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Zehntes Kapitel

Das Geheimnis lüftet sich

 

Es dürfte wohl notwendig sein, vorher den Schauplatz der Handlung einer kurzen Betrachtung zu unterziehen.

Das Schloß Pelteanu liegt dicht am Waldesrand, zehn Minuten oberhalb des gleichnamigen Dorfes. Das Gebäude selbst, von einem italienischen Architekten, einem Freunde des früheren Besitzers, der an seinen Amouren zugrunde ging und die Witwe mit einer riesigen Schuldenlast zurückließ, in einem uneinheitlichen Stil erbaut, bietet in seinem Innern nichts Bemerkenswertes. Die Räume sind groß, hell und luftig.

Wirklich idyllisch schön ist aber die Lage des Schlosses. Die Vorderfassade geht auf die Zugangsstraße hinaus und bietet einen weiten Ausblick auf die anmutige Talmulde von Pelteanu, die sich nach Südwesten immer mehr verbreitert. Hier liegen die großen Empfangsräumlichkeiten und die Fremdenappartements.

Auf der anderen Seite, dem Walde zugekehrt, der sich bis auf fünfzig Schritte dem Schlosse nähert, um dann einer Parkanlage Platz zu machen, befindet sich das Schlafzimmer der Fürstin.

Ein Bächlein, das sich durch den Wald hindurchschlängelt und dann hart an dem Gebäude vorbeifließt, bildet hier ein steinumfaßtes Staubecken, das gut ein Drittel der Parkfläche für sich in Anspruch nimmt. Im Schatten der Nadelbäume erscheint dieses Becken wie ein kleiner, künstlicher See. Das Wasser leuchtet tiefgrün. Im Sommer, wenn die weißen Seelilien ihre Blüten über die Oberfläche erheben, und die Blumenbeete rings um das Becken in den köstlichsten Farben prangen, muß es wohl ein herrliches Bild geben.

Der Frühling mit seinen jungen Trieben war erst ein lockendes Versprechen.

Am Tage vor dem Verschwinden der Fürstin, so erzählte Ileana, herrschte ein für die Jahreszeit unverhältnismäßig warmes Wetter. Die Sonne glühte. Am Himmel zeigte sich nicht ein einziges Wölkchen. Am Vormittag war Tatjana wie gewöhnlich mit Balaban ausgeritten. Nach dem Mittagessen ging sie allein nach dem Dorfe hinunter, um ein paar Stickereien zu kaufen, die bekanntlich in Pelteanu mit besonderer Geschicklichkeit und besonderem Geschmack ausgeführt werden. Balaban benützte die Gelegenheit, um mit einem Knechte eine kleine Holzbrücke im Walde, die das Hochwasser vor zwei Wochen schwer beschädigt hatte, wieder instand zu setzen. Gegen fünf Uhr nachmittags kam er müde und verschwitzt von der Arbeit wieder heim.

Da er hörte, daß Tatjana noch nicht aus dem Dorfe zurückgekehrt war, wollte er im Staubecken noch schnell ein Bad nehmen. Balaban, der Fischer, der Mann vom Strome, war es gewöhnt, sich im Wasser zu tummeln. Der unheimlich warme Tag nach dem langen Winter und dem trüben Vorfrühling reizte ihn wohl, seine Schwimmkünste von neuem zu erproben.

Schnell entschlossen warf er die Kleider vom Leibe und stürzte sich, so wie ihn Gott geschaffen hatte, in die grüne Flut, die er mit mächtigen Schlägen durchmaß.

Hier stockte Ileana in ihrer Erzählung. Aber nach einer Weile des Besinnens gab sie zu, daß Neugier es gewesen sei, die sie veranlaßte, von einer Dachluke aus heimlich die Schwimmkünste dieses Hünen zu beobachten.

Denn Balaban gefiel ihr. Er war stark und groß. Ein Bärenkerl. Es gab in der ganzen Gegend keinen, der es mit ihm an Kraft aufnehmen konnte. Nur ein bißchen liebenswürdiger hätte er sein können.

So sagte die kleine Ileana. Und dann stockte sie wieder. –

Ich mußte ihr wieder ein wenig zureden, um sie zum Weitersprechen zu bewegen. Es war ganz entzückend anzusehen, wie sehr sie sich ihres Geständnisses schämte.

Balaban konnte hier eine Blume pflücken. Und dieser Trottel wußte anscheinend nichts davon.

