Rudolph Stratz
Friede auf Erden!
Rudolph Stratz

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6.

Als der Obrist in das Dunkel hinaustrat, war sein eben erst zur Notdurft wieder aufgerichtetes Gelübde abermals geschädigt. Er hatte Ruths Hand ergriffen und lange in der seinen gehalten, ehe er ging, und ihr ins Auge geschaut, und es war ihm, als habe sie mit einem stummen Flehen seinen Blick erwidert, wie um ihn zu bitten, sie nicht allein zu lassen in den Fährnissen der Welt.

Bitter war seine Reue, als er zu dem Lager schritt, aber das Geschehene ließ sich nicht ändern, und wäre es ungeschehen – er wußte, er würde es zum zweitenmal nicht anders machen.

Er versuchte an die Kriegshändel zu denken, an die gefährliche Position der Truppen zwischen den beiden Gewässern der Zusam und Schmutter. Umsonst – lieber als in das Feindeslager hätte er, der feldberühmte Albinus Habstein, jetzt in jenes schwermütige, blasse Gesicht hineingeschaut, das ihn überall in seinen Sinnen verfolgte, und lieber als dem geheimen Kriegsrat, den jetzt wohl Wrangel und Turenne mit den Großen ihres Lagers hielten, dem weichen Wohlklang ihrer Stimme gelauscht.

In lichtem Zorne stieg er ab und schritt zu einem hohen Feuer empor, das, von schildernden Musketieren bewacht, abseits von der Mannschaft loderte, auf der Kuppe eines Hügels, der bei Tageslicht einen weiten Ueberblick ringsum bieten mochte. Dort oben lagerten die Kriegsführer im Kreise um die Glut, hinter ihnen ein Schwarm von Dienern und Knechten, die Zügel der die ganze Nacht gesattelt bleibenden Pferde in der Hand.

Der prasselnde Holzstoß warf gespenstisch flackernde Lichter auf die trotzigen, wettergebräunten Züge der kaiserlichen Offiziere, die da, in ihre Mäntel gehüllt, bunt durcheinander lagen und saßen. Neben Fürsten und Grafen aus uraltem Geblüt die Soldaten von Fortune, verwegene und verschlagene Abenteurer aus allen Ecken Europas; neben blutjungen Burschen von reichem Adel, die, auf eigene Faust im Heere mitziehend, darauf warteten, wann sich in der nächsten Schlacht die Sättel leeren und das Glück ihnen ein Fähnlein bescheren würde, die verwetterten Grauköpfe der Emporkömmlinge, von denen mancher noch als Troßbube den Anfang des Krieges geschaut hatte und wie aus längst verschollenen Zeiten vom Treffen am Weißen Berge und dem Winterkönig, von Albrecht Waldstein, von Tilly und Pappenheim und ihrem beherzten Feinde Gustav Adolf, von dem unheimlich gewaltigen Bernhard von Weimar bis zu den Tagen Torstensons und Baners erzählen konnte.

Nun waren sie alle tot, die Kriegshelden, deren Name jetzt noch mit Ehrfurcht und Grauen am Lagerfeuer klang. In der Feldschlacht geblieben, ermordet oder sonst zugrunde gegangen. Unter den gemeinen Reitern war wohl der Tod an so manchem seit dem Jahre sechzehnhundertachtzehn achtlos vorbeigeschritten. Von den hohen Offizieren aber konnten sich nur wenige rühmen, schon damals an der Spitze eines bewaffneten Volks zu Felde geritten zu sein.

Einer dieser wenigen saß – abseits von den anderen – im Gespräche mit einem jungen Edelmanne da. Ein Mann an der Schwelle des Greisenalters, mit finsterer Miene und durchdringendem Blick. In den Furchen seines sorgenvollen, eisenharten Gesichts lagen wie eingemeißelt die Spuren eines wildbewegten, in Sturm und Leidenschaft verbrachten Lebens. Ein Trompeter, einige Reiter und Knechte hielten sich ehrfurchtsvoll in einiger Entfernung hinter ihm und harrten seiner Befehle.

