Rudolph Stratz
Friede auf Erden!
Rudolph Stratz

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8.

Der Hengst warf seinen Kopf, an dem zerrissen die Zügel in das Gestrüpp herabhingen, ungestüm in die Höhe und wieherte in das Dunkel. Nichts antwortete ihm als das unbestimmte Tönen und Summen des Schlachtfeldes, ein Wirrwarr gespenstischer Geräusche, dumpfes Klagen aus weiter Ferne und geheimnisvolles Wispern hinter dem nächsten Busch, da wie ein geller Aufschrei, dort wie ein heiseres, leises Lachen, undeutliches Hundegekläff, das Schluchzen von Weiberstimmen, das alles bald in dumpfem Murmeln verklingend, bald in verdoppelter Stärke vom Nachtwind über das mondscheinüberflutete Blachfeld dahingetragen.

Und wenn auch der Nachtwind verstummte, dann belebte das Rauschen des Schmutterbachs das schweigende Dunkel. An den rauchenden Mühlen vorbei, von dem Sumpfwald her, zwischen dessen nachtdunklem Geäst jetzt noch der Pulverdampf brütete, durch die zertrampelten, blutbespritzten Uferböschungen hindurch wälzten sich die silbern glitzernden Fluten, und in ihrem eilfertigen Geriesel spiegelte sich der Glanz der Sterne.

»So rinnt das Menschenleben dahin!« dachte Herr Albin bei sich und versuchte die Hände zu falten, »flüchtig und vergänglich und trügerisch wie eine Welle. Man kann es nicht fassen und nicht aufhalten in seinem Lauf zu unbekanntem Land. Aber den Widerschein des Himmels sehen wir doch in ihm und können uns darob trösten in unserer Not –«

Und die Not war groß.

Um die steile Böschung, die er am Abend, von einer Kugel aus dem Sattel geschleudert, jählings herabgestürzt war, plätscherten und wogten die Wellen. Schon war sein Körper zum Teil vom Wasser bedeckt, und in den zwei Stunden, die er, wieder zum Bewußtsein gekommen, wachend verbrachte, hatte er es deutlich bemerkt, wie unter ihm mehr und mehr das lockere Erdreich schwand, wie das Wasser immer stärker über ihn hinrauschte. Entrinnen aber konnte er ihm nicht. Schon der Wunde wegen. Immer noch floß das Blut aus dem tiefen Loch, das ihm die schwere Musketenkugel zwischen den Fugen des Harnisches hindurch in die Brust geschlagen, und er fühlte sich zum Sterben matt.

Aber wenn auch seine Kräfte noch ausreichten, den Uferrand zu erklimmen, wo oben, von den im Weidengestrüpp verstrickten Zügeln festgehalten, sein Roß stand – der schwere Panzer hielt ihn zurück. Die eiserne Schutzwehr, die er angelegt, ward jetzt sein Verderben. Er konnte sich in ihr nicht rühren und regen. Tiefer und tiefer glitt er hinab. Er fühlte, wie es unter ihm nachgab, Viertelstunde auf Viertelstunde, und konnte schon fast die Zeit berechnen, wo die spülenden Fluten über seinem Kopfe in einem Kreise zusammenstrudeln und lachend im Mondschein weiterplätschern würden. Das war eine böse Aussicht und ein unrühmliches Ende für einen wackeren Reitersmann.

Der von Habstein blickte zum Himmel auf, in das tausendfach glitzernde und funkelnde Geheimnis, das sich über ihm wölbte. Der kühle Maiwind strich über sein bleiches Gesicht und trocknete die vom Sturze blutverklebten Haare.

»Ein böses Ende,« wiederholte der Obrist bei sich, und finster wurde sein Blick.

Aber ihm geschah recht!

Das war der Lohn für seine Sünden! Durch das blutigste Gewühl der Feldschlacht hatte ihn die Vorsehung bisher unversehrt geleitet, und er wußte wohl, daß ihn seine Reiter für einen durch Zauberkünste Gefeiten hielten. Aber warum waren bislang die Kugeln rechts und links an ihm vorbei gegangen? – warum die Schwerter stumpf geworden, die ihm auf Helm und Harnisch klirrten? – Weil er seine freiwilligen Schwüre treulich gehalten. Heute aber hatte er in währender Feldschlacht an ein Weib gedacht. Und das war die Vergeltung. Um dieses Weibes willen hatte er seine Gelübde verletzt und mußte mit schwerem Herzen hinübergehen, voll Zorn und Grimm, daß er am Ende seines tatenreichen, strengen Lebens in die Fallstricke geraten, die ihm der Teufel in alter Tücke gerade jetzt gelegt, wo Reue und Besserung nicht mehr möglich waren.

