Rudolph Stratz
Friede auf Erden!
Rudolph Stratz

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5.

Der Habsteiner hemmte sein Roß. »Ist die Holtzapfelsche Frau Gräfin in der Stadt?« fragte er barsch aus dem Sattel herab die Musketiere der Torwache.

Die Knechte wußten es nicht und wandten sich an ihren Offizier, einen kaiserlichen Hauptmann, der grüßend herantrat.

»Dem Herrn Obristen zu dienen! Ihre Gnaden die Frau Gräfin sind hier im Hofe zur Trauben abgetreten!«

Herr Albin dankte kurz und ritt weiter durch das wilde Getümmel der krummen, schon halb finsteren Gassen.

Hunderte von geflüchteten Bauern erfüllten lärmend und zeternd die Augsburger Altstadt. Ihre Leiterwagen, auf denen über eilig zusammengerafftem Hausrat jammernde Weiber und Kinder saßen, waren an den Straßenecken in unentwirrbare Klumpen zusammengefahren, aus den Höfen zu beiden Seiten tönten das Brüllen geretteter Viehherden, das durchdringende Kläffen der Dorfköter und die Flüche der Ordnung schaffenden Stadtknechte. Dazwischen trieb, als Vorläufer des retirierenden kaiserlichen Heeres, allerhand Gesindel in dem Wirrwarr sein Wesen, stahl, was es konnte, von den Wagen und bemühte sich, die Pferde von den Strängen zu schneiden und zur Seite zu ziehen. Wo aber ein Raum frei war, da standen mit bleichen Gesichtern die Bürger und besprachen in angstvollem Grimme die Kriegsgefahr, die von neuem der Reichsstadt drohte.

Der von Habstein achtete des wüsten Wesens um ihn her kaum. In seine Gedanken versunken ritt er dahin.

Und seine Gedanken waren trauriger Art.

Konnt' er auch nicht begreifen, wie es möglich sei, im Laufe weniger Frühlingsstunden einen Menschen so lieb zu gewinnen, daß man sich nicht mehr von ihm trennen mochte, so mußte er sich doch mit Zerknirschung zugestehen, daß solch Wunder in ihm vorgegangen, daß er nicht an seine Reiter dachte und nicht an den Stand des Krieges und wie Augsburg gegen Wrangel und Turenne zu defendieren sei, sondern einzig und allein an ein blasses, schönes Gesicht, das unter braunem Lockenhaar hilfeflehend sich ihm zuwandte.

So hatte er sie gestern zum erstenmal geschaut und sich vor ihr als dem Teufel bekreuzigt.

»Und wenn es auch nicht der Teufel ist,« fuhr es ihm jetzt durch den Kopf, »so ist es sein Werkzeug! Hüte dich, Albinus – du steckst in einem bösen Handel und könntest leicht mit deinen Gelübden auch dein Seelenheil auf ewig preisgeben! Kehre um, Albinus, ehe es denn zu spät ist.«

Und mahnend stieg unter solchen Betrachtungen vor ihm in himmelaufstrebender, sonnenvergoldeter Pracht, alles umher gebieterisch überragend, der heilige Dom zu Augsburg empor. Feierliches Glockenläuten klang wie aus dem Abendrot herniedersteigend von seinen schwindelnden Höhen, und aus dem Innern mahnte dumpf und langgezogen der Orgelton zu Buße und Gebet.

Da war des Habsteiners Entschluß gefaßt.

