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Fünftes Kapitel

Romantik im Donaudelta

 

Anfangs blieb er allein, sich selbst überlassen. Im Sumpfgebiet der Donau hatte er seine Schlupfwinkel. Befreundete Fischer aus dem Dorfe unterstützten ihn mit Lebensmitteln und Munition. Die Polizei machte nicht sonderlich Jagd auf ihn. Man wartete lieber, bis er zum Vorschein kommen würde. Denn das Gelände war unübersichtlich, für Verstecke wie geschaffen. Und der Winter stand vor der Tür, der harte Winter, der eine dicke Eiskruste über die Donau legt, der den scharfen, beißenden Ostwind aus der Steppe bringt und die Unmenge Schnee.

Aber ehe noch die ersten, weichen Flocken fielen, kam ein neuer Gendarmeriekommandant nach Tulcea. Der war früher in Focsani gewesen, wo er sich verschiedene Übergriffe hatte zuschulden kommen lassen. Darum hatte man ihn strafweise versetzt. Tulcea gilt als Verbannung, als ein Ort, wo sich die Füchse gute Nacht sagen; für einen Gendarmeriekommandanten, der Besseres gewohnt ist, kein Aufenthalt für die Dauer. Deshalb wollte er zeigen, was für ein tüchtiger Kerl er war, viel zu gut, um in Tulcea zu versauern. Er wartete nicht, bis der Winter einsetzte und Balaban wieder zu den Menschen trieb, er forderte Hilfsmannschaft aus Galatz an und erhielt sie. Dann besetzte er das Dorf, wo Balaban gewohnt hatte, ließ alle Bewohner zusammentreiben und kündigte ihnen strenge Strafmaßnahmen an, wenn sie sich weigern würden, Balabans Schlupfwinkel zu verraten.

Die Fischer standen in einer langen Reihe da, von den Bajonettspitzen der Gendarmen bedroht, stumm und demütig. Jeder von ihnen kannte Balabans Versteck. Jeder hätte ihn nennen und den Führer abgeben können. Aber keiner verriet ihn.

Der Gendarmeriekommandant holte sich den Ältesten aus der Reihe, schlug ihm mit der Reitpeitsche dreimal über den Kopf und schrie: »Wirst du gestehen, du Hundesohn!?«

Der Mann stürzte mit einem Schmerzensschrei zu Boden. Erst in der vorigen Nacht hatte er Balaban durch seinen Sohn einen Schafpelz zugeschickt. Aber er schwieg.

Und die Fischer standen da und rührten sich nicht. Dieser bekam einen Fußtritt ab, der andere einen Stoß in den Bauch, ein dritter eine Ohrfeige, daß die Wange jäh anschwoll. Der Herr Kommandant war sehr freigebig mit seinen Gunstbezeugungen. Aber die stumme Mauer wankte nicht. Niemand löste sich aus der Reihe, um vorzutreten und den Angeber zu spielen. Einige glotzten blöde vor sich hin, als verständen sie nicht, was man von ihnen verlangte. Die anderen blickten demütig zu Boden. Aber heimlich ballten sie die Hand zur Faust.

Der Kommandant kannte diesen Schlag von Menschen noch nicht. Er glaubte, wie früher Bauern aus der Moldau und Walachei, Bauern aus der Umgebung von Focsani und Odobesti, wo die großen Weingüter liegen, vor sich zu haben. Auch sie duckten sich, duckten sich tief vor seiner Herrlichkeit, dem Gendarmeriekommandanten. Aber der Wein, den sie bauten, machte sie offener, redseliger, er löste leichter ihre Zungen. Man konnte mit einigem Bemühen schon herausquetschen, was man wissen wollte.

Die Donau fließt an ihrer Mündung schwer und träge dahin, wälzt sich dickflüssig durch Hunderte von Kanälen, Sümpfe und Seen, liegt scheinbar reglos in ihrem breiten Bett.

Und ebenso langsam und schwer sind die Fischer im Deltagebiet. Sie singen nicht so gern und fröhlich wie die Bauern in der Weingegend von Odobesti. Doch wenn sie ihre Stimmen zum Gesange erheben, dann sind es müde, düstere, melancholische Weisen, wehmutsvoll wie der Hauch des Windes, der sich im dichten Schilfrohr verfängt, in dumpfer Resignation verklingend.

Der große Strom rauscht sein Sterbelied. Und die Fischer vom Strom lauschen andächtig, wenn sie ihre Netze auslegen. Seine Schwermut überträgt sich auch auf sie.