Vielleicht steckte ihm noch immer das unglückselige Erlebnis mit der Mariora in den Gliedern? War er darum blind für alle Reize? Und wollte nichts mehr von den Weibern wissen, von denen eines sein Leben verpfuscht und ihn zugleich berühmt und gefürchtet gemacht hatte?

Doch da fuhr Ileana in ihrer Erzählung fort.

Eben als Balaban aus dem Wasser steigen wollte, öffnete sich das Fenster von Tatjanas Schlafzimmer. Und eine Stimme rief: »Balaban?!«

Es war die Fürstin. Sie mußte gerade ins Schloß zurückgekehrt sein.

Im ersten Augenblick wollte Ileana hinuntereilen, um der Befehle Tatjanas gewärtig zu sein. Dann aber überwältigte sie doch die Neugierde, und sie beugte sich weit aus der Dachluke heraus, um zu sehen, was Balaban nun tun würde.

Der war in peinlichster Verlegenheit wieder ins Wasser gestürzt und hoffte wohl im stillen, daß die Fürstin sich vom Fenster zurückziehen würde, damit er endlich ans Land gehen konnte.

Aber Tete schien gar nicht daran zu denken.

Wieder rief sie mit fast lockender Stimme: »Balaban?!«

Er sah zu ihr hinauf.

»Was machst du da?«

»Ich habe ein Bad genommen, Kukunitza!«

Kukunitza ist ein Wort, das man schwer übersetzen kann. Es heißt soviel wie gnädige Frau, die man rumänisch doamna nennt. Aber bei der Anredeform Kukunitza schwingt schon ein Unterton von Vertraulichkeit mit.

»Du wolltest doch eben aus dem Wasser steigen?« fragte die Fürstin.

»Ja, Kukunitza!«

»Warum tust du es denn nicht?«

Balaban zögerte mit der Antwort und schwamm weiter. Nach einer Weile sagte er, weil die Fürstin noch immer nicht ihren Platz am Fenster verlassen wollte: »Ich wußte nicht, daß du schon zurückgekehrt bist.«

»Das macht doch gar nichts!« sagte sie.

Er brummte verlegen etwas vor sich hin.

»Du mußt sehr kräftige Muskeln haben, wenn du so gut schwimmen kannst,« rief sie, »bist du schon lange im Wasser, Balaban?«

»Eine Viertelstunde, Fürstin.«

»Und gar nicht müde?«

»Nein – gar nicht!«

»Ist es nicht noch sehr kalt?«

»Nein, Kukunitza – es erfrischt bloß«, sagte er und tauchte rasch unter, um die ihm unangenehmen Fragen nicht weiter anhören zu müssen.

Tatjana zog sich nicht vom Fenster zurück.

Als er wieder schnaubend an der Oberfläche emportauchte, sagte Tete: »Du bist entsetzlich dumm, Balaban! Weißt du das?«

»Ja«, gab er zur Antwort und schob den mächtigen Körper durch das Wasser.

Tatjana lachte.

»Weißt du auch, warum du dumm bist, Balaban?«

Er schüttelte nur den Kopf.

»Weil du nicht aus dem Wasser steigen willst!«

»Ich habe doch nichts an, Kukunitza!« brüllte er vor Ungeduld.

»Das macht nichts,« meinte die Fürstin, »ein Kerl wie du braucht sich nicht zu schämen. Und vor mir, lieber, guter Balaban, solltest du dich überhaupt nicht schämen!«

Sie wartete seine Antwort ab. Aber es kam keine.

»Du bist ein schrecklicher Trotzkopf, Balaban,« begann sie von neuem, »nun sind wir schon so lange zusammen, und du verstehst noch immer nicht, wie gut ich es mit dir meine.«

»Hm,« sagte er, »Kukunitza, ich verstehe dich wirklich nicht. Gab ich dir jemals Grund zur Klage?«

»Zur Klage,« wiederholte sie, »ja und nein! Ich habe dir immer gesagt, daß ich dich für viel zu gut für einen einfachen Diener halte. Du bist würdig, Höheres zu erreichen. Und ich möchte dir so gern dazu verhelfen.«

Er schwieg.

Er war wirklich furchtbar dumm, bemerkte Ileana, nachdem sie dies erzählt hatte.