»Halte das Roß,« befahl er dem Nickel. »Ihr wartet hier, bis daß ich wieder aus der Kirche komme. Er aber, Paradeiser, nehme zwei Reiter und bringe das Fräulein in die Trauben zur Holtzapfelschen Gräfin und vermelde: Der Obrist von Habstein empfiehlt sich der Frau Gräfin zu Gnaden und bittet sie um Jesu willen, sich dieses Fräuleins vom Adel, die er verlassen angefunden, zu erbarmen. Das weitere mag das Fräulein selbst berichten. Ich aber, der Obrist, kann nicht selbsten kommen, weil es die Kriegsnot nicht zuläßt. Gehabt Euch wohl, Fräulein!« Damit war er aus dem Sattel gestiegen und, ehe Ruth etwas erwidern konnte, im Dom verschwunden

Ein feierliches Halbdunkel empfing ihn da, eine geheimnisvolle, glühende Dämmerung, in die die buntleuchtenden Glasmalereien der Fenster das farblose, von außen eindringende Tageslicht verwandelten. Gedämpfter Orgelklang zog durch den Riesenraum, zwischen dessen mächtigen Pfeilern in dunklen Gruppen die Christenheit auf den Steinfliesen betend kniete. Zumeist waren es Frauen. Die Männer, schien es, hatten großenteils schon im Laufe der Jahrzehnte daran gezweifelt, durch ihr Flehen die Plagen des Himmels von sich und der Stadt abzuwenden.

Herr Albin blieb enttäuscht stehen. Die Beichtstühle waren schon geschlossen. So kniete er denn abseits nieder – unbekümmert um die Menschen, die das seltsame Schauspiel eines bußfertigen Soldaten bestaunten – und bekannte sich selbst seine Sünden und bereute in Zerknirschung den Tribut, den er dem Bösen gezollt.

Und allmählich wurde es freier in ihm. Er fühlte, wie sich die Macht des Teufels brach und die Kraft seiner schwer bedrohten Gelübde wuchs. Er sah, wie Ruths Bild vor seinem gereinigten Blicke entschwand und das sündige Unkraut der Liebe in seiner Brust zu verwelken und zu verdorren begann, daß er sich getraute, es mit Stumpf und Stiel auszureißen und von sich zu werfen.

Als er solches im Geiste getan, atmete er erleichtert auf. Ihm war zumute wie nach einer heißen, aber siegreichen Schlacht. Er wußte, er würde Ruth nie wieder sehen. Die Versuchung lag überwunden hinter ihm.

Wohlgemut schritt Herr Albin ins Freie hinaus. Dort stand seiner harrend Ruth und schaute ihn erwartungsvoll an.

Der Feldobrist prallte zurück, und mit Entsetzen erkannte er, daß er mit seiner bußfertigen Umkehr nur sich selbst eine Gaukelei vorgespiegelt. Denn nicht, wie es sich gebührte, füllten bei des bösen Feindes Anblick Empörung und Abscheu seine Seele, sondern ein köstlicher Schrecken, desgleichen er noch nie in seinem Leben verspürt.

»Das Fräulein muß weiter mit uns reuten,« berichtete Herr Paradeiser, »denn die Holtzapfelsche Frau Gräfin ist unterm heutigen Tage in das Feldlager abgereist, um ihrem Herrn Gemahl in der vorhabenden Kriegsaktion nicht von der Seite zu weichen.«

Da merkte der Habsteiner, daß er so leichten Kaufes nicht davonkommen sollte! Und ein Gefühl der Anerkennung für den bösen Geist, der ihn so standhaft versuchte, kam über ihn! »Der Teufel ist wie ein rechter Kriegsmann,« dachte er, sich in den Sattel schwingend, »wird der zum erstenmal geschlagen, so fällt er zum andernmal auf den Feind und zum drittenmal und setzet ihm unverdrossen zu, bis daß der Vorteil sein ist!«

Und mit lauter Stimme rief er: »Wir reiten zum Lager. Laßt die Gäule laufen und seht, ob sich irgendwo ein leeres Wäglein für die Jungfer findet.«

Und wieder klapperten die Rosseshufe auf dem Pflaster, die Waffen klirrten und mit rauhen Kehlen sangen die Reiter ihr Lied. Herr Albin horchte einen Augenblick, Ruth zum erstenmal wieder flüchtig anschauend, hin. Aber die Kürassiere achteten auf die Gegenwart des Fräuleins und brüllten das ehrbare Kriegslied, das, einst zu Ehren des tollkühnen Pappenheim gedichtet, im Lager fortlebte.

