeduldig und stampften mit den Füßen auf. Jetzt sei keine Zeit zum Reden! Man müsse handeln, die ganze Villa durchsuchen, Küche und Keller visitieren. Zwei von den Faschisten hielten mein Personal in Schach, damit es nicht Alarm schlagen könnte. Denn das Haus lag bereits auf französischem Territorium; das Eindringen der italienischen Grenzwächter war daher ungesetzlich.

Ich betonte dies auch dem Offizier gegenüber und protestierte gegen die unbefugte Durchsuchung meines Hauses.

Aber der Leutnant zuckte nur mit den Achseln und erklärte gelassen, meinen Protest nicht zur Kenntnis nehmen zu können.

Dann gab er seine Befehle.

Ich befand mich in einer Todesangst. Die Leute schienen entschlossen, unter keinen Umständen den Platz zu verlassen.

Inzwischen rückte ein weiterer Trupp italienischer Schwarzhemden heran, die den Park durchstöberten.

Die Villa lag ziemlich hoch an einer Berglehne, drei Kilometer von Mentone und der Küste entfernt. Es war unmöglich, Hilfe heranzurufen, da das Haus meines nächsten Nachbarn, eines Marquis d'Eclarmont, sich außer Hörweite befand.

Da kam mir ein rettender Gedanke: das Telephon!

Doch als ich an den Apparat gehen wollte, um die Polizeistation von Mentone zu benachrichtigen, trat mir der Bersaglierioffizier in den Weg.

›Bedauere, Signora, die Drähte sind durchschnitten!‹

›Mit welchem Rechte, Herr Leutnant? Sie stehen hier auf französischem Boden. Ich fordere Sie nochmals auf, mein Haus sofort zu verlassen! Der Mann, den Sie suchen, ist nicht hier! Wie oft soll ich Ihnen das noch sagen?‹

Da führte er mich auf die Terrasse zurück und wies auf einen Blutfleck hin, der über die Steinfließen gespritzt war.

›Sehen Sie,‹ sagte er, ›der Spion wurde auf der Flucht durch einen Schuß verwundet. Dieser Blutstropfen stammt aus seiner Wunde. Bitte, keine Einwände, Signora! Sie werden mir nicht einreden, daß Sie sich vielleicht in den Finger gestochen haben. Der Mann, den wir suchen und den wir finden müssen, ist von Ihnen hier irgendwo versteckt worden. Geben Sie ihn heraus und wir verlassen sofort die Villa!‹

Ich wandte ihm den Rücken, um mich durch meine erschrockene Miene nicht zu verraten.

Indessen hatten die Faschisten gemeinsam mit den Karabinieri alle Räume durchwühlt und waren an die Schlafzimmertür gekommen, die sie mit den Gewehrkolben einzuschlagen drohten.

Nur um keinen Verdacht zu erregen, gab ich sofort den Schlüssel her, in der Hoffnung, daß in der Zwischenzeit Armand das Weite gesucht hatte. Als die Männer hineindrängten, bat ich noch den Offizier, nicht alles durcheinanderwerfen zu lassen. Es sei ja ausgeschlossen, daß der Spion in meinem Schlafzimmer sich verborgen halten könne, da die Tür doch abgesperrt war.

Die Ruhe, zu der ich mich zwang, täuschte den Offizier.

Er öffnete die Schränke, zog die Vorhänge auseinander, blickte unter das Bett – nur die große Spitzendecke, unter der Armand gelegen hatte, zog er nicht ab.

Ich atmete auf.

Als dann die anderen auch zu schnüffeln begannen und sich dem Bette näherten, ergriff mich die Angst von neuem, zumal ich auf der Decke eine leichte Wellenbewegung beobachtet hatte.

Kein Zweifel – Armand befand sich noch im Zimmer!

Sein Atem verriet ihn, mußte ihn verraten!

Ich überlegte, ob ich eine Ohnmacht markieren sollte, um die Aufmerksamkeit der Italiener von der Bettdecke abzulenken. Aber im nächsten Augenblick fiel mir ein, daß sie mich in diesem Falle bestimmt auf das Bett legen und vorher die Decke wegreißen würden.

Ich bezwang daher meine Angst, sprang mit einem Satz aus dem Zimmer, als wollte ich die Flucht ergreifen, und lief in den großen Salon hinüber.

Meine Absicht gelang.

Die Leute folgten mir auf dem Fuß, da sie dachten, ich würde versuchen, dem Versteckten ein Zeichen zu geben.

Das Schlafzimmer leerte sich. Armand war – vorläufig wenigstens – vor der unmittelbaren Entdeckung bewahrt.