Da fragte die Fürstin noch einmal: »Willst du nicht endlich aus dem Wasser steigen?«

»Nein!« sagte er, »bis du nicht vom Fenster weggehst!«

Tatjana lachte.

»Wir wollen doch sehen, wer von uns beiden den größeren Trotz hat,« meinte sie, »ich oder du. Meinen Platz werde ich nicht verlassen!«

»Gut,« erklärte Balaban – und es war das erstemal, daß er seine Zähne blitzen ließ – »dann bleibe ich eben im Wasser!«

Minutenlang herrschte völliges Schweigen. Balaban schwamm unentwegt das Bassin auf und ab, hin und her, ohne eine Pause zu machen. Er schien über Riesenkräfte zu verfügen.

Indessen senkte sich langsam die Dämmerung herab. Die Sonne war längst hinter den Bäumen verschwunden. Die Luft wurde kühl und frisch.

Da hörte Ileana ganz leise die Fürstin rufen: »Balaban?«

»Ja, Kukunitza«, kam es zurück, viel freundlicher, nachgiebiger wie früher.

»Du wirst doch nicht die Nacht in dem kalten Wasser zubringen?«

»Nur bis es dunkel wird – oder du vom Fenster gehst«, sagte er.

Jetzt wurde sie wütend.

»Warte nur,« rief sie, »nun komme ich dich aber holen!«

Er lachte. Im nächsten Augenblick wurde das Fenster zugeschlagen.

Balaban strebte rasch dem Ufer zu. Aber gerade, als er seine Kleider zusammenraffen wollte, trat die Fürstin aus der kleinen Pforte, die auf den Park hinausführte.

Sie sprachen ganz leise miteinander.

Ileana konnte den Sinn der Worte nicht verstehen. Und da sie fürchtete, von der Fürstin bemerkt zu werden, zog sie schnell den Kopf aus der Dachluke zurück und sprang die Treppe hinab.

Aber sie kam nicht weit. Denn plötzlich vernahm sie das Knarren der Pforte, hörte, wie Tete Balaban mit sanfter Gewalt in das Haus zog, sah, wie sie dann beide im Zimmer der Fürstin verschwanden, versteckte sich hinter einer Mauerecke und lauschte.

Lauschte unbeweglich eine halbe Stunde lang mit klopfendem Herzen. Mit bangem, klopfendem Herzen. So erzählte wenigstens Ileana. Denn sie war wohl sehr eifersüchtig auf die Fürstin.

»Aber auf einmal,« so setzte sie fort, »öffnete sich die Schlafzimmertür der Fürstin, und Balaban schlich mit gesenktem Kopfe aus dem Gemach, um seine Dachkammer aufzusuchen. Die Fürstin schimpfte erbost hinter ihm her und warf dann die Tür ins Schloß.«

»Was war denn geschehen, Ileana,« fragte ich, »warum schimpfte Tatjana? Warum ging Balaban nicht wie ein Triumphator aus ihrem Gemach?«

Da zwinkerte das niedliche Kammermädchen listig mit den Augen.

»Muß ich Ihnen das wirklich sagen, Domnule Bracu,« meinte sie schnippisch und doch voll heimlicher Freude über die Enttäuschung, die Tete erlebt haben mußte, – »ich nehme an, daß Balaban durch das lange und sicherlich sehr kalte Bad zu sehr hergenommen war, um den Wünschen und Erwartungen der Fürstin zu entsprechen. Da wird ihr wohl die Geduld gerissen sein, und darum hat sie ihn erbost hinausgeworfen!«

Ich konnte die Findigkeit Ileanas nur bewundern.

»Und sehen Sie,« schloß das hübsche Ding, »diese Schande hat Balaban nicht auf sich sitzen lassen wollen. Um elf Uhr nachts – aber bitte sagen Sie es keinem Menschen weiter! – hörte ich ihn nochmals an der Tür der Fürstin klopfen. Aber sie ließ ihn nicht herein. Vielleicht hatte sie ihn auch nicht gehört. Da stieg er in seine Dachkammer hinauf, ließ sich an einem Seil zu den Fenstern der Fürstin hinab – alles Weitere können Sie sich nun doch denken?«

Natürlich konnte ich das. Und zum Dank für die Enthüllung dieses Geheimnisses bemühte ich mich redlich, die kleine Ileana über die peinlichen Erlebnisse jener Nacht hinwegzutrösten. Sie ließ sich gern trösten, obgleich ich nicht gerade ein – Balaban war.


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