Das war der Generalissimus der vereinigten katholischen Armaden, Melander Holtzapfel, den das Schlachtenglück von dem einstigen hessischen Roßknecht Eppelmann zum Reichsgrafen und Gewalthaber über des Kaisers Heer und Schicksal erhoben hatte. Den Kopf zur Seite geneigt, gab er halblaut dem jungen, schlachtenkühnen Herzog Ulrich von Württemberg seine Befehle, der ungeduldig, als könne er den Trompetenruf zur Attacke nicht mehr erwarten, in stutzerhafter Kleidung an seiner Seite saß.

Ihre Worte verhallten in dem halblauten Durcheinander der anderen Stimmen. Nur ein Teil der Generale sprach Deutsch. Dazwischen klangen das Spanische und Italienische und blitzten zu den fremdartigen Worten die Augen in den gebräunten Galgengesichtern; ein Trupp Herren vom deutschen Hochadel, die zusammen dem Becher zusprachen, gab sich auf französisch Bescheid, und in ihrer Nähe zischelten die böhmischen Laute, in denen sich ein Paar verschlagen dreinblickender greiser Feldsoldaten, den anderen unverständlich, besprach.

Holtzapfel schaute auf, als er die Tritte des Ankommenden hörte. In dem helleren Schein des Lagerfeuers trat noch mehr der grimme Trotz seines Antlitzes hervor, der Trotz des Abtrünnigen, der die Sache, der er ein langes Menschenleben hindurch mit dem Schwerte in der Hand gedient, verraten hat und zu zerstören willens ist. Alles hatte er nun von des Kaisers Gnade angenommen: den Reichsgrafentitel, die oberste Würde im Heer und die huldvollen Bestallungsschreiben. Aber calvinistisch war er doch geblieben, als er gegen seine Glaubensgenossen zu Felde zog, den Jesuiten der Hofburg zum Trotz. Und die päpstlichen Eiferer hatten sich mit seiner höhnischen Antwort bescheiden müssen, daß man jetzt, wo Schweden und Franzosen an den Grenzen der kaiserlichen Erblande ständen, in Wien nicht Zeit haben dürfe, Kriegsleute zu bekehren! Als er Herrn Albin sah, ging ein Lächeln über sein Gesicht. Der Habsteiner war ihm willkommen.

Er erhob sich: »Ich begrüße den Herrn!«

Der Feldobrist hatte den Hut zur Hand genommen und verbeugte sich. »Ich hoffe,« sprach er, »daß meine Kriegsfortune mich rechtzeitig daherführt, um morgen unter Ihrer Exzellenz dem Feinde den Weg zu weisen.«

Holtzapfels Gesicht verfinsterte sich. »Hoffe der Herr Bruder nicht!« murmelte er und sah grimmig über das Meer von lodernden Wachtflammen, das sich zu ihren beiden Seiten scheinbar bis an den Horizont ausbreitete. »Die Not ist über uns gekommen. Früher zündeten die Knechte zur Kurzweil die Dörfer an. Jetzt mögen sie Geld bieten, was sie haben, und finden kein Brot mehr. So ist die Armada völlig von Kräften gefallen.«

»Lasse Ihre Exzellenz mich mit meinen Kürassieren ausreiten« rief der Habsteiner, »ich schaffe Mehl, und sollt' ich's dem Teufel aus der Hölle holen!«

»Für die Soldaten ließe sich Rat schaffen,« erwiderte der Generalissimus, »aber nicht mehr für den Troß! Der Troß verschlingt beides, das Land und die Armada. Ich habe zurzeit an vierzigtausend Soldaten. Im Trosse aber ziehen mehr als hunderttausend Menschen hinter mir her, Weiber und Buben und kleine Kinder, und was des kriegsuntüchtigen Gesindels noch mehr ist. Weiß Gott, wie die Erde das alles erzeugt. Aber es ist vorhanden, und wenn ich heute vierzigtausend Rationen Brot verteilen lasse, so bleiben hunderttausend Mäuler leer, und das Geschrei ist ärger als zuvor.«

