Rudolph Stratz
Friede auf Erden!
Rudolph Stratz

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3.

Als sie vor das Bett traten, warf Ruth einen Blick voll bangen Entsetzens auf ihren Begleiter. Auch sie merkte jetzt, daß es mit Herrn Melchior übel stand. Sein Gesicht war verändert, seine Augen erloschen. Er atmete schwer.

»Laß uns allein,« sprach er mühsam zu Ruth und faßte nach der Hand des Obristen.

»Nun hört meine Bitte! Man pflegt gemeiniglich einem Christen den letzten Wunsch nicht zu versagen. Darum ist diese Bitte das letzte, was ich auf Erden sprech': – Herr, wenn ich sterbe, muß sie drinnen, mein Mündel und meine Nichte, hier verkommen und verderben. Darum hab' ich mit dem Tod gerungen – einen langen, endlos langen Tag – und ihn von mir abgehalten, bis daß ein christlicher Ritter sich ihrer erbarme und ich in Frieden verscheiden kann. Um Eures Seelenheils willen, wie um des meinen: Gebt mir den Eid, daß Ihr Ruth in Ehren mit Euch nehmen und ohne Schaden für Leib und Seele in ein Kloster schaffen wollt, wo es Euch gut bedünkt.«

Herr Melchior richtete sich mit letzter Anstrengung auf und sah dem Obristen ins Gesicht.

Der hatte sich den Handel überlegt und sprach: »Vernehmt, Herr – sich eines hilflosen Menschen erbarmen, ist Christenpflicht. So schwör' ich Euch einen leiblichen Eid, daß ich gedachtes Mädchen, so weit bei mir steht, ungefährdet gen Augsburg bringen, dort aber, wo mich die Feldpflicht ruft, alsbald der Frau Gräfin Holtzapfel, meines Generalissimi Gemahlin, übergeben werde, die dann nach bestem Wissen weiter für sie sorgen mag –«

Er fühlte einen matten Händedruck. Herr Melchior sank in sein Lager zurück. »Ich danke Euch –,« hauchte er und winkte Ruth, die auf der Schwelle erschien, zu sich heran.

Der Obrist trat neben sie. »Knie das Fräulein nieder und bete –,« sprach er rauh, »es ist an dem daß Euer Ohm hinübergeht!«

Ruth sank schluchzend zu Boden, und ebenso ließ sich hart vor dem Lager der von Habstein auf ein Knie nieder.

Der Sterbende wollte beten, doch er konnte nicht mehr und sah mit gefalteten Händen Herrn Albinus bittend an.

Da erhob der Obrist seine Stimme, und durch das schweigende Gemach klang sein rauhes Feldgebet:

»O Du König aller Könige, der Du Himmel und Erde erfüllst – Du Brunnquell ewigen Lebens, in dem keine Furcht des Todes ist zu finden, Du, Herr, bist's, der uns rechtfertig den Tod schickst und auch unser barmherziger Seligmacher erfunden wirst –

»Laß von Deiner unendlichen Gnade beide empfangen: ihn und seine Feinde, und besprenge ihre bußfertigen Seelen mit Deines Sohnes Blut!

»Und ist er mit Dir versöhnt durch das Blut des Erlösers, so lasse denn, Herr, Deinen Dienstknecht nach Deinem Wort mit Friede dahinfahren –«

Da tat Herr Melchior seinen letzten Atemzug.

Der Obrist verließ so leise, als seine schweren Reiterstiefel es erlaubten, das Zimmer und trat auf den Söller hinaus, in den jetzt durch die zertrümmerten Fenster das Mondlicht in breiten Strahlen flutete.

Gedankenvoll sah er hinab in das Tal zu seinen Füßen, in dem das öde Dörflein friedlich, wie schlummernd, dalag. Die Fledermäuse schwirrten und gaukelten vor ihm in der klaren Nachtluft, und aus dem zerfallenen Turme vor ihm schwebte eine Eule lautlos hernieder und fuhr über das Brennesselgewirr im Hofe dahin.

Klar war es Herrn Albinus nicht, was mit ihm vorgegangen. Er schaute sich um. »Wahrscheinlich,« dachte er bei sich, »bin ich der einzige Mensch von Fleisch und Blut hier in diesem zerfallenen Gemäuer. Und bin nicht der erste, der zur Nachtzeit unter Hexenvolk geriet, wie es an solchen Orten im Mondschein sein Wesen treibt und ehrliche Christen zu verführen sucht –«

Aber freilich – sie hatten sein Gebet mit angehört, ohne sich zu entsetzen. Doch selbst gebetet hatten sie nicht.

»Am besten ist's, ich sehe nach, wo der Böse geblieben ist,« sann der von Habstein weiter, »und ich denke: wenn ich wieder in die Zimmer trete, werden sie kahl und leer sein. Verschwunden die Lichter, verschwunden Wein und Speisen – und mit ihnen der, der mich da drinnen bald als Leichnam, bald als schönes Mädchen äfft –«

Da fühlt er sich leise am Arm berührt.