Am Ende seines Lebens! – Herr Albin hatte nie viel Wert auf sein Dasein gelegt, und als er es jetzt nochmals überdachte, da kam es ihm einförmig und trostlos vor. Immer und immer dasselbe Bild – der Lärm des Lagers, das Brausen der dahintrabenden Schwadronen, die wüsten Saufgelage der Genossen, die brennenden Dörfer und zerstörten Städte, das Lärmen und Böllern des Scharmützels – das war seit Jahren sich alles gleich geblieben.

Herr Albin mußte seiner Vorfahren denken, der Männer, die da ritterlich und rüstig auf ihrem Schlosse thronten, in Friede und Wohlstand, in heiterer, unverdrossener Sorge sich mühend für sich – und Weib und Kind –

Freilich, seine Vorfahren starben nicht elend und verlassen. Herrn Albins Gedanken begannen unstät zu wandern. Jene ließen Liebe und treues Andenken auf der Welt zurück, wo bei der Kunde von seinem Tode allenfalls die Reiter einen rauhen Fluch murmeln und ein oder der andere Feldobrist in finsteren Gedanken sein: »So hat's auch den einmal getroffen!« zu den Genossen sprechen würde.

Er war allein auf der weiten Welt – und das einzige Wesen, nach dem er sich sehnte in seiner Sterbestunde – das war ja gerade das Werkzeug des Bösen!

Der Obrist schauderte und schloß die Augen. Ein bitterer Zug spielte um seinen strengen Mund. Wahrlich, seine Vorfahren hatten es besser! Er durfte in kein teilnehmendes Antlitz schauen, ihm fuhr keine liebende Hand noch einmal über die Stirne – – Da legte sich etwas Weiches und Warmes auf sein schmerzendes Haupt und strich ihm in angstvoller Sorge die Haarbüschel aus dem Gesicht. »Herr, lebt Ihr noch?« hörte er eine bebende Stimme.

Er schlug die Augen auf und schaute stumm in das blasse Gesicht, das sich über ihn beugte und aus dunklen Augen zu ihm herabsah. Und seltsam, er empfand keine Ueberraschung! Es kam ihm jetzt plötzlich wie selbstverständlich vor, daß sie bei ihm war, wie er bei ihr in Not und Sorge, und eine wunderbare Wärme belebte seinen erstarrten Leib.

»Noch leb' ich,« sprach er, »aber nicht mehr lauge. Ich muß hier untergehen!«

»Warum, Herr?«

»Weil ich nicht von der Stelle kann. Die Rüstung zieht mich auf den Boden nieder und in das Wasser hinein.«

Ruth antwortete nichts, sondern kauerte neben ihm an der Erde hin und begann mit geübter Hand, wie sie es bei ihrem Oheim gelernt, die Riemen und Schnallen von der Halsberge und dem Küraß, von den Tasseten, den eisernen Stulpen und den Beinschienen zu lösen und sein Haupt vom Gewicht des Helmes zu befreien.

Er ließ es stumm geschehen. Nur einmal sah er sie an und fragte: »Wie kommt Ihr hierher?«

Er merkte, wie sie zusammenschauderte.

»Fragt nicht,« sagte sie, » . . . ich weiß es selbst nicht. Nie hätte ich geglaubt, daß es so Furchtbares auf der Welt gibt als ein Schlachtfeld. Mein Blut ist erstarrt von all den Greueln.«

»Und doch gingt Ihr weiter?«

»Ja.«

»Und warum tatet Ihr so?«

»Weil alle anderen Menschen Euch verlassen hatten!«

Sie löste die letzten Teile der Rüstung ab, daß Herr Albin erleichtert aufatmete, und schaute zu der steilen Böschung hinauf.

»Kein Wunder, daß Euch die Reiter im Dunkel hier unten nicht fanden. Mir wies der Mond den Weg.« Sie stand auf und schlüpfte am Wasser hin nach oben. »Geduldet Euch einen Augenblick, Herr. Ich bin gleich wieder da.«

Sie verschwand. Herr Albin griff sich stöhnend nach der Brust. Eine dicke Kruste von geronnenem Blut bedeckte das zerschossene Koller. Mühsam langte er nach seiner Feldschärpe, die neben ihm lag, und schlang sie, unter der Schulter verknotet, um die Wunde. Da hörte er schweres Plätschern und Schnauben. Es war sein Gaul, der das Flußbett heraufkam, von Ruth den schmalen Uferrand entlang am Zügel geführt.

