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Viertes Kapitel

Bukarest erlebt eine kleine Sensation

 

Balaban konnte ein Vermögen verdienen. Aber er wollte nicht. Er wollte um keinen Preis. Einer guten halben Stunde bedurfte es, bis ich ihm begreiflich machen konnte, was wir von ihm verlangten. Es war doch die natürlichste Sache der Welt. Er sollte wieder werden, was er einmal gewesen war. Nichts weiter.

»Was einmal war, das ist gewesen«, erklärte Balaban und zündete sich eine Pfeife an, deren dicker Qualm durch das niedrige Wirtszimmer strich und uns den Atem benahm.

»Was ist gewesen?«

»Der Räuber Balaban!«

Er sprach diesen Titel mit einem Stolz aus, der ihm alle Ehre machte. Mr. Stoping öffnete seine Brieftasche und zeigte ihm ein Bündel Dollarnoten. Balaban kannte sie scheinbar nicht. Denn er schüttelte nur mißmutig den wuchtigen Schädel, der einem Granitblock ähnelte. Und schließlich sagte er: »Du weißt nicht, domnule, wie schwer es ein Räuber hat. So wie ich es jetzt treibe, gefällt es mir besser. Ich habe meine Ruhe und meinen Frieden. Wenn die Herren Gendarmen vorüberkommen, so trinken sie ein Fläschchen Zuika bei mir und erzählen von alten Zeiten. Manchmal bezahlen sie, manchmal auch nicht. Dafür bringen sie mir Sachen, die ich auch nicht bezahle. So wäscht eine Hand die andere. Es lebt sich recht gut dabei.«

Ich war nahe daran, die Wand hoch zu klettern. Der Mann ließ sich nicht bewegen, Mr. Stopings Projekt einer näheren Erwägung zu unterziehen. Die ganze Reise drohte vergeblich gewesen zu sein. Die Reise der fünfzigtausend Amerikaner, die Stoping nach Rumänien zu lenken beabsichtigte, sollte schmählich ins Wasser fallen? Das durfte nicht sein! Schon um der Söhne willen, die Prinzessin Pizzicatino zu unterstützen hatte.

»Balaban,« begann ich von neuem, »nicht nur wir, das ganze Volk setzt auf dich die größten Hoffnungen. Durch dich ist unser Land berühmt geworden, jenseits des Ozeans spricht man von dir – und Ruhm verpflichtet. Überall, in der Moldau wie in der Walachei, in den Karpathenwäldern ebenso wie auf den Steppen Beßarabiens besingt man deine Taten, die Bauern verherrlichen dich als Helden und Befreier, die Mädchen schwärmen von deiner Kraft und deiner Schlauheit – und du, elender Starrkopf, du blödsinnige Hundeseele willst dich zur Ruhe setzen?«

Aber auch dieser Weckruf verfehlte seine Wirkung. Die zärtlichen Bezeichnungen, die ich ihm zugedacht hatte, quittierte er mit einem müden Lächeln. Er war stärkere Ausdrücke gewöhnt.

» Domnule – ich bin amnestiert,« gab er zur Antwort, »warum soll ich wieder von neuem anfangen?«

Es schien schwerer zu sein, aus einem ehrlichen Menschen einen Banditen zu machen als umgekehrt. Ich versicherte ihm, daß ihm nicht das geringste geschehen würde, daß er in kurzer Zeit ein Vermögen verdienen könnte, daß er bloß die verschiedenen amerikanischen Reisegesellschaften überfallen und von jedem Teilnehmer ein bestimmtes Lösegeld erpressen müßte ...

»Und die Regierung?« fragte er.

»Die Regierung wird dich schützen! Nur deinetwegen, nur um dich von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen, kommen die vielen Fremden zu uns herein. Wenn du nicht wieder Räuber wirst, dann bleiben auch die Fremden aus. Dann wird es unserem Staat so schlecht ergehen wie bis jetzt. Du bist doch ein Patriot, Balaban, nicht wahr? Du wirst nicht zögern, wenn das Vaterland ruft! Das Vaterland braucht dich aber! Siehst du diesen Herrn da – er kommt von weit her, von Amerika, um dir ein Geschäft vorzuschlagen, wie es nicht besser sein kann. Was dir fehlt, das wollen wir dir beschaffen. Du sollst einen großen Vorschuß von uns bekommen, mehr als du jemals in deinem Leben besessen hast. Jeder Mann von deiner Bande wird einen hohen Sold erhalten. Und nun überlege es dir noch einmal!«

Balaban kraute sich in den Haaren.