Sie stand neben ihm und sah mit bangen Augen zu ihm auf.

»Herr – ich fürchte mich!« sprach sie, zitternd.

Da merkte Herr Albinus, daß die Zeit seiner Prüfung noch nicht vorbei war.

»Zum Fürchten ist jetzt keine Zeit,« sagte er streng. »Denn in aller Gottesfrühe muß ich weiter ziehen – und Euch mit mir nach Augsburg nehmen –«, und zögernd setzte er für sich hinzu: »wann Ihr nach Sonnenaufgang noch vorhanden sein –«

Ein schmerzliches Lächeln glitt über ihr schönes Gesicht, das jetzt im Mondschein blutlos und leichenblaß aussah.

»Und bis dahin«, fuhr er fort, »müssen wir den Verschiedenen in die Erde geben. Weist mir Hacke und Spaten. So wollen wir ihm ein Grab im Schloßhof schaufeln.«

Sie schluchzte auf. »Kommt,« sprach sie und ging zur Treppe.

Dort wollte sie ihm die Hand reichen, um ihn durch das Dunkel hinab zu geleiten. Er wehrte ihr unwillig ab und tappte sich mühselig über die krachende Stiege.

Als er in den Hof hinaustrat, verdunkelte sich der Mond. Eine Wolkenwand schob sich vor ihn, und in schwerem Rauschen ging wiederum der Frühlingsregen nieder.

Es dauerte einige Zeit, bis er sie fand. Sie stand hart an der Wallmauer, in einem Winkel, den die Trümmer eines vorspringenden Turmes bildeten. Dichte Holunderhecken sproßten darüber und erfüllten die Nachtluft mit ihrem süßen Atem.

Herr Albin ergriff einen der beiden Spaten, die sie herbeigeschafft, und stieß ihn in das lockere Erdreich. Ruth nahm den anderen, trat einige Schritte abseits und wollte seinem Beispiel folgen, als der Obrist finster von der ungewohnten Arbeit aufsah. »Lasse das Fräulein das,« befahl er, »das ist keine Arbeit für adeliges Frauenzimmer.«

Aber sie schüttelte nur schweigend den Kopf, daß die Locken flogen, und schaufelte weiter.

So gruben sie gemeinsam Herrn Melchior von Ampringen in strömendem Frühlingsregen sein Grab.

Es war nahezu völlig finster geworden. Die lauwarm niederfließenden Regenschauer umhüllten sie wie mit einem duftigen Schleier. Sie konnten kaum mehr gegenseitig ihre Gestalten erkennen, zwei Gestalten, die sich taktmäßig bückten und aufrichteten. Durch das Wassergeriesel und Windeswogen und das Kollern der aufgeworfenen Schollen klang ihr schweres Atmen ineinander, und über ihren Häuptern schwankte und zitterte der duftende Holunder. Und aus ihm klang in Jauchzen und Klagen der Sang der Nachtigallen, ein Sang, um den sich, Herr Albinus noch niemals gesorgt.

Stundenlang sangen die Nachtigallen. Als sie verstummten, spielte der erste fahle Morgenschein über den Trümmern.

Herr Albin richtete sich auf und musterte das Werk ihrer Hände. »Es ist genug,« murmelte er, »warte das Fräulein hier –«

Sie kauerte sich gehorsam hin, während der Obrist die Treppe hinaufstieg.

»Wenn mich nun doch ein Spuk geäfft hat,« sorgte er, »wenn gar kein Leichnam da ist – oder er kommt mir aufrecht entgegen, mich zu entsetzen –«

Aber Herr Melchior lag still und friedlich mit gefalteten Händen auf seinem Lager. So nahm der von Habstein den starren Leib in seine stählernen Arme und trug ihn hinab und bettete ihn in das Grab. Ein Tuch deckten sie darüber. Dann polterten die Schollen wieder zurück, woher sie gekommen, und füllten mählich das Grab bis zum Rand, und es ebnete sich der Boden wie zuvor.

Und niederkniend betete Albin von Habstein für den Toten, während sich ringsum das Frührot in rosiger Wärme über die verfallene Burg ergoß und Finkenschlag und Lerchentriller jauchzend den jungen Tag begrüßten.

Dann ließ er Ruth allein am Grabe zurück und schritt nach oben, sich Schwert und Elenkoller anzulegen, deren er sich bei seinem Totengräberdienst entledigt.

Dort blieb er noch geraume Zeit in düsterer Betrachtung und stählte sein Herz zu dem schweren Kampf, der ihm bevorstand.

Das mochte eine böse Reise werden, auch ohne Freireiter, Bauern und Wölfe, eine Reise, bei der einem jeden Augenblick das Seelenheil abhanden kommen konnte!

»Ich wollte, ich wäre in Augsburg und der Jungfer ledig!« brummte der von Habstein, als er wieder in den Hof hinaustrat.

Der Hof war leer. Von Ruth nichts mehr zu sehen.

Das war eine seltsame Ueberraschung und das Seltsamste dabei, daß sich des Feldobristen Gesicht verfinsterte und es den Anschein hatte, als freue er sich gar nicht der endlichen Erlösung von dem Uebel.