»Also ihr wollt nicht?« sagte der Gendarmeriekommandant, »ich werde euch eure Verstocktheit schon austreiben! Man wird ein Exempel statuieren! Die ersten fünf Mann vortreten! Abführen! Ich werde mit euch noch reden!«

Die übrigen jagte er auseinander. Dann befahl er, Balabans Mutter heranzuholen. Sie lebte bei ihrer verheirateten Tochter in Malcoci, sieben Kilometer von Tulcea entfernt. Man schleifte das alte, kranke Weib herbei.

»Wo ist dein Sohn?« fuhr sie der Kommandant an.

Sie wußte es nicht. Sie wußte es wirklich nicht.

»Einsperren!« schrie er seine Polizisten an.

Die Fischer, die sich indessen wieder angesammelt hatten, begannen zu murren. Das brachte den Herrn Gendarmeriekommandanten erst recht in Wut.

»Ich werde die ganze Brut zusammentreiben,« brüllte er außer sich, »alle Angehörigen Balabans sind sofort zu verhaften!«

Die Gendarmen zerstreuten sich in alle Winde. Aber zur gleichen Zeit flüchteten zwei Fischersöhne, welche die Befehle des Kommandanten mit angehört hatten, auf einen leisen Wink des Ältesten aus dem Dorfe. Sie liefen auf getrennten Wegen dem gleichen Ziele zu, brachen sich durch das Schilfrohr Bahn, krochen durch das Gestrüpp, setzten jeder für sich allein auf einem kleinen, morschen Kahn über einen Donauarm und strebten der schmalen, aber dichtbewachsenen Insel zu, die Balaban als Unterschlupf diente.

Eine Stunde später wußte er von der Verhaftung seiner Mutter, seiner Schwester und seines Schwagers. Ein heimlicher Signaldienst ging von Hütte zu Hütte, von Dorf zu Dorf.

Die Fischer holten wie gewöhnlich ihre Netze ein. Aber in jeder Schar, in jedem Trupp fehlte einer, manchmal auch zwei und noch mehr, Freunde und Altersgenossen Balabans, die an verschwiegenen Stellen sich sammelten, Waffen austauschten, ihre Munition ergänzten.

Unheimlich rasch ging das alles vor sich.

Die Empörung über die Anmaßung des neuen Kommandanten durchzitterte die ganze Bevölkerung. Wohin die Gendarmen kamen, fanden sie leere Hütten. Die Verwandten Balabans waren rechtzeitig unterrichtet worden und hatten die Flucht ergriffen.

Der Kommandant tobte, als man ihm davon Meldung erstattete. Er hatte in einer Schenke auf der Straße nach Tulcea sein Hauptquartier aufgeschlagen und eine Patrouille von sechs Mann bei sich. Aber sein Toben wurde jäh unterbrochen, als ein Hüne von einem Kerl blitzschnell die Tür aufstieß und ihm die Pistole auf die Brust setzte. Der Kommandant zog den Revolver und schoß. Doch der Wirt fiel ihm anscheinend aus Schrecken über den unerwarteten Überfall in den Arm, so daß die Kugel sich in die Decke bohrte.

Im gleichen Augenblick sprangen durch die beiden geöffneten Fenster Männer herein, vier, acht, zwölf, schließlich zwanzig an der Zahl, Masken vor das Gesicht gebunden, damit man sie nicht erkennen konnte, warfen sich über die fünf Gendarmen, die sich noch im Zimmer befanden, während der Posten vor dem Hause in der gleichen Sekunde einen Faustschlag auf den Nacken erhielt, daß er lautlos zusammenbrach.

In wenigen Minuten waren der Kommandant und seine Leute ihrer Uniformen beraubt.

»Wo hast du meine Mutter, Herr Kommandant?!« schrie Balaban.

Der Gendarmerieoffizier schnaubte in ohnmächtigem Zorn: »Ich habe sie ins Gefängnis nach Tulcea bringen lassen. Und dort wird sie bleiben, bis du dich freiwillig stellst.«

»Und wenn ich dich töte?«

»Dann wird man deine Mutter töten, du Hundsfott!«

Balaban erhob den Arm. Aber gleich darauf ließ er ihn wieder fallen, nahm den Revolver und den Säbel des Kommandanten an sich und verließ das Zimmer. Fünf von seinen Leuten blieben zurück. Der Wirt begann laut um Hilfe zu schreien. Man steckte ihm einen Knebel in den Mund und band ihn an einen Stuhl fest. Er lächelte dankbar. Der Herr Kommandant sollte um Gottes willen nicht meinen, daß er, der Besitzer dieses Hauses, mit Balaban und den Seinen im Bunde wäre. Darum hatte er auch, als alles vorüber war, noch gellend um Hilfe geschrien.