»Doch aber würd' ich mich hier maintenieren,« sprach der Habsteiner hartnäckig, »und in der Weisheit Ihrer Exzellenz befehlen, daß die bayerischen Völker und groben Stücke stracks kehrtmachen und eilends wieder hier ankommen.«

»Und dann?«

»Dann den Konfederierten die Zähne weisen! Ihr Fußvolk kann bis morgen nicht heran. Ihre Reiterregimenter aber, wenn sie sich zeigen, sollen übel zugerichtet werden und für die Keckheit büßen, daß sie sich heute mit ein paar Fähnlein bis unter die Augen Ihrer Exzellenz wagten!«

Der greise Holtzapfel lachte auf. Es war ein böses, heiseres Lachen, aus dem etwas wie Verzweiflung klang. Er faßte den Obristen am Arm. »Komme der Herr mit mir!«

Sie schritten den Hügel hinab, in eines der Regimenter hinein, die an seinem Fuße lagerten.

Es war hier beinahe dunkel, die Wachtfeuer im Verglimmen, die Mannschaft in ihre Mäntel gewickelt, den Sattel unter dem Kopfe, schnarchend daneben. Dahinter standen, in langen Doppelreihen festgepflockt, die Rosse.

Hier machte der Generalissimus Halt. »Fühle der Herr Bruder den Gaul da an!« sprach er und wies auf das nächste, im Dunkel kaum erkennbare Tier. Der Obrist tat es und erschrak. Seine Hand stieß sich beinahe an den Rippen, die aus dem Pferdeleib hervortraten.

»Das nächste!« befahl sein Begleiter.

Er tat's. Das Pferd war mager, wie Haut und Knochen. Ebenso das dritte, das vierte – jedes Roß, dem er von der Schulter zur Flanke fuhr.

»Begreift der Herr nun?« klang neben ihm des Grafen Holtzapfel Stimme. »Die Pferde finden jetzt in der Maienzeit reichlich Gras, Aber um der Menschen willen, die mir verhungern, muß ich sie so travaillieren, auf- und niederhetzen und durchs Land streifen lassen, daß sie mir vom Fleisch gefallen sind und kaum mehr sich selbst zu tragen vermögen, geschweige denn einen Reiter in die Schlacht zu führen.«

Herr Albin wendete sich verächtlich von den Rossen ab. »Es kommt auf den Obersten an. Wem gehört dieses Regiment zu?«

»Es sind die Kürassiere von Habstein!« erwiderte der Generalissimus ruhig und wandte sich zum Gehen. »Doch der Herr wird fatiguieret sein. Es bleiben uns noch ein paar Stunden Ruhe.«

Mit schweren Schritten, wie ein gebrochener Mann, stieg er den Hügel wieder hinauf und verschwand in dem Rauch des Lagerfeuers.

Herr Albin ging schweigend durch das Lager seines Regiments, vorbei an den langen Reihen der Pferde und der wie Leichen den Boden deckenden Mannschaft, an den zerfetzten Standarten vorbei, die, in den Boden eingerammt, müde im Nachtwind sich blähten, vorbei an vereinzelten Zelten und Grashütten, in denen die niederen Offiziere kampfbereit in der Mitte ihrer Mannschaft ruhten.

So kam er bis an die Front des Regiments. Dort, auf dem freien Platz, war es noch lebendig und schaukelten sich ein paar Fackeln in der Dunkelheit. Herr Paradeiser und seine Leute waren damit beschäftigt, ihm aus Laub und Stroh eine Unterkunft zu bereiten.

Er wies sie fort. Die Nacht war ja trocken und lind. So warf er sich in das würzigschwellende Gras des Bodens nieder und starrte zu dem glitzernden Himmel über sich empor, während er Stunde um Stunde bis zum Morgengrauen düster und schlaflos dalag.


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