Er selbst wunderte sich darüber. Eben noch hatte er ja gewünscht, seiner Schutzbefohlenen ledig zu sein, und nun merkte er, daß die Menschen von nichts so wenig wissen, als von dem, was in ihrer eigenen Brust vorgeht.

»Möchte sie doch wiederkommen!« dachte er bei sich, »ich bin nun einmal in dem Abenteuer und will es rühmlich enden. Das ist kein ehrlich Spiel, wenn der Widerpart mitten darinnen aufsteht und hinweggeht!«

Aber nichts regte sich.

Sollte er ohne sie das Schloß verlassen? Nein – das war Feigheit, und sein Eid verbot es ihm.

Oder war dieser Eid, über ein Weib zu wachen und mit ihr die kostbare Zeit zu vergeuden, indes man sich vielleicht bei Augsburg schon mit den Ketzern schlug – war dieser Eid vielleicht nur eine Tücke des bösen Feindes?

Der Kriegsmann furchte in schwerem Zweifel die gebräunte Stirne. Und dann entschloß er sich, zu bleiben!

Den Degen über die Knie gelegt, saß er still und zornig da und wartete, ob der Teufel wiederkäme!

Da begannen plötzlich die Büsche, die in üppigem Grün vor einem völlig zerfallenen Hofgebäude wucherten, in schwankende Bewegung zu geraten. Es war, als bahne sich da etwas den Weg durch das dichtverschlungene Astwerk.

Jetzt rauschten schon die vordersten Hecken, Ein Gaul wieherte und trat ins Freie hinaus. Ihm folgte Ruth, Sattel und Zaumzeug und ein Faustrohr über dem Arm.

»Wir haben sie da versteckt,« sagte sie und versuchte, ihre blassen Züge zu einem Lächeln zu bringen. »Es ist freilich nur eine arme Bauernstute, aber doch stark genug. Sattelt das Pferd. In kurzem bin ich bei Euch.«

Sie huschte hinauf, und als Herr Albin der Stute Zaum und Sattel aufgelegt, stand sie schon reisefertig neben ihm.

»Steigt auf!« sagte er mürrisch, »ich gehe nebenher.«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Ich verstehe den Herrn nicht. Wenn wir im Schritte reiten, brauchen wir drei Tage bis Augsburg!«

»Ich kann's nicht ändern!«

Sie schüttelte das Haupt. »Die Stute trägt uns beide!«

Herr Albin biß sich grimmig auf die Lippen. Mit einem Weibe hinter sich im Sattel über Land zu reiten – er, der geschworen – –! Doch dann sah er wieder das Feldlager vor sich und die Genossen bei Lärm und Becherklang ihn mit dem Ruf empfangen: ›Der Herr kommt zu spät! Er kann keinen Particul mehr an der glorreichen Viktorie nehmen, die wir gestern über die Konfederierten erfochten –‹

Der von Habstein schwang sich in den Sattel.

»Steigt hinter mir auf,« gebot er, »doch merkt Euch, Fräulein – ob es Euch erstaunt oder nicht – ich kann Euch nicht berühren. So es not tut, haltet Ihr Euch an mir fest.«

Sie nickte, legte die Hand auf seine Schulter, setzte den Fuß auf seinen im Bügel und hob sich also hinauf. Das Roß wieherte und machte einen mächtigen Satz, daß Ruth im Sattel schwankte. Sie erschrak. »Erlaubt es,« bat sie, »daß ich den Arm um Euch lege.«

Er nickte grimmig und trieb das Pferd an, während sie vertrauensvoll die schlanken Hände über seiner Brust kreuzte.

So ritten sie ins Tal hinab. In wolkenloser Pracht erstrahlte jetzt über ihnen der blaue Frühlingshimmel, tausendfach funkelte und glitzerte die Maiensonne im Taugeriesel des lichtgrünen Laubwerkes, und die ganze linde Morgenluft schien durchzittert von jubelndem Vogelgesang.

Der von Habstein seufzte schwer und sandte ein stummes Stoßgebet zum Himmel.

»Wenn der Teufel umginge, wie ein brüllender Löwe,« dachte er, »und zeuchte wider mich – wie unverzagt wollt' ich ihn bestehen! Aber der Böse kommt mir von rücklings bei! Er setzt sich hinter mich in den Sattel und umfängt mich mit weichen Armen, und sein seidenes Lockenhaar weht im Maienwind um mein Gesicht. Und er gebärdet sich nicht greulich, sondern lind und lieblich. Er schmiegt sich zitternd, wie ein furchtsam Vöglein, mir an, daß man sich seiner fast erbarmen möcht', und macht mir armen Sünder sauere Arbeit!«

Da hörte er hinter sich ihre sanfte Stimme.

»Herr, bin ich Euch sehr zu Last?«

Der von Habstein sah sich nicht um. »Laßt es gut sein!« sprach er kurz und zog mit ihr im Galopp hinaus in die Frühlingspracht.


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