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Dreizehntes Kapitel

Ein politisches Zwischenspiel

 

Eine Stunde später hielten zwei vollbesetzte Autos vor dem Palais Trubakow. Der gesamte Parteivorstand des oppositionellen Blocks war erschienen, um dem ehemaligen Räuber die Kandidatur anzutragen. Die Fürstin empfing uns in großer Toilette an der Schwelle ihres Salons. Hinter ihr stand würdevoll Balaban, ihr Schützling. Ich hätte ihn kaum wiedererkannt. So verändert sah er aus. Statt der gewohnten Nationaltracht mit den unvermeidlichen Messern und Dolchen im Gürtel trug er einen dunkelgrauen, nach der neuesten Mode geschnittenen Jackettanzug, der ihm übrigens vorzüglich paßte. Die steife Hemdbrust schillerte in blendendem Weiß. Die sonst in wilden Locken über die Stirn herabfallenden Haare waren rückwärts gestrichen, der buschige Schnurrbart elegant zu zwei Spitzen ausgezogen – welch eine Verwandlung! Aus dem früheren Banditen, aus dem ehemaligen Schenkwirt bei Tulcea war ein Kavalier geworden.

Ja, er lächelte bereits wie ein gewiegter Politiker, als er mir als erstem die Hand drückte, um dann die anderen Herren würdevoll zu begrüßen. Der gewesene Außenminister, seit jeher ein Meister der Pose, ließ es sich nicht nehmen, Balaban feierlich zu umarmen und ans Herz zu drücken. Die anderen folgten seinem Beispiel.

Es war eine rührende Szene.

Diener servierten einen Willkommstrunk, um sich dann lautlos zu entfernen.

Die Verhandlungen konnten beginnen.

Der beste Redner unserer Partei, Barbu Costiceanu, hielt die Ansprache. Mit dem ihm eigenen Schwung schilderte er das Ansehen und die Popularität, die Balaban in allen Kreisen der Bevölkerung genoß, rühmte dessen Herzensgüte und Gläubigkeit in den höchsten Tönen, um hierauf in überaus geschickter Weise die Zeit des Banditentums zu streifen.

»Wir alle wissen,« sagte er, »daß du damals von den edelsten Motiven geleitet wurdest, daß nur ein tragisches Verhängnis dich zum Totschläger werden ließ. Wäre zu jener Zeit nicht wie heute die Regierung Trabianu am Ruder gewesen, du hättest es nicht nötig gehabt, dich vor den Schergen der Staatsgewalt zu verstecken und den Kampf mit ihnen aufzunehmen, aus dem du als Sieger hervorgegangen bist. Man hat dich in niederträchtiger Weise verfolgt, ja sogar einen Preis auf deinen Kopf gesetzt, auf dich, Balaban, den besten, edelsten aller Rumänen. Du mußtest mit deiner Heldenschar von Freunden und Gesinnungsgenossen unter den elendesten Verhältnissen dein Leben fristen, bis endlich die Trabianus die Herrschaft an unsere Partei abtraten, und wir, die wir deine Größe und deinen Mut zu schätzen wußten, bei Seiner Majestät, dem König, die Amnestie durchsetzten. Uns verdankst du Freiheit und Ehre!

Ich brauche dir nicht zu sagen, daß unser Vaterland in Gefahr ist. Wieder führen wie seinerzeit die Trabianus das Regiment. Neuwahlen stehen vor der Tür. Man wird kein Mittel unversucht lassen, um uns, die Opposition, mundtot zu machen, und sich im Parlament und im Senat eine Majorität zu sichern.

Du bist einer der Unsrigen, Balaban! Wenn die gegenwärtige Regierung siegt, dann wird man dich von neuem verfolgen. Das darf nicht geschehen. Eine Welle der Empörung wird unser gutes Volk überfluten.