»Ich habe versprochen,« sagte er, »mich ruhig zu verhalten. Ich habe mich zweimal im Jahr bei der Polizeipräfektur in Tulcea zu melden. Ich will nicht mehr Räuber werden!«

»Du sollst nicht Räuber sein, Balaban!« rief ich, da mir plötzlich wie von ungefähr eine Erleuchtung gekommen war, »du hast recht! Ich erkenne deinen Standpunkt an. Aber einen anderen, viel besseren Vorschlag wirst du bestimmt annehmen.«

Balaban nahm die Pfeife aus dem Mund und sah mich fragend an. Jetzt, da ich ihn nicht mehr drängte, schien er enttäuscht zu sein.

»Komm mit uns nach Bukarest,« sagte ich, »ich lade dich ein! Ich werde dir eine gute, eine glänzende Beschäftigung verschaffen!«

»Nach Bukarest?« wiederholte der ehemalige Räuberhäuptling, indem er bedächtig den Kopf wiegte, »in die Metropole? In der großen Stadt einmal sein – – oh!«

Sein Blick richtete sich traumverloren zur Decke empor.

»Du warst noch nie in Bukarest, Balaban?«

»Nie, domnule! Ich kenne Braila, ich kenne Galatz, einmal war ich sogar in Constantza im Gefängnis, aber da bin ich am selben Tage ausgebrochen. Das sind große Städte. Wunderbare Städte. Aber Bu–ka–rest – – Bukarest?! Das lag zu weit für mich. Dort ist kein Platz für Räuber, für Menschen meines Schlages.«

Ich war allerdings anderer Meinung. Aber ich hätte ihm meinen Standpunkt nicht gut erklären können. Es hat wenig Sinn, solchen Leuten den Respekt vor der hohen Behörde zu nehmen. Und darum sagte ich kurz entschlossen: »Wir nehmen dich mit nach Bukarest!«

Ich gestehe offen, daß es mir im Augenblick völlig schleierhaft war, was mit Balaban in Bukarest geschehen sollte. Mir ging es nur darum, den hartnäckigen, bockbeinigen Mann aus dieser Einsamkeit herauszulocken, ihn in meiner Nähe zu haben – das Weitere würde sich schon finden. Balabans Gesicht klärte sich auf.

»Das willst du wirklich tun?«

Ich nickte. Und auch Mr. Stoping nickte, obwohl er kein Wort von unserer Unterhaltung verstanden hatte. Ich mußte ihn erst von der Wendung des Gespräches unterrichten.

»Mister Bracu,« erklärte er, »das paßt mir nicht. In spätestens einer Woche reise ich ab – nach drüben. Bis dahin muß ich Klarheit haben. Sonst kann ich die Sache nicht schaffen. Wir haben nicht mehr viel Zeit, kaum zwei Monate. Ende April wird der erste Schub in Bewegung nach Europa gesetzt. Sagen Sie das dem Mann!«

»Und wenn ich es ihm tausendmal sage, er versteht es doch nicht, Mister Stoping! Er ist ein dummer Räuber, der von großen Geschäften keine Ahnung hat. Sie dürfen ihn nicht mit Ihren amerikanischen Finanzmagnaten auf die gleiche Stufe stellen.«

»Was soll er aber in Bukarest? Der Mann hat schleunigst Bandit zu werden, damit man ihn rasch wieder populär machen kann.«

»Lassen Sie das meine Sache sein, Mister Stoping.«

Der Amerikaner brummte unzufrieden etwas vor sich hin. Balaban aber reckte und streckte sich. Die Aussicht, Bukarest kennenzulernen, beglückte ihn.

Als er hochaufgerichtet vor uns stand, sahen wir erst, was für ein Koloß er war. Ein Bärenkerl! Es gibt wenige seinesgleichen in unserem Königreich! Erst jetzt verstand ich, warum man ihn vom Militärdienst befreit hatte. Kein Unteroffizier würde es gewagt haben, ihn abzurichten – aus Angst, von ihm erdrückt, durch den Schlag seiner riesigen Faust zermalmt zu werden.

Solch ein Hüne mußte Schrecken und Furcht verbreiten, wenn er sich erhob! Er brauchte nur die Augen zu rollen – und man versank in nichts. Aber seine Augen glänzten nur feucht vor Rührung, daß er Bukarest, den Traum jedes rumänischen Bauern, sehen sollte. Ich hatte die Anziehungskraft dieser Stadt nicht unterschätzt.