Ich fingierte einen Schwächeanfall. Dies bestärkte den Offizier und seine Mannschaft in der Überzeugung, daß sich der Gesuchte im großen Salon verborgen hielt.

Sie verlangten von mir die Schlüssel zu einer Truhe, die sich in diesem Raume befand und einem erwachsenen Menschen ganz gut Unterschlupf bieten konnte. Aber ich weigerte mich, obwohl die Truhe leer war, nur um den Verdacht noch stärker auf den Salon zu konzentrieren.

Da riß mir ein Faschist das Schlüsselbund aus der Hand und machte sich daran, die Truhe aufzuschließen. Die anderen standen mit bereitgehaltenem Gewehr daneben.

Ich schrie auf, als bangte ich um die Entdeckung.

Natürlich fanden sie nichts. Aber die Soldaten gaben sich damit nicht zufrieden, rückten alle Möbelstücke von der Wand ab, drangen dann in die Bibliothek ein, räumten die Fächer aus, warfen die Bücher auf den Boden – und die Erfolglosigkeit ihres Suchens verdoppelte nur ihren Eifer. In kurzem boten Salon und Bibliothek ein Bild der Verwüstung.

Inzwischen war es dunkel geworden. Aber die Leute rührten sich noch immer nicht von der Stelle. Der Leutnant erklärte mir, sie seien fest entschlossen, die Nacht in der Villa zuzubringen, um bei Tagesanbruch die Nachforschungen von neuem fortzusetzen.

Ich verlangte, daß man mich persönlich wenigstens unbelästigt lasse, damit ich mich endlich zurückziehen könnte.

Der Offizier hatte nichts dagegen einzuwenden. Doch als ich ersuchte, meinem Personal die Bewegungsfreiheit wiederzugeben, wurde dies verweigert. Selbst meiner Zofe gestattete man es nicht, mit mir zu sprechen, weil man irgendwelche Verabredungen fürchtete.«

Tatjana blieb stehen und starrte einige Sekunden lang in die Weite, als ob sie neue Erinnerungen in sich hineinsaugen wollte. Da ich sie in ihrer Versunkenheit nicht stören wollte, so schwieg ich. Vielleicht hatte sie anderes erwartet. Denn auf einmal brach sie in ein kurzes Lachen aus und meinte:

»Ach, Nicule, warum langweile ich Sie mit solchen lächerlichen Einzelheiten? Warum erzähle ich Ihnen denn dies alles? Warum unterbrechen Sie mich nicht? Sie sehen doch, daß ich mich verliere!?«

»Ich bin Ihr dankbarer Zuhörer, Fürstin,« versetzte ich, »aber Sie spannen mich auf die Folter. Was geschah damals mit Armand? Man hätte ihn sicher erschossen, wenn er gefunden worden wäre.«

Sie nickte zustimmend.

»Ja,« sagte sie, »als ich in mein Zimmer zurückkehrte, war er eben im Begriffe, aus dem Fenster zu springen. Ich riß ihn noch zur rechten Zeit zurück, da ich wußte, daß unten zwei Schwarzhemden als Beobachtungsposten standen. Er wehrte sich wie verzweifelt. Der ausgestandene Schrecken, die Verwundung, eine mehrstündige Verfolgung über Steinwände, Schluchten und Felsabsprünge hatten ihn um die Besinnung gebracht. Er vergaß alle Vorsicht. Ich fürchtete, daß man im Hause durch den Lärm, den unser Wortwechsel verursachte, aufmerksam werden könnte, zog ihn rasch zu mir ins Bett und suchte ihn zu beruhigen. Dann wusch ich ihm die Wunde aus. An eine Flucht war im Augenblicke nicht zu denken.

Die Italiener hatten die Villa völlig umstellt.

So verbrachten wir die Nacht zusammen. –

Am nächsten Morgen zogen Armands Verfolger unverrichteterdinge ab. Ich selbst brachte ihn eine Stunde später, nachdem wir uns vergewissert hatten, daß die Luft rein war, nach Mentone.

Er schwor mir ewige Dankbarkeit, er schwor, daß er mir nie vergessen werde, welchen Dienst ich ihm in dieser Nacht erwiesen hätte. Erst jetzt erfuhr ich, daß er vom französischen Generalstab beauftragt war, die neuerrichteten italienischen Fortifikationen bei Ventimigla nach Lage und Stärke zu ermitteln, daß die Zeichnungen und photographischen Platten, die er mit sich führte, für sein Land von unschätzbarem Werte waren, daß er seit Wochen in allerlei Verkleidungen die Gegend durchstreift hatte und von der italienischen Staatspolizei fieberhaft gesucht wurde.