Das Vaterland ist in Gefahr! Und darum ruft dich das Vaterland! Du mußt für unsere Partei kandidieren!«

Und im Chor wiederholten die anderen feierlich: »Du mußt für unsere Partei kandidieren, Balaban!«

Dieser hatte während der ganzen Ansprache unschlüssig an seinem Schnurrbart gezupft. Tatjana mußte ihm einen kleinen Schlag mit der Hand versetzen, um ihn zur Ordnung zu mahnen. Jetzt, wo er antworten wollte, blickte er sie mit seinen glühenden, schwarzen Augen fragend an.

Die Fürstin nickte ihm freundlich zu. Dann wandte sie sich an uns:

»Meine Herren,« sagte sie, »gestatten Sie mir, daß ich für meinen Freund und Gast das Wort ergreife, weil er sich der Rührung, in die ihn Ihr ehrenvoller Antrag versetzt hat, nur schwer erwehren kann. Selbstverständlich ist er bereit, dem Rufe Ihrer Partei Folge zu leisten und für die Kammerwahlen zu kandidieren. Wenn je ein Mann in diesem Lande den Titel eines Volksvertreters verdient, so ist es unser Freund, der aus dunklem Unterbewußtsein heraus den Kampf gegen eine korrumpierte Staatsgewalt aufnahm. Den Schwachen beizustehen, ihnen den Platz an der Sonne zu geben, war immer seine Losung.«

Die Herren klatschten begeistert Beifall. Der Außenminister küßte Tatjana die Hand. Es war ein Moment von erhebender Weihe.

*

Und die Bukarester Morgenblätter besprachen in spaltenlangen Aufsätzen die Sensation. Die »Dimineatza« erklärte wie gewöhnlich in solchen Fällen, daß eine neue Epoche in der Geschichte unseres Landes anbreche. Der »Universul« meinte, Balabans Kandidatur bedeute einen schweren Schlag gegen die Regierung, denn zweifellos würden die breiten Volksmassen diesem populären Manne, den das Schicksal über Nacht in die politische Arena rief, Gefolgschaft leisten. Die Opposition sei zu einer gefährlichen Macht geworden, der Ausgang der Wahlen daher höchst zweifelhaft. Denn so glänzend auch die Trabianus ihre Partei und den Wahlkampf organisiert hätten, die ungeheure Volkstümlichkeit eines Balaban drohe alle ihre Berechnungen und Erwartungen über den Haufen zu werfen.

Schon in den frühen Morgenstunden wälzte sich ein riesenhafter Demonstrationszug nach dem Palais der Fürstin Trubakow, um dem neuen Kandidaten eine frenetische Ovation darzubringen. Im letzten Augenblick versuchte die Polizei, die Straßenzugänge abzuriegeln. Aber die Kordons wurden im jähen Ansturm durchbrochen. Das Volk von Bukarest, die dumpfen Massen aus der Mahala, aus der Vorstadt, wollten ihren Liebling, ihren Heros begrüßen und sehen.

Die Regierung war durch die Ereignisse überrumpelt. Die Besorgnis, die unter den Kabinettsmitgliedern herrschte, kam in den Organen der Regierung nur gar zu klar zum Ausdruck. Der »Viitorul« schrieb empört, Balabans Kandidatur sei kein Schlag gegen die Regierung, sondern ein Faustschlag in das politische Antlitz unseres Landes – ein Satz, der an Unverständlichkeit kaum etwas zu wünschen übrigließ. Aber gleich darauf folgte die Erklärung: Rumäniens Ansehen dürfe nicht durch die Wahl eines ehemaligen Banditen zum Deputierten vor aller Welt in den Staub gezerrt werden. Das Vorgehen der Opposition sei eine Blasphemie, ein Verrat an den heiligsten Gütern der Nation, der nicht ruhig ertragen werden dürfe. Es sei ausgeschlossen, daß die oberste Wahlbehörde eine Kandidatur Balabans anerkennen würde.