»Abgemacht!« rief ich und streckte ihm zur Bekräftigung die Hand entgegen. Er schlug ein, nachdem er seine schmierige Tatze fürsorglich an seinem roten Gürtel abgewischt hatte. –

*

Zwei Tage darauf sollte seine Sehnsucht verwirklicht werden, sein Traum in Erfüllung gehen.

Auf dem Wege vom Nordbahnhof nach Cotroceni saß er stolz an der Seite des Droschkenchauffeurs, der sich kaum zu rühren wagte und nur scheue Seitenblicke auf den Nachbarn warf. Die mächtige Bärenmütze, die während der ganzen Eisenbahnfahrt über seinem Schädel gestülpt war, hatte er abgenommen, so daß seine schwarzen Haare im Winde flatterten. Aus seinem Gürtel ragten Messer und Dolche hervor, wundervoll geschmiedete Arbeiten, Erzeugnisse uralter Bauernkunst. Zum praktischen Gebrauch schienen sie mir zu kostbar. Die unheimlich große Pistole, die er sich überdies noch umgeschnallt hatte, war glücklicherweise ungeladen und sollte nur als Zierstück dienen. Aber er erregte damit Aufsehen. In allen Straßen, die wir passierten, blieb man stehen und sah ihm nach. Mit funkelnden Augen betrachtete er die Spaziergänger und die blitzenden Auslagen der großen Geschäfte. Ich weiß nicht, was er alles innerlich in dieser Stunde erlebte. Aber es muß für ihn ein großes, ein herrliches Erlebnis gewesen sein.

Ein paar Stunden später begleitete er mich in die Redaktion. Das Aufsehen, das sein Anblick hervorrief, wiederholte sich in noch viel größerem Maße. In der Calea Victoriei begegneten wir dem Polizeipräfekten, der erstaunt stehenblieb.

»Wen zum Teufel hast du da mitgebracht, Bracu?« fragte er betroffen.

»Balaban!« sagte ich.

Der Name wirkte Wunder. Der Präfekt schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Balaban!« schrie er ganz aufgeregt, »du bist verrückt, Bracu! Was hast du mit ihm vor?!«

Ich nickte ihm stumm zu und ging weiter. Balaban, die Brust mit Dolchen gespickt, erhobenen Hauptes hinter mir her.

Der Ruf, daß Balaban, der Räuber, nach Bukarest gekommen sei, verbreitete sich mit Windeseile durch die Stadt.

Wir hatten Mühe, vorwärtszukommen. Man umdrängte uns immer dichter. Aus den Geschäften stürmten die Verkäufer heraus, um Balaban zu sehen. Die Schuhputzer an den Straßenecken johlten ihm einen Willkommengruß zu, die Wagen und Automobile hielten an, Frauen bekamen Herzklopfen, Mädchen erröteten, ein dichter Schwarm von Menschen, dienstfreien Offizieren, Studenten, Kaufleuten, Kokotten, Zeitungsjungen und Soldaten wälzte sich schreiend und lachend Balaban nach, der mit keiner Miene zuckte und die Huldigungen der Bevölkerung wie etwas Selbstverständliches entgegennahm. Nur wenn ein hübsches Weibergesicht sich an ihn herandrängte, verzog er den breiten gutmütigen Mund zu einem behaglichen Grinsen, schnalzte mit der Zunge, als wenn er etwas Leckeres witterte und sagte wohlwollend: »Oh – du kleine Katze!«

In der Redaktion wurde er Gegenstand lebhafter Bewunderung.

Vor unserem Gebäude staute sich die Menge, die nach Balaban brüllte. Die Telephonanrufe nahmen kein Ende. Ob es wahr sei, daß Balaban – Balaban – Balaban, der berühmte Bandit, Balaban, der Koloß, Balaban, das Ungeheuer, von dem man ein Jahr lang nichts mehr gehört habe, nach Bukarest gekommen sei? Ob er jemand ermordet habe? Ob er verhaftet sei?

Meine Freunde und Bekannte rannten mir die Tür ein, um Näheres in Erfahrung zu bringen.

Das Hofmarschallamt ließ anfragen, was es mit den Gerüchten über Balaban für eine Bewandtnis habe.

Der Präfekt gab Befehl, die Straße, in der sich unser Redaktionsgebäude befand, durch berittene Polizei zu säubern, um dann persönlich Balaban in Augenschein zu nehmen.