Eine halbe Stunde später rückte ahnungslos eine ausgesandte Gendarmeriepatrouille auf die Schenke an.

Von der Straße her kam ein Warnungspfiff. Die fünf Leute Balabans sprangen rasch aus dem Fenster.

Der Wirt spuckte flugs den Knebel aus dem Mund und brüllte nach Kräften.

Die Patrouille drang mit vorgehaltenem Gewehr ins Haus. Sie fand den Herrn Kommandanten in Unterhosen und Hemd gebunden auf dem Fußboden liegen.

»Sofort die Kerle verfolgen!« schrie er, als man ihn der Fesseln entledigen wollte. Er selbst schlüpfte in die Hosen des Wirtes, band die übrigen, mit ihm überfallenen Gendarmen los, versetzte jedem eine schallende Ohrfeige, bespie sie, nannte sie erbärmliche Feiglinge und bearbeitete dann den schmerzlich heulenden Wirt mit seinen Fäusten.

Die zur Verfolgung befohlene Patrouille kam unverrichteterdinge wieder zurück. Von Balaban und seinen Helfern fehlte jede Spur.

Indessen herrschte in Tulcea große Aufregung. Ein Sohn suchte seine Mutter und fand sie nicht. Das war Balaban. Die dicken Gefängnismauern ließen sich nicht durchbrechen, das schwere, eiserne Tor nicht stürmen. Soldaten der Armee hielten Wache.

Aber eine Mutter suchte ihr Kind und fand es auch nicht. Das war die Frau des Herrn Gendarmeriekommandanten, der erst abends bei seiner Rückkehr von dem Unglück erfuhr. Seine sechsjährige Tochter Elena sollte etwas vom Krämer herüberholen, der um die Straßenecke seinen Laden hatte. Der Händler gab ihr das Gewünschte. Seither hatte man nichts mehr von ihr gesehen. Sie war und blieb verschwunden.

Aber nachts um zwölf, als der Herr Kommandant verzweifelt von der Präfektur nach Hause kam, hoffnungslos, sein Kind wiederzufinden, hing an der Tür ein Zettel. Darauf stand in ungelenken Zügen:

»Gib meine Mutter und die Schwester frei, dann bringe ich dir die Tochter wieder! Balaban.«

Der Herr Kommandant rief seine Mannschaft zusammen, ließ Fackeln holen, alarmierte die Garnison und weckte die Bevölkerung aus dem Schlafe. Dann ging er auf die Suche. Er schwor, alle Verhafteten zu erschießen, wenn seine Bemühungen fruchtlos blieben. Er befahl, Balabans Mutter in strengstes Gewahrsam zu bringen. Er drang mit seinen Leuten in alle Häuser und Wohnungen ein, die ihm verdächtig schienen, zertrümmerte Türen, erbrach Schränke, jagte die Bewohner auf die Straße. Soldaten durchstreiften indessen das Donauufer, Kavalleriepatrouillen sprengten über die Landstraße, überall loderten die brennenden Fackeln auf.

Der Morgen kam – und Elena war nicht gefunden. Keine Spur von ihr, von Balaban und seinen Genossen.

Die Fischer gingen wie üblich ihrem Tagewerk nach. Aber wenn sie unbeobachtet waren, stießen sie sich an, steckten die Köpfe zusammen und sagten: »Der Herr Kommandant – was sagst du zu unserem neuen Herrn Kommandanten? Er wird mit der Zeit schon ruhiger werden, der Herr Gendarmeriekommandant. Balaban ist stärker als er. Balaban weiß, was er tut!« Ganz leise sagten sie es. Und freuten sich.

Eine Woche verging. Der Kommandant schäumte. Aus Galatz kamen zwei Motorboote mit Marinesoldaten, um sich an der Verfolgung Balabans zu beteiligen. Die einsamen Inseln auf dem Strome wurden durchwühlt, überall knackte und raschelte es im verdorrenden Geäst, Soldatenmützen tauchten auf, Gewehrläufe bohrten sich in das Schilfrohr, Bajonettspitzen und die goldenen Tressen auf den Kappen der Offiziere blitzten in der Sonne, Verhaftungen wurden vorgenommen, die Gefängnisse füllten sich mit Verdächtigen.

Vor drei Tagen hieß es, Balaban sei in Malcoci gesehen worden. Sofort dirigierte man die Militärmacht dahin.