Um 10 Uhr vormittags trat das Kabinett zu einer Sitzung zusammen, um die neue Lage zu besprechen. Um 10 Uhr 30 Minuten setzte sich der alte Trabianu mit Barbu Costiceanu und dem früheren Außenminister in Verbindung und bat die Herren zu einer Unterredung. Indessen tobte die Menge vor dem Palais Trubakow, wo sich Balaban auf dem Balkon zeigen und die rauschenden Akklamationen entgegennehmen mußte. Das neuerliche Wahlkompromiß, das der Ministerpräsident unserer Partei vorschlug, wurde abgelehnt. Er hatte drei Ministersitze angeboten, wenn wir uns entschließen würden, in die Regierung einzutreten und Balaban wieder fallen zu lassen. Costiceanu forderte aber vier Ministersitze, darunter das auswärtige Ressort. Davon wollte Trabianu aber nichts wissen.

Die Verhandlungen dehnten sich bis 1 Uhr mittags aus, ohne daß eine Einigung erzielt werden konnte.

Da in der Hauptstadt die tollsten Gerüchte kursierten, und da die Korrespondenten der ausländischen Zeitungen, froh, daß sie endlich wieder etwas berichten konnten, nichts Eiligeres zu tun hatten, als diese Gerüchte in alle Weltrichtungen hinauszudrahten, ließ die Regierung strengste Pressezensur verhängen. Jede Depesche, die ins Ausland gehen sollte, wurde erst dem Ministerium vorgelegt, gestrichen, verstümmelt oder gänzlich unterdrückt.

Die gesamte Garnison war in Bereitschaft. Patrouillen zu sechs bis acht Mann durchstreiften mit aufgepflanztem Bajonett die Haupt- und Nebenstraßen. Man fürchtete eine Erhebung des Pöbels. Aber nichts dergleichen geschah.

Spät am Abend reiste Balaban in Begleitung Barbu Costiceanus in der Richtung nach Galatz ab, um sich seinem Wahlkreise vorzustellen. Unsere Partei bereitete ihm einen festlichen Abschied. Hundert Fackelträger geleiteten ihn im geschlossenen Zuge zum Bahnhof.

In Regierungskreisen tobte man vor Entrüstung. Die Präfekten des ganzen Landes wurden nach Bukarest berufen, um geheime Weisungen entgegenzunehmen. Der Wahlkampf drohte die allerschärfsten Formen anzunehmen. Aus der Provinz meldete man Freudenkundgebungen der Bauern über Balabans Kandidatur. Die Opposition jubelte auf.

Man war gespannt auf die erste Rede, die Balaban halten würde. Die gesamte Presse schickte ihm Sonderberichterstatter nach. Das offiziöse Regierungsblatt druckte eine Erklärung des Ministerpräsidenten ab, in der er zum Ausdruck brachte, er baue auf den gesunden Sinn der Bevölkerung, die derartige verwerfliche Mittel der Opposition verurteilen und wie ein Mann hinter der neuen Regierung stehen müsse. Es sei nicht Schuld der Regierung, wenn jetzt der Wahlkampf Formen annehme, die zu beklagenswerten Folgeerscheinungen führen könnten.

Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, daß die Trabianus nicht zurückschreckten, die herrschende Volksstimmung gewaltsam zu unterdrücken.

Und in dieser Stunde der Hochspannung, der Fieberhitze, in dieser Stunde einer bis zur Explosionsgefahr gesteigerten Atmosphäre platzte wie eine Bombe das Telegramm Mr. Stopings aus New York:

»Heute abreisen erster Schub dreitausend mit ›Abraham Lincoln‹ nach Rumänien. Eintreffen 20. Juni Konstanza. Genaue Reisedispositionen unterwegs. Setzet euch mit Cookfiliale Bukarest in Verbindung zwecks Quartierbereitstellung. Veranlasset unbedingt Balaban in Aktion zu treten. Zwei Millionen Lei zur Deckung der Spesen Marmaros Blank-Bank überwiesen. Selbst ankomme 12. Juni Bukarest. Drahtet Antwort Victoria-Hotel London. Grüße Stoping.«

*

Aussichtsloses Verlangen! Andere, wichtigere Interessen standen im Augenblick auf dem Spiele!