Wenige Minuten später traf die gute, alte Prinzessin Pizzicatino ein, konnte sich vor Freude nicht fassen, umarmte den braven Balaban, der steif wie ein Klotz dastand und sich diese Zärtlichkeiten nicht erklären konnte. Aber nachdem er sich ein wenig von seiner Überraschung erholt hatte, küßte er ihr galant die Hand, was die anderen veranlaßte, begeisterte Hochrufe anzustimmen, während die Prinzessin gerührt in Tränen ausbrach.

Der Taumel setzte sich fort, als die »Seara« erschien. Man wollte wissen, was Balaban in Bukarest wollte. Ich wußte es selbst nicht.

Aber ich schrieb drei große Artikel über ihn. Drei Artikel, welche die tatenreiche Vergangenheit Balabans wieder heraufbeschworen, und von seinem Werdegang, seinen verschiedenen Abenteuern und Zusammenstößen mit der Gendarmerie und der zu Hilfe gerufenen Militärmacht, von seiner Amnestierung und schließlich von seiner Rückkehr ins geordnete Leben erzählten. Denn darauf kam es an: Balaban als den reuigen Sünder hinzustellen, der sich hier in der Hauptstadt des Reiches eine neue Existenz schaffen will. Der Nimbus, der seinen Namen umwob, stempelte die an und für sich unbedeutende Angelegenheit zu einer Sensation.

Vor einigen Wochen hatte ein berühmter deutscher Philosoph unserer Metropole einen Besuch abgestattet. Man reichte ihn ehrerbietig von Salon zu Salon, der Ministerpräsident und Prinz Nikolaus empfingen ihn in Audienz, die Buchhändler stellten sein Porträt und seine Bücher in die Auslage, die Damen der Gesellschaft begannen acht Tage lang Deutsch zu lernen. Die zwei Vorträge, die der Philosoph auf Einladung der rumänischen Akademie hielt, waren von den vornehmen Bojarinnen und reichen Jüdinnen überlaufen; von einem Tee, den der deutsche Gesandte zu Ehren seines berühmten Landsmannes gab, sprach man immerhin vierundzwanzig Stunden, die Zeitungen veröffentlichten kurze, feuilletonistische Auszüge aus seinen bedeutendsten Werken – aber es war und blieb doch nur ein ganz beschränkter Kreis der Bukarester Bevölkerung, der durch die Anwesenheit des gefeierten Philosophen in Atem gehalten wurde.

Anders bei Balaban.

Seine ungeheure Volkstümlichkeit, die bis zu den niedersten Schichten hinabreichte, zeigte sich jetzt in überraschendem Maße.

Draußen in der Mahala, im Elendsviertel von Bukarest, johlten und pfiffen die Gassenbuben das feurige Lied von Balaban und seinen neun Getreuen mit neuen Variationen, ein Lied, das bis vor einem Jahre an Popularität von keinem Revueschlager übertroffen werden konnte. Es war die Nationalhymne der dumpf dahinlebenden Massen unseres Volkes.

Als Balaban plötzlich in der Versenkung verschwunden war, hatte man auch das Lied von ihm vergessen. Nun feierte es wieder seine Auferstehung. In den eleganten Restaurants des Zentrums spielten es die Zigeunerkapellen, rauschend beklatscht von den begeisterten Gästen, die immer wieder ein da capo verlangten. In den Musikalienhandlungen riß man sich um die Noten zu diesem Schlager. Im »Theater Popescu« am Cismigiu-Garten sang die Primadonna Elena ein Balaban-Couplet, das den Dichter Eftimiu zum Autor und unseren melodienreichen Calarescu zum Komponisten hatte. Die Konditorei Capsa, berühmt und anerkannt durch ihre vorzüglichen Bäckereien, brachte eine neue Packung »Balaban-Pralinés« heraus. Ein Wirt an der Chaussee Kisseleff taufte sein Lokal in »Terassa Balaban« um.

Ein Abglanz von Balabans Ruhm fiel auch auf mich. Ein Verleger bot mir an, eine Broschüre oder noch besser ein Buch über Balaban zu schreiben, was ich ablehnte, weil ich damals noch nicht soviel von ihm zu erzählen wußte wie heute. Die Prinzessin Pizzicatino – es war nicht anders zu erwarten – gründete einen »Verein der Gönner ausgedienter Banditen«, trug mir das Präsidium an, das ich mit dem Polizeipräfekten teilen sollte, und ließ Balaban in der konstituierenden Sitzung zum »Ehrenschützling« ernennen.