Vierundzwanzig Stunden nachher kam aus Sulina am mittleren Donauarm die Meldung, daß Balaban mit seiner rasch zusammengelesenen Bande den dortigen Gendarmerieposten überfallen hätte. So unglaublich die Nachricht – der Entfernung zwischen Malcoci und Sulina halber – klang, so unterließ man es dennoch nicht, diese als Vorhafen von Galatz bedeutungsvolle, gleich Venedig auf Pfählen erbaute, kleine Lagunenstadt mit Truppenteilen der Galatzer Garnison zu besetzen. Alle Fischerbarken, die an den beiden Molen von Sulina vor Anker lagen, wurden durchstöbert. Balaban mußte zur Strecke gebracht werden!

In Bukarest war man bereits aufmerksam geworden. Die Zeitungen veröffentlichten spaltenlange Berichte. In der Kammer wurde eine Interpellation eingebracht. Die Regierung versprach, sofort strenge Maßnahmen zu erlassen, um dem Räuberunwesen ein jähes Ende zu bereiten.

Aber Balaban war nirgends zu finden – und war überall. In der Nähe der Schlangeninsel, die sich zweiundvierzig Meter hoch über der Donau erhebt, kaperte er die Luxusjacht eines Galatzer Reeders und zwang die Besatzung, ihn dreißig Kilometer stromaufwärts zu führen, wo er dann plötzlich mit seinen Leuten das Schiff verließ und im Dunkeln verschwand.

Tags darauf klebte an der Haustür des Gendarmeriekommandanten von Tulcea ein neuer Zettel:

»Wenn du deine Tochter in diesem Leben noch einmal sehen willst, dann entlasse heute nacht meine Mutter und Schwester aus der Haft. Sonst ist es zu spät! Balaban.«

Die Polizei verdoppelte ihre Anstrengungen. Sie wußte, daß die Fischer mit Balaban unter einer Decke steckten. Man beobachtete die Leute, die Spitzel mußten in den verschiedenen Ortschaften herumschnüffeln, die Präfektur von Tulcea setzte einen Preis von zehntausend Lei aus Balabans Kopf. Aber niemand fand sich, der ihn verraten wollte.

Am Abend des gleichen Tages, kurz nach Sonnenuntergang, hing ein dritter Zettel an der Tür des Gendarmeriekommandanten. Kein Mensch wußte, wer ihn angeschlagen hatte. Der Gendarm, der das Haus bewachte, war für wenige Augenblicke durch einen wüsten Lärm in der Nebenstraße weggelockt worden. Als er um die Ecke bog, verlief sich alles. Und bei seiner Rückkehr war der Zettel bereits angeschlagen.

»Vier Stunden warte ich noch! Dann ist meine Geduld zu Ende! Balaban.«

Der Herr Gendarmeriekommandant verlor die Nerven.

Er beriet sich mit dem Präfekten, der Präfekt mit dem Kolonel, der die Truppen befehligte.

Schließlich wurde beschlossen, Balabans Mutter und Schwester in Freiheit zu setzen, um das Leben des Kindes zu schonen.

Kurz vor Mitternacht öffnete man die Tore des Gefängnisses. Gleichzeitig standen Hunderte von Gendarmen und Soldaten auf der Lauer, um zu beobachten, wohin Balabans Mutter gehen würde. Balaban befand sich in der Nähe. Das war gewiß! Zehntausend Lei winkten für seinen Kopf.

Die Kunde von der Freilassung der beiden Frauen verbreitete sich mit Windeseile durch das Städtchen, drang weit hinaus in die Dörfer und Weiler; von überallher kam man nach Tulcea, um Balabans Mutter zu beglückwünschen.

Die nächtlichen Straßen hatten noch nie so reges Leben gesehen. Man schlief nicht. Man wollte abwarten, was weiter geschah. Man war neugierig, ob Balaban Wort halten würde. Aber man fürchtete zugleich für ihn. Denn an allen Ecken und Enden wimmelte es von Militär und Gendarmen, alle Ausgänge des Städtchens standen unter scharfer Kontrolle, die selten begangenen Pfade wurden heimlich bewacht, und am Donauufer hatte eine Scheinwerferabteilung der Königlichen Marine Aufstellung genommen, um beim geringsten verdächtigen Zeichen die Apparate über das träge dahinfließende Wasser des Stromes spielen zu lassen.

Wer den Ort betrat oder ihn verließ, wurde gründlich untersucht. Mit Blendlaternen leuchteten die Polizisten jedem ins Gesicht. Ein Entkommen war unmöglich.