Mit tausend Flüchen verwünschte ich den Amerikaner und seine absurde Idee.

Und dann depeschierte ich ihm an das Victoria-Hotel in London:

»Durchführung derzeit unmöglich. Abwartet Wahlausgang! Stehe für nichts ein. Bracu.«

Am gleichen Tage ließ mich der amerikanische Gesandte zu sich bitten. Auch er hatte ein Telegramm der Reiseagentur erhalten und war sogleich bei der Regierung vorstellig geworden, damit seinen Landsleuten während ihres Aufenthaltes in Rumänien keine Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten bereitet würden. Er berief sich dabei auf die Versprechungen des früheren Kabinetts, das den Fremdenverkehr in jeder Weise zu fördern wünschte.

Aber der alte Trabianu wollte keine bindenden Zusicherungen abgeben. Er erklärte, die augenblicklichen Verhältnisse seien nicht geeignet, den ausländischen Vergnügungsreisenden ein richtiges Bild von den Zuständen unseres Landes zu bieten. Er freue sich zwar über das Interesse, das Amerika Rumänien entgegenbringe, doch sei man auf einen derartigen Massenzustrom von Fremden nicht vorbereitet. Nach dem Wahlkampf wolle er über diese Angelegenheit weiter reden.

Nun verlangte der amerikanische Gesandte von mir als dem Vorstand des »Vereins zur Hebung des Ansehens Rumäniens im Auslande und zur Hebung des Fremdenverkehrs«, daß der Verein seinen Einfluß aufbiete, um die gegenwärtige Regierung zu einer Sinnesänderung zu bewegen. Eine Stornierung der amerikanischen Gesellschaftsreisen wäre nicht mehr möglich.

Ich war verzweifelt.

Von der Gesandtschaft eilte ich zur Prinzessin Pizzicatino, um mich mit ihr zu beraten. Doch die alte Dame nahm die Unheilsbotschaft durchaus nicht tragisch auf. Ihr Zorn auf den alten Trabianu kannte keine Grenzen.

»Regen Sie sich nicht auf, Nicu,« meinte sie, »die Fremden sollen nur sehen, wie die Trabianus hier hausen. Mir kann es nur recht sein! Amerika ist eine Macht. Wenn einem Amerikaner ein Haar gekrümmt wird, gibt es große diplomatische Auseinandersetzungen, die den Sturz des Kabinetts nur beschleunigen.«

»Aber Prinzessin,« sagte ich, »man wird die Amerikaner überhaupt nicht über die Grenze lassen. Was soll dann geschehen?«

Die Pizzicatino schüttelte das graue Haupt.

»Lassen Sie es nur meine Sache sein, Nicule! Ich werde selbst mit dem amerikanischen Gesandten Rücksprache nehmen. Er muß auf die Regierung einen Druck ausüben.«

»Und Balaban? Der Mann kommt ja für uns nicht mehr in Betracht. Und der war doch als Hauptattraktion in Aussicht genommen?«

»Abwarten,« brummte die Prinzessin, »ich vertraue auf Gottes weise Fügung! Der Regierung zum Trotz wird unser Verein alles zu einem würdigen Empfang der Fremden vorbereiten. Wir können uns doch nicht die hundertfünfundzwanzigtausend Dollar entgehen lassen, die auf uns entfallen sollen?! Morgen berufe ich eine Vorstandssitzung ein. Da werden wir schon einen Ausweg finden!«

*

Gerade als wir uns versammelten, um die Sitzung zu eröffnen – der amerikanische Gesandte war als Ehrengast erschienen – wurde ich von dem Direktor der »Seara« angerufen.