Es herrschte eine Begeisterung, die ich nicht erwartet hatte. Man überschüttete Balaban mit Engagementsanträgen für Varietés, Revuebühnen und sonstige Schaubuden. Da er selbst nur recht mangelhaft lesen und schreiben konnte, so war es selbstverständlich, daß ich für ihn die laufende Korrespondenz übernahm. Aber ich lehnte alle Anträge ab. Balaban verblieb in meiner Wohnung, half dem Gärtner meines Hausherrn, des Generals Petrescu, bei der Arbeit, putzte meine Schuhe und fühlte sich augenscheinlich ganz wohl.

Verschiedene Damen der Bukarester Gesellschaft bestürmten mich mit Bitten, Balaban zu veranlassen, in ihre Dienste zu treten. Es war wohl ihr Traum, von dem Räuberhauptmann Balaban auf der Chaussee Kisseleff spazierengefahren zu werden. Vielleicht hatten sie auch noch andere Wünsche.

Sie besuchten mich zu jeder Tages- und Nachtstunde, nur, um Balaban sehen und mit ihm sprechen zu können. Sie schickten ihm Blumen und Konfekt ins Haus. Sie schrieben ihm parfümierte Briefe, die sich zu Bergen häuften, und die ich ungelesen in den Papierkorb warf. Ich hatte keinen ruhigen Augenblick mehr. Man mußte zwei Schutzleute vor das Haus stellen, weil immer wieder Ansammlungen von Neugierigen entstanden, die forderten, daß Balaban sich zeigen sollte.

Vier Tage nach unserer Rückkehr nach Bukarest reiste Mr. Stoping ab. Er war voller Hoffnung, wie er sagte. Den Balabanrummel hatten die Korrespondenten auswärtiger Blätter in alle Welt hinausgedrahtet. Die Organisierung der Gesellschaftsreisen konnte beginnen. Das übrige war meine Sache. Spätestens Ende Mai mußte Balaban seine Banditentätigkeit wieder aufnehmen.

An dem gleichen Tage, als Mr. Stoping Bukarest verließ, nahm ich Balaban von neuem ins Gebet. Ich beschwor ihn, seinen Ruhm nicht zu verschlafen. Es sei seine Pflicht, dem rumänischen Volke zu zeigen, daß er noch der alte, der furchtbare Balaban wäre. Er müsse die Stadt verlassen, in die Berge oder in das Donaudelta ziehen, eine Schar tapferer, unerschrockener Gesinnungsgenossen anwerben und das alte, schöne, heldenhafte Handwerk von neuem ausüben.

Aber er ging auf meine gut gemeinten Vorhaltungen nicht ein. Ihm gefiel es in Bukarest. Sehr gut gefiel es ihm sogar. Er wollte die Stadt noch besser kennenlernen. Die Aufmerksamkeiten, mit denen man ihn überschüttete, wenn er sich einmal auf der Straße zeigte, taten ihm wohl. Er bat mich flehentlich, ihn nicht wegzuschicken.

Wenn er so sprach, vergaß ich ganz, daß ich einem Räuber gegenüberstand, der viele Monate hindurch unser Land in Schrecken und Aufregung gehalten hatte.

Eine dumme Geschichte war es, die ihn seinerzeit zum Banditen werden ließ.

Seine Geliebte in Tulcea hielt es mit einem andern, mit einem Gendarm. Und dieser Gendarm leistete sich den Spaß, ihn grundlos zu verhaften und einzusperren, nur um ihm zu zeigen, daß er der Stärkere war. Doch Balaban nahm solchen Scherz nicht übel und ließ sich einsperren. Denn Gendarm war Gendarm. Und gegen die hohe Obrigkeit konnte man nicht ankämpfen. Doch eines Tages riß ihm die Geduld.

Als er am Abend müde vom Fischfang in seine Hütte am Razimsee zurückkehrte, saß der Gendarm seelenfroh bei seiner Geliebten und soff Zuika. Balaban setzte sich dazu und trank mit. So saßen sie alle drei und tranken Zuika, scharfen, feurigen Zuikaschnaps.