»Also willstu mit dem Degen
Deinen Feinden überlegen
Und ein Held zu Felde sein!
Recht so! Laß den Harnisch bringen,
Laß Drommeten um dich klingen.
Dringe frisch zum Feind hinein.
Wo es Kugeln stäubt und schneyet,
Wo Bellona Feuer speyet.
Da ist rechte Heldenlust.
Alles lenkt sich schon zum Siege,
Wenn du, tapfrer Held, zum Kriege
Raten und dich schicken mußt!
Denn die Schlacht ist halb gewonnen.
Wo, wer an der Spitze steht.
Seinem Feinde unter Augen
Und recht ins Gesichte geht!«

Und wie ein Echo stimmten die hintersten Kürassiere, auf den Habsteiner blickend, ihr anderes Lied an:

»Da eylst und schnaubst du hin!
Du lässest dich in Schlachten
Recht mit Verwunderung
Als ein Held betrachten!
Das weiß auch Mavors wohl!
Der freut sich innerlich,
Macht schon ein Feldgeschrey
Und weiß sich viel um dich . . .«

Sie brachen ab und hielten, aus dem Tor gegen Westen herausreitend, unwillkürlich die Pferde an. Ruth aber richtete sich im Sattel auf und sah mit großen, glänzenden Augen vor sich in die Weite. Zum ersten Male schaute sie, die bislang nur die Greuel der Verwüstung kennen gelernt, die berauschende Pracht, die fürchterliche Größe des Krieges.

Im Abendscheine wälzten sich zurückgehende Bayerische und ein Teil der kaiserlichen Armee der Reichsstadt zu.

Alle Wege, alle Stege schienen lebendig geworden zu sein. In wimmelnden, endlosen Strömen ergoß es sich über die Hügel, durch die Täler, über die Felder dahin, als ringelten sich zahllose, silberglänzende Schlangen gemeinsam einer fernen Beute zu. Wie die Schuppen solcher Ungeheuer blinkten und glitzerten im Abendlicht tausendfach die Helme und Kürasse und Schwerter, und unter tausendfachem Hufschlag zitterte und grollte der zertrampelte Boden.

In erschütterndem Klange stieg dumpfer Paukenschlag aus dem Strudel des träge dahinflutenden Fußvolks, über dem in regellosem Gewirr die Musketen schwankten, und ihm antwortete schmetternd und gellend aus der Mitte der hastig trabenden Fähnlein der Ruf der Drommete. Rossegewieher mischte sich in das Summen und Brausen der gewaltigen Menschenmassen, die in immer neuen Strömen aus der Ferne hervorquollen, und ein wirres Getöse von Stimmen, Flüchen und Befehlen durchzitterte die Luft.

Am stärksten drang es aus den vorderen Kolonnen, wo unter Poltern und Donnern das grobe Geschütz, die Kartaunen, dann die Fallonets, Falkonen und Smeriglien, die Columbinen, Halb- und Viertelschlangen dahinkarrten. Zwanzig, dreißig Pferde lagen keuchend vor manchem der kunstvoll gearbeiteten, langen Ungetüme, die in buntem Troß der Oberkonstabel mit seinem Büchsenmeister, die Kondukteurs, Zeugdiener und Binder, die Batterie- und Rüstmeister, Petardiere, Harniceure und Feuerwerker umgaben. Die Karbatschen der Treiber fielen auf die Rosse hernieder, die Troßknechte griffen fluchend und brüllend in die Speichen der Räder und schoben mit, und langsam schwankten und knarrten, einen Trupp Edelleute vom Geschütz und Kommissäre an der Spitze, die Feldstücke ihres Weges, den schützenden Mauern zu.