»Hören Sie, Bracu,« sagte er aufgeregt, »Sie müssen sofort in die Redaktion kommen. Es liegen schreckliche Nachrichten vor. Man hat gestern abend, als Balaban in Tulcea eine Wählerversammlung abhielt, diese durch Gendarmerie aufgelöst, die Teilnehmer mit der blanken Waffe auseinandergetrieben und Balaban selbst in Haft genommen.«

Eine halbe Stunde später erfuhr ich den ganzen Sachverhalt. Die Führer unserer Partei schäumten. Eine Deputation erschien beim Innenminister, um gegen Balabans Verhaftung zu protestieren. Doch die Regierung erklärte, nichts unternehmen zu können, ehe nicht der amtliche Bericht der Polizeipräfektur von Tulcea eingetroffen sei.

Folgendes hatte sich begeben:

Gleich nach Bekanntwerden von Balabans Kandidatur war Aurelian Ionescu, der ehemalige Gendarmeriekommandant von Tulcea, derselbe, der seinerzeit die Verfolgung der Räuber organisiert und geleitet hatte, von der neuen Regierung zum Polizeipräfekten des Kreises Tulcea ernannt worden.

Ein raffinierter Schachzug, dessen versteckte Absichten nur gar zu bald klar zutage traten.

Welch ein schlauer Fuchs war doch der alte Trabianu! Der wußte schon, was er tat!

Der Gendarmeriechef war nämlich, als unsere Partei die Herrschaft antrat und die Amnestierung Balabans erwirkte, seines Postens enthoben worden und die ganze Zeit über beschäftigungslos herumgelaufen.

Sicher hatte er die Blamage durch die ergebnislose Jagd auf die Banditen nicht vergessen. Nun sollte ihm Gelegenheit geboten werden, sein Mütchen zu kühlen! Der Gegenkandidat Tittu konnte sich keinen besseren Helfer wünschen.

Als Balaban die erste Wählerversammlung zusammenrief, befand sich Aurelian Ionescu erst vierundzwanzig Stunden im Amt.

Obwohl die Versammlung auf Grund der gesetzlichen Vorschriften rechtzeitig angemeldet und auch der Text der Reden der Präfektur ordnungsgemäß vorgelegt worden war, erließ Ionescu ein nachträgliches Verbot. Er begründete dieses Verbot mit einem Typhusfall, der sich angeblich im Kreise Tulcea ereignet habe. Um eine Ausbreitung der gefährlichen Epidemie zu verhüten, dürfen bis auf weiteres, so erklärte er, größere Menschenansammlungen nicht geduldet werden.

Barbu Costiceanu, der solche Mätzchen schon kannte, wandte sich sofort an die Sanitätsbehörde, um Näheres über den angeblichen Typhusfall zu erfahren. Aber man verweigerte ihm jede Auskunft. Der mysteriöse Typhuskranke war nirgends aufzufinden.

Costiceanu und Balaban legten Protest gegen die Verfügung des Polizeichefs ein. Doch Ionescu blieb bei seinem Verbot.

Eine telegraphische Beschwerde beim Innenministerium erzielte selbstverständlich auch keinen Erfolg. Sie wurde überhaupt nicht beantwortet.

Indessen waren die Bauern und Fischer aus der ganzen Gegend nach Tulcea gekommen, um Balaban, ihren Liebling, sprechen zu hören. Dort und da, auf den Straßen und Plätzen, bildeten sich kleine Gruppen, die in scharfen Worten zu dem Verbote Stellung nahmen.

Ionescu ließ die Gendarmerie aufmarschieren. Alle, die es gewagt hatten, die Verfügung der Behörde zu kritisieren, wurden in Haft genommen. Mit der Methode des Schreckens wollte man der Balaban-Begeisterung ein jähes Ende bereiten. Aber die Bevölkerung ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.

Immer neue Scharen drängten sich in die Stadt, demonstrierten gegen den neuen Präfekten und brachten Hochrufe auf Balaban und Costiceanu aus. Die beiden hatten inzwischen bei Ionescu vorgesprochen und die Freilassung der Verhafteten gefordert. Der Polizeichef beharrte hartnäckig auf seinem Standpunkt und drohte mit verschärften Maßnahmen. Übrigens verlangte er, daß Balaban sofort die Stadt verlasse, weil seine Anwesenheit geeignet sei, die Erregung unter der Bevölkerung zu verstärken. Er stellte eine Frist von vier Stunden.