Aber die Rache blieb nicht aus. Ich weiß nicht, wie es auf italienischer Seite ruchbar wurde, daß ich Armand Dupré in Sicherheit gebracht hatte; mein Gärtner, der gleichzeitig auch die Stellung eines Chauffeurs versah und uns mit dem Auto nach Mentone führte, war ein Monegasse. Ich hege den Verdacht, daß er ein Spitzel der italienischen Grenzbehörde war und geplaudert hatte. Kurz – nach zwei Tagen brach in meiner Villa ein Feuer aus, das alles bis auf die Grundmauern einäscherte.

Ich übersiedelte nach Nizza. Dort traf ich mich mit Armand. Er versprach mir, bei der französischen Regierung zu erwirken, daß ich für den Brand entschädigt werde. Aber nichts dergleichen geschah. Dagegen erhielt er bald darauf für seine Verdienste das Bändchen der Ehrenlegion.

Sie kennen nicht Armand, Nicule! Nicht so, wie ich ihn jetzt kenne. Ich sagte Ihnen schon: er ist ein eleganter, charmanter, junger Mann, den man lieben muß. Er weiß zu bestricken. Nicht umsonst laufen ihm alle Frauen nach. Aber er ist bei alledem ein kühler Verstandesmensch, ein Rechner, ein unheimlicher Streber, er kennt nur eine Pflicht, die Pflicht gegen den Staat, für den er arbeitet, und den brennenden Ehrgeiz, sich auszuzeichnen.

Liebe, Gefühle, Leidenschaften sind ihm nur Mittel zum Zweck!

Er wäre imstande, seinen besten Freund preiszugeben, wenn er dadurch einen Vorteil erringen könnte.«

Als Tatjana dies sagte, mußte ich unwillkürlich an das merkwürdige Ansinnen Armands denken, der sich vor einigen Monaten nicht scheute, mich als Werkzeug zu benutzen, um den Originaltext des italienisch-rumänischen Geheimabkommens zu erfahren. Es war wirklich eine starke Zumutung von ihm! Ich erteilte ihm damals eine gehörige Abfuhr.

Doch die Fürstin fuhr fort:

»Ersparen Sie mir nähere Einzelheiten, Nicu! Ich war vertrauensselig genug, um seine Schwüre und Versprechungen für bare Münze zu nehmen. Vielleicht waren sie im Anfang noch ehrlich und aufrichtig gemeint. Man soll nicht alles bezweifeln! Ich gestehe, daß mein bisher so stilles Leben durch ihn eine neue Wendung, einen Inhalt bekam, der mich voll und ganz erfüllte.

Ich zitterte um sein Leben, denn dieses Leben war, solange wir an der Riviera weilten, ständig bedroht. Man belauerte ihn auf Schritt und Tritt. Auf einer Segelfahrt wurden wir von einem italienischen Motorboot gerammt, ohne Zweifel, um ihn auf diese Weise an Bord zu holen und zu entführen. Man wollte seiner habhaft werden, ihn nach Italien bringen, um ihm den Prozeß zu machen. Man wußte, daß der Verrat der italienischen Festungswerke durch ihn erfolgt war.

Nur durch einen seltsamen Zufall entrann er seinem Schicksal. Denn in dem Augenblick, als uns die Matrosen des italienischen Motorbootes an Bord ziehen wollten, ratterte über unseren Köpfen der Propeller eines französischen Wasserflugzeuges.

Armand, der sofort ahnte, was ihm bevorstand und warum unsere kleine Segeljolle, welche die französische Flagge führte, von den Italienern gerammt worden war, rief laut um Hilfe. Doch die Besatzung des Motorbootes stürzte sich schnell auf ihn, um ihn unter Deck zu bringen. Dadurch wurde der Pilot des Wasserflugzeuges, das kaum hundert Meter über dem Meere schwebte, auf den Vorfall aufmerksam. Er ging sogleich auf das Wasser nieder, rief den Kapitän des Motorbootes an und verlangte unsere Auslieferung. Der Italiener mußte sich wohl oder übel fügen. Zwar erklärte er anfangs, er wolle uns mit seinem Schiff an Land bringen. Aber der Pilot, ein französischer Marineleutnant aus dem benachbarten Kriegshafen hatte Armand sofort erkannt und bestand darauf, ihn selbst zurückführen zu wollen. Die feindselige Haltung der Besatzung war ihm nicht entgangen.