Dahinter die Generalität. Trotzige, selbstbewußte Gestalten in prunkvoller Tracht. Weiße Seidenmäntel bauschten sich aus dem Küraß heraus, spitze Federn starrten von dem Hute, und die weiten, kurzen Beinkleider, die kaum bis zu den in umgeschlagener Krämpe zurückfallenden Feldstiefeln reichten, flammten in feurigem Rot. Mitten unter ihnen Graf Gronsfeldt, der bayerische General, den Feldherrnstab in der Hand, dahinter in Schwärmen die Pagen und Knechte, die Trompeter, die ledigen Handpferde und leeren Kutschen.

Und überall zu beiden Seiten wogten und wanderten die Völker, wimmelnd und unzählbar, als stiegen sie immer neu aus der Erde empor. Hinter ihnen hatte sich an fünf, sechs Stellen mehr der Abendhimmel blutrot gefärbt und schien die Sonne rauchig durch den Qualm der brennenden Dörfer, der in der Ferne immer dicker aufstieg. Doch niemand wandte sich nach dem altgewohnten Schauspiel um. Nach Augsburg strebte alles, der geängstigten Stadt, von deren sämtlichen Türmen ein banges Glockenläuten zum Himmel aufklang.

Wie eine zweite, wandernde Stadt zog vor dem Heere der endlose Troß. Eine unübersehbare Wagenburg, die langsam, stockend und unter Flüchen und Drohungen der Weibel sich wieder entwirrend, über Aecker und Saaten dahinkroch, alles hinter sich verwüstet und verdorben zurücklassend, wie ein Heuschreckenschwarm. In viele tausend Stimmen mischte sich das gelle Gezeter der Soldatenweiber, das Gejohle der Troßbuben mit Peitschenknall und dem Geschrei der Treiber und klang das Stöhnen der Verwundeten, die auf den rüttelnden Wagen, in Stroh gebettet, lagen. Dazwischen trabten, in Rudel gekoppelt, die Beutepferde, und wanderten mißmutig die Gefangenen, abgerissene, finstere Kerle, mit Ketten aneinander geschlossen und von Reitern mit schußbereitem Feuerrohr bewacht. Andere Reiter umgaben die mit Mehl und Pulver beladenen Fahrzeuge, die den Feldbedarf des Heeres bargen, die schwerfällig dahintrottenden Rinder- und Schafherden, die rollenden Kriegskanzleien, die Kutschen und Sänften, mit denen das Gefolge der großen Herren, Diener, Hofnarren, Mohren und vielerlei Gelichter im Trosse zog.

Wie im Traum ritt Ruth, von Panzerreitern umgeben, durch das bunte, entsetzliche Treiben hindurch und sah zu ihrem grimmen Beschützer hinauf, der offenbar in dieser waffenklirrenden, blutdünstenden Welt sich frei und freudig fühlte.

Doch der von Habstein achtete nicht auf sie. »Dort hält eine Kutsche im Felde,« sagte er zu dem Paradeiser zu Villach, »mag sein, daß sie leer ist und der Jungfer etwas taugt!«

Im Galopp sprengte er darauf zu und riß das Pferd plötzlich auf der Hinterhand zurück. Die Kutsche war nicht leer. Ein Schwerverwundeter saß darin, von seinem Diener gestützt. Man hatte nur angehalten, um ihm etwas Rast zu gönnen.

»Erkennt mich der Herr Bruder nicht?« murmelte er, und als er ihm die Hand herausreichte, sah der Habsteiner, daß es der Obrist Sommeda war, ein tapferer, kaiserlicher Reiterführer. »Mich traf's gestern beim Scharmützel, und ich meine fast, ich muß, wie einst unser glorreicher Pappenheim, hier im Wagen, in währender Fahrt, verscheiden.«

»Da sei Gott vor!« erwiderte der Obrist. »Wenn ich dem Herrn Bruder irgendwie dienlich sein kann –«

Der Verwundete wehrte ab. »Tummelt Euch und reitet ins Lager, Habstein! Ehe dort die Sonne zum andernmal sinkt, habt Ihr dem Schweden das Weiße im Auge gesehen!«