Zweifellos hegte er die Absicht, Balaban aufs höchste zu reizen. Denn am Schlusse seiner Erklärung machte er eine abfällige Bemerkung über die moralischen Qualitäten des neuen Kandidaten. Costiceanu legte Verwahrung dagegen ein. Balaban rührte sich nicht.

Da rief der Polizeichef: »Es ist eine Schande, daß ein gemeiner Mörder, ein Strauchdieb wie dieser hier es wagen darf ...«

Weiter kam er nicht. Eine weit ausholende Bewegung des ehemaligen Räuberhauptmanns, dem plötzlich die Zornesröte ins Gesicht stieg – und schon fiel seine mächtige Tatze klatschend auf das Gesicht des Polizeigewaltigen. Dies ging so rasch vor sich, daß Costiceanu seinen Begleiter nicht mehr zurückzureißen vermochte.

Ionescu taumelte mit einem Schmerzensschrei zurück. Aus seiner Nase quoll ein Blutstrom.

Aber im nächsten Augenblick stürzten sich mehr als ein Dutzend Gendarmen, die im Hintergrund des Saales Aufstellung genommen hatten, auf Balaban, rissen ihn zu Boden, fesselten ihn und schafften ihn in Arrest.

Soweit der erste Bericht, der zu uns nach Bukarest gelangte.

Das offiziöse Organ sprach von einem rohen Widerstand gegen die geheiligte Staatsgewalt, der eine gerechte Sühne finden müsse. Der heldenmütige Polizeipräfekt von Tulcea sei ein Opfer seiner Pflicht geworden. Nun könne man sehen, wohin es führe, wenn man einen gemeinen Räuber zum Kandidaten aufstelle. Die Regierung täte gut, Balabans Amnestierung zu annullieren. Es sei selbstverständlich, daß ihm jetzt in aller Form der Prozeß gemacht werden müsse, auch wegen der früheren Verbrechen, die ein heute unbegreiflicher Gnadenakt des Königs mit dem Mantel der Vergessenheit bedeckt habe.

Die Ausgaben der Oppositionspresse, die das provokatorische Verhalten des Polizeichefs feststellten und das Verbot der Wahlversammlung, in der Balaban seine erste Rede halten sollte, als ungesetzlich und als einen Willkürakt der Behörde erklärten, wurden konfisziert. Der alte Trabianu triumphierte.

Balaban hinter Schloß und Riegel – die Opposition mundtot gemacht – in Bessarabien Verkündung des verschärften Belagerungszustandes – die Presse geknebelt – die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt – mehr konnte er sich nicht wünschen. Die Wahlen waren gesichert!

Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, besser, ohne Balaban.

Uns war es zwar unmöglich, mit Tulcea Verbindung zu erhalten, da die Regierung den gesamten Telephon- und Telegrammverkehr unter strenger Kontrolle hielt und keine Nachrichten durchließ. Durch Kuriere erfuhren wir nur, daß Barbu Costiceanu auf der Heimreise nach Bukarest in Galatz von der Polizei festgehalten wurde.

Aber zwei Tage nach der Verhaftung Balabans verbreitete sich in der Hauptstadt das Gerücht, in Tulcea und Umgebung wären große Unruhen ausgebrochen. Aus Galatz sei ein Regiment Infanterie in das Donaudeltagebiet beordert worden.

Wir stellten sogleich Reporter auf dem Nordbahnhof auf, um Erkundigungen bei den aus Galatz und Braila eintreffenden Reisenden einzuziehen. Aber diese wußten auch nichts Näheres. Sie konnten nur die Gerüchte bestätigen, die bereits in Bukarest in Umlauf waren.

Seltsam erschien es uns, daß die von der Regierung abhängige Nachrichtenagentur nicht ein Wörtchen über die angeblichen Unruhen brachte. Man überging die Gerüchte mit eisigem Schweigen.