»Weiter oben ist eine flache Stelle,« rief sie, »an ihr kann der Hengst auf- und niedersteigen. Versucht es, Herr, ob ich Euch in den Sattel helfen kann.«

Herr Albin schob sich, so weit er konnte, die Böschung aufwärts. Er stemmte den Fuß in den Bügel und hob sich mit äußerster Anstrengung empor. An die Mähne sich klammernd und auf Ruth gestützt, gelangte er in den Sattel, zwischen dessen hohen Kissen ein Herabgleiten nicht zu befürchten war. Vornübergeneigt, die Hände auf den Widerrist des Gaules gestemmt, setzte er sich mühsam zurecht, und zum ersten Male schoß ihm der Gedanke, ob er nicht doch am Leben bleiben könne, durch seinen betäubten Kopf, während der Hengst den Uferrand gewann und, von Ruth geführt, in die Nacht hinausschritt.

Wohin – vor allem nur hinweg von den Lagerlichtern des Feindes, die undeutlich noch in der Ferne als rötliche Dunstmassen glänzten.

Aber in welcher Richtung dann? Ruth hatte sich den Weg gemerkt, den sie gekommen, und lenkte das Pferd dorthin. »Dort ist Augsburg,« sprach sie und wies in die Ferne. Er nickte ihr zu und sah besorgt zum Himmel auf. Schon lange hatte einzelnes Gewölk den Horizont da und dort umzogen, jetzt schob es sich dichter zusammen, zu einer Regenwand, die immer höher aufstieg. Schon war sie am Rand des Mondes angekommen, ehe die beiden einige hundert Schritte zurückgelegt, schon trübte sich sein Licht, und plötzlich war er ganz verschwunden. Tiefe Finsternis umgab sie.

Eine Weile ging es noch vorwärts. Dann blieb Ruth stehen. »Herr, ich weiß den Weg nicht mehr. Und mein Arm ist lahm. Ich kann das Pferd nicht in der Richtung halten.«

»Da laßt es gehen, wohin uns Gott führt,« sprach Herr Albin langsam und beinahe feierlich, »wir sind in seiner Hand und wollen beides von ihm nehmen – Glück und Mißgeschick.«

So zogen sie weiter durch das rabenschwarze, im Regen rauschende Dunkel. Zwei einsame Menschen, so einsam und verloren, als wäre alles andere um sie geschwunden, als wären sie allein noch übrig in dem Nichts, dem schwarzen, schweigenden, unzerreißbaren Schleier, der sie ringsum in seine nassen Falten hüllte. Sie konnten nichts um sich sehen, während sie so durch die Nacht dahindrangen, eine lange Stunde, eine zweite, eine dritte – weiter und immer weiter weg vom Feinde, vom Streit und Kampf der Welt, in den Waldesfrieden hinein.

An dem Rauschen über sich, an den nassen Zweigen, die ihr Gesicht streiften, wußte Ruth, daß sie schon seit geraumer Zeit sich quer durch Walddickicht hindurcharbeiteten. Die Wurzeln krachten unter den Hufen des Pferdes, und unter Ruths leichten Schritten bog sich der weiche Moosboden und knackten die dürren Zweige. Sonst umgab sie ringsum die feierliche Stille der Wildnis.

Da plötzlich ein schweres, dumpfes Donnern. Die Hufschläge des Pferdes hallten auf steinernen Fliesen wider, wie wenn es dröhnend durch einen endlosen, mit Quadern gepflasterten Saal dahinschritte.

Und doch rauschten über ihnen die Bäume, und floß in Strömen der Regen vom Himmel; dann, während sie weiter über den geheimnisvollen Estrich gingen, hörte plötzlich das Geriesel von oben auf. Es war, wie wenn ein Dach sich schützend über ihnen wölbte und Mauerwände den Nachtwind fern hielten. Was das bedeutete, wo sie sich befanden, das wußte Ruth nicht. Nur das eine empfanden beide aufatmend, daß sich ihnen hier ein vor Mensch und Tier geschützter Zufluchtswinkel bot.

Auch eine Türe mußte sich an dem Eingang befinden, durch den sie offenbar gekommen. Das Knarren verrosteter Angeln wies Ruth die Richtung. Sie tappte im Dunkeln danach, sie fuhr mit der Hand über eine modernde, dicke Holzfläche dahin und erfaßte den Riegel.

Das tat sie bang und hastig und schob mit zitternden Fingern das schwere Eisen vor. Denn aus der regendünstenden Nacht draußen klang immer näher das heisere Belfern der Wölfe, das sie schon auf dem Wege mit Schrecken gehört, und ihr war es, als ob grünlich glitzernde Augenpaare sie gierig aus der Dunkelheit anstarrten.

Nun waren sie geborgen. Herr Albin sank schwer aus dem Sattel. Er antwortete auf ihre Fragen nicht mehr. Und während sie sich bang und stumm um ihn mühte, stieg fern über den Waldwipfeln in fahlem Dämmerschein der neue Tag empor.


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