So stiegen wir zum größten Ärger der Italiener, die sich von der Unausführbarkeit ihres Vorhabens überzeugen mußten, in das Flugboot um und wurden bei Cannes an Land gesetzt.

Wenige Tage später, als wir auf der Promenade bei Nizza spazierengingen, sauste ein Auto an uns vorüber, in dem zwei Männer saßen. In rascher Folge feuerten sie ein paar Schüsse auf Armand ab. Er warf sich blitzschnell zu Boden, mich aber traf eine Kugel in den rechten Arm. Dann war das Auto schon verschwunden. Wir haben nie erfahren, wer die Leute gewesen sind. Aber wir nahmen an, daß es italienische Agenten waren, die ihm einen Denkzettel geben oder ihn vielleicht ganz unschädlich machen wollten.

Die Ruhe, mit der er allen Gefahren trotzte, erregte meine Bewunderung. Ich hielt es für meine Pflicht, für meine Sendung, ihm zur Seite zu bleiben.

Als man ihn kurz darauf nach Paris berief, um ihm die Leitung der militärischen Spionagezentrale zu übertragen, folgte ich ihm dahin. Und hier geschah es, daß er mich allmählich in seine Kreise zog und mein Interesse für die Aufgaben seines Berufes zu erregen verstand.

Sie erinnern sich, Nicu, unseres Gespräches in den Salons der Prinzessin Pizzicatino. Ich sagte Ihnen damals, daß ich eine Spionin sei. Ich habe nicht gelogen. Glauben Sie mir!

Nicht Abenteuerlust, nicht Gier nach Geld brachte mich dazu. Nur die Liebe zu Armand! Ich opferte ihm alles. Sie ahnen nicht, wie tief ich in diesen Jahren gelitten habe. Wie oft ich ihn aus höchster Lebensgefahr rettete, welcher Selbstentwürdigung ich fähig war, nur, um ihm neue Erfolge und Auszeichnungen zu ermöglichen.

Er nahm dies alles wie eine Selbstverständlichkeit hin. Er scheute sich nicht, mich in meinem Stolz zu demütigen, mir Dinge zuzumuten, die oft über meine Kräfte gingen. Ich hielt mich für seine Geliebte, und ich war doch nur sein blindes Werkzeug. Blind in meiner Liebe zu ihm, obwohl ich wußte, daß auch andere Frauen in seinem Leben eine Rolle spielten.

Sie werden das nicht verstehen, Nicu, und ich erkläre Ihnen unumwunden, daß ich in nüchternen Augenblicken selbst vor der Zwecklosigkeit, vor der Erbärmlichkeit einer solchen Opferwilligkeit erschauerte. Ich begann langsam einzusehen, daß es für ihn nichts Höheres gab als die Pflicht, daß er mit mir wie mit allen anderen Menschen nur spielte, daß sein Ehrgeiz stärker war als jede Regung der Leidenschaft, aber diese Einsicht ließ mich nicht resignieren, sie reizte mich bloß, den Kampf von neuem aufzunehmen, den Kampf gegen ein Phantom, das Vaterland hieß. Ich hasse dieses Frankreich, ich hasse es, weil es sein ganzes Denken und Fühlen in Anspruch nimmt, weil nichts vor diesem Truggebilde bestehen kann, weil er keine Rücksicht, kein Erbarmen kennt, wenn, wie er sagt, die höheren Gebote des Staates und des Staatswohles auf dem Spiele stehen.

Ich hasse es und unterstütze es dennoch mit allen Kräften, weil ich ihn überzeugen will, daß meine Liebe größer ist als der Dank seines Vaterlandes. Ich bin seinetwegen zur Verbrecherin geworden. Ich habe Akten gestohlen, ich habe meinen Körper preisgegeben, um Diplomaten zu Unvorsichtigkeiten zu verleiten, ich laufe täglich Gefahr, ins Zuchthaus zu wandern oder erschossen zu werden – und dies alles tat ich im Interesse und zum Wohle Frankreichs, das mir nichts gibt und nichts bietet und niemals etwas bedeutet hat. Alles nur, um Armand Dupré in seinen Aufgaben zu unterstützen, die Kette seiner Erfolge ins Ungemessene zu steigern. Denn was er bisher erreicht hat, verdankt er letzten Endes mir.

Sie begreifen das nicht, Nicu? Ich fürchte, Sie werden es nie verstehen!

Ich habe ihm meine Ehre, meinen Frieden, meine Zukunft geopfert, ich hätte Dutzende von Männern haben können, ich ließ sie laufen – Sie wissen es, Nicu – Armand zuliebe, ich, die Fürstin Tatjana Trubakow einem einfachen Kapitän der französischen Armee zuliebe!