Am dritten Tage platzte aber eine neue Bombe. Die »Lupta« war es, die sie zur Explosion brachte, und zwar auf eine sehr eigenartige Weise. Alle Sonderberichterstatter, die von den verschiedenen Zeitungen in den letzten Tagen der Ungewißheit auf gut Glück in das Donaudeltagebiet entsandt wurden, waren unterwegs von der Gendarmerie aufgehalten worden. Einige, denen es trotzdem gelang, bis nach Tulcea vorzudringen, konnten das, was sie gesehen und gehört hatten, nicht weiter berichten, weil die Postbehörde auf Weisung der Regierung die Telegramme zwar entgegennahm, aber nicht an die Zielstation beförderte. Ebenso wurden die Briefe unterschlagen. Natürlich versuchte es dieser oder jener, um den Zweck der Zeilen zu verheimlichen, seine Mitteilungen statt an die Redaktion an eine unverdächtige Privatadresse gelangen zu lassen, aber auch diese Briefe erreichten ihren Bestimmungsort nicht. Man hatte auf die Journalisten eben ein scharfes Auge.

Daher war die »Lupta« auf einen sehr einfachen Trick verfallen. Statt einen ihrer den Behörden wohlbekannten Redakteure betraute sie eine gelegentliche Mitarbeiterin mit der schwierigen Aufgabe, den Schleier, der sich um die Ereignisse in Tulcea und Umgebung zog, zu lüften.

Diese junge Dame setzte sich auf die Bahn und nahm ihren dreijährigen Neffen auf die Reise mit. Und in der Tat erregte das Frauenzimmer mit dem Kind keinen wie immer gearteten Verdacht der Behörden. Ungehindert kam sie nach Tulcea, wo sie in aller Ruhe ihre Recherchen aufnehmen konnte. Der kleine Schreihals an ihrer Seite war ihr der beste Schutz. Niemand schöpfte auch nur den geringsten Argwohn.

Während es den anderen Zeitungsschreibern unmöglich gemacht wurde, die Stadt zu verlassen, durfte sie ruhig ihres Weges ziehen.

Allerdings untersuchte die Gendarmerie alle Reisenden, welche Tulcea den Rücken kehrten, nach Briefschaften. Es bestand nämlich der Verdacht, die unter strenger Kontrolle stehenden Reporter könnten den Versuch unternehmen, ihre Post durch Mittelsleute hinauszuschmuggeln.

Auch die Mitarbeiterin der »Lupta«, die es vorgezogen hatte, alle ihre journalistischen Ausweise daheim zu lassen, entging nicht der Visitierung. Man durchwühlte ihre Reisetasche, überprüfte die Papiere, Dokumente und Postsachen, glaubte ihren Angaben, daß sie Verwandte in Malcoci besuchen wolle – nur an den kleinen Jungen, in dessen Anzug das Notizbuch der Journalistin eingenäht war, dachte man glücklicherweise nicht.

So durfte sie schließlich passieren, um dann auf allerlei Umwegen Bukarest zu erreichen.

Gleich nach der Rückkehr ihrer Mitarbeiterin – es war in den ersten Nachmittagsstunden – überschwemmte die »Lupta« in zahllosen Exemplaren die Hauptstadt mit den langersehnten Sensationsmeldungen. Heulend rasten die Zeitungsjungen durch die Straßen. Sie brauchten nur die ersten Worte der Titelüberschriften auszurufen, da riß man ihnen schon die Blätter aus der Hand.

Ehe die Regierung durch die Polizeipräfektur die Beschlagnahme der »Lupta« verfügen konnte, war der größte Teil der Auflage bereits verkauft. Die Polizeibeamten, die in den Zeitungskiosken Nachschau hielten, fanden nur eine geringe Beute. Ganz Bukarest wußte schon, was geschehen war. Einer erzählte es dem anderen. Im Café Capsa sprach man voller Empörung über das Vertuschungssystem der Regierung. Heimlich reichte man das Hauptblatt der »Lupta« von Hand zu Hand.