Um halb ein Uhr nachts, zwei Stunden nach der Freilassung von Balabans Mutter, erschienen zwei Gendarmen bei der Frau des Gendarmeriekommandanten und meldeten, die kleine Elena sei wiedergefunden worden und wäre bei ihrem Vater in der Präfektur. Die Frau stürzte, selig vor Freude, aus dem Hause. Die beiden Gendarmen gingen vor die Tür und befahlen dem aufgestellten Posten, die Gattin seiner Herrlichkeit des Herrn Gendarmeriekommandanten nach der Präfektur zu begleiten. Sie selbst würden indessen die Wohnung bewachen.

Der Posten lief gehorsam der Frau nach. Aber in der Präfektur wußte man nichts von Elena. Der Herr Kommandant fluchte und schrie, er habe keine Gendarmen zu seiner Frau nach Hause geschickt. Es müsse sich um eine Mystifikation handeln.

Die Bereitschaft trat sofort unter das Gewehr. Hornsignale ertönten. Im Sturmschritt ging es auf das Haus des Herrn Gendarmeriekommandanten zu. In seiner Wohnung brannte Licht. Aber die zwei Gendarmen, die für den abberufenen Posten die Wache halten sollten, waren verschwunden.

Dafür lag im Schlafzimmer des Herrn Kommandanten die kleine Elena. Und die Magd, die das Haus betreute, erzählte, daß gleich nach dem Weggang der Frau ein Riesenkerl in Offiziersuniform, das schlafende Kind im Arm, die Treppe heraufgekommen wäre und gesagt hätte, der Herr Kommandant befehle ihr, auf das Kind gut aufzupassen. Dann sei er ebenso rasch wieder gegangen.

Zehn Minuten später erschien eine Ordonnanz von der Militärabteilung, die am Stadtausgange nach Malcoci die Wache hielt. Der kommandierende Sergeant meldete gehorsamst, daß eben ein Gendarmerieoffizier mit neun Mann den Ort in der Richtung Malcoci verlassen und ihm beifolgenden Brief zur sofortigen Weiterleitung an den Herrn Gendarmeriekommandanten von Tulcea übergeben habe.

Der Brief stammte von Balaban.

»Wort gegen Wort«, stand darin. Nichts mehr. –

Die Marineabteilung am Donauufer ließ ihre Scheinwerfer spielen, die das gegenüberliegende Ufer absuchten. Kavallerie ritt Attacke auf Malcoci. Aber alle Mühe blieb vergebens. Von Balaban und seinen neun Genossen war jede Spur verweht. Die dunkle Nacht begünstigte ihre Flucht. – Von dieser Nacht an begann Balabans Popularität. Die Fischer jubelten. Die Städter lachten. Die Bauern besangen ihn. Irgendwo entstand das Lied von Balaban und seinen neun Getreuen. Ein Sturmwind der Begeisterung trug es über das ganze Land. Bis an den Dnjestr zur russischen Grenze und hinauf zu den Karpathen drang sein Name. Die Bukarester Zeitungen widmeten ihm unzählige Spalten. Die Romantik der Landbevölkerung stempelte ihn zum Helden, zum Heros. Den Mord verzieh man ihm. Und man begann ihn sogar zu lieben, diesen Koloß, diesen dummschlauen Räuber, der jeder Gefahr trotzte, um sein Wort, das Wort eines Banditen und Mörders zu halten, als der »Adeverul« aus Tulcea noch folgendes zu berichten wußte:

»Man befragte die kleine Elena nach den Erlebnissen während ihrer Gefangenschaft bei den Räubern. Und sie erzählte, daß sie es ganz wunderschön gehabt hätte. Niemals sei Balaban so betrunken gewesen wie ihr Vater, der Herr Gendarmeriekommandant, es meistens zu sein pflegte. Die Männer seien reizend nett zu ihr gewesen. Sie habe angeln dürfen und spielen können, soviel sie wollte. Ganz herrlich war es.

Und dann stellte jemand die dumme Frage, die alle Erwachsenen so gern an Kinder richten: ›Wo möchtest du lieber sein – bei Papa und Mama – oder bei den bösen Männern?‹

Nicht einen Augenblick besann sich das kleine Mädchen auf die Antwort.

›Selbstverständlich bei Balaban! Wenn er mich nur bald wieder holen käme!‹

Von diesem Tage an schlug das Herz der rumänischen Mütter für ihn.«

*

Ich weiß nicht, ob die Geschichte wahr ist. Aber sie klingt so rührend verlogen, daß sie schon wahr sein dürfte.


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