Herr Albin richtete sich kampfesmutig im Sattel auf. »Dünkt das dem Herrn Bruder also?«

Sommeda winkte ihm mit der Hand, sich zu seinem Ohr herabzubeugen. »Wisset,« raunte er, »sie waren schon diesen Morgen da! Viele hundert Pferde stark waren sie ausgegangen, uns auf der Retraite zu suchen, in der Meinung, wir hätten uns aus Hunger, um eher zu bestehen, in kleine Partien zerstreut, – und sahen uns im Lager –«

»Und griffen nicht an?«

»Sie wandten eilfertig ihre Pferde und trabten davon, Mann für Mann, in langen Reihen, gegen Lauingen zurück. Wir ritten nach, kamen aber nur mit den letzten ins Handgemenge. Da löste ein schwedischer Junker seine Pistolen in unseren Haufen hinein. Habe ihn freilich beim Aufzucken des Krauts durch Hieb gefällt, war aber doch zu spät.«

Der Verwundete preßte die Hand auf die Seite und lehnte sich in den Wagen zurück.

Der von Habstein neigte sich noch näher zu ihm. »Und was, meint der Herr Bruder, intendiert nun der Feind?«

»Er zieht von Lauingen herbei, was er an Völkern finden kann, um seinen Vorteil nicht außer acht zu lassen und uns morgen ohne die Bayern und das schwere Geschütz zu überrumpeln. Und kommt sein Fußvolk nicht mit, so attaquieret er uns mit den Reitern allein.«

»Das ist eine schlimme Zeitung!« sprach der Obrist nachdenklich.

Sommeda richtete sich wieder auf.

»Der General Holtzapfel hat die Zeit her seiner kurz geführten Charge des Generalats wenig Stern gehabt. Er hat zwar den Konfederierten einigen Schaden zugefügt, doch nichts Fruchtbarliches ausgerichtet und dem Gegenpart seinen Vorteil nicht benommen. Wie aber kommt's, daß ihm nichts gelingt? Weil er ein Calvinist ist, und doch an der Spitze der katholischen Armaden. Man möchte freilich einwenden: Auch der Turenne ist des wahren Glaubens und streitet doch wider Kaiser und Papst und reitet neben Wrangel und den Evangelischen ins Feld. Aber man darf darüber nicht nachsinnen! Sonst muß man verzagen und kann nicht mehr erkennen, warum Krieg in der Christenheit ist!«

Bei diesen Worten bewegten finstere Zweifel auch Herrn Albins Brust.

»Gehabe sich der Herr Bruder wohl!« sprach er zu dem Verwundeten, schüttelte ihm die Hand und sprengte zu seinem Häuflein zurück.

Es war beinahe völlig finster geworden. Hinter ihnen verhallten in der Nacht der Paukenschlag und Trompetenklang, das Pferdegeschrei und Wagengepolter und all das wirre Getöse der Armada.

Vor ihnen aber hatte sich der Himmel in der Ferne mit einem seltsamen rötlichen Dunst umzogen. Wie der Widerschein einer fernen Feuersbrunst leuchtete es zu ihnen herüber.

»Wir können nicht mehr fehlen,« rief der Obrist den Seinen zu. »Die Wachtfeuer der Kaiserlichen weisen uns den Weg. Halt' er sich bei dem Fräulein, Paradeiser, daß sie nicht von uns abkommt. Die Zeiten sind nicht geheuer. Es ist Blut in der Luft.«

»Das ist landkundig, Ihre Gnaden!« erwiderte, sein Roß an Ruths Seite lenkend, der Wachtmeister in geheimnisvollem Ton. »Gingen doch gestern zur Nachtzeit die Tore von Augsburg ohne Lärm von selber auf und ward niemand gesehen, also daß sich die Wachen entsetzten. Und wenn Ihre Gnaden die Reiter ausforschen, die auf Feldwacht ausliegen: jede Nacht kommen die verstorbenen Knechte ans Feuer heran – man erkennt wohl den und jenen – und heben die Hände und winken. Habe doch selbst unlängst im lichten Mondschein das ganze Feld voll Kriegsleute gesehen, die in hungarischem Habit mit fliegenden Kopien aufgezogen sind.«

Bei diesen Worten schauderte Ruth zusammen und blickte angstvoll auf den dunklen Boden nieder, der hohl unter den Pferdehufen klang.