Und jetzt, da er mich nicht mehr braucht, mich, die ich für ihn durch dick und dünn gegangen bin und alles aufs Spiel gesetzt habe, läßt er mich fallen, stößt mich hinweg, vergafft sich in ein junges, dummes Ding, das seiner diplomatischen Karriere nützlich sein könnte – – und ich soll dies ruhig ertragen? Sie, sein Freund, der nicht weiß, wen er zum Freunde hat, muten mir zu, wollen mich überreden, ihn freizugeben? Sehen Sie denn nicht ein, daß Sie Unmögliches von mir verlangen?

Habe ich darum jahrelang um ihn gekämpft, um ihn schließlich einer Komtesse Ilona abzutreten, diesem affektierten Püppchen, das ihn durch ihre Naivität zu blenden versteht?! Das nicht einen Funken des Opfermutes besitzt, den ich für Armand aufgebracht habe?!

Ich wagte es, den Kampf gegen eine Nation aufzunehmen. Das war meiner würdig! Sein Vaterland oder ich – das war eine Losung!

Aber mit einem dummen Mädchen in den Wettbewerb zu treten – nein, lieber Freund – nie – niemals!!«

Sie brach plötzlich ab.

»Warum lassen Sie ihn dann nicht laufen, Tete,« fragte ich, »jetzt, da Sie doch erkennen müssen, daß er Ihrer Opfer nicht wert war? Warum begraben Sie nicht ein für allemal die Erinnerung an ihn und wenden sich neuen Zielen zu? Sie sind schön! Sie sind jung! Viele würden sich glücklich schätzen ...«

Sie lächelte müde. Die Erregung, in die sie sich hineingeredet hatte, war mit einem Male geschwunden. Der Glanz ihrer Augen erlosch.

»Ich liebe ihn noch immer,« sagte sie mit einer seltsamen Ruhe, die mit der Leidenschaftlichkeit ihres Wesens nicht im Einklang stand, »– aber anders, als Sie denken, Nicu. Ich beginne ihn zu hassen. Und das wird vielleicht die schönste Phase meiner Liebe werden ...«

Ich begriff nicht recht, was diese Worte bedeuten sollten. Denn sie lachte plötzlich auf. Es war ein Lachen, das erschütterte. Ein Lachen, das aus einer tief verwundeten Seele kam.

So lachen nur die großen Komödianten des Lebens, wenn sie die Tränen verschleiern wollen, die sich ihnen aufdrängen.

Ich sah verlegen zur Seite, weil ich es aufgab, weiter in sie zu dringen. Es wurde ganz still um uns. Und in dieser Stille hörte ich ein Tor zuschlagen. Da blickten wir beide auf.

Wir standen vor dem Schloß. Wladimir Panin, der Gutsverwalter, kam uns entgegen. In der Hand hielt er zwei Papiere. Er spähte in der Runde umher. Seine Miene verriet Enttäuschung, als wollte er sagen: »Wo ist Balaban?« Er hatte wahrscheinlich erwartet, daß wir ihn mitbringen würden. Nun vermißte er ihn.

»Was gibt es, Wladimir?« fragte Tatjana auf russisch.

»Zwei Telegramme, Fürstin – eines für Domnule Bracu ...«

»Und das andere?«

»War an mich gerichtet, Kukunitza – von Ihrem Advokaten in Bukarest. Er fragt an, ob die Gerüchte von Ihrem plötzlichen Verschwinden auf Wahrheit beruhen, und bittet um Nachrichten.«

»Das ist alles?«

»Nein, Fürstin,« sagte Panin, »er ersuchte mich noch, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Sie wiederzufinden und Ihnen mitzuteilen, daß Herr Kapitän Armand Dupré sich gestern mittag in Sinaia mit der Komtesse Ezervary offiziell verlobt hat.«

Einen Augenblick sah ihn Tete starr an, als könnte sie seine Worte nicht fassen. Panin wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Ich trat rasch an sie heran, um sie zu stützen.

Doch sie bedurfte meiner Hilfe nicht. Unbeweglich wie eine Säule stand sie da. Nichts in ihrem Antlitz verriet, was in ihrer Seele vorging. Wortlos übernahm sie von ihrem Verwalter die beiden Depeschen, behielt die geöffnete zurück, ohne sie zu lesen, während sie die andere an mich weitergab.

Ich entfaltete rasch das Papier, überflog die Zeilen und konnte einen Ruf der Verblüffung nicht unterdrücken.


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