Da kitzelte es den Gendarmen, diesen kleinen, aufgeblasenen Gendarmen, der überall seinen Tribut einhob, bei Balaban die Geliebte, bei dem Fischer Costea die Tochter, von dem Juden Finkelblüh, der den kleinen Krämerladen besaß, drei Päckchen Rauchtabak, drei Kilo Kukuruzmehl und eine halbe Flasche Schnaps für jeden Monat, – da kitzelte es den Gendarmen, dem dummen Balaban zu beweisen, wie dumm er sei. Und er erzählte: »Du – wir, die Mariora und ich, haben beschlossen, dich, Balaban, aus deinem Hause zu werfen. Und zwar noch diese Nacht, verstehst du? Weil wir zwei heute allein sein wollen, und es sich nicht schickt, daß du dabei zusiehst.«

»Ho! –« sagte Balaban, »aus meinem Hause? Aus dem Hause, das mein Vater, mein Großvater, der Vater meines Großvaters bewohnte, willst du mich hinauswerfen?«

»Ja,« versetzte der Gendarm, »und wenn du dich nicht sofort auf die Beine machst, dann werde ich dich festnehmen und nach Tulcea bringen lassen.«

»Und warum willst du mich festnehmen?« fragte Balaban und stand auf. Da gab ihm die Mariora einen Stoß und sagte: »Geh!«

Wieder fragte er: »Warum soll ich gehen? Dieses Dach gehört doch mir! Und ihr seid meine Gäste?!«

Da lachten die beiden hell auf. Sie konnten sich gar nicht beruhigen. So komisch, so dumm fanden sie ihn.

»Warum bist du auch so früh nach Hause gekommen?« rief Mariora, »du kommst doch sonst immer später?«

Da ging endlich Balaban ein Licht auf. Ein ganz großes, blutrotes Licht. Er griff mit der Hand nach Mariora, um sie an sich zu ziehen. Aber sie sprang auf den Schoß des Gendarmen und hielt sich an ihm fest. Wieder lachten sie beide. Und Balaban sagte, immer noch sehr höflich, mit dem Respekt, den er einem Beamten schuldig zu sein glaubte: »Herr Gendarm! Herr Gendarm, ich bitte dich – –«

Aber der Herr Gendarm hob Mariora in die Höhe und trug sie aus der Küche, in der sie gesessen hatten, in den Schlafraum hinüber, schloß die Tür ab und gröhlte: »Balaban! Sieh' nach, ob der Mond schon aufgegangen ist! Hörst du! Wenn es soweit ist, dann sagst du es uns!« Balaban ging nicht nach dem Mond sehen. Er blieb in der Küche sitzen und wartete. Und trank ein Gläschen Zuika. Und dann noch eines. Wartete, bis der Herr Gendarm aus der Kammer kam. Dann erhob er sich und trat auf ihn zu.

»Wie lange treibt ihr es nun schon so?« wollte er wissen.

»Ho!« lallte der Gendarm, »frage deine Fische! Die werden es dir sagen!«

Da legte Balaban ganz ruhig seine mächtige Tatze um den Hals des Gendarmen, drückte nur ein klein wenig die Kehle zu, gar nicht der Rede wert für einen so starken Mann wie Balaban.

Es mag sein, daß der andere geröchelt hat. Balaban wußte es nicht mehr. Als sich seine Finger aus der Umklammerung lösten, fiel der Herr Gendarm wie ein Stock auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Lachte nicht, sagte auch nicht mehr »Ho!«, war ganz still und hatte nur den Mund furchtbar weit offen.

Balaban schlug ein Kreuz, faltete die Hände und bat Gott um Verzeihung. Er bat Gott um Verzeihung für die Sünden des Herrn Gendarmen und der Mariora, damit ihnen beiden das Himmelreich nicht verwehrt werde.

Dann ging er in die Kammer, holte das Messer mit dem reich verzierten Griff aus dem Gürtel, zerrte Mariora aus dem Bett und stach auf sie los. Sie kreischte auf. Er sagte: »Es ist gut so!«

Und wieder schlug er das Kreuz, dreimal nacheinander, damit die bösen Geister der Verstorbenen ihm nichts anhaben könnten, wischte das Blut vom Messer weg, packte das Gewehr und das Bajonett des Herrn Gendarmen, der beides ja doch nicht mehr brauchen konnte, und schritt langsam in die Nacht hinaus.

Rötlichgelber Schein flammte am gestirnten Himmel auf. Aus den Sümpfen scholl der tausendstimmige Ruf der Unken. Durch die Schilfrohrwälder strich leise der Wind. Und die Einsamkeit war groß und schwer. –

Da schraubte sich eine mächtige Scheibe am Horizont empor. Balaban wandte sich um und blickte nach der Hütte:

»Herr Gendarm,« rief er, »der Mond ist eben aufgegangen!«

Doch keine Antwort kam.

Und so zog Balaban in die Wildnis, um Bandit zu werden. –


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