»Wir reiten über eine Brücke,« tröstete sie Herr Paradeiser, »ist die Schmutter, ein geringes Wasser, das bei Donauwörth in den Strom rinnt.«

Und weiter und weiter trabten die Rosse. Nun waren sie dicht an dem Flecken Zusmarshausen, und deutlich hörten sie das Rauschen der zur Donau fließenden, vom Frühlingsregen geschwellten Zusam. Sonst über herrschte unheimliche Stille. Wohl schoben sich in einem Bogen flackernder Flammenpunkte die Wachtfeuer endlos vor ihnen im Halbkreis dahin und lohten davor noch durch die Dunkelheit die von den Piketts und Vedetten aufgehäuften Holzstöße; wohl hob sich, in riesigen, schwarzen Klumpen zusammengeballt, undeutlich die Wagenburg des Trosses von der Dunkelheit ab, aber nur selten unterbrachen die Stille das Wiehern eines Pferdes, sporenklirrende und in der Nacht verhallende Schritte, und draußen, vor den Feuern, die gedämpften Anrufe auf Losung und Feldgeschrei, unter denen die Parteigänger in die Nacht hinausschlichen und zurückkamen.

Beklemmender als der gewohnte rohe Lärm des Lagers war diese atemlose Ruhe, die auf die Nähe des Feindes, auf ringsum lauernde Gefahr für Leib und Leben wies. Eine dumpfe, schwüle Spannung schien das ganze Dunkel und die in seinem Schutze lagernden Tausende und Abertausende zu umfangen. Und wo die Wachtfeuer knisterten und ihre zuckenden Lichter in die Nacht hinauswarfen, da sah man grimmige Gesichter voll finsterer Erwartung, Kerle, die ihre Waffen putzten und sorgsam Sattel- und Zaumzeug prüften, andere wieder, die heimlich die unglückbringenden, schmierigen Karten und Würfel beiseite gleiten ließen und mit Amuletten und Freisprüchen kramten.

Vor einem Bauernhause, wo Holtzapfel sein Quartier aufgeschlagen, hielt der Reitertrupp. Doch in der Türe schon meldete dem Obristen ein Page, daß die Frau Gräfin zwar in dem Hause gewärtig, der Generalissimus aber gewillt sei, die Nacht, in Besorgnis eines Angriffs, im Lager zu verbringen.

Ruth war völlig erschöpft, als sie der Quartiermeister aus dem Sattel hob. Wie im Traum sah sie ein niederes Zimmer vor sich, darin eine stolze, hochgewachsene Frau mit einem kleinen Mädchen zur Seite. Sie hörte, daß man sie die Frau Gräfin Holtzapfel nannte, und daß der Obrist sie jener präsentierte und mit kurzen Worten ihrer Sorge anempfahl.

Dazu war die Gräfin gern bereit.

»Wär' es nicht Christenpflicht,« sprach sie zu dem Obristen und faßte freundlich Ruths Hände, »so schon um Euretwillen, denn wirklich – alles andere hätte ich eher gedacht, das mir der gestrenge Habstein ins Haus bringen möchte, als gerade ein junges Fräulein! Aber Ihr habt's recht gemacht. Und nun nehmt Abschied von dem Fräulein. Der Graf, mein Gemahl, ist ungehalten, daß ich ohne sein Geheiß zu ihm ins Lager kam, und schickt mich morgen mit dem frühesten nach Augsburg zurück. So werdet Ihr uns nicht mehr vorfinden, wenn die Armada aufbricht.«


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