In riesigen Lettern stand da:

Balaban auf dem Transport nach Galatz entflohen!!! Aufruhr im Deltagebiet – Polizeipräfekt Ionescu terrorisiert die Bevölkerung – Warum verschweigt Trabianu die Tatsachen?

Um 6 Uhr abends überfiel mich die Prinzessin Pizzicatino in der Redaktion. Die alte Dame strahlte vor Glück.

»Na, Nicule, mein Junge,« rief sie, »hab' ich das nicht glänzend gemacht?«

»Aber Prinzessin, was haben Sie denn bloß getan?«

»Nichts, gar nichts! Ich sah nur die Ereignisse kommen. Das ist alles! Es war doch zu erwarten, daß die Regierung Balaban in Haft setzen würde, um den Begeisterungstaumel der Bevölkerung rechtzeitig einzudämmen. Und nun ist der Teufel los! Wissen Sie denn noch nicht alles?«

Und schon sprudelte sie los:

»Ionescu, der einen Sturm auf das Gefängnis in Tulcea befürchtete, ließ Balaban in der Nacht unter starker Gendarmeriebedeckung nach Galatz schaffen. Aber unterwegs in Isaccea wurde der Transport von Fischern und Bauern überfallen. Zwei Gendarmen mußten daran glauben. Die übrigen sind entflohen. Man erzählt, Balaban sei im Gefängnis blutig geschlagen worden. Er habe sich kaum mehr rühren können, als man ihn auf den Wagen auflud. Schreckliche Dinge, nicht wahr?«

»Und Sie freuen sich dennoch, Prinzessin?« fragte ich befremdet.

»Ja,« sagte sie und lachte wie verrückt, »ich bin überglücklich! Nun kann ja der Tanz losgehen, den die Trabianus so unbedacht entfesselt haben. Soeben erhielt ich von meinem Freunde Colonel Wassilescu aus Galatz Nachricht. Er schreibt, daß Balaban dem Polizeipräfekten Ionescu bittere Rache geschworen habe, daß er wieder eine Bande bilde, die ungeheuren Zulauf findet ...«

»Aber Prinzessin,« schrie ich, »das kann doch fürchterliche Folgen nach sich ziehen! Man darf Balaban nicht zum Äußersten treiben! Unsere Partei muß mit der Regierung in Verhandlungen treten ...!«

»Alles Dummheit, Nicule,« beschwichtigte mich die Prinzessin, »wir rühren keine Hand. An der Nuß Balaban wird sich der alte Trabianu die Zähne ausbrechen. Gegen Balaban hat noch keine Regierung etwas ausrichten können. Das ganze Volk steht hinter ihm. Und wenn sie die gesamte Militärmacht auf ihn hetzen – sie kriegen ihn nicht, Nicule, sie kriegen ihn ganz bestimmt nicht! Wir werden ihn mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen! Lieber sehe ich einen Balaban auf dem Ministerpräsidentenstuhl als den alten Trabianu, der es gewagt hat, meinen Sohn, den Bibi, aus Paris abzuberufen, gerade jetzt, wo er so herrliche Geschäfte hätte machen können.«

Sie richtete sich stolz auf.

»Der Esel, unser hoher Regierungschef, soll erfahren, was es heißt, die Prinzessin Pizzicatino zur Feindin zu haben! O wäre noch unser guter Ferdinand am Leben und Ihre Majestät, die Königin Maria an der Macht – mit einem Federstrich hätten wir den alten Trabianu in die Versenkung gestürzt. Aber heute gibt es keine Autorität mehr im Staate! Ein unmündiger König, eine gehorsame Regentschaft, die von der Gnade des alten Trabianu lebt – das muß anders werden! Diese alten Männer richten uns zugrunde, wenn wir Frauen uns nicht wehren!«

Sie hielt jäh inne, sah mich eine Weile zärtlich an, legte dann die Hand auf meine Schulter und sagte leise: »Und die hundertfünfundzwanzigtausend Dollar für unseren Verein sind gar